Prof. Dr. Eberhard HILDT - ein junger Wissenschaftler wird zum Whistleblower ohne Angst um seine Karriere zu haben

Hintergrund

Krebs ist eine schlimme und gefürchtete Krankheit. Obwohl Millionensummen in die Forschung investiert werden, sind Krebserkrankungen leider immer noch weit verbreitet und raffen viele Menschen sogar in jungen Jahren dahin. Wissenschaftler auf diesem Gebiet genießen deshalb hohe soziale Achtung, werden von vielen Kranken als ihre letzte Hoffnung gesehen. Umso schlimmer ist es, wenn Wissenschaftler bzw. Mediziner manipulieren, Forschungsergebnisse fälschen und damit die Menschen um ihre Hoffnungen betrügen. Insbesondere in den 90er Jahren, als die Krebsforschung noch längst nicht so weit war wie heute.

1997 wurde einer der größten Wissenschaftsskandale in Deutschland publik: Ein international anerkannter und hierzulande gefeierter Jungstar der Krebsforschung, Prof. Dr. Friedhelm HERRMANN sowie seine (Ex-)Lebensgefährtin, Prof. Dr. Marion BRACH, wurden der Fälschung und des wissenschaftlichen Betrugs überführt – ein Super-GAU im deutschen Forschungswesen.

Zehn ganze Jahre lang konnte das Forscherpaar manipulierte Daten in international renommierten Fachzeitschriften publizieren und auf Fachkongressen mit vermeintlichem Know-how brillieren.

Friedhelm HERRMANN hatte karrieremäßig alles erreicht, was man als Wissenschaftler erreichen konnte: Der „Herr Professor“, wie er sich anreden ließ, hatte knapp 400 Fachaufsätze veröffentlicht und sieben Forschungspreise eingeheimst, war Mitglied in allen relevanten Fachgesellschaften, saß in unterschiedlichen Gutachter- und Bewilligungsgremien, beispielsweise auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und agierte obendrein als Sprecher der deutschen Gentherapeuten.

Zehn Jahre lang hatte niemand etwas gemerkt. Zehn Jahre lang hatte niemand etwas merken wollen – der wissenschaftliche Wettbewerb in diesem Bereich ist knallhart und über das wissenschaftliche Weiterkommen entscheidet nicht nur die eigene Leistung, sondern bei Nachwuchswissenschaftlern auch die ‚Promotion’, konkret: die aktive Unterstützung durch den Forschungsleiter, den „Doktorvater“. Wer es sich mit dem verdirbt, ist raus aus dem Spiel. Und zwar überall.

1994/95 wird ein junger Amerikaner in das Forscherteam von Friedhelm HERRMANN am Berliner „Max-Delbrück-Centrum“ aufgenommen. Der merkt schnell, dass da einiges nicht mit rechten Dingen zugeht und spricht seine jungen Kollegen an: Ja, das sei so, und wer etwas werden wolle, der müsse das so (mit)machen. Als der US-Kollege bei vier etablierten Berliner Professoren nachfragt, erhält er auch dort die Antwort, dies sei in der Forschung durchaus so üblich. Und sie warnen ihn vor „negativen Auswirkungen“ auf seine Karriere, wenn er mit seinen Beobachtungen und Zweifeln an die Öffentlichkeit gehe. Der Amerikaner geht nicht an die Öffentlichkeit – er geht zurück in die USA.

Die Geschichte

Zu dieser Zeit kommt ein anderer junger Molekularbiologe ins Parallelteam, ein „Pipettierknecht“, wie HERRMANN's (Noch)-Geliebte „Prof. Dr.“ Marion Brach ihre Untergebenen zu bezeichnen pflegt: Dr. Eberhardt HILDT.

Als HERRMANN diesen für sich abwerben will, weil er mit seiner „Ex“ gerade auf Kriegsfuß steht und abfällige Bemerkungen über sie macht, u.a. dass es in ihren Veröffentlichungen viele „Unregelmäßigkeiten“ gebe, nimmt sich HILDT die letzte Fachpublikation von Marion BRACH vor, der gerade im renommierten „Journal of Experimental Medicine“ erschienen war. Kein Zweifel: Eine wichtige Abbildung kann beim besten Willen nicht den realen Versuchsergebnissen entsprechen.

Als HILDT seine „Professorin“ daraufhin anspricht, streitet sie nichts ab, verspricht sogar, den fraglichen Artikel zurückziehen zu wollen. Doch das geschieht nicht. Stattdessen tauchen BRACH und ihr wieder vereinter Lover, Friedhelm HERRMANN, jetzt bei HILDT auf und versuchen ihn einzuschüchtern, drohen mit einer Klage wegen übler Nachrede.

HILDT recherchiert indes weiter, besorgt sich die originalen Laborunterlagen von einem ehemaligen Kollegen: Kein Zweifel, die von BRACH veröffentlichten Daten sind ein Fake. Und einiges andere von HERRMANN ebenfalls. Als HILDT mit diesen Informationen zu „Professor Herrmann“ geht, droht der erneut: Er werde ihn „platt machen“, sollte er seine Anschuldigungen publik machen.

Der junge Molekularbiologe lässt sich nicht einschüchtern – Wissenschaft muss ehrlichen Standards genügen. HILDT wendet sich an seinen früheren Doktorvater und weiht ihn in seine Erkenntnisse ein. Der erkennt das Problem sofort, holt sich einen weiteren Experten hinzu, die jetzt beide wissenschaftsintern Alarm schlagen und die fraglichen Universitäten einschalten, an denen HERRMANN und BRACH gelehrt hatten, sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). 

Jetzt lässt sich nichts mehr aufhalten: Rund 100 Publikationen von HERRMANN werden als manipuliert enttarnt. HERRMANN und BRACH werden die Professorentitel aberkannt, aber nicht vor Gericht gestellt.

Der junge Wissenschaftlier Dr. Eberhard HILDT macht trotzdem Karriere. Er erhält eine „Professur für Molekulare Medizinische Virologie“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Heute ist er Abteilungsleiter für Virologie am Paul-Ehrlich-Institut in Langen.

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

Was für die deutsche Krebsforschung zunächst zum Desaster wird, hat positive Folgen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) setzt unmittelbar danach neue Qualitätssicherungs-Standards auf, die sich auch durchsetzen: „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“. Daran muss sich heute auch jeder halten und an den Universitäten gibt es inzwischen Ombudsleute, die als Ansprechpartner in Zweifelsfällen fungieren.

Folgen für den Whistleblower:

Wer als junger Wissenschaftler, der seine Karriere noch vor sich hat, gegen die 'Vorgesetzten' zu opponiert, die über den späteren wissenschaftlichen Lebensweg entscheiden, braucht außerordentlich viel Mut - die Wissenschaftsbranche in den Universitäten ist klein, und wer es sich verscherzt, kommt da praktisch nicht mehr hinein.

Eberhard HILDT hat diesen Mut bewiesen, war 'clever' genug, um von vorneherein glich mehrere etablierte Wissenschaftler in seine Zweifel einzubinden. So ist dieses Beispiel einer der (leider) wenigen Fälle, in denen ein 'Überbringer einer schlechten Botschaft' nicht 'untergebuttert' wird.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Hildt.

(JL)

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