Cora JACOBY

Ärztin in Berlin

Finanzielle Sparmaßnahmen und (optimale) medizinische Versorgung stehen regelmäßig in Konflikt zueinander. Auch im Jahre 1996 in Berlin. Der Senat hatte ein Sparprogramm beschlossen.

Radikaler Bettenabbau in den Krankenhäusern war ein erster Schritt. Die Aufgabe der Medien in einer demokratischen Gesellschaft: Themen und Probleme zur öffentlichen Diskussion zu stellen. So auch in einer Fernsehdiskussion des „Senders Freies Berlin“ (heute „Radio Berlin Brandenburg“, kurz: rbb) über den Versorgungsnotstand in Krankenhäusern. Mit dabei: Cora Jacoby, Krankenhausärztin, 35 Jahre jung. Jacoby spricht vor laufenden Kameras aus, was viele wissen, sich aber nicht getrauen, zu sagen: Es gibt auch am Krankenhaus im Berliner Stadtteil Neukölln

  • Überbelegung
  • Personalnotstand
  • aus ärztlicher Sicht zu frühe Entlassungen von Patienten zugunsten von Neuzugängen.

Der amtierende Gesundheitsstaatssekretär konservativen Zuschnitts gibt sich sauer. Widerspruch gegen seine Politik seitens Untergebener mag er gar nicht und öffentlichen duldet er nicht. Er ermuntert die Klinik, ebenfalls sauer zu sein, empfiehlt sogar „weitere Maßnahmen“. Die Klinikmanager lassen sich das nicht zweimal sagen und reagieren: Die junge Ärztin wird abgemahnt. Sie gilt ohnehin als unbequem – als Vorstandsmitglied in der Berliner Ärztekammer (unter Ellis Huber) ist sie auch gesundheitspolitisch engagiert, sagt offen, was Sache ist, stellt (gesundheits)politische Forderungen auf.

Die Gründe für die Abmahnung, die sogleich in die Personalakte kommt:

  • Sie habe wahrheitswidrige Behauptungen verbreitet.
  • Sie schade damit dem Ruf des Krankenhauses.
  • Und: Cora Jacoby wird untersagt, sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zu äußern.

Dass sich eine engagierte Ärztin so dezidiert äußert, macht die Medien neugierig. In einem Gespräch mit dem Berliner „Tagesspiegel“ präzisiert sie ihre Kritik – Grund genug für die Klinikleitung, der jungen Ärztin gegenüber nun die außerordentliche Kündigung auszusprechen. Gleichzeitig wird sie vom Dienst suspendiert. Und erhält Hausverbot.

Längst haben sich rund 50 Neuköllner Ärzte mit ihr solidarisiert und auch unterschrieben, dass sie in den Wintermonaten gezwungen waren, wegen Bettennotstands Patienten zu früh zu entlassen. 
Der Gesundheitsstaatssekretär zum „Tagesspiegel“: „Hätte man mich gefragt, hätte ich die Prüfung disziplinarischer Schritte angeregt. Auch im öffentlichen Dienst darf niemand mit falschen Behauptungen den Ruf des Betriebes beschädigen.“

Es kommt, wie es kommen muss: Der Personalrat widerspricht der Kündigung und ihrer Begründung, die Kündigung bleibt damit unwirksam. Man trifft sich vor dem Arbeitsgericht. Der Richter will es genau wissen und lässt die 45minütige Fernsehdiskussion cora publico abspielen. Wahrheitswidrige Behauptungen kann er ebenso wenig ausmachen wie den Umstand, dass die gemachten Äußerungen dem Ruf nur dieses Krankenhauses schaden könnten. Vorläufiges Ergebnis: Die Klinik muss die Suspendierung und das Hausverbot rückgängig machen. Die Ärztin darf sich wieder um ihre Patienten kümmern.

Ende Dezember, wenige Tage vor Weihnachten, entscheiden die Arbeitsrichter endgültig: Alle Maßnahmen des Neuköllner Krankenhauses sind rechtsunwirksam – der Hinweis auf Missstände am eigenen Arbeitsplatz sei in einer gesundheitspolitischen Diskussion erlaubt und im Übrigen auch von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Zumindest solange, wie man keine bewusst unwahren Behauptungen aufstelle.

Die gleiche Begründung fällt die so genannte Einigungsstelle beim Landesarbeitsgericht am 31. Januar 1997, die der Innensenator angerufen hatte: Die öffentliche Kritik steht im Einklang mit dem Grundgesetz.

Auch die Patienten sind ob dieser eindeutigen Klärung begeistert – sie haben ihre streitbare Ärztin wieder, die sich für ihre Interessen einsetzt. Und Cora Jacoby sieht in ihrem bisherigen Arbeitsplatz ihre „berufliche Heimat“. Sie bleibt diesem Krankenhaus 20 Jahre verbunden – als Stationsärztin: „Je höher man aufsteigt und beispielsweise Oberarzt wird, umso patientenferner kann man nur noch arbeiten. Und umso mehr muss man zwischen den widerstreitenden Interessen der kaufmännischen Geschäftsführung auf der einen Seite und den medizinischen Notwendigkeiten ausgleichen.“

Heute arbeitet Cora Jacoby in einem Schmerzzentrum im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Das Motto der dortigen Ärzte: „Der Mensch im Mittelpunkt – wir haben verstanden“.


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(Text: JL; Fotocopyright: Petrov Ahner
)

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