Prof. KALLENBERGER über Prozessführung, Bankgeheimnis, Trusts und Whistleblowing

Die "Causa Elmer": Fakten zu einem 14-jährigen Justizskandal in der Schweiz

Prof. Dr. Werner KALLENBERGER i.R., vormals an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), der sich mit den Themen Recht und Kommunikation sowie Ethik beschäftigt und sich für ein nachhaltiges Geld- und Finanzsystem engagiert, setzt sich hier mit dem Urteil des höchsten schweizerischen Bundesgerichts auseinander.

Dieser Text lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Kallenberger.


Am 14. Februar 2019 erhielt Rudolf Elmer die schriftliche Begründung des Bundesgerichts zum Urteil vom 10. Oktober 2018 i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (OSTA) gegen Rudolf Elmer - im vereinigten Strafprozess - mit seiner Beschwerde gegen die OSTA bzw. gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 19. August 2016 betreffend Verletzung des Bankgeheimnisses, Verletzung des Geschäftsgeheimnisses, Drohung.

"Demnach erkennt das Bundesgericht:

•       Die Verfahren 6B_1314/2016 und 6B_1318/2016 werden vereinigt.

•       Im Verfahren 6B_1314/2016 wird die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

•       Im Verfahren 6B_1318/2016 wird die Beschwerde von Rudolf Elmer teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19. August 2016 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

•       Die bundesgerichtlichen Verfahrenskosten von Fr. 10‘000.- werden im Umfang von Fr. 2‘500.- Rudolf Elmer auferlegt.

•       Der Kanton Zürich hat Rudolf Elmer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3‘000.- auszurichten. 

•       Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Oktober 2018"

Mit diesem Urteil bestätigte das Bundesgericht mit 3:2 Stimmen den obergerichtlichen Freispruch von der mehrfachen Verletzung des Bankgeheimnisses, wies jedoch im Übrigen den Fall an die Vorinstanz zurück. Das Zürcher Obergericht wird sich somit nochmals mit der Herausgabe der beschlagnahmten Computer- und Daten, der Entschädigung sowie der bestrittenen Kostenteilung befassen müssen.

I.  Offene Rechtsfragen

Der international bekannt gewordene, unsägliche Prozess mit unverantwortlich hohen materiellen und immateriellen Kosten hätte vermieden werden können und müssen, wenn sich die damit befassten Staats-anwaltschaften und Gerichte von Anfang korrekt an die Gesetze, Lehre und Rechtsprechung gehalten hätten.

So hätte auch schon aus Verjährungsgründen (StGB Art. 97) der 1. Prozess vor Bezirksgericht Zürich (BGZ) eingestellt werden müssen, wenn der Vorsitzende die umfangreichen Nachuntersuchungen nicht unter der Leitung des Vorsitzenden des Obergerichts gemacht hätte, sondern das Strafverfahren ans Bezirksgericht zurückgewiesen hätte. Zudem den Beschuldigten - trotz der medizinischen  Befunde von Prof. Schnyder  vom 17.10.2008 und vom 26.3.2010 - nicht  zwangsweise hätte vorführen lassen, wobei Rudolf Elmer dann von diversen Aerzten die Verhandlungsfähigkeit verneint wurde und später  an der Gerichtsverhandlung am 10. Dezember 2014 zusammenbrach, was so zum (gewünschten, formell notwendigen) Verjährungsunterbruch führte.

Neben der sachlichen Unzuständigkeit zur Beurteilung von Art. 47 BankG hätte auch die damals handelnde Staatsanwaltschaft aufgrund des ausführlichen Gutachtens zum Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Kaimaninseln vom 2. Juni 2014 wegen der in den Cayman Islands eingestellten Strafuntersuchung bzw. dem Grundsatz 'ne bis in idem' auf eine weitere Anklage wegen Verletzung des Bankgeheimnisses verzichten müssen.

Dieser nun nach 14 Prozessjahren wieder an das Zürcher OG zurückgewiesene Prozess dürfte dem Ruf der Zürcher Strafjustiz - v.a. im internationalen Umfeld - und indirekt auch der Glaubwürdigkeit unserer Rechtspraxis bzw. der Seriosität der Schweizer Justiz einen erheblichen Schaden zugefügt haben.

Nach Lehre und Rechtsprechung soll ein ordnungsgemäss nach StPO geführter Strafprozess dazu bei-tragen, die einem Beschuldigten vorgehaltenen Sachverhalte möglichst wahrheitsgemäss abzuklären, so dass ein möglichst gerechtes, verbindliches (End-)Urteil gefällt werden kann.

Gemäss der neuen Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (SR 312.0) und dem StPO- Kommentar von Franz Riklin (navigator, OF, 2. A. von 2014) -  hier  zitiert als  StPO-Kom. + Seitenzahl ! - hat unsere nun vereinheitlichte StPO bekanntlich eine Doppelaufgabe: Sie soll einerseits zur Aufklärung von Verbrechen und Vergehen sowie zur Überführung der Schuldigen beitragen, wobei der Abschluss einer eingeleiteten Strafuntersuchung entweder zu einer rechtmässigen Verurteilung, einem Freispruch oder allenfalls einer Sistierung des Verfahrens führen soll.

Jedes Verfahren hat andererseits vor Rechts-missbrauch wie der Gefahr der Verfolgung Unschuldiger oder dem Missbrauch staatlicher Macht vorzubeugen. Dabei besteht auch immer ein widersprüchliches Interesse der Öffentlichkeit zwischen einer effi-zienten und konsequenten Verfolgung von Straftaten sowie einem verhältnismässigen Einsatz staatlicher Macht, d.h. dem Schutz der Menschen- bzw. Grundrechte der Beschuldigten. Art. 2 StPO regelt diese sog. Justizförmigkeit des Verfahrens und die Verwirklichung des materiellen Strafrechts (StPO-Kom, 42f.). 

Rudolf Elmer und der Schreibende bestreiten, dass diese Grundsätze in diesem 'Whistleblower-Prozess', der in den Medien fälschlicherweise oft als 'Causa Elmer'  statt als 'Causa Justitia' bezeichnet wurde, grundsätzlich und  konsequent beachtet wurden.

Der Umgang mit  ihren angelsächsischen Trusts  und die Verbreitung von Whistleblowing zu Finanz- und Steuerpraktiken scheint die 'Baer Holding AG, Zürich'  inzwischen so geschadet zu haben, so dass sie alle ihre 'Cayman-Einheiten' liquidieren musste und in dieser Prozessphase auch erhebliche Kursverluste erlitt.

Positiv bleibt vorerst festzuhalten, dass das Bundesgericht (BG) in seiner Ablehnung der Beschwerde der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft (OSTA) definitiv höchstrichterlich bestätigte, dass für ausländische Firmen und deren Angestellte das Schweizer Bankgeheimnis nicht gilt. Leider hat das BG aber nicht eindeutig klar genug vermerkt, dass die angelsächsische Rechtskonstruktion des Trusts in unserem Recht nicht besteht.

Der frühere Bundesgerichtskorrespondent Michael Ferber fragte in der NZZ vom 1.3.2019, ob wir einen 'Schweizer Trust' brauchen? So soll die Einführung eines Schweizer Trust-Rechts  in Bern schon auf der Agenda stehen, um 'den Finanzplatz in Zeiten des automatischen Informationsaustauschs (AIA) zu stärken'. 'Der Trust sei keine Steuerhinterziehungsinstrument' und diene nur 'der Wahrung der Privatsphäre und der persönlichen Sicherheit'.

Dazu kann man als kritischer Jurist nur mit dem früheren NZZ-Slogan  antworten: Wehret den Anfängen'!

Das zur Unabhängigkeit und Neutralität verpflichtete Bundesgericht hat sich dazu verständlicherweise noch nicht geäussert. Wenn aber schon 'Rechtslücken' gefüllt werden müssten, dann wäre das u.E. aus Gründen der Staatsfinanzen und Steuergerechtigkeit sinnvoller, auf dieses missbräuchlich verwendete 'Optimierungs-Instrument' für das 'Vermögensverwaltungsgeschäft in der Schweiz' zu verzichten, sonst droht die Schweiz noch schneller wieder auf die  'Schwarze Liste' der OECD  zu kommen.

Negativ beurteilen wir das Leiturteil des BGer. vom 10. Okt. 2018 u.a. in den unberücksichtigten  Folgen der Prozessgeschichte:

Wir vermissen darin , wie in den vorangehenden Urteilen des Ober- und Bezirksgerichts Zürich, das Eingeständnis einer Fehlerkultur  und den Mangel der rechtzeitigen, umfassenden Prüfung der behaupteten 'Bankgeheimnisverletzung'. Auch wenn Zürcher Staatsanwälte und Richter keine ausgewiesenen Kenner des Finanzrechts sein müssen, so sollten sie vor einer entsprechenden Strafuntersuchung doch mit der Lehre und Praxis zu Art. 47 Bankgesetz betr. Bankgeheimnis, den Publikationen des Staatsekretariats für internationale Finanzfragen  und der FINMA vertraut sein.

Noch peinlicher wirkt diese Inkompetenz, wenn die längst von der Verteidigung geltend gemachten Anträge erst in Gutachten der zwei anerkannten Rechtsprofessoren Thomas Geiser und Mark Pieth bestätigt werden mussten, bevor sich der Präs. der I. Strafkammer des Zürcher Obergerichts (als OG zitiert) dazu durchringen musste, diese Fachmeinung zu anerkennen, was lic. iur. Peter Marti bei der Urteilsverkündung als Richter und SVP-Mitglied nicht hinderte, den nicht vorbestraften Rudolf Elmer noch vor einer rechtskräftigen Verurteilung  als "ganz gewöhnlichen Kriminellen" zu beschimpfen.

Eine solche Aussage erweckte mindestens den Anschein von Befangenheit und hätte von der Aufsichts-kommission des OG zu einer anderen Verfahrensleitung führen müssen. Da Peter Marti inzwischen pensioniert wurde, wird sich diese Frage nicht mehr stellen.

Unverständlicherweise blieb auch diese Beschwerde Elmers (mit einer Ausnahme gegen die Behaup-tungen der Weltwoche) erfolglos - wie Dutzende anderen Beschwerden. So bezeichnete z.B. auch die Sonntagszeitung vom 1. August 2016 diesen Strafprozess als Justizskandal .

Als Skandal bezeichnete auch die deutsche Ex-Justizministerin Däumler- in Gmelin am 4. März 2019 in einer öffentlichen Finanzdiskussion die rechtswidrige Verhaftung Elmers (Pforzheimer-Zeitung).

Es bleibt zu hoffen, dass die I. Strafkammer des OG in ihrer Neubesetzung in dem vom Bundesgericht zurückgewiesenen Fall der 'Causa Elmer' endlich auch zu einem korrekten Urteil betreffend Kostenteilung, Datenherausgabe und Strafmass kommt.

Der für die 'Causa Elmer' zentrale und von Anfang an bestrittenen, relevante Sachverhalte, ob das Bank-geheimnis und ob ein Schweizer Arbeitsvertrag hier eine Rechtsgrundlage zur Eröffnung einer Strafunter-suchung biete,  wurde 12 Jahre nicht anerkannt bzw. verdrängt. Zudem verschleppten die (mit Ausnahme der Drohung und bestrittenen Urkundenfälschung) unzuständigen Zürcher Gerichte (StPO-Kom., 74 ff. 131 ff.)  das Vefahren überlang, was trotz der wiederholten Beschwerden gemäss StPO Art. 393 ebenfalls regelmässig missachtet wurde.

Skandalös unberücksichtigt blieb auch das Eingeständnis von STA Giger an der 2. Berufungsverhandlung vor Obergericht, 'er habe den rechtsgültigen Arbeitsvertrag  versehentlich nicht den Prozessakten beigelegt'. Gemäss Schreiben von Julius Bär vom 30. Jan. 2009 an STA Neff bestätigte die 'Privatklägerin', in Punkt 3 Folgendes: "Die von der Julius Bär Gruppe auf den Cayman Islands geführten Gesellschaften waren und sind eigenständige lokale rechtliche Einheiten, mit welchen Herr Elmer folglich nach entspre-chender Verlegung seines Wohnsitzes in ein Arbeitsvertragsverhältnis trat und deren Weisungsgewalt unterstand".'

Das Bundesgericht wollte die geschilderten 'Vorfälle' nicht beurteilen, da sich die Beschwerde der Verteidigung primär gegen die von der OSTA eingereichte Beschwerde wandte, wonach Elmer erneut auch wegen der angeblich wiederholten Verletzung des Bankgeheimnisses zu verurteilen sei.

A. Unbeachtetes Rechtsgutachten zum Gerichtstand

Das Zürcher OG besass schon vor seinem Urteil vom 19. Aug. 2016 das vom Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung Lausanne verfasste (67-seitige) Gutachten zum Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Kaimaninseln  vom 2. Juni 2014 (isdc : act. 345).  

Auszugsweise seien hier nur die Schlussfolgerungen des isdc  zitiert:

1. Laut dem Recht der Kaimaninseln können bei Verletzung eines Bank-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnisses     zwei Strafbestimmungen zur Anwendung kommen, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen:  so nach

- Subsection 5(1) des Confidential Relationships (Preservation) Law (Straftatbestand der Preisgabe vertraulicher Information) kann zur Anwendung kommen, wenn es sich bei den vom Beschuldigten preisgegebenen Daten um 'Informationen betreffend Eigentum' oder um im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses erhaltene 'Informationen in-härent vertraulicher Natur' gehandelt hat  und vorausgesetzt die Preisgabe sei nicht auf Anfrage der Eidgenössi-schen Steuerverwaltung im Rahmen des Tax Information Authority Law erfolgt.

- Sections 235 bis 241 des Penal Code (Straftatbestand des Diebstahls) können zur Anwendung kommen, falls die den schweizerischen Behörden und der Zeitschrift (Cash) zugestellten Datenträger Eigentum des Arbeitgebers des Beschuldigten waren.

Unter Ziff. 2. werden die in Subsection 5(1) des Confidential Relationships (Preservation) Law enthaltenen Strafbestimmungen (in Englisch) aufgeführt.

Für den Straftatbestand der Preisgabe vertrauliche Informationen können eine grundsätzlich unbeschränkte Freiheitsstrafe und/oder eine Geldstrafe verhängt werden. Eine bis zu vierjährige Freiheitsstrafe wäre in der Strafrechtspraxis zulässig (was aber noch nie vorkam, wk).

3. Die vorhandenen Strafbestimmungen des Rechts der Kaimaninseln stimmen insofern mit den in Art. 47 des schweizerischen Bankgesetzes enthaltenen Bestimmungen überein, dass beide die Art der Handlungen, die vom Beschuldigten angeblich begangen worden sind, bestrafen und damit verhindern wollen. Bei den spezifischen Strafbarkeitsvoraussetzungen bestehen jedoch gewisse Unterschiede, wobei angesichts der unterschiedlichen Strukturen eine Gegenüberstellung der Bestimmungen oder Begriffe (z.B. 'vertrauliche Information' gemäss dem Recht der Kaimaninseln und 'Geheimnis' gemäss dem Schweizer Recht) schwierig ist.

Die Frage der beidseitigen Strafbarkeit kann von diesem Rechtsgutachten nicht abschliessend beantwortet werden.

4. Laut dem Recht der Kaimaninseln kommen im Strafrecht keine Verjährungsbestimmungen zur Anwendung.  Es bestehen allerding Normen zur zeitlichen Verzögerung eines Strafverfahrens. Diese unterscheiden sich aber grundlegend von den schweizerischen Verjährungsbestimmungen.

5. Der Fall gibt zu mehreren weiteren Bemerkungen Anlass:

5.1. Die Zulässigkeit einer Verurteilung des Beklagten im Rahmen eines summarischen Verfahrens auf den Kaiman-inseln würde dort von der Einhaltung einer sehr kurzen Anklagefrist abhängen (sechs Monate nach Bekanntwerden der ausschlaggebenden Tatsachen. Unserer Ansicht nach ist diese Einschränkung systematisch und auch bei grenzüberschreitender Betrachtungsweise eine rein verfahrensrechtliche und nicht materiellrechtlicher Natur; sie hat damit keinen Einfluss auf die beidseitige Strafbarkeit.

5.2. Für Strafverfahren, die nicht summarisch, sondern 'on indictment' geführt werden, gilt die unter 5.1. erwähnte An-klagefrist nicht. ... Nach der u.E. korrekten Auslegung der betreffenden Strafbestimmung ist eine Strafverfolgung 'on indictment' zulässig. ...

5.3. Anstelle von Verjährungsbestimmungen enthält die Rechtsordnung der Kaimaninseln relativ komplizierte, von der Rechtsprechung und der Literatur formulierte Grundsätze, wonach Gerichte eine Ermessenskompetenz besitzen, ein Strafverfahren als 'Missbrauch der Strafverfolgung (abuse of process) endgültig einzustellen. ...

5.4. Da in der Rechtsordnung der Kaimaninseln kaum Quellen zur Qualifikation im Rahmen transnationaler Strafver-folgung vorliegen, lässt sich die Rechtsnatur der Grundsätze des 'abuse of Process' kaum ermitteln,  ... so dass sie keinen Einfluss auf die beidseitige Strafbarkeit haben.

5.5. Die möglicherweise einschlägigen Höchststrafmasse nach dem Recht der Kaimaninseln gehen über alle möglicherweise einschlägigen Höchststrafmasse nach schweizerischem Recht hinaus. '

Die STA war  informiert, dass in den Kaimaninseln die Generalstatsanwaltschaft eine entsprechende Strafanzeige des damaligen Arbeitgebers sistierte. Das auch bei uns geltende Prinzip der zitierten Doppelbe-strafung hätte somit auch in der Schweiz nie zu einer Strafuntersuchung führen dürfen, abgesehen von der fehlenden örtlichen Zuständigkeit und des im Ausland nicht anzuwendenden Art. 47 Bankgesetz!

B. Rechtsgutachten zum Bankgeheimnis

Der inzwischen emeritierte Rechtsprofessor Thomas Geiser erstellte auf Antrag der Verteidigung am 14.6.

2016 eine 'Stellungnahme zur Frage, welche Voraussetzungen arbeitsrechtlich gegeben sein müssen, damit eine Verletzung des Bankkundengeheimnisses (Art. 47 BankG) möglich ist' .

Am 20. 7. 2017 folgte dann noch seine Kurzstellungnahme zur Auslegung von Art. 47 BankG, bzw. ein Kurzgutachten iin Sachen Art. 47 BankG vom 4.9.2017 von Prof. Mark Pieth.

Die Schlussfolgerung des 15-seitigen Gutachtens  von Prof. Thomas Geiser lautet folgendemassen:

'Die vorliegenden Verträge (Vertrag mit Julius Bär Holding, Zürich (BJB-ZRH); Expatriate Agreement mit der Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich; Assignment als COO für Julius Baer Bank & Trust Company Ltd., Grand Cayman (JBBT) und Employment Agreement mit der JBBT ) lassen den Schluss nicht zu, dass zwischen Herrn Elmer und der BJB-ZRH während seiner Tätigkeit auf den Cayman Islands ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Herr Elmer hatte einen Arbeitsvertrag mit der nicht dem schweizerischen Bankgesetz unterstehenden JBBT-GCM (inkl. JBTC) . Diesem Arbeitsvertrag ist auch nicht zu entnehmen, dass irgendein Weisungsrecht an die dem Schweizerischen Bankgesetz unterstehende BJB-ZRH übertragen worden wäre oder eine Rapportierungspflicht dieser gegenüber bestanden hätte.

Es bestanden zwar zusätzliche Verträge mit Schweizerischen Gesellschaften. Soweit Vertragspartner die Holding war, sind diese Vereinbarungen im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, wei die Holding keine Bank ist. Bei den Verträgen mit der BJB-ZR handelt es sich nicht um Arbeitsverträge, weil weder eine Arbeitsleistung versprochen wird noch ein Weisungsrecht vorgesehen ist.    ...

Aus den vorhanden Verträgen lässt sich nicht schliessen, Herr Elmer sei auf den Cayman Islands für eine schweizerische Bank tätig gewesen. Er kann folglich auch nicht das schweizerische Bankgeheimnis verletzt haben.'

In seinem Kurzgutachten zu Art. 47 BankG  hält Prof. Mark Pieth u.a. noch Folgendes fest:

"Die Frage, zu der ich Stellung zu nehmen hat, ist, ob die StA zu Recht für das Strafrecht einen spezifisch 'straf-rechtlichen Terminus technicus sui generis' beanspruchen kann.

Gegen diese Interpretation spricht vorweg eine generelle strafrechtliche Erwägung: Bekanntlich ist das Strafrecht, zumal das Wirtchaftsstrafrecht, akzessorisch zur restlichen Rechtsordnung, insbesonders zum Zivilrecht und zum öffentlichen Recht. Strafrecht ist Teil der Gesamtrechtsordnung. Deren Teile sind interdependent. Strafrecht ist bekanntlich die 'ultima ratio' der Rechtsordnung, es greift (nur) dort, wo die Mittel der übrigen Rechtsordnung nicht ausreichen.  ...

Wie erwähnt, ist das Strafrecht sodann auch verwaltungsrechtsakzessorisch. Art. 47 BankG ist Teil des Banken-rechts. Art. 1 Abs. 4 BankG verweist explizit darauf, dass der Ausdruck Bank oder Bankier, ... nur für Institute verwendet werden (darf), die eine Bewilliung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) erhalten haben. ...

Die Hauptargumentation der StA, das Schweizer Banken global tätig seien, dass ihnen eine wichtige ökonomische Bedeutung zukomme und dass mit der Globalisierung auch Stellenkürzungen einhergehen, ist ebenso unbestritten, wie die Tatsache, dass Banken 'Consultants' und 'Contractors' beschäftigen. Diese soziologischen und ökono-mischen Überlegungen sind allerdings nicht in der Lage, rechtliche Argumente zu ersetzen. Sollte die Schweiz den Einzugsbereich des BankG über die von der FINMA beaufsichtigten Banken hinaus auf ausländische Zweigniederlassungen u.Ä.  erweitern wollen, bzw. sollte sie die Begriffe des 'Organs, Angestellten, Beauftragten, Liquidators etc.' im Sinne einer vagen Interessenverwaltung für die Holding ausdehen wollen, wäre ein Gesetzesänderung notwendig. Das steht in Art. 1 StGB."

Diese beiden professoralen Gutachten dürften dann auch massgeblich zum Freispruch betr. Verletzung des Bankgeheimnisses durch das Zürcher Ober- und das Schweizer Bundesgericht geführt haben.

II. Offene rechtspolitische Fragen und Konsequenzen

In der Schweiz kennen wir richtigerweise keinen 'Trust'. Aufgrund der zahlreichen investigativen Unter-suchungen zu angelsächsischen Trusts ist auch evident, dass diese Rechtsform direkt zur Steuerhinter-ziehungen führt, was auch Schweizer Behörden und Gerichte hätte interessieren müssen.

Leider haben die in der 'Causa Elmer' handelnden Staatsanwaltschaften und Gerichte nie seriös die von der 'Bank Baer Holding' konstruierten Gesellschaften der Cayman Islands erforscht, bzw. verstanden. Der formelle Arbeitgeber von Rudolf Elmer, die Julius Baer Bank &Trust Co. LTD (JBBT) bzw. deren Treuhandgesellschaft  (JBTC) waren nur eine Trust-Konstruktionen nach Cayman Law.

Weder diese 'Vermögensverwaltungsgesellschaft' noch die 'Baer Holding'  unterstanden Art. 47 BankG.

Gemäss Schreiben der Royal Cayman Islands Police vom 12. July 2004 an den Rechtsvertreter der dor-tigen Anzeigeerstatterin gegen den dort entlassenen Rudolf Elmer wegen Bankgheimnisverletzung sollte die Strafuntersuchung auf den Cyman Islands weitergeführt werden, was dann aber aufgrund der Sistie-rung der Generalstaatsanwaltschaft nie geschah!

Falls die Schweizer Behörden sich verpflichtet gefühlt hätten, dass wegen der in der Schweiz nachträglich eingereichten Strafanzeige betr. Verletzung von Art. 47 BankG -    in den Cayman Islands eine Strafuntersuchung hätte weitergeführt werden müssen - so hätten sie korrekterweise rechtshilfeweise eine Wieder-aufnahme des Strafverfahrens in den Cyman Islands beantragen müssen.

Die Bundesgerichtsurteile zu 'Whistleblowing' in der Schweiz (vgl. BGE 137 II 431 (UBS - FINMA);         6B_305/2011 (Stadt Zürich - Sozialarbeiterinnen) und 8C_484/2016 (Baudirektion Uri - Sacharbeiter) führten alle zur Verurteilung wegen Amtsgeheimnisverletzungen, da es nach unserem Recht keinen Rechtfertigungsgrund für Whistleblowing in solchen Fällen gebe.

RA Stefan Rieder verwies aber schon im Jusletter vom 28. Nov. 2011 auf ein Urteil des EGMR vom 21. Juli 2011, wonach Whistleblowing als Menschenrecht  bezeichnet werden sollte.

Unser Gesetzgeber hat trotz zahlreichen Vorstössen noch keine befriedigende Normierung dieses Rechts- und Gesellschaftsproblems gefunden.

Gemäss dem TA-Artikel von Doris Kleck vom 7.2.2015 : 'Wie steuerehrlich sind die Schweizer? Der Bundesrat will eine Antwort', empfahl der Bundesrat damals die Annahme des Postulats von Cédric Wer-muth, der einen Bericht zum Ausmass der Steuerhinterziehung in der Schweiz verlangte. Stärken und Schwächen der verschiedenen Messmenthoden sollten diskutiert und Massnahmen zur Eindämmung des Betrugs evaluiert werden. Aufgrund des rechtsbürgerlichen Widerstands wurde dieses Postulat abgelehnt.

Nach Schätzung von Hans Kissling, dem ehemaligen Chefs des Zürcher Steueramtes, dürften die hinterzogenen Steuergelder pro Jahr im Kt. ZH etwa 1 Milliarde CHF betragen. Nach Schätzungen von HSG-Prof. Schaltegger belastet der Missbrauch der Steuerhinterziehung den Scheizer Haushalt pro Jahr etwa mit 9 Milliarden Franken.

Wenn diese Schätzungen auch nur annähernd zutreffen ist es auch ein fiskalpolitischer Skandal, dass die von Rudolf Elmer angeschriebnen Steuerbehörden sich weigerten, wegen der angeblich rechtswidrigen Beschaffung der SteuerLeaks die erhaltenen Daten zugunsten des Fiskus zu nutzen.

Offensichtlich soll nach dieser Rechtsinterpretation auch in der Schweiz das Dogma weitergelten:

Das herrschende Recht ist (und bleibt) das Recht der Herrschenden!

Es bleibt somit nur die rechtspolitische Hoffnung auf eine rechtsstaatlich verhältnismässige, international koordinierte Gesetzgebung zum Whistleblowing sowie eine konsequente nationale und internationale Verfolgung von Steuerhinterziehungsgeschäften.

(WK)