Meldesysteme in der Luftfahrt - Whistleblower auch hier unverzichtbar

"Whistleblowing" bedeutet: Alarm schlagen, Hinweise auf Probleme, Missstände, Risiken oder auch potenzielle Gefahren zu geben. Das ist in aller Interesse. Whistleblower sind von erheblichem Nutzen für die Allgemeinheit: Whistleblowing stellt eine Art Frühwarnsystem dar.

Trotzdem ist es von jeher so, dass der Überbringer einer 'schlechten Nachricht' den Kopf hinhalten muss und nicht der Verursacher - kein wirklicher Anreiz für potenzielle Whistleblower.

Im Luftverkehr würde der Verzicht aufs Alarmschlagen regelmäßig zu größeren Katastrophen mit vielen Toten führen. Deswegen ist dies eine der wenigen Bereiche, wo das rechtzeitige Alarmschlagen geradezu erwünscht ist. Dies ist der Grund, weshalb entsprechende Meldesysteme eingeführt wurden: von staatlichen Instanzen, nicht vom Luftfahrtbusiness.

Sicherheitshalber in anonymisierter Form  - weil man dies wusste und berücksichtigen wollte: Konstrukteure und Hersteller von Flugzeugen sehen es nicht gerne, wenn sie kritisiert werden oder wenn man ihnen schlechte Arbeit, Missstände oder Pannen vorhält (die sich hätten vermeiden lassen). Gleiches bei den Airlines. Folge: Jene, die auf Schwachstellen aufmerksam machen, werden bis heute sanktioniert.

Dies ist ein absolutes Paradox: Jemand will helfen (Schwachstellen beseitigen) und muss hinterher dafür büßen. Aus diesem Grund musste der Staat aktiv werden. Die Luft- und Raumfahrt ist daher einer der wenigen Bereiche, in denen sich dieses Frühwarnsystem durchgesetzt hat. Meistens jedenfalls.

Wie es Whistleblowern in anderen Bereichen ergeht, wo es keine solchen Vorkehrungen und keine anonymen Hinweisgebersysteme gibt, dokumentieren wir in anderem Zusammenhang unter www.ansTageslicht.de/Whistleblower. 

Hier rekonstruieren wir die Entwicklung von Meldesystemen v.a. in den USA, wo diese Entwicklung ihren Ausgang genommen hatte. Diese Site lässt sich auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Meldesysteme.

1863

Lincoln Law

Weil im amerikanischen Bürgerkrieg (Sezessionskrieg 1861-1985), bei dem die Südstaaten aus Protest gegen den neuen US-Präsidenten Abraham LINCOLN und dessen gemäßigter Sklavenpolitik aus dem US-Staatenverbund ausgetreten waren, Händler  schlechtes Kriegsgerät oder Pferde an die Armee der Union verkaufen, erlässt der Kongress ein neues Gesetz: den False Claims Act (FCA), auch Lincoln Law genannt. Es soll Informanten, die zur Aufdeckung solcher Fälle beitragen, mit beträchtlichen Belohnungen dazu ermutigen.

Dies stellt das erste Whistleblower-Gesetz dar. Die Bezeichnung „Whistleblower“ gibt es noch nicht; sie werden „relator“ genannt: Erzähler, Hinweisgeber


1938 – 75 Jahre später

Die CAA wird gegründet

In den USA – die Südstaaten sind nach der letzten verlorenen Schlacht 1865 längst wieder im Staatenverbund - wird die erste staatliche Zivilluftfahrtbehörde, die Civil Aeronautics Authority (CAA), gegründet. Im Luftverkehr fliegen die ersten Großraumflugzeuge: Flieger wie die Boeing B-247, die Douglas DC-1, in Deutschland beispielsweise die Junkers Ju 86. Seit 1935 gibt es einen Transpazifik-Liniendienst der PanAm.

Dass Fliegen nicht ungefährlich ist, wird der Welt deutlich, als am 6. Mai 1937 der Zeppelin „LZ 129 Hindenburg“ beim Anlegen an die Station in Lakehurst/New Jersey in Flammen aufgeht und innerhalb einer Minute zu Boden stürzt: 35 von 97 Menschen kommen ums Leben.  

Die neu gegründete Behörde sammelt Informationen und soll  Empfehlungen für die  internationale Luftfahrt aussprechen


1940

Veränderungen bei der CAA

Die Civil Aeronautics Authority wird zur Civil Aeronautics Administration. Zu ihr gehört nun auch das Civil Aeronautics Board (CAB).

Das CAB ist ab sofort für die Unfalluntersuchung verantwortlich - als staatliche Einrichtung

 


1941

Wie im gesamten Land so wird auch im US-Militär die Rassentrennung feinsäuberlich praktiziert: Rassendiskriminierung pur. Weil es aber nicht genügend weiße Piloten gibt, sieht sich das Militär gezwungen, auch Farbige zu Piloten auszubilden. Immerhin sind über 10% der Amerikaner Schwarze. Deswegen wird das Tuskegee Airmen-Institut gegründet.

Erste Absolventen, die in der Air Force im Zweiten Weltkrieg eingesetzt werden, dürfen aber nur nachrangige Aufgaben erledigen. Man traut den farbigen Amerikanern nur bedingt Intelligenz und Einsatzbereitschaft zu


1943

Kastration / Beschneidung des Lincoln Law

Im Zweiten Weltkrieg werden jetzt in großem Umfang Militärflugzeuge eingesetzt: Jäger und Bomber. Die Flugzeugindustrie in den USA mutiert zur Wachstumsindustrie.

Der amerikanische Kongress verändert den False Claims Act von 1863 (Lincoln Law) dahingehend, dass die Entlohnungen  für die Whistleblower reduziert werden und diese die Vorraussetzung des sogenannten „persönlichen Wissens“ erfüllen müssen.

Mit dieser Änderung soll der finanzielle Missbrauch des Gesetzes  erschwert werden. Die tatsächliche Folge: das Gesetz verliert auf einen Schlag an Bedeutung und wird die nächsten Jahre kaum noch in Anspruch genommen. Die Politik wird es erst 40 Jahre später, in den 80er Jahren, wieder reaktivieren


Kriegsende 1945

Rassendiskriminierung in den USA ist gelebter Alltag. Auch im Militär. Als die Franzosen im August 1944, also direkt nach der Befreiung durch US-Truppen in einer großen Militärparade über den Champs-Elysées Paris wieder 'einnehmen' und an der Spitze des Zuges marschieren wollen, machen die Amerikaner zur Bedingung, dass keine Schwarzen zu sehen sein dürfen. Für die Franzosen ist das nicht einfach zu bewerkstelligen: zwei Drittel der Soldaten rekrutieren sich aus den französischen Kolonien.

Als 1946 in den USA im Staat South-Carolina der 27jährige US-Soldat Isaav WOODARD, Jr., wegen seiner Hautfarbe auf brutale Weise von weißen Polizisten misshandelt wird, so dass er für den Rest seines Lebens erblindet, setzt der amtierende US-Präsident eine Untersuchungskommission ein. Der lokale Polizeichef muss vor Gericht, eine ausschließlich weiße Jury spricht in frei. Harry S. TRUMAN schreitet daraufhin zur Tat und hebt 1948 die Rassentrennung innerhalb des Militärs und in den Bundesbehörden auf.

Inzwischen gibt es in der US-Air Force bereits über 1.000 farbige Piloten. Das mag nach 'viel' klingen, ist es aber nicht. Der Anteil Afroamerikanischer Piloten wird auch in Zukunft immer sehr gering bleiben. Nach Angaben der FAA wird es im Jahr 2013 etwas mehr als 617.000 Piloten in den USA geben. Ganze 2% sind afroamerikanischer Abstammung. Der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe liegt bei 11%. Seit 1997 haben sie aber eine eigene Interessensvertretung: Black Pilots if America


1954

Gründung des Luftverkehrsbundesamtes (LBA) in Deutschland

Dem Bundesministerium für Verkehr (BMV) wird unterstützend das Luftfahrtbundesamt (LBA) beigestellt. Im Laufe der Jahre entwickelt sich eine Behörde, die aktuell mit über 100 Prüfungs-, Überwachungs- und Zulassungsfunktionen die Sicherheit der Luftfahrt in Deutschland gewährleisten soll.

In der Branche wird diese neue Institution bald auch "Lufthansa"-Bundesamt genannt werden, inoffiziell natürlich. Denn Kontrolle funktioniert nur, wenn sie unabhängig organisiert und so auch praktiziert wird. Dafür werden Fachleute benötigt. Solche finden sich in dem Bereich, den eine Behörde kontrollieren soll. Da ist die Verlockung groß.

Aber auch problematisch. Dann, wenn sich die Mentalitäten des Luftverkehrsbusiness mit denen der staatlichen Aufsichtsbehörden vermischen. Etwa wenn ehemalige Manager von Airlines in eine Aufsichtsbehörde wechseln oder umgekehrt. Man nennt dies Drehtüren-Effekt (auch revolving doors). Absehbares Ergebnis: die Kontrolle funktioniert nur noch eingeschränkt oder garnicht mehr


1956

Ein erstes Meldesystem - trotzdem ein gößeres Desaster mit 128 Toten

In den USA führt das Civil Aeronautics Board (CAB), vormals CAA, die Civil Air Regulation No. SR-416 ein: ein erstes Meldesystem, da die Zahl der Beinahe-Unfälle ansteigt. Der zivile Luftverkehr hat inzwischen rasant zugenommen.

Durch die Regelung sollen all jene Personen, welche Beinahe-Unfälle melden, z.B. Piloten, vor Disziplinarmaßnahmen geschützt werden.

Ist jener, der meldet der Erste, welcher Informationen einreicht, wird die  Identität anonym gehalten. Hat das CAB die Informationen jedoch bereits anderweitig erhalten, kann der Melder sich nicht mehr auf die Anonymität verlassen und muss mit Sanktionen rechnen.

Die neuen Regelungen erweisen sich als wenig effektiv – noch immer sind sicherheitsrelevante Informationsprobleme über Flugrouten und Flughöhen nicht gelöst. So kommt es 4 Monate später zum bisher größten Crash in der Luft: 2 Zivilflugzeuge  rasen über dem Grand Canyon ineinander. Und zum ersten Mal überschreitet die Anzahl der Toten die Marke 100. Konkret: 128 Menschen verlieren ihr Leben.

Bereits ein Jahr zuvor waren bei einem Zusammenstoß in der Luft 66 Menschen ums Leben gekommen.

Da Fliegen sowohl für die Geschäftswelt als auch für betuchte Amerikaner, die statt Bahnfahren lieber fliegen wollen, immer beliebter wird, steigt auch die Sorge über die Sicherheit. Dieses Problems nimmt sich jetzt auch der Kongress an – auch mehrere Kongressabgeordnete sind bei derlei Unfällen ums Leben gekommen


1958

Eine neue Kontrollbehörde: die FAA

Nach wie vor übt das CAB nur die Kontrolle über den zivilen Luftverkehr aus – die militärisch genutzten Routen und Flüge entziehen sich ihrer Kontrolle.

Als jetzt ein Düsenjäger der Air Force mit einem Passagierflugzeug in der Nähe von Las Vegas zusammenkracht und 49 Tote zu beklagen sind, sieht sich der Kongress zum schnelleren Handeln gezwungen. Jetzt wird die Federal Aviation Administration (FAA) (US-Bundesbehörde Luftfahrt) gegründet. Grundlage: der Federal Aviation Act.

Die dazu neu gegründete Federal Aviation Administration (FAA) erklärt sich fortan für die Überwachung und Durchführung von Sicherheitsregelungen verantwortlich. Sie übernimmt diese Aufgaben nahezu vollständig vom CAB. Des weiteren ist sie ab sofort auch für die Kontrolle des militärischen Luftverkehrs zuständig


1959

Das CAB hat ausgedient, die FAA ist jetzt Hauptverantwortlicher

Die FAA beschließt alsbald, das Meldesystem vom CAB aufzulösen, da es nicht mehr zeitgemäß sei, bzw. die Aufgaben sinnvollerweise bei der FAA konzentriert wären.

Und: Künftig sollen auch Beinahe-Unfall-Meldungen vom FAA mit den Maßstäben behandelt werden, welche auch bei anderen Sicherheitsverletzungsberichten angewendet werden


1960

FAA reagiert auf erneuten Crash und verschärft die Meldebedingungen

Und wieder ein Zusammenstoß in der Luft unmittelbar vor New York’s Flughafen, dem heutigen John-F-Kennedy-Airport: 128 tote Passagiere und 6 Fußgänger auf einer Strasse, auf der eines der beiden Flugzeuge niederging.

Folge: Die FAA schreibt ab sofort vor, nicht nur Beinahe-Unfälle zu melden, sondern auch wenn Navigations- und Kommunikationsinstrumente in ihren Flugzeugen nicht einwandfrei funktionieren. Genau das war eine der Ursachen dieser Katastrophe mit der bis dahin höchsten menschlichen Verlustrate


1961

FAA bittet zum ersten Mal Dritte um Mithilfe

Zur Aufnahme von Beinahe-Unfällen, dem Zusammenstellen statistischer Daten, sowie dem Aussprechen von Empfehlungen und Analysieren, unterzeichnet die FAA einen Vertrag über ein Jahr mit der Flight Safety Foundation. Die Anonymität der Hinweisgeber wird uneingeschränkt gewährt, damit ein freier Informationsfluss möglich ist.

Laut abschließendem Untersuchungsbericht traten in diesem Jahr mehr als 2.500 Störungen auf. Die Empfehlung der Flight Safety Foundation an die FAA lautet folglich, Piloten durch ein Trainingsprogramm zu schulen, Ausrüstung zu verbessern und die anonyme Meldeberichtserhebung beizubehalten


1962

Whistleblowerin Rachel CARSON

Eine wichtige Whistleblowerin, die US-amerikanische Meeresbiologin und Umweltschützerin Rachel CARSON, deckt mit ihrem Bestseller „Silent Spring“ die Vergiftung der Natur durch Pestizide auf, an deren Ende schließlich das Verbot des Pestizids „DDT“ im Jahr 1972 stehen wird. Das Buch wird schnell bekannt und auch der amtierende US-Präsident John F. KENNEDY liest es; er lädt die Autorin ins Weiße Haus ein, diskutiert mit ihr und sagt Unterstützung zu - es werden die ersten Verbote in Sachen Naturgifte gesetzlich verordnet.

Weltweit gesehen ist 1962 das Jahr der sogenannten Kubakrise. In Deutschland spielt sich parallel dazu die sog. SPIEGEL-Affäre ab - ebenfalls ein Whistleblowerfall


1966

USA: auf einen Schlag zwei neue Behörden

In den USA wird das Verkehrsministerium „Department of Transportation“ gegründet, welches unter dem Dach einer Behörde alle Verkehrsorgane vereint.

Gleichzeitig entsteht die neue Sicherheitsbehörde „National Transportation Safety Board“ (NTSB), deren Aufgabe sowohl in der Ursachenermittlung von Transportunfällen und anschließendem Bericht dieser besteht, als auch in der Überprüfung von Rechtsverfahren, welche die Veränderung oder Aberkennung von Zertifikaten oder Lizenzen beinhalten


1968

FAA startet Studie zur Erhebung von Beinahe-Unfällen

Die FAA startet eine einjährige Studie zur Erhebung der Gründe von Beinahe-Unfällen in der Luftfahrt und hofft auf eine Datensammlung und eine daraus resultierende mögliche Entwicklung effektiver Gegenmaßnahmen.

Die FAA gewährt vollste Anonymität für die Melder, die keine Disziplinarmaßnahmen befürchten müssen, wenn der Vorfall freiwillig gemeldet wurde. Dies gilt erst einmal  für die Dauer der Studie.
Mitte 1969 werden die Studie und damit das Meldesystem um zwei weitere Jahre verlängert.

Whistleblower A. Ernest FITZGERALD

Im selben Jahr deckt der amerikanische Whistleblower A. Ernest FITZGERALD eine unnötige Kostensteigerung um 2,3 Milliarden $ des staatlich geförderten Lockheed Aircraft C5 Programms auf. Trotz seiner anschließenden Suspendierung durch die Firma – u.a. auf Wunsch des US-Präsidenten Richard NIXON - , bleibt FITZGERALD weiterhin als Whistleblower aktiv und wird 1978 zu einer wichtigen Person beim Erlass des Civil Reform Acts, dem Vorläufer des Whistleblower Protection Act, der 1989 vom US-Kongress beschlossen wird (US-Präsident: George W. BUSH)


1971

FAA beendet Meldesystem

Das Meldesystem der FAA wird von dieser beendet, da sie ein Weiterbestehen des Meldesystems nicht für notwendig erachtet. Es ist die politische Ära des republikanischen Präsidenten Richard NIXON.

Whistleblower Daniel ELLSBERG

Im gleichen Jahr deckt Daniel ELLSBERG, vormals Regierungsangestellter und –berater mit den sog. Pentagon-Papieren die jahrelange Täuschung der Regierung über wesentliche Aspekte des Vietnamkrieges auf.

Die Veröffentlichung der geheim gehaltenen Erkenntnisse durch die großen US-Zeitungen, insbesondere der New York Times, schlagen ein wie eine Bombe. Erstmal begreifen die Amerikaner, dass sie von der Regierung, insbesondere der NIXON-Administration belogen wurden: der Vietnam-Krieg ist nicht zu gewinnen


1972

Das Jahr der beginnenden Watergate-Affäre. Gleichzeitig ein Jahr vieler Informanten und Whistleblower

Motiviert von Daniel Ellsbergs Aufdeckung enthüllt nun der Entschlüsselungsexperte Perry FELLWOCK (unter seinem Pseudonym Winslow PECK) die Existenz der National Security Agency (NSA), von der zu dieser Zeit noch niemand wusste. Mit den Informationen über eine Sicherheitsbehörde, welche mehr Geld verschlingt, als die CIA, deckt er die weltweite Spionage eben dieser auf, indem er sich an die Presse wendet und wenig später in der New York Times erscheint.

Ein Jahr später wird die kollektive Ausspähung durch die NSA via Gesetzgebung verboten, durch Präsident George W. BUSH allerdings in der Folge missachtet - so wie die anderen US-Präsidenten danach

Und noch ein Whistleblower bzw. Informant wird aktiv, den nur vier Menschen kennen: Zwei Reporter der Washington Post, der Chefredakteur und die Besitzerin der Zeitung. Die Reporter, Bob WOODWARD und Carl BERNSTEIN sind gerade dabei, den Watergate-Skandal zu enthüllen. Er wird 1974 zum Rücktritt von Präsident Richard NIXON führen und eine wichtige Zäsur in der US-amerikanischen Gesellschaftsentwicklung darstellen: Die Menschen begreifen, dass auch Regierungen öffentlich lügen und „Gauner“ sein können.

Der Whistleblower bzw. Informant der beiden Washington Post-Reporter wird sich erst Jahrzehnte später, 2005, im Alter von 91 Jahren selbst outen. 1972 ist er stellvertretender Direktor des FBI und akzeptiert weder die illegale Finanzierung von NIXON’s Wahlkampf noch die anderen unlauteren Machenschaften der NIXON-Administration

Und noch ein weiterer Whistleblower ist unterwegs: Thomas A. ROBERTSON, Entwicklungsdirektor von Firestone Reifen, warnt die Unternehmensleitung über die Gefahren minderwertiger Reifen. Diese reagiert jedoch nicht und in Folge sterben 41 Menschen, Hunderte werden ernsthaft verletzt: aufgrund minderwertiger Reifenqualität.

Diese Vorfälle werden sich im Jahre 2000 noch einmal ähnlich abspielen: Der Autohersteller Ford wird 3,5 Millionen Firestone Reifen zurückrufen: nach 200 Toten und 700 ernsthaften Verletzungen.

Die US-Amerikaner beginnen allmählich zu begreifen, dass Whistleblower für die Gesellschaft nützliche Mitmenschen sind


1. Dezember 1974

Flugzeug-Desaster "TWA Flight 514"

Der Flug „TWA Flight 514“, eine Boeing 727-231 von Indianapolis, Indiana und Columbus, Ohio nach Washington Dulles International, kollidiert mit dem Mount Weather, Virginia. Alle 85 Fluggäste und 7 Crewmitglieder sterben. Das Flugzeug hatte schlechte Sicht. Die Piloten ließen das Flugzeug aufgrund fehlerhafter Kommunikation mit dem Bodenpersonal zu früh zu tief absinken. 

Sechs Wochen zuvor war ein ähnlicher Vorfall passiert: mit einer United Airlines Maschine, die den Mount Weather nur knapp verfehlte. Doch es ging gerade noch gut.

Nach der Landung wurden alle United-Piloten von dem Vorfall und dessen Probleme unterrichtet. Jedoch nicht - wie es notwendig gewesen wäre - alle anderen Airlines, die diese Route fliegen 


1975

Die FAA reagiert auf Kritik: das ASRP wird eingeführt

Die FAA kündigt die Einführung eines Aviation Safety Reporting Program (ASRP) an. Aufgrund ca. 500 Todesopfern durch Luftverkehrsunfälle in den Jahren zuvor, sowie final des schwerwiegenden Absturzes des TWA Flight 514 im Vorjahr, bei dem sämtliche Insassen (92) starben, weil vorhandene Informationen mangels eines geeigneten Meldesystems ungenutzt blieben, forderte der US-Kongress eine Regelung.

Ab jetzt gilt: Unfallvermeidungspotenzial zu nutzen, ist nun die Grundlage aller Meldesysteme, unter dem Grundsatz: „Incidents lead to accidents – reporting incidents prevents accidents“. Untersuchungen ergaben, daß es statistisch vor jedem Unfall fast 30 alarmierende Vorkommnisse gibt und durchschnittlich 300 Hinweise auf Probleme und Unzulänglichkeiten vorliegen. Dieses enorme Unfallvermeidungspotential (300-30-1) zu nutzen, soll nun die Grundlage aller Melde- bzw. Reporting-Systeme sein

Damit wird das erste Meldesystem eingerichtet, welches nicht nur Beinahe-Unfälle aufnimmt, sondern auch die Meldung aller Formen von Missbrauch und Zuwiderhandlung anstrebt. So schützt das Meldesystem Piloten und Fluglotsen immer dann, wenn sie rechtzeitig gemeldet haben, allerdings nicht bei fahrlässigen Fehlern.

Kritik kommt von der Air Line Pilots Association (Verband der Piloten von Fluggesellschaften): Die Piloten würden eher ein Meldesystem bevorzugen, bei welchem zur Wahrung der Anonymität Dritte die Meldeberichte erhalten und auswerten


1976

FAA schließt Abkommen mit der NASA

Die FAA reagiert auf die Kritik der Piloten: Sie schließt ein Abkommen mit der NASA, die an Stelle der FAA die Informationenen von Hinweisgebern anonym verarbeitet.

Zur selben Zeit überarbeitet die FAA das Aviation Safety Reporting Program dahingehend, dass sie zukünftig keine Disziplinarmaßnahmen mehr verhängt, wenn die meldende Person rechtzeitig einen Bericht eingereicht hat. 

Konkret: Eingegangene Berichte werden nicht als Grundlage für Disziplinarmaßnahmen verwendet. Werden Informationen jedoch unabhängig erhalten, können Disziplinarmaßnahmen verhängt werden, ebenso bei Unfällen oder Straftaten


1977

Neue Whistleblower-Organisation in den USA

Am Institute for Policy Studies (IPS) in Washington, einer der großen Think Tanks in den USA und eng mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verbunden, formiert sich eine neue Institution, die sich kurz danach selbstständig macht: das Government Accountability Project (GAP).

Das IPS, das sich für Frieden, Umweltschutz und Gerechtigkeit stark macht, konkret sich für Minderheitenrechte einsetzt, gegen den Vietnam-Krieg und die Apartheid in Südafrika kämpft, wird aus rechten Kreisen massiv bekämpft. Beispielsweise von Ex-Präsident Richard NIXON, der wegen der Watergate-Affäre abdanken musste, um einem Impeachment-Verfahren zuvorzukommen. Ein Jahr zuvor wurden 2 Mitarbeiter des Instituts von Agenten des PINOCHET's-Regimes ermordet. Drei weitere werden die nächsten Jahre zu Tode kommen.

Jetzt gibt es eine Organisation, die ein Auge auf die Aktivitäten der eigenen Regierung wirft und Whistleblowern Unterstützung verspricht. Daniel ELLSBERG ist einer der ersten Mitmacher.

Sicherheit in der Luftfahrt jetzt auch in Europa zunehmend ein Thema

 

Die Europäische Gemeinschaft beginnt erstmals eine Luftfahrtpolitik für die Gemeinschaftsstaaten zu entwickeln. Die Teilnahme für alle Mitgliedstaaten ist freiwillig, sie können aber auch zusätzlich anderen Organisationen beitreten, um eine zusätzliche Sicherheitserhöhung zu erwirken.

Für die gesamte EU sollen künftig direkte und einheitliche Sicherheitsvorschriften gelten.

Eine stetige Verbesserung der Sicherheit durch die EU soll dadurch erreicht werden, indem z.B. Meldesysteme eingeführt werden, damit Vorfälle und Meldungen rechtzeitig erkannt und verhindert werden können. Aus diesem Grund besteht eine enge Zusammenarbeit von EU und anderen Organisationen, wie der ICAO (Internationale Zivilluftfahrtorganisation), mit der Intention, übergreifende Sicherheitsnetzwerke und -regelungen zu bilden


1978

Der Civil Service Reform Act

In den USA tritt der  Civil Reform Act of 1978  aufgrund von Skandalen (z.B. Watergate-Affäre, Vietnam-Krieg, Ölkrise) und damit zunehmendem zivilen Misstrauen in Kraft.

Ein wichtiger Bestandteil des CSRA ist, dass Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben wird, sich in Gruppen zu organisieren und Tarifverhandlungen einzuklagen und durchzuführen. Whistleblowerschutz ist ebenso Teil dieser Reform wie Prozess- bzw. Klagerechte entlassener Arbeitnehmer


späte 70er Jahre

In den USA treten vermehrt Bundes- und Staatsgesetze in Kraft, welche Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft schützen sollen, unter anderem Anti-Diskriminierungsgesetze. So beinhalten viele dieser Gesetze beispielsweise, dass Arbeitgeber nicht gegen Arbeitnehmer aufgrund von öffentlichen Missstandsaufdeckungen vorgehen dürfen. Die Arbeitnehmer werden dabei unter anderem von der Equal Employment Opportunity Commission und der Occupational Safety and Health Administration vertreten. Trotzdem bleibt bei vielen die Angst vor möglichen Sanktionen seitens der Arbeitgeber bestehen


1979

FAA löst den allumfassenden Schutz für Störungsmelder auf - und stößt auf Kritik

Die FAA kündigt an, dass der nahezu allumfassende Schutz des ASRP aufgelöst, jedoch die Identität von Gefahr- oder Störungsmeldern weiterhin anonym behandelt werde.

So soll verhindert werden, dass Täter ungestraft davonkommen.

Allerdings stößt dieser Entschluss auf starke Kritik. So wird die Regelung in der Folge modifiziert, dahingehend, dass Disziplinarmaßnahmen nur bei Unfällen oder Straftaten verhängt werden können.

Hat der Verursacher nicht persönlich seine Sicherheitsregularienverletzung gemeldet, werden umgehend Maßnahmen ergriffen. Erhält die NASA jedoch sofort einen Bericht, muss er keine Strafe fürchten, wenn versehentlich oder nicht vorsätzlich gehandelt wurde, keine Kompetenzmängel erkennbar, kein Unfall oder eine Straftat mit enthalten und seit der Entstehung des ASRP keine weiteren Verstöße durch die Person begangen worden seien


1982

USA: Flugzeugabsturz über dem Potomac

Am 13. Januar stürzt ein Flugzeug der Air Florida über dem Potomac ab: 74 Tote.

Grund: Probleme mit der Enteisung sowie mehrere Pilotenfehler (keine Kontrolle des Personals auf Eisfreiheit der Tragflächen vor dem Start. Weiter wurde die Warnung des 1. Offiziers an den Piloten missachtet, dass eine nicht ausreichende Startgeschwindigkeit vorliege.

Großbritannien führt CHIRP ein

In Großbritannien wird das CHIRP (Aviation and Maritime Confidential Incident Reporting) eingeführt. Es hat als Vorbild das us-amerikanische ASRS/ASRP Dritt-Anbieter-Meldesystem. Die Daten des Melders werden mit Blick auf Schutz vor Disziplinarmaßnamen anonym behandelt


1985

Die FAA modifiziert erneut das ASRP. Zuvor waren Melder / Verursacher einer Sicherheitsregularienverletzung vor Disziplinarmaßnahmen geschützt, wenn sie seit der ASRP-Einführung frei von Verstößen agiert hatten. Dieser Schutz wird nun verkürzt auf fünf Jahre vor dem gemeldeten Zwischenfall.

Fluglotsen sind von diesem Schutz ausgeschlossen; für sie gelten interne FAA-Regularien. Erstmalig wird eine Sicherheit vor Disziplinarmaßnahmen nur noch dem Hinweisgeber selbst anerkannt, weitere beteiligte Personen sind nicht mehr geschützt (


1986

Der False Claims Act wird wiederbelebt

Der US-Kongress reaktiviert den False Claims Act, der seit 1943 praktisch keine Rolle mehr gespielt hat. Grund sind die inzwischen vielen Betrügereien gerade in der Rüstungsindustrie, die in den USA praktisch immer einen Wachstumssektor darstellt, weil viel staatliches Geld dorthin fließt. Die USA ist das Land mit den höchsten Rüstungsausgaben weltweit.

Der Kongress beschließt mehrere Dinge:

  • Die Betrugstatbestände werden verschärft
  • Whistleblower werden von den Prozesskosten freigestellt
  • Whistleblower können bis zu 30% der Summe erhalten, die der Staat nachträglich durch Gerichtsverfahren von den Betrügern zurückerhalten hat
  • Die Schwellenanforderung des „Wissens“ um derlei Betrügereien wird reduziert – Whistleblower haben einen Anspruch auf Schutz und Belohnung, auch wenn die Betrügereien, die sie anzeigen, im Staatsapparat bekannt sind, aber dort von niemandem kritisiert oder zur Anzeige gebracht werden

Folge: Die Hinweise von Whistleblowern nehmen wieder signifikant zu


6. März 1987

Großbritannien: Fährunglück

Das britische Fährschiff „Herald of Free Enterprise“ kentert auf dem Weg von Seebrügge (Belgien) nach Dover (England). Es läuft im seichten Wasser kurz nach Verlassen des Hafens auf einer Sandbank auf: 193 Menschen kommen zu Tode.

Schuld waren nicht verschlossene Bugklappen (menschliches Versagen, Matrose schlief und vergas das Schließen der Bugklappen), weshalb das Schiff volllief. Es gab zuvor bereits fünf Warnungen des Personals an das Management und Vorschläge, den Zustand der Bugtore mit einer Lampe auf der Brücke kenntlich zu machen, all dies wurde jedoch ignoriert. Genaue Anweisungen zur optimalen Unterhaltung und Betrieb eines Schiffes wurden vom Management umgangen und nicht definiert.

Nach dem Unglück nimmt das Management einige Regeländerungen vor: Schiffe sollen nun schon im Hafen / Liegeplatz die Bugtore schließen, falls sie dazu technisch nicht in der Lage seien, so schnell als möglich nach dem Auslaufen. Außerdem muss die Brücke einen positiven Bericht zum Verschluss der Bugtore vom zuständigen Matrosen erhalten, bevor überhaupt ausgelaufen werden darf. Für die Zukunft sollen alle Schiffe ein einheitliches und klar definiertes Konzept erhalten.

Der Untergang des Schiffes und der Tod von 193 Menschenleben wird für die Entstehung des britischen Whistleblowerschutzes essentiell werden


6. Juli 1988

Großbritannien: Ölplattform brennt

Die Piper Alpha Ölplattform brennt in der Nordsee, etwa 170 km nordöstlich von Aberdeen, Grund hierfür sind eine aufgrund von Wartungsarbeiten provisorisch verschlossene Gaspumpe, welche trotzdem angesteuert wird und in dessen Folge eine Explosion ausgelöst wird und eine aufgrund eines in diesem Zeitraum aktuellen Tauchereinsatzes auf Handbetrieb umgeschaltete Löschanlage.
Folge: 167 Personen sterben.

Die zuständige Gesellschaft Occidental Petroleum zerstört nach dem Unglück die Bohrinsel und gibt innerhalb eines Jahres sämtliche Aktivitäten in der Nordsee auf. Nachdem der zuständige Untersuchungsausschuss der Cullen-Kommission dem Öl-Management einen Bericht mit 106 Änderungsvorschlägen vorlegt, um die Sicherheit auf Bohrinseln zu verbessern, nimmt dieses alle diese unverzüglich an und setzt alles Nötige um. So werden eine ganze Reihe von Sicherheitsbestimmungen geändert und das neue Konzept „bottom-up pull rather than top-down push“ tritt in Kraft: Verbesserungsvorschläge von unten werden nun gefördert und nicht mehr Anweisungen von oben durchgedrückt.

Wie so oft schwiegen auch hier die Mitarbeiter zuvor über mögliche Sicherheitsrisiken, weil sie Sanktionen durch das Management fürchteten.

Für die Entstehung des britischen Whistleblowerschutzes wird auch dieser Vorfall von Bedeutung werden


12. Dezember 1988

Großbritannien: Eisenbahnunglück

Eisenbahnunfall von Clapham Junction, in London, durch ein fehlerhaft verkabeltes Signal ausgelöst: eine völlig veraltete Signalanlage wurde zuvor erneuert, jedoch nicht die alten Kabel entfernt, durch eine Kollision alter und neuer Kabel entsteht ein Kurzschluss, Signale werden falsch angezeigt und erteilen Lokführern Einfahrt in belegte Streckenbereiche. Folge: 35 Menschen sterben, 500 werden verletzt. Die fehlerhafte Verkabelung entstand, aufgrund von Überarbeitung und Wochenendtests der Arbeiter und anschließend nicht stattgefundener unabhängiger Überprüfung.

Nach diesem Vorfall wird durch einen Untersuchungsausschuss angemahnt, alte Kabel in Zukunft vollständig zurückzuschneiden und zu isolieren und die Arbeiten anschließend von einer unabhängigen Person abnehmen zu lassen. Signaltechniker müssen sich einer regelmäßigen Fortbildung alle fünf Jahre unterziehen und Tester müssen zertifiziert sein. Das Management muss garantieren, dass keine Arbeiter zu viele Überstunden ableisten und ein Senior Projekt Manager ist für alle Punkte des Projekts verantwortlich.

Signalfalschmeldungen sollen in Zukunft direkt an die Eisenbahnaufsichtsbehörde weitergegeben werden und die Sicherheitsstandards in den Zügen werden durch empfohlene Installationen von Zugfunk und Lautsprecheranlagen erhöht. Für die Entstehung des britischen Whistleblowerschutzes ist dieser Vorfall essentiell


1989

EG gibt Studie zur Untersuchung von Meldesystemen in Auftrag

Die Europäische Union bzw. die Kommission (damals noch „EG“) gibt eine Studie über die Untersuchung von Unfall- und Störungsmeldesystemen in Auftrag. Das Wissen über bereits bestehende Meldesysteme innerhalb der EG soll daraus vereint werden. Aus der Studie geht ein Vorschlag zur Einrichtung eines europäischen Kooperationscenters für verpflichtende Störungsmeldesysteme hervor.

USA: Whistleblower Protection Act

In den USA tritt der Whistleblower Protection Act in Kraft, welcher eine Verschärfung des Civil Reform Acts of 1978 darstellt. Ab nun sind Whistleblower sehr spezifisch vor Repressalien  geschützt


1990

FAA appelliert an die Selbstständigkeit der Fluggesellschaften

Die FAA fordert Fluggesellschaften dazu auf, Sicherheitsüberprüfungen selbstständig vorzunehmen, versehentliche Verstöße werden nicht geahndet, wenn das Problem nach Bericht an die FAA umgehend behoben werde.

Zwei Jahre später werden auch Hersteller aus der Luftfahrtbranche zu selbstständigen Sicherheitsüberprüfungen aufgefordert


1991

EU beschließt erste allgemeingültige Luftverkehrsvorschriften

Die EU beschließt bis Ende 1992 einen einheitlichen Luftverkehrsmarkt zu gewährleisten. Die ersten allgemein gültigen Luftverkehrsvorschriften werden somit verfasst, um die unterschiedlichen Bundesgesetze anzupassen, alle existierenden Vorschriften sollen auf das "höchste Niveau" angehoben werden.

Großbritannien: Zusammenbruch einer Geldbank

In Großbritannien wird die Bank of Credit and Commerce International (BCCI) durch die Arbeit von amerikanischen und britischen Ermittlungsbehörden einer ganzen Reihe von Straftaten und Betrug überführt, wie beipsielsweise der  Geldwäsche, Bestechung, Unterstützung von Terrorismus, Waffenhandel, Verkauf von Nukleartechnologie, initiierte Steuerhinterziehung, Folge: die Bank bricht zusammen: es sind mehr als 13 Milliarden Dollar spurlos verschwunden.

Folge: unzählige Briten verlieren ihre Einlagen und ihre Altersversorgung. Die BCCI wurde  sehr autoritär geführt und duldete keinerlei Kritik in ihrem Unternehmen


1992

EU: das ECCAIRS-Projekt

Die Europäische Kommission beauftragt mit dem ECCAIRS-Projekt (European Coordination Centre for Accident and Incident Reporting Systems) das Joint Research Centre. Verpflichtende Meldesysteme sollen auf einem einheitlichen europäischen Niveau dauerhaft angestrebt werden. Das vorgenannte Projekt ist mit dem Sammeln und Analysieren von Sicherheitsinformationen beauftragt. Alle Mitgliedstaaten haben Einsicht in diese Daten, damit die Flugsicherheit erhöht werden kann


1993

In Deuschland: DFS übernimmt Flugsicherungsaufgaben wahr

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) übernimmt als privatisierte Bundesbehörde ab jetzt auch die Aufgaben der überörtlichen militärischen Flugsicherung (üMilFS) und der 1953 gegründeten Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS). Sie übernimmt damit Flugverkehrskontrolldienste, Flugalarmdienste, Fluginformationsdienste und Flugverkehrsberatungsdienste des zivilen und im Friedensfall auch des militärischen Luftverkehrs


1994

In Europa wird das ECCAIRS wird als Pilotprogramm für die Verarbeitung von Sicherheitsinformationen implementiert. Wichtigstes Kennzeichen: Die Unfalluntersuchung darf hierbei nicht der Haftungs- und Schuldzuweisung dienen.

Ein Jahr später wird die erste Komplettversion eingerichtet.

Jeder Mitgliedstaat muss dafür sorgen, von einer unabhängigen Zivilluftfahrtstelle die technischen Untersuchungen durchführen zu lassen. Die Anonymität der beteiligten Personen muss gewährleistet sein


1995

Hauptintention der FAA: unabhängiges Sicherheitsbüro für nahezu alle Fluggesellschaften

Ein Aviation Safety Plan wird von der FAA veröffentlicht, welcher eine Einführung von 173 Sicherheitsinitiativen beinhaltet. Ein freiwilliges Sicherheits-Meldesystem wurde bereits von vielen Fluggesellschaften eingeführt, in welchem Meldung an den Vorgesetzten vorgesehen ist.

Die Intention der FAA ist jedoch, ein unabhängiges Sicherheitsbüro für alle Fluggesellschaften mit mehr als neun-sitzigen Passagierflugzeugen zu etablieren. Weiter hat die FAA ein Abkommen mit den beiden Organisationen Air Line Pilots Association und Air Transport Association über ein Programm zur Flugbetriebsqualitätssicherung getroffen. In diesem Abkommen ist vermerkt, dass der Flugdatenschreiber ausgewertet werden darf, damit Sicherheitstrends früh erkannt werden und Unfällen vorzubeugen. Die Identität der Piloten wird dabei anonymisiert


1997

USA: ASAP entsteht

Verschiedene Prototypen eines Aviation Safety Action Programs (ASAP) werden von der FAA und der Luftfahrtindustrie zusammen erstellt. Sicherheitsinformationen sollen leichter zu FAA und Fluggesellschaften durchdringen. Bestandteile des Prototyps sind u.a. das USAir Altitude Awareness Program (ASAP), das Alaska Airlines Altitude Awareness Program und der American Airlines Safety Action Partnership.

Mitarbeiter von Fluggesellschaften sollen ermutigt werden, bedenkenlos und ohne Angst vor Disziplinarmaßnahmen, Informationen von möglichen Vorfällen weiterzugeben. Alle freiwillig meldenden Personen erhalten keine Disziplinarmaßnahmen, sondern werden schriftlich über durchzuführende Korrekturmaßnahmen in Kenntnis gesetzt


1998

Deutschland: BFU wird gegründet

Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) geht im September 1998 als eigenständige Bundesbehörde mit Sitz in Braunschweig an den Start, da wo auch das Luftfahrtbundesamt (LBA) domiziliert.

Die BFU ist als sogenannte Bundesoberbehörde dem Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur direkt unterstellt. Unfälle werden, auch unterstützend international, von der BFU untersucht und darauf basierend Empfehlungen an Firmen und Behörden ausgesprochen. Mehr aber auch nicht


1999

Großbritannien reagiert auf die letzten Katastrophen

In Großbritannien wird 1999 der ein Jahr zuvor beschlossene Public Interest Disclosure Act in Kraft gesetzt: ein Whistleblower-Schutzgesetz: Public Concern at Work:

Auslöser: die Katastrophen der letzten Jahre:

  • die Havarie der „Herald of Free Enterprise“ mit 193 Toten
  • der Explosion der „Piper Alpha Ölplattform“: 167 Tote
  • dem Eisenbahnunfall von „Clapham Junction“: 35 Tote
  • und dem Bankencrash der "Bank of Credit and Commerce International", bei dem viele 'kleine Leute' ihr Erspartes verlieren

Alle Desaster hätten verhindert werden können, wenn Arbeitnehmer ohne Angst vor Deffarmierung und Sanktionen ihre Arbeitgeber hätten informieren können. Und wenn es eine bessere Kommunikation zwischen leitender und ausführender Ebene gegeben hätte. All dies, die Toten und die Ursachen, hatten die Mitglieder des britischen Parlaments zum Nachdenken gebracht. Entschließen – zu politischen Konsequenzen konnte sich die Mehrheit der konservativen Mehrheit dazu aber nicht.

Tony BLAIR, der Parteivorsitzende und Kandidat der Labour-Partei hatte im Wahlkampf aber versprochen, dieses Gesetz zu beschließen. Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten 1987 wurde es dann auf den Weg gebracht – trotz Widerständen seitens der Wirtschaft. Jetzt soll es sich bewähren


2000

USA: die Einführung von ASAP wird offiziell bekanntgegeben

Die Einführung vom Aviation Safety Action Program (ASAP) wird vom Weißen Haus bekannt gegeben:
Alle Personen, welche Störungen und mögliche Probleme bezüglich der Sicherheit, freiwillig melden und somit zur Unfallvermeidung beitragen, müssen keine Disziplinarmaßnahmen fürchten.

Der US-Präsident heißt Bill CLINTON von der Demokratischen Partei


2002

Europa: Gründung der EASA

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) wird ins Leben gerufen. Alle bisher bestehenden Meldesystemregelungen werden auf das Niveau der International Civil Aviation Organization (ICAO) angehoben. Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ist für die Beratung der EU in Rechtsvorschriften zuständig, dem Überwachen von Sicherheitsvorschriften und der Datenerhebung und -analyse. Die Sicherheitsdaten sollen von der EASA vertraulich behandelt werden und die Öffentlichkeit soll über den Sicherheitsstand der Zivilluftfahrt unterrichtet werden.

USA: der Sarbanes-Oxley-Act

In den USA tritt unter der Regentschaft des konservativen US-Präsidenten George W. BUSH der Sarbanes-Oxley-Act in Kraft: Große Unternehmen, die an der Wallstreet bzw. der Börse notiert sind, müssen interne Alarm- und Hinweisgebersysteme für finanzielle Unregelmäßigkeiten einrichten. Und Schutzvorrichtungen für Whistleblower.

Auslöser: die gigantischen Pleiten zweier großer Unternehmen: Enron (Sherron WATKINS sagte hier aus) und WorldCom (Cynthia COOPER war hier die Whistleblowerin), die viele US-Amerikaner um ihre Altersversorgung gebracht haben. Die beiden Whistleblowerinnen wurden vom Time Magazine zur "Person of the year" 2002 gekürt, zusammen mit der Whistleblowerin Coleen ROWLEY vom FBI. Sie hatte kurz vor dem Anschlag am 11. Septmber 2001 ihren Chef vor einem der Attentäter gewarnt - vergeblich:


2003 - 2007

EU: Richtlinien zu freiwilligen Meldesystemen und anonymen Meldungen

Die EU beschließt Richtlinien, welche die Meldungen von Vorfällen oder Störungen anonym behandelt und eine freiwillige Einführung von Meldesystemen jedes Mitgliedsstaates empfiehlt.

Eine Ergänzung findet diese Regelung bezüglich der Weitergabe von Informationen an Personengruppen des Luftfahrtwesens. So können nun all jene Personen, welche dazu beitragen, die Luftfahrtsicherheit zu verbessern, einen sogenannten Informationsantrag stellen. Ziel dieses ist es, Informationen über gemeldete Störungen zu erhalten. 

Im November 2007 wird außerdem eine Verordnung über die Einrichtung eines Zentralspeichers erlassen, welcher alle Vorfallsinformationen sammelt. Der Austausch der Mitgliedsstaaten untereinander soll so erleichtert werden.


2008: Deutschland

Einer der Piloten aus dem Konzern der Deutschen Lufthansa, der seit 14 Jahren für die "Cityline" eine Maschine des Typs BAe 146 fliegt und den wir hier als "Sandy VERMEER" bezeichnen, wird vom zuständigen Fliegerarzt fluguntauglich geschrieben: Dieses Mittelstreckenflugzeug ist besonders anfällig für Fume Events, die von der Lufthansa regelmäßig als "Geruchsbelästigung" abgetan werden, die man als Pilot hinnehmen müsse. 

Sandy VERMEER ist inzwischen in 50 solcher Fume Events mit seinen BAe 146 geraten und jetzt so krank, dass keine Heilung mehr möglich ist. Als Pilot kann er nicht mehr fliegen. Deswegen verweigert ihm die Lufthansa die Gehaltszahlung. Sie bietet ihm aber auch keine Arbeitsmöglichkeit auf dem Boden an. Und sie kündigt ihn auch nicht - sie lässt ihn schmoren. Umgekehrt kann der arbeitsunfähige Pilot auch nicht auf Gehaltsfortzahlung klagen - er kann ja seine Dienste nicht mehr anbieten. Und die deutsche Airline sitzt natürlich am längeren Hebel.

Sandy VERMEER begreift das Verhalten der Lufthansa als Rache - er hat die letzte Zeit immer wieder das Problem der gesundheitsgefährdenden Kontaminationen der Kabinenluft intern zu thematisieren versucht. Vergeblich. Sein Arbeitgeber will davon nichts wissen.

Zu den Aufsichtsbehörden BFU und/oder LBA dringen derlei Situationen nicht durch. Sie interessieren sich nur für Statistiken und deren amtlich gemeldeten Zahlen.

Aber die spiegeln nicht die Realität.

Beim WDR beginnt der Journalist Tim van BEVEREN, der auch über eine Pilotenlizenz verfügt, mit ersten Recherchen zum Problem der potenziell kontaminierten Kabinenluft. Dabei stellt er fest, dass von den 121 Vorfällen dieser Art, die er rekonstruieren konnte, nur "56" bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU ankommen. Keine einzige davon wird an die inzwischen gegründete EASA gemeldet. Das LBA weiß nur von 10 solcher Vorfällen. Dies ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentarische Anfrage der GRÜNEN im Bundestag.

Tim van BEVEREN wird das ungelöste Problem in den nächsten Jahren in mehreren TV-Berichten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen (mehr unter www.ansTageslicht.de/Kabinenluftchronologie).


2008: USA

FAA nimmt Fluglotsen mit an Bord

Eine Vereinbarung zwischen der FAA und der National Air Traffic Controllers Association (NATCA), dem nationalen Verband der Fluglotsen, wird unterzeichnet: Beide wollen "Air Traffic Safety Action Program", abgekürzt ATSAP entwickeln. Ein offener Informationsfluss über Flugsicherheitsbedenken soll ohne Angst vor Disziplinarmaßnahmen durch die FAA-Mitarbeiter gefördert werden. Jeder soll unter diesem Programm Zugang zu Sicherheitsinformationen erhalten und somit bessere Transparenz geschaffen werden. Die verbesserte Transparenz soll zu mehr Fehleranalysen und Korrekturmaßnahmen führen.

Zunächst gilt dieses Abkommen für 18 Monate und noch nicht flächendeckend. Nach dieser Testphase soll es nach erneuter Prüfung durch beide Parteien für sinnvoll oder nicht sinnvoll erachtet und über eine ständige Implementierung nachgedacht werden.

Zur besseren Wahrnehmung der Mitarbeiter wird im April 2008 zusätzlich das "Safety Issues Reporting System", abgekürzt SIRS, durch die FAA eingeführt. Dieses zusätzliche Instrument wird angeboten, damit diese auch Sicherheitsbedenken äußern können, wenn bei ihnen der Eindruck entsteht, dass "von oben" nicht die nötige Reaktion kommt.

Neuer US-Präsident: Barack OBAMA

Mit Ankündigungen eines Wechsels und Slogans wie CHANGE we can believe in und yes, we can gewinnt der Senator aus Illinois die Wahlen. Mehr Transparenz und besserer Schutz für Whistleblower gehören zu seinen Wahlversprechen.

Geschehen wird die nächsten Jahre in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil: OBAMA führt einen regelrechten Krieg gegen Informanten, Medien und Whistleblower. Unter seiner insgesamt 8jährigen Ägide werden soviel Gerichtsverfahren eingeleitet und Urteile gegen Informanten und Whistleblower vollstreckt wie nie zuvor.

Selbst unter den Regierungszeiten konservativer US-Präsidenten wie zuletzt George W. BUSH gab es nie so viele Prozesse und Verurteilungen von Journalisten, Informanten und Whistleblowern. Bradley bzw. später Chelsea MANNING ist nur eines der Opfer. Er bzw. sie wird im Jahr 2010 ein Kriegsverbrechen von US-Marines in Bagdad öffentlich machen: collateral murder. Die Soldaten werden unter OBAMA nie belangt werden. Aber Whistleblower(in) MANNING hingegen bestraft: 35 Jahre Gefängnis. OBAMA wird MANNING erst 3 Tage vor seinem Amtsende am 17. Januar 2017 begnadigen - nach 7 Jahren Haft, die teilweise folterähnlichen Charakter hatte


2009

FAA im Jahre 2009

Die FAA gründet, mit der Intention die Luftfahrtrisiken zu verringern, den "Accident Investigation and Prevention Service". Durch eine Bündelung von Daten und gesammelten Informationen sollen aktuelle und zukünftige Risiken besser nachvollzogen werden können.
Zur selben Zeit entsteht das Amt für Prüfungen und Auswertungen (Office of Audit and Evaluation), welches diverse Meldesysteme vereint:

  • Administratoren-Hotline: FAA-Mitarbeiter können hier gehört werden, wenn Vorfälle durch das Management bisher nicht gelöst wurden
  • Aviation Safety-Hotline: hier kann jeder sein Leid über unsichere Situationen in der Luftfahrt klagen (E-Mail oder Fax mit möglichst genauer Beschreibung des Hergangs an die FAA)
  • Public Inquiry-Hotline: hier werden Fragen der Öffentlichkeit beantwortet, welche Angelegenheiten der Luftfahrt betreffen
  • Whistleblower Protection-Hotline: sie verarbeitet zusammen mit dem Arbeitsministerium Sicherheitsaufdeckungen von Privaten und Regierungspartnern aus der Luftfahrt.

Ankündigungen sind das eine. Etwas anderes ist die Realität ...


Die nächsten Jahre

Fliegen wird immer mehr zum Standard in der Tourismusbranche. An die 20.000 Düsenmaschinen gehen regelmäßig in die Luft, um Urlauber bis in die entferntesten Regionen zu verfrachten.

Weil Fliegen inzwischen zur Nomalität gehört, werden Sicherheitprobleme und Unfälle auch öffentlich stärker wahrgenommen - sozusagen jeden kann es jetzt treffen. Dies erhöht - potenziell - den Druck auf die Flugzeugbauer, die Airlines und die Aufsichtsbehörden.

Gleichzeitig kommen die ersten Billigfluglinien auf: easyJet, Ryanair, Germanwings, Hapag-Lloyd (heute TUIfly), Air Berlin u.a. Der Kostendruck steigt durch den Wettbewerb und wird immer schärfer.

Die Airlines reagieren mit Kosteneinsparungen bei den Löhnen und Gehältern, verlängerten Arbeitszeiten, kürzeren Pausen für die Crew zwischen zwei Flügen, verlängerten Wartungsintervallen. Letzteres bedeutet beispielsweise, dass Turbinen nicht mehr alle 10.000 Flugstunden genauestens überprüft werden, sondern nur noch alle 40.000. Bedeutet: Brüchige und/oder nicht mehr einwandfrei funktionierende Dichtungen in den Turbinen lassen öfters Turbinenöl lecken, das sich auf bis über 400 Grad Celsius erhitzt und dann mit der frischen Zapfluft aus der Turbine in das Flugzeug gelangen kann.  

Für Kritiker, die Dinge verbessern wollen, haben die Airlines kein Verständnis - sie fühlen sich - schon wegen ihrer politischen Rückendeckung - über jegliche Kritik erhaben, wie eine Recherche des Magazin Focus zeigt: Wer redet, fliegt


Juni 2013

Whistleblower Edward SNOWDEN

Die ganze Welt horcht auf. Und hört von einem Menschen, der sein bisheriges angenehmes Leben auf den Kopf stellt, konkret: aufgibt. Jetzt sitzt er in Moskau fest, wo er nie hinwollte, weil Barack OBAMA und seine gesamte Administration, einschließlich der geheimen Dienste, ihn zur Strecke bringen wollen. SNOWDEN hingegen will der Welt die Augen öffnen: über das, was größtenteils illegal durch die NSA geschieht und in diesem Ausmaß völlig unbekannt war: die weltweit flächendeckende Überwachung.

Trotzdem wird es - angeblich - ein Jahr später nicht möglich sein, mit Hilfe der flächendeckenden Datensammlung zu klären, wo im Indischen Ozean eine Maschine der Malaysian Airlines MH 370 auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking abgeblieben ist (März 2014, 239 Vermisste) und kurze Zeit drauf, wo genau die BUK-Raketen standen, die die Maschine MH 17 über der Ukraine abgeschossen hat (Juli 2014, 299 Tote). Letzteres werden Journalisten rekonstruieren: z.B. die Rechercheredaktion Correctiv


24. März 2015

Flugzeugdesaster in den französischen Alpen

Ein Airbus von Germanwings (Flug 4U-9525) ist in Barcelona gestartet und auf dem Weg zurück nach Düsseldorf. 150 Personen sind an Bord inklusive der Crew und den beiden Piloten. Die Maschine geht auf der Höhe der französischen Alpen in den Sinkflug über und crasht in den Bergen.

Die Umstände dieses Desasters sind bis heute nicht lückenlos aufgeklärt - es bleiben zu viele Widersprüche und unbeantwortete Fragen. War es ein Selbstmord? Bzw. ein Massenmord? Ein technischer Defekt? Ein Fume Event, das den Co-Piloten im Cockpit außer Gefecht gesetzt hat, als der Captain auf der Toilette war? Ein ganz anderer Grund? Oder mehrere Gründe, wie das so oft geschieht, wenn eine Panne andere nach sich zieht (Chaostheorie)?

Vieles, was durch schnelle und vorzeitig veröffentlichte Informationen und Pressekonferenzen seitens der zuständigen französischen Behörden und von Germanwings bzw. Lufthansa kommuniziert wurde und sich dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt hat (Co-Pilot psychisch krank, hatte den Captain ausgesperrt), wird sich später als unzutreffend herausstellen (vgl. z.B. den Abschlussbericht der französ. Untersuchungsbehörde BEA, in deutscher Sprache). Aber da hat sich das öffentliche Gedächtnis längst eine feste, sprich unverrückbare Meinung gebildet.

Daran sind die Unfalluntersuchungsbehörden in Frankreich (BEA) und Deutschland (BFU) sowie die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nicht ganz unschuldig. Vieles, was man hätte untersuchen und auswerten müssen, wurde nicht gemacht - ein sehr spezielles Thema ...


2018 und 2019

Am 29. Oktober 2018 crasht die erste Boeing 737 Max 8 ins Meer: 189 Tote. Wenige Monate später, am 10. März 2019, die zweite Max 8: 157 Tote.

Die Untersuchungen ergeben:

  • Die Boeing 737 Max 8 ist eine Fehlkonstruktion, geschuldet dem Wettbewerb mit Airbus und dem internationalen Kostendruck. Es gibt beim Hersteller keinerlei Fehlerkultur, Kritiker werden sofort mundtot gemacht
  • Die US-Aufsichtsbehörde FAA hat versagt: Sie hat relevante Prüfungen und Kontrollen an den übertragen, den sie beaufsichtigen soll: Boeing
  • Die europäische Aufsichtsbehörde wusste spätestens nach dem 1. Desaster Bescheid. Sie hielt es nicht für nötig, Max 8-Piloten zu warnen. Sie ist für US-Maschinen nicht zuständig und verantwortungsbewusste Whistleblower gibt es in der EASA nicht.

Ausführlich unter www.ansTageslicht.de/Max8


Dezember 2021

Die neue US-Regierung der Demokraten stellt eine eigene Untersuchung zu den beiden Flugzeugabstürzen des Typs "Boeing 737 Max8" vor: den 97seitigen Aviation Safety Whistleblower Report. Darin finden auch die Hinweise von inzwischen 7 namentlich bekannt gewordenen Whistleblowern Eingang, die aus dem Unternehmen Boeing, aber auch aus der US-amerikansichen Flugaufsichtsbehörde stammen und unter erheblichem Druck stehen. Alle bestätigen die bisher bekannten Vorwürfe:

  • mangelnde Fehlerkultur
  • keine Einsichtsfähigkeit in die vorhandenen Probleme
  • erhebliche Mängel bei der Qualitätskontrolle
  • eine Atmosphäre des Drucks und der Angst.

Dies betrifft nicht nur den in die Schlagzeilen geratenen Flugzeugtyp "Max 8", sondern auch den "Dreamliner" (Boeing 787), das Flagschiff von Boeing.

Man wird sehen, ob und wie die Politik dieses Sicherheitsproblem im US-amerikanischen Flugzeugbau, den vor allem Boeing repräsentiert, managen wird.


Hinweis

Eine der benutzten Quellen ist die Bachelorarbeit der ehemaligen Studentin Nele SIENKNECHT, die sich mit dem Schicksal des dänischen Piloten Oluf HUSTED beschäftigt hatte: Der hatte - nach dem Absturz eines Flugzeuges 1991 - auf Probleme beim Enteisen von Flugzeugen (De-Icing) im Winter aufmerksam gemacht. Folge: Er wurde von seiner Fluglinie, der skandinavischen SAS, erst gemobbt und dann gekündigt; ausführlich rekonstruiert unter www.ansTageslicht.de/Husted. In diesem Zusammenhang hatte sich die Studentin 2010 auch mit der Entstehung von Meldebehörden befasst: SAS Skandal Airlines. Whistleblowing und Meldesysteme in der Luftfahrt. Eine Analyse am Beispiel des dänischen Piloten Oluf Husted.

Der gesamte Text dieser Site lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Meldesysteme

Der Text, den Sie hier lesen, ist Bestandteil des Themenkomplex

Krank durch Arbeit, konkret: durch kontaminierte Kabinenluft in Flugzeugen ("Fume Event").

Dazu gehören diese weiteren Themenschwerpunkte:

Den Themenkomplex "Krank durch Arbeit" ganz generell haben wir dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/krankdurcharbeit, wozu diese Themenschwerpunkte gehören:

Alle Themenschwerpunkte eines Themenkomplex bestehen aus mehreren (ausführlichen) Texten, die wir "Kapitel" nennen. Den gesamten Themenkomplex "Kabinenluft" im Überblick können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Kabinenluft.