Julia und Vitaly STEPANOV - zwei Whistleblower, die mit Hilfe eines Journalisten das russische Staatsdoping enttarnen

Hintergrund

Das Spektakel der Olympischen Winterspiele im russischen Sotchi 2014 brachten es - nachträglich - an den Tag: die Hälfte der rund 30 russischen Medaillengewinner war gedopt. Und nach einer nachträglichen Untersuchung durch die IOC-Disziplinarkommission, die 46 Fälle untersucht hatte, wurden 43 Sportler aus Russland lebenslang gesperrt. Das Internationale Schiedsgericht indes hob diese Sperren größtenteils wieder auf. So funktioniert der (angebliche) Kampf gegen das Doping. Russland hat da eine führende Stellung, allein schon aufgrund der Größe des riesigen Landes (siehe Karte).

Die Geschichte

2009 hatte alles begonnen: Julia, die als Mittelstreckenläuferin in Russland recht erfolgreich ist, lernt Vitaly kennen, der bei der RUSADA arbeitet, der russischen (Anti)Dopingagentur. Sie heiraten. Und tauschen sich aus: Sie gesteht, dass sie dopt, er sagt über seine Arbeit, dass sei ganz normal.

Gut finden beide das nicht. Vitaly hat in den USA Management studiert, kennt die internationalen Standards und dass Doping - eigentlich - unerwünscht ist. Denn Doping ist Betrug. 

Sie entwickeln einen Plan. Vitaly schreibt an die WADA, die weltweite (Anti)Dopingagentur. Und berichtet, wie es in Russland, insbesondere bei der RUSADA läuft. Antwort erhält er nicht. Vitaly STEPANOV schreibt erneut. Und erhält wieder keine Reaktion. So geht es viele Male - einfach Null Feedback.

Dann schreibt Julia einen zehnseitigen Brief an die WADA, nachdem sie in Russland für 2 Jahre gesperrt worden war - es hatte Unstimmigkeiten in ihrem "Biologischen Pass" gegeben. Anders gesagt: Sie war unvorsichtig und beim Dopen ertappt worden. Längst hat sie beschlossen, in Zukunft sauber zu laufen. Und auch sie beschreibt, was sie aus eigener Erfahrung weiß. Und gesteht offen ihr bisheriges Doping.

Die WADA reagiert wieder nicht. Obwohl ihr Mann an die einhundert Emails abgesetzt hat. Sie wundern sich - die WADA erklärt immer wieder, dass sie Doping bekämpfen würde. Nun beschließen beide, weitere Fakten zu sammeln; solche, die sich nicht wegleugnen lassen.

Julia fädelt ein Treffen mit ihrem Arzt und ihrem Trainer ein und spricht mit ihnen über Sportförderung, Medizin und Doping. Dann organisiert sie ähnliche Treffen mit anderen Sportlern auch anderer Diszipline und deren Trainer. Was niemand merkt: Julia lässt jedesmal die Vidoefunktion ihres Smartphones mitlaufen. Und mailt alles erneut an die WADA.

Die internationale (Anti)Dopingbehörde WADA reagiert nicht.

Vitaly mailt erneut. Diesesmal nicht an die WADA. Diesesmal an einen Journalisten der ARD, Hajo SEPPELT. Der gehört zu den ganz wenigen Sportjournalisten, die sich mit Doping befassen, und nicht nur alles, was sie sehen und dann beschreiben, mit journalistischen Jubelrufen unterfüttern. Hajo SEPPELT ist anders. Und fliegt deswegen nach Moskau.

Sie treffen sich zunächst in einer Gaststätte, dort in einem separaten Raum am Stadtrand. Es kommt zu einem zweiten Treffen, diesesmal bei STEPANOV's in deren Wohnung. Beide schildern immer mehr Details. Und wie einfach es ist, in Russland beispielsweise an EPO zu kommen. 

SEPPELT muss zurück nach Deutschland. Die STEPANOV's organisieren derweil weitere Sportler, die auszupacken bereit sind. Und Julia arrangiert weitere heimliche Videobeweise, in denen hochkarätige Sportfunktionäre plaudern: wie die Kontrollen umgangen werden können, wer wem dafür Geld zu zahlen hat, und wie man sich, sollte es doch zu Kontrollen kommen, aus der potenziellen Affäre ziehen kann. 

Der ARD-Journalist kommt erneut nach Russland, fährt kreuz und quer durch die Lande, trifft sich mit weiteren Athleten, die von den STEPANOV's darauf vorbereitet wurden, und die ebenfalls viel zu erzählen haben. Manche wollen sich lieber in Stockholm treffen, andere bei Wettbewerben im Ausland.

Julia und Vitaly haben inzwischen einen Sohn. Und es wird ihnen zu heiß in Russland, sie haben Angst. SEPPELT wird beide später als "die bedeutensten Whistleblower in der Geschichte der Doping-Bekämpfung" bezeichnen. Sie erhalten ein zweijähriges Visum für Berlin. Dort kann Julia weiter trainieren und sie fühlen sich sicherer als in Moskau.

Ihre Vorarbeiten und Aussagen werden am 11. Dezember 2014 in der ARD gesendet: Geheimsache Doping. Wie Russland seine Sieger macht. Der russische Staat bricht den Stab über beide, bezeichnet sie als "Lügner" und "Verräter".Vitaly: "Ich habe kein Problem damit, wenn man mich als Verräter bezeichnet. Es ist ok für mich, wenn ich das russische Dopingsystem verraten habe."

Jetzt ist auch Berlin kein sicherer Ort mehr für die Familie, sie erhalten eine Aufenthaltserlaubnis in den USA und ziehen trotz unsicherer beruflicher Zukunft um. Julia trainiert weiter. Ohne Doping, kann sich in die internationale Wettbewerbe zurückmelden, läuft erfolgreich.

Die WADA kann sich derweil nicht mehr in absoluter Untätigkeit ergehen, sie muss eine Ermittlung einleiten. Zu groß ist die Empörung in der Welt des Sports. Die STEPANOV's haben eine Lawine losgetreten und jetzt wird 2016 auch ein offizieller Bericht erstellt. Und veröffentlicht zwei Jahre nach der ersten ARD-Sendung einen offiziellen Abschlussbericht, in dem Richard H. Mc LAREN Russland des staatlich geförderten Dopings überführt. Die Welt des Sport ist in heller Aufregung, denn es stehem weitere Olympische Wettkämpfe an und die einzelnen Sportverbänder national und international sowie das IOC können sich nicht wirklich einigen, wie man mit Dopingsündern umgehen soll und was man unter Null-Toleranz-Politik verstehen soll. Dieser (wenig sportliche) Kampf ist bis heute nicht entschieden.

Die Bilanz

Folgen für die Welt des Sports und die Gesellschaft:

Gewundert hatte man sich schon immer, aber seit 2014 ist es belegt (seither mehrere ARD-Dokumentationen) und seit 2016 amtlich: Im russischen Staatsapparat werden Medaillengewinner auch mit politischer Hilfe gemacht. Nach den klassischen Regeln des Sports ist das Betrug.

Die Enthüllungen der beiden STEPANOV's haben für eine sehr viel größere Sensibilät in der Welt des Sports geführt, auch wenn es darüber regelmäßig Auseinandersetzungen gibt. Und es gab Untersuchungen und nachträglichen Aberkennungen von Medaillen. Nicht nur für russische Sportler. Dafür werden jetzt jene geehrt, die ohne Doping mit dabei waren und deswegen nicht auf dem Siegertreppchen stehen durften - eine späte Genugtuung für ehrliche Sportler. Zum Beispiel für die deutsche Kugelstoßerin Nadine KLEINERT, die insgesamt bereits 15 (!) Male bei verschiedenen Wettkämpfen nachträglich hochgestuft bzw. mit Medaillen geehrt worden ist.

Der Öffentlichkeit haben die Ergebnisse gezeigt, dass man besondere Leistungen kritisch hinterfragen sollte, wenn man der Meinung ist, dass Betrug bei Wettkämpfen nichts zu suchen hat.

Folgen für die Whistleblower:

Für die beiden STEPANOV's war ihr Eintreten für einen sauberen Sport, die Weitergabe ihres Wissens und das öffentliche Zeugnis darüber ein mutiger Schritt. In ihrem Heimatland und bei alten Freunden und Bekannten sind sie in Ungnade gefallen - autoritäre Gesellschaften können mit Kritik nicht umgehen.

Weil die SEPANOV's immer noch bedroht werden, leben sie für die Öffentlichkeit unbekannt in den USA. Julia STEPANOVA nimmt aber inzwischen wieder an Wettkämpfen teil, denn sie ist und war schon immer eine Sportlerin. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro hatte man ihr allerdings verwehrt - das IOC nimmt immer noch sehr viel Rücksicht auf Betrüger, zeigt wenig wirkliches Engagement für einen Kampf für einen sauberen Sport.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Stepanov. Die Geschichte der beiden Whistleblower ist ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Julia-Stepanova. Mehr zum Thema Whistleblowing im Sport finden Sie unter www.ansTageslicht.de/Whistleblowing-Sport

(JL)

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