Guido STRACK - ehemaliger EU-Beamter, der gegen Betrug in der EU-Kommission angeht. Und das Whistleblower-Netzwerk gründet

Die Geschichte in Kurzform

Nach zwei juristischen Prädikatsexamen und einem Berufsjahr beim Bundeswirtschaftsministerium beginnt Guido STRACK 1995 mit vielen Idealen seine Laufbahn als Beamter der Europäischen Kommission: im Amt für Veröffentlichungen in Luxemburg. Ab 2001 wird er zuständig für Rechtskonsolidierung. Das Mosaik von ca. 4.000 EU-Rechtstexten und deren Änderungen soll möglichst noch vor der großen Osterweiterung in 11 Sprachen zusammengesetzt und elektronisch verfügbar gemacht werden. Ein von Qualitätsansprüchen, Volumen, Zeit und neuer Technik her ausgesprochen anspruchsvolles Projekt.

Ausgeführt werden soll dies - nach Vergabeverfahren mittels öffentlicher Ausschreibung  - von einem Privatunternehmen. Auf vorher festgelegter vertraglicher Grundlage und unter Maßgabe der Vorgaben und unter Kontrolle des Amtes. Aber Vorgaben zu Qualität, Volumen und Lieferzeitpunkten werden früh missachtet.

Eigentlich hätte das Amt hier Zahlungen verweigern und Vertragsstrafen verhängen können, ja müssen. STRACK fordert dies mehrfach. Das Problem: Das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten hatte, stellt nun fest, dass es sich verkalkuliert hat. Nun will es nachträglich mehr Geld, um technisch nachzubessern und mehr Leute einstellen zu können. STRACK wird erst ins Feuer geschickt, dann ausgebootet. Seine Vorgesetzten verhandeln jetzt direkt mit der Firma.

Angebliche technische Innovationen werden zum Vorwand, um die Zustimmung eines Kontrollausschusses zu erreichen. Der Vertrag wird geändert, das Unternehmen bekommt für die gleiche Leistung deutlich mehr Geld, sogar rückwirkend für die verspäteten Lieferungen und für virtuelle Lieferungen. Vertragsstrafen werden nie verhängt. Die Grundidee des öffentlichen Vergabeverfahrens, eine Ausschreibung, um den 'besten' Auftragnehmer zu finden, wird ad absurdum geführt.

STRACK hat genug, er sucht sich eine neue Stelle in einer anderen Generaldirektion. Aber sein Gewissen lässt ihm keine Ruhe. Parallel erlässt die EU-Kommission neue Regelungen zur Korruptionsbekämpfung. Sie gibt vor, aus den Fehlern der ehemaligen sogenannten SANTER-Kommission, die 1999 wegen Vetternwirtschaft unter europaweitem öffentlichen Druck zurücktreten musste, gelernt zu haben: Sie kreiert die Anti-Korruptionsbehörde OLAF. Ab jetzt heißt es offiziell: 'Null-Toleranz gegenüber Korruption'. Alle Beamten werden verpflichtet, finanzielle Unregelmäßigkeiten zu melden. Im Gegenzug sollen Whistleblower geschützt werden.

Nicht so bei STRACK. Mitte 2002 informiert er die neue OLAF über seine Beobachtungen und Einschätzungen. 18 Monate später bekommt er das Ergebnis der OLAF Ermittlungen: Einstellung ohne Notwendigkeit weiterer Maßnahmen. Keine näheren Erläuterungen, keine Begründung. STRACK versteht die Welt nicht mehr. Im Einstellungsbeschluss, den STRACK erst nach mehrmaligem Nachhaken erhält, finden sich keine Zweifel an seinen Aussagen, keine Finanzzahlen - OLAF hat weder die Leistungserbringung noch die Rechnungen überprüft. Stattdessen nur die pauschale Aussage, es sei um wirtschaftlich vernünftiges Handeln gegangen.

STRACK sieht das anders: Die rund 4 Millionen an Schaden, die STRACK geschätzt hat, schlagen bei OLAF mit 0,00 EUR zu Buch. Abfinden will er sich damit nicht. Deshalb zieht STRACK alle rechtlichen Register. Zwar konstatiert der EU-Ombudsmann Fehlverhalten von OLAF. Aber Die EU-Gerichte verweigern STRACK die Klagebefugnis und die Überprüfung des OLAF-Einstellungsbeschlusses, heben aber die auf einmal deutlich schlechter gewordene Zeugnisbeurteilung von STRACK durch seine Vorgesetzten auf. Ebenso die Entscheidung, ihn nicht zu befördern.

Guido STRACK informiert darüber hinaus auch

  • den OLAF-Überwachungsausschuss
  • sowie die Präsidenten von Rechnungshof, Europäischem Rat und das EU-Parlament.

Aber all diese EU Institutionen prüfen nicht. Sie geben sich mit dem OLAF-Einstellungsbeschluss zufrieden, obwohl dieser nicht einmal eine rechtliche Prüfung enthält und STRACK ein umfangreiches Rechtsgutachten vorlegt, das den Verdacht zahlreicher Straftaten begründet. Eine Strafanzeige erstatten darf er selbst nicht. Dafür braucht er eine Aussageerlaubnis der Kommission.

Der Weg, den STRACK eingeschlagen hat und der - eigentlich - von der EU-Spitze vorgegeben wurde, nämlich Null Toleranz gegenüber Korruption und Schummeleien - wird steinig und erweist sich für STRACK als zermürbend. Die Folgen: Er wird depressiv, seine Familie zerbricht. 2005 wird STRACK dienstbedingt frühpensioniert - im Alter von 40 Jahren.

Lange Jahre wird er um Dokumentenzugang, Aussageerlaubnis, Schadensersatz und Rehabilitierung kämpfen. Sieben Ombudsmannentscheidungen werden zu seinen Gunsten ausgehen. Doch die bewirken mangels Verbindlichkeit absolut nichts. Die Anti-Betrugsabteilung OLAF und die EU-Kommission mauern weiter. Sein Gesuch auf eine Mediation wird abgelehnt.

Mehr als ein Dutzend Verfahren betreibt STRACK vor den zuständigen EU-Gerichten. Aber das EU-Gerichtssystem zermürbt klagende Beamte schnell durch lange Verfahrensdauern sowie Verzicht auf Beweisaufnahmen – die EU-Gelder, die ‚verbrannt’ werden, sind aus der Sicht der EU-Bürger ‚weit weg’. Die Folge: STRACK muss nach gewonnenen Gerichtsverfahren Anträge auf Urteilsumsetzung bei der Kommission stellen und danach teilweise erneut klagen. Es wird ein "Kampf gegen Brüssel", wie die Süddeutsche Zeitung später titeln wird.

Auf seinem Weg gründet er 2006 - zusammen mit anderen Whistleblowern und Engagierten - das Whistleblower-Netzwerk. STRACK wird Vorsitzender des Vereins und wird dies bis 2015 bleiben.

Doch sein "Kampf" geht nach und nach verloren, und weil niemand in dem EU-Bürokratenmoloch versteht, dass man sich so engagiert für sauberes Verwaltungshandeln einsetzt, gilt STRACK jetzt als Querulant. Querulanten haben ein noch schlechteres Standing bei Gerichten und Institutionen als normale Menschen.

Im Jahr 2015 gehen Guido STRACK die Kräfte aus - mental und finanziell. Er tritt als Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerks zurück, nachdem er im Deutschen Bundestag bei einer Anhörung (Protokoll) noch versucht hatte, die Mehrheit der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD von der Notwendigkeit eines Whistleblower-Schutzes zu überzeugen. Finanziell sieht er sich gezwungen, mit den EU-Institutionen einen Vergleich einzugehen. Damit endet seine 'Karriere' bei der Europäischen Union, die sich gerne als "Wertegemeinschaft" verkauft.

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

Es gibt keine Institution, die sich so stark für einen Whistleblowerschutz eingesetzt hat wie das Whistleblower-Netzwerk. Allen voran Guido STRACK in seiner unermüdlichen Art. Er kennt die Probleme von Whistleblowern aus eigener Erfahrung. Durch die ständige politische Arbeit des Netzwerks hat zuerst ein Umdenken bei den Medien eingesetzt, über diese dann auch in der Bevölkerung. Konservative und sogenannte "Liberale" Politiker waren die Letzten, die sich von der Notwendigkeit überreden ließen, Whistleblowing als Frühwarnsystem für Missstände und Gefahren zu akzeptieren. Die aktuellen Veränderungen und neuen gesetzlichen Entwicklungen sind auf der Homepage des Whistleblower-Netzwerks nachzulesen.

Folgen für den Whistleblower:

Menschen, die sich unermüdlich für eine gesellschaftlich relevante Sache engagieren werden oft allein gelassen, nachdem sie von den Mühlen der Bürokratie und/oder den subtilen Ausschlussmechanismen von Unternehmen zermürbt worden sind. So auch im Fall Gudo STRACK.

Eigentlich hätte er mit seinem Prädikatsexamen als Jurist im EU-Apparat Karriere machen können. Doch wer kritisiert, wird auch in der EU-Kommission schnell ausgegrenzt und sanktioniert. Das haben vor Guido STRACK viele andere erfahren müssen, wie es um die "Wertegemeinschaft" der EU bestellt ist: Paul von BUITENEN, Bernhard CONOLLY, Marta ANDREASEN und andere.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter dem kurzen Link www.ansTageslicht.de/Strack. Die ganze Geschichte von Guido STRACK ist ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Guido-Strack.

(JL)

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