Heiner WEGNER

Disponent bei der Berliner S-Bahn

Der öffentliche Nahverkehr, insbesondere die S-Bahn, spielt in Berlin traditionell schon immer eine besondere Rolle: eine große Rolle. Wenig Städte sind so gut vernetzt wie die Hauptstadt Deutschlands. Und: Die Berliner lieben und schätzen ihre S-Bahn. Nachdem 1990 die S-Bahn(en) in Berlin wiedervereinigt wurden, stiegen auch die Fahrgastzahlen – sie haben sich bis heute fast verdoppelt: knapp 400 Millionen Fahrgäste im Jahr.

Die Leistungsfähigkeit eines solchen Verkehrssystems hängt von vielen Dingen ab: Von der Instandhaltung der Strecken wie der Wartung der Fahrzeuge. Und von der Motivation der Mitarbeiter. Aber auch die Mitarbeiter sind „Berliner“. 

Seit längerer Zeit ist die Berliner S-Bahn GmbH eine Tochterfirma der Deutschen Bahn AG und der Eigentümer, der Bund bzw. die Bundesregierung, will die Bahn (teil)privatisieren. Auch der Vorstandschef der Bahn AG seit 1999, Hartmut Mehdorn, will den Börsengang schnell. Schließlich sieht sein Anstellungsvertrag eine entsprechende Bonusklausel vor. Kein Wunder, dass Mehdorn alle Weichen intern auf zügige Durchfahrt stellt. Sein Fahrkartentarif-Refomprojekt „Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr“ im Jahr 2003, das die Einnahmen steigern soll, indes erweist sich als totaler Flop – es wird zurückgenommen. Die andere Strategie, die Bilanz mittels Einsparungen aufzuhübschen, funktioniert – zunächst – besser: Mehdorn lässt sparen, überall, auch bei der Berliner S-Bahn. Zum Beispiel beim Personal. Weniger Personal, gerade im technischen Bereich, bedeutet weniger Instandhaltung.

Was das langfristig bedeutet, weiß jeder S-Bahner. Auch Heiner Wegner, seit 1972 dabei. Er hatte als Schienenfahrzeugschlosser angefangen, ist inzwischen Disponent, d.h. zuständig für die Einteilung der Züge und ist im Betriebsrat aktiv. Um die bis 2010 angekündigten Stellenstreichungen um 880 S-Bahner zu verhindern, initiiert der Betriebsrat 2005 das Aktionsbündnis „Bürger, schützt Eure S-Bahn“, um die Kunden, aber auch die Politiker mit ins Boot zu holen. Da die S-Bahn aber (derzeit noch) funktionierte, zeigt niemand Interesse - niemand sieht die Notwendigkeit. 2006, als das S-Bahn-Management das erste Instandhaltungswerk Friedrichsfelde stilllegt, wird Wegner Vorsitzender des Betriebsrats. Jetzt kann er besser für die S-Bahn kämpfen.

Als 2007 die S-Bahn GmbH einen satten Gewinn an die Muttergesellschaft Deutsche Bahn AG überweist und Wegner gegen Stellenabbau ankämpft, mit Bürgern und Journalisten spricht, die von einer absehbaren Krise noch immer nichts wissen wollen, gerät er unter Druck: Kollegen beschimpfen ihn als „Nestbeschmutzer“, bei der Bahn und S-Bahn wird er zur „persona non grata“, der technische Geschäftsführer droht ihm mit Kündigung

2008 kommt Wegner endlich mit der Berliner Politik ins Gespräch, die für die Ausschreibung des Verkehrsvertrages zuständig ist. Doch es ist zu spät. Im Juli 2009 erlebt die Berliner S-Bahn ihr größtes Desaster: Nur noch ein Viertel aller S-Bahnzüge sind im Einsatz. Folge: Die so genannte Stadtbahn (innerer Ring) muss über Wochen stillgelegt werden, auf den anderen Strecken fahren die wenigen noch einsatzfähigen Züge einen Notfahrplan. Grund: Das Eisenbahn-Bundesamt hatte schwerwiegende Mängel an den Radscheiben festgestellt – eine Folge von Materialfehlern und Verzögerungen bei Wartung und Prüfung der Wagen. 75% aller Wagen müssen überholt werden.

Kaum hat sich die S-Bahn ein wenig erholt und hat 50% ihrer Züge rollen, der nächste Ausfall: Diesmal sind es die Bremsen. Erst im Oktober werden alle Strecken wieder befahren, allerdings mit ausgedünntem Fahrplan. Die seitens des Management angekündigte Rückkehr zur Normalität im Dezember muss auf Eis gelegt werden: Der Winter lässt die Weichen und viele Gleise einfrieren, ebenfalls eine Folge unzureichender Wartung. 

Inzwischen ist auch der Berliner Senat ob des Missmanagements der S-Bahn aufgebracht – er will den Verkehrsvertrag nicht mehr verlängern. Die hoffnungsschwangere Ankündigung der Manager, jetzt habe man alles im Griff, erweist sich erneut als Reinfall: Im Winter 2010/2011 muss der seit 2009 immer noch geltende Notfahrplan erneut ausgedünnt werden. Ungenügende Heizung der Weichen durch die „DB Netz AG“, Einfrieren der Rohre an Sandstreueinrichtungen, Signalstörungen und eingefrorene S-Bahn-Motoren legen die S-Bahn erneut lahm. Die Tatsache, dass die S-Bahn den technischen Geschäftsführer entlässt, ändert ersteinmal wenig.„Was 5 Jahre versaut wurde, können wir nicht in 12 Monaten wieder geradebiegen“, sagt Wegner im „Tagesspiegel“. 

Die Medien, die sich lange für die absehbaren Probleme nicht interessierten, wurden dann doch noch zum wichtigsten ‚Verbündeten’ von Heiner Wegner: „Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert. Das Beste, was uns und den Fahrgästen passieren konnte. Wir sind im Fokus, jeder Fehltritt wird diskutiert.“ 

Und: Wegner ist nach wie vor bei seiner S-Bahn dabei.


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(JL; Foto: Petrov Ahner)

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