Abteilungsleiter Dr. Harald FRIEDRICH - erst Informant, dann Whistleblower

Hintergrund

Das Trinkwasser in Nordrhein-Westfalen im Einzugsgebiet der Ruhr ist wegen der vielen gefährlichen und giftigen Substanzen, die es enthält, in deutschlandweiten Verruf geraten. Das liegt daran, dass das Flusswasser der Ruhr zum Abtransport der Abwässer aus mehr als 80 kommunalen Kläranlagen dient (und der Kläranlagenabfluss daher ca 45 % des gesamten Ruhrwassers darstellt) und andererseits dass dieses Kläranlagenabfluss-Gemisch direkt zur Gewinnung des Trinkwassers von ca. 4 Mio. Menschen dient. Für solch hochbelastetes Flusswasser als Grundlage der Trinkwassergewinnung wären eigentlich hochmoderne physikalisch-chemische Aufbereitungsverfahren erforderlich, doch diese Aufbereitungstechnik fehlt.

Dr. Harald FRIEDRICH, ein ausgewiesener Abfall- und Wasserexperte, der zu Zeiten der Rot-Grünen Regierung von 1996 bis 2006 Abteilungsleiter im Umweltministerium war, setzte in vielen Bereichen neue Standards durch. Bei der Durchsetzung von besseren Abwasser- und Trinkwassernormen allerdings stieß er regelmäßig auf erbitterten Widerstand – im Gegensatz zu allen anderen Regionen bundesweit sind in NRW nicht die Bürgermeister für die Abwasserentsorgung zuständig, sondern ein sondergesetzlicher Zweckverband, der "Ruhrverband" - ein staatlich lizenziertes Abwasserkartell. In den Aufsichtsgremien des Verbandes sind zwar auch alle Kommunen beteiligt, aber das System ist kompliziert aufgebaut und entzieht sich dem Einfluss einer einzelnen Kommune bzw. deren Bürgermeister. Dafür dominieren die Interessen der Industrie, die ebenfalls mit Drittelparität in den Verbandsgremien beteiligt ist. Und die Unternehmen wollen vor allem möglichst kostengünstig und ohne aufwändige Technik ihre Abwässer entsorgen. Ein vorprogrammierter Interessenskonflikt zwischen Gesundheitsinteressen der Bevölkerung und Industrieinteressen.

Was dabei auf politischer Ebene geschieht, hängt nun davon ab, ob man im Umweltministerium vorrangig Umweltinteressen oder Wirtschaftsförderung verfolgt. Zu Zeiten der rot-grünen Landesregierung bis 2005 unter Bärbel HÖHN war es die Umwelt. Mit dem Wahlsieg der CDU 2005 unter Ministerpräsident RÜTTGERS kam Eckard UHLENBERG an die Ministeriumsspitze: Jetzt war Wirtschaft wichtiger als Umwelt.

Die Geschichte

Harald FRIEDRICH - ein "bekennender Grüner", wie er sagt, und nach wie vor als Abteilungsleiter für die Wasserwirtschaft zuständig - macht sich daran, die Leistung der Kläranlagen des Ruhrverbandes intensiv zu untersuchen. Die Kläranlagen des Ruhrverbandes waren schon immer sehr leistungsschwach was die normalen Überwachungsparameter anging. Zudem konnten Flammschutzmittel, Medikamente, Psychopharmaka, Röntgenkontrastmittel und viele andere Industriechemikalien im jeweiligen Abfluss der Kläranlagen in die Ruhr nachgewiesen werden. 

Aber was noch viel schlimmer ist: Die Trinkwasserversorgungsanlagen der Gelsenwasser AG, die 230.000.000 m3 Wasser aus der Ruhr entnehmen, können diese Stoffe nicht aus dem Wasser entfernen, sie werden also direkt in das Trinkwasser „durchgereicht“.

Im Jahre 2006 wurde die toxisch-giftige Substanz „PFT“, u.a. ein Abfallsprodukt der Industrie, im Kläranlagenablauf von mehr als 20 Kläranlagen des Ruhrverbandes identifiziert und ebenfalls im Trinkwasser nachgewiesen. Als FRIEDRICH eine direkte Anfrage der Bürgermeisterin der Stadt Dinslaken dahingehend beantwortet, dass nur die neueste Membrantechnologie wirklich alle Schad- und Reststoffe beim Trinkwasser entfernen könne und Dinslaken sich daraufhin entscheidet, das Trinkwasser nicht von der großen Gelsenwasser AG zu beziehen, die bewusst keine moderne Technik einsetzt, beschwert sich das Wasserunternehmen beim neuen Umweltminister. Der hat für die Sorgen der Wirtschaft ein offenes Ohr.

Als FRIEDRICH 2006 aus seinem Urlaub zurückkommt, darf er nicht mehr an seinen Arbeitsplatz – der Pförtner lässt ihn nicht durch die Tür. Stattdessen erhält er von diesem seine Kündigung ausgehändigt. Und ein Hausverbot gleich mit dazu. Was FRIEDRICH zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Das Ministerium sammelt heimlich alles, womit es FRIEDRICH irgendwie belasten kann.

Dass FRIEDRICH geschasst wird, hat einen weiteren Grund: Für die Zeitung „Welt am Sonntag“ schreibt der in NRW bekannte Journalist David SCHRAVEN seit längerem sehr kritische und für den Umweltminister ausgesprochen unangenehme Artikel. Der Journalist ist außergewöhnlich gut informiert. UHLENBERG vermutet FRIEDRICH als Informanten. Denn die Berichte in der Zeitung entlarven alles: Dass UHLENBERG die Unwahrheit über die hohe Schadstoffbelastung im Trinkwasser sagt, dass diese teilweise so hoch ist, dass Teile der Bevölkerung mit Trinkwasserflaschen auf Kosten des Staats versorgt werden müssen. Die vielen Artikel von David SCHRAVEN werden deshalb 2008 mit einem "Wächterpreis der Tagespresse" ausgezeichnet: PFT und anderes im Trinkwasser. Oder: Wie ein Umweltminister ein Gesundheitsproblem verwässern will.

Vor dem Arbeitsgericht obsiegt FRIEDRICH. Was FRIEDRICH aber nicht weiß: UHLENBERG hat längst Strafanzeige gegen ihn gestellt und das Landeskriminalamt ermittelt auf Hochtouren. Im Mai 2008 ist es dann soweit: 270 (!) Polizeibeamte durchsuchen sein Haus sowie mehrere Ingenieurbüros, mit denen FRIEDRICH zusammenarbeitet.

FRIEDRICH wandert in Untersuchungshaft. Erst nach 4 Wochen, nachdem sich nach und nach alle Vorwürfe des „gewerbs- und bandenmäßgen Betrugs“ in Luft aufgelöst haben, kommt FRIEDRICH wieder frei. Weil der zuständige Oberstaatsanwalt der hohen Politik willfährig sein will, lässt er auch die Telefone abhören. Darunter den für Umweltfragen zuständigen Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Doch auch das entgeht dem Journalisten David SCHRAVEN nicht. Als er in der "Welt am Sonntag" bekannt gibt, dass der eifrige Oberstaatsanwalt und seine Gehilfen im LKA einen Parlamentarier abhören, schaltet sich der Generalstaatsanwalt ein. Der eifrige Oberstaatsanwalt muss klein beigeben und seine dürren Ermittlungen einstellen.

Ein eingesetzter Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag 2009/2010 rehabilitiert Friedrich ebenfalls. Dort packt Harald FRIEDRICH aus. Vor aller Öffentlichkeit. Die kurz darauf anstehende Landtagswahl 2012 verliert die CDU. Jetzt übernehmen wieder SPD und GRÜNE (bis 2017) das Ruder.

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

Die mit den Veröffentlichungen in der "Welt am Sonntag" ausgelösten öffentlichen Diskussionen, auf die dann auch die anderen Medien einsteigen mussten, haben den Druck auf die Politik verstärkt, so dass der Ruhrverband nach 2008 das ein oder andere in verbesserte Abwassertechnologien investieren musste. Seither hat sich aber nicht viel verändert. Gleiches gilt für die Gelsenwasser AG, die von den Stadtwerken Dortmund und Bochum gekauft wurde. Dortmund unterhält einen defizitären Regionalflughafen, Bochum hat sich mit Cross-Border-Leasing-Geschäften verzockt. Folge: Gelsenwasser muss jetzt vor allem Geld verdienen.

Folgen für den Whistleblower:

Dr. Harald FRIEDRICH war vor seiner Berufung durch die grüne Umweltministerin mit einem eigenen Ingenieurbüro selbstständig - er gilt als international erfahrener Wasserspezialist. Auch nach seinem Rauswurf durch den CDU-Umweltminister konnte FRIEDRICH sein Auskommen mit Aufträgen sichern - Experten werden immer gesucht.

Allerdings hinterlassen solche unerfreulichen Auseinandersetzungen auch Spuren. Zum Beispiel fianzielle. Um aus der U-Haft nach vier Wochen vorzeitig freizukommen, musste er rd. 50.000 Euro in sehr gute, aber teure Rechtsanwälte investieren, die für den Haftprüfungstermin akribisch alle Akten und Dokumente durcharbeiten mussten. Weitere rund 100.000 € gingen für die weitere Auseinandersetzung zwischen FRIEDRICH und der Staatsanwaltschaft drauf. Möglicherweise wäre er sonst nie rausgekommen, wie er selber sagt. Seine Ausgaben kann er vom Staat nicht wieder einklagen - ihm ist ja kein Schaden entstanden, meint die Justiz. Dafür ist seine Auftragslage sehr gut. Sein Rat wird von vielen Unternehmen gefragt. Grund: Weil sie wissen, dass Harald FRIEDRICH ihnen "unverblümt die Wahrheit sagt".

Der Journalist:

David SCHRAVEN gründet 2014 das erste deutsche gemeinnützige Recherchebüro: Correctiv - Recherchen für die Gesellschaft.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Friedrich. Seine gesamte Geschichte ist sehr ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Harald-Friedrich. Dort finden Sie auch die TKÜ-Protokolle des Abhörens, den (schludrigen, weil interessensgeleiteten Ermittlungsbericht des LKA Düsseldorf und des Oberstaatsanwalts sowie viele andere Dokumente.

(JL)

Online am: 31.01.2019
Aktualisiert am: 11.01.2021


Inhalt:

Abteilungsleiter Dr. Harald FRIEDRICH - erst Informant, dann Whistleblower


Tags:

Whistleblower

Whistleblower-Portrait in Kurzform

Übersicht der Kurzportraits von anderen Whistleblowern

Sie sind hier nach (ehemaligen) Berufsfeldern und/oder Branchen sortiert:

Zurück zur vollständigen Übersicht aller Kurzportraits

Und hier geht es zu den ausführlichen Whistleblower-Geschichten: Menschen, die etwas bewegen