Erwin BIXLER - ein Whistleblower, der das System der manipulierten Statistiken der Arbeitsämter zu Fall brachte
Die Geschichte in Kurzform
Wer sich einen aufrechten und redlichen Beamten vorstellen möchte, der seine Aufgabe ernst nimmt und akkurat ausführt, der könnte an Erwin BIXLER von der Innenrevision des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland denken. Jenen Mann, der über mehrere Jahre erst intern Alarm geschlagen hatte und zuletzt dem damaligen Bundesarbeitsminister Walter RIESTER (SPD) in Berlin bzw. dessen Mitarbeitern persönlich Rapport erstattet hatte: darüber, dass die Arbeitsämter ihre Erfolgsstatistiken (Vermittlung und Besetzung von Stellenangeboten) flächendeckend manipulieren.
Die Veränderungen danach waren gewaltig: Politisch gab es eine Kehrtwende, die gesamte Behördenstruktur der Arbeitsämter wurde umgebaut, die Arbeitsmarktförderung von Grund auf neu geregelt . Auch für Erwin BIXLER waren die Veränderungen erheblich: Er wurde – wie das in Deutschland so üblich ist, wenn man als Beamter auf Missstände hinweist – frühpensioniert.
Bereits seit den 90iger Jahren bezweifelt Erwin BIXLER die Effizienz des Systems der Arbeitsmarktförderung und die Effektivität der bundesdeutschen Arbeitsamtsstrukturen mit ihren rund 90.000 Angestellten. Nur 10% der Mitarbeiter sind für das zuständig, worauf es eigentlich ankäme: die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit.
Aber nicht nur darin sieht BIXLER die Probleme. Besonderes Kopfzerbrechen macht ihm als Revisor der Umstand, dass die offizielle Statistik der Arbeitsämter seit Jahren in erheblichem Maße falsch zu sein scheint. Bei 3,7 Millionen registrierten Erwerbslosen (Arbeitslosenquote 9 %) im Jahr 1998 macht sich die Zahl von „3,4 Millionen“ aktiv vermittelter Stellen durch die Arbeitsämter nach außen hin immer gut.
Doch Bixler bemerkt schon lange, dass diese Zahlen manipuliert sind: Die Mitarbeiter konnten davon ausgehen, dass die da ‚oben’ möglichst hohe Vermittlungszahlen stets mit unkritischem Wohlgefallen registrieren und auch öffentlich ‚vermarkten’ würden. Um diesen Erwartungsdruck zu genügen, lassen sie sich viele geeignete Dokumentationstechniken einfallen – zum Beispiel „fiktive SteA“ („fiktive Stellenangebote“) - siehe das Faksimile.
BIXLER thematisiert das Problem in einer Fachzeitschrift, veröffentlicht Leserbriefe in der Mitarbeiterzeitung, schreibt Revisionsberichte, erstellt Vermerke und leitet sie weiter. Doch niemand nimmt sich des Problems an – das Thema ist innerhalb der Arbeitsamtsbürokratie tabu, denn mit seinem rund 50 Milliarden Euro-Jahresetat führt sie längst ein Eigenleben fern von ihren Kernaufgaben..Das merkt BIXLER spätestens als er im September 1998 einen 26seitigen „Revisionsbericht“ vorlegt. Der landet auch beim Präsidenten der „Bundesanstalt für Arbeit“ in Nürnberg, Bernhard JAGODA (CDU). Der „Herr Präsident“ wiederum verkündet lieber im Fernsehen die Erfolge seiner Behörde („1,8 Millionen Stellenvermittlungen im ersten Halbjahr“). Auseinandersetzen will er sich damit nicht.
JAGODA delegiert das Ganze wieder nach unten zurück – mit der Aufforderung, „die Geschäftsvorgänge der Arbeitsvermittlung – im engeren Sinne – auf Plausibilität und Faktizität hin zu untersuchen.“
BIXLER ist frustriert, weist seinen Vorgesetzten nochmals darauf hin, „dass es sehr deutliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass einige Controllingdaten, die wir unseren Kunden, der Geschäftsleitung, monatlich präsentieren, bei weitem nicht über die realen Größenordnungen informieren“. Und ganz konkret meint Bixler: Die „Weitergabe deutlich daneben liegender Informationen“ läuft „auf die Beteiligung am Bau ‚Potemkinscher Dörfer’ hinaus.“
Bei so deutlicher Kritik schlägt die Arbeitsamtsbürokratie zurück: BIXLER's dienstliche Beurteilung, die bisher immer ausgezeichnet war, wird plötzlich von seinem Vorgesetzten herabgestuft.
Als BIXLER Ende 2001 bei einem Weiterbildungslehrgang erfährt, dass sich auch der Bundesrechnungshof (BRH) mit dem Thema beschäftigt, fasst er neuen Mut: Er schreibt an das Bundeskanzleramt. Dort regiert Gerhard SCHRÖDER (SPD).
Weil keinerlei Reaktion aus dem Kanzleramt kommt, wendet sich BIXLER an Bundesarbeitsminister RIESTER. Der reagiert sofort, bestellt BIXLER nach Berlin. RIESTER hat nämlich einen Vorhabenentwurf des BRH-Berichts auf seinem Schreibtisch liegen: 71% (!) der amtlichen Vermittlungszahlen sind manipuliert! Und BIXLER kann erklären, wie diese gefälschten Zahlen zustande kommen.
Anfang 2002 geht dann alles ganz schnell.
Den Medien gelingt es, BIXLER als Informanten zu outen, zitieren aus seinem Brief an RIESTER. Journalisten und Fernsehteams belagern sein Haus - alle wollen Interviews. BIXLER getraut sich nicht mehr hinaus. Um dem ein Ende zu setzen, auch weil der Kühlschrank leer gegessen ist, öffnet Erwin BIXLER dann doch irgendwanndie Tür, steht Rede und Antwort – ein einziges Mal.
„Präsident“ JAGODA, der nach Berlin vor den Bundestag zitiert wird, streitet erst alles ab, wird dann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Politik setzt einen Gutachter ein, nach dem die Reformen benannt werden: Peter HARTZ.
Für BIXLER beginnt an seinem Arbeitsplatz ein Spießrutenlaufen: „Denunziantentum“ lautet der Vorwurf. BIXLER wird nach allen Regeln der Kunst gemobbt.
Dem verdeckten Mobbing ist BIXLER nicht gewachsen und wird krank. 2004 wird der engagierte Revisor, der zum Whistleblower geworden war, mit 50 Jahren frühpensioniert.
Die Bilanz
Folgen für die Gesellschaft:
Durch das Aufdecken der jahrelangen Manipulationen bei den statistischen Erfolgsziffern der Arbeitsvermittlung kann sich die Politik heute auf saubere Zahlen stützen. Die behördlichen Betrügereien haben dafür gesorgt, dass die Arbeitsmarktpolitik neu aufgesetzt wurde. Unter anderem durch die sog. Hartz-Reformen. Ob und inwieweit auch das Instrument "Hartz IV" eine effektive und sinnvolle Reformmaßnahme war, sei hier dahingestellt. Jedenfalls hat sich das Selbstverständnis der früheren "Arbeitsämter" als Behörde jetzt hin zu "Jobcentern", die sich als Dienstleister verstehen (sollen), verändert.
Die Folgen für den Whistleblower:
Erwin BIXLER wurde unmittelbar danach nach allen Regeln der Kunst in seiner Behörde (Landesarbeitsamt) gemobbt und als 'schwarzes Schaf' ausgegrenzt - angeführt durch den Leiter der Behörde. Die Behördenkultur lässt erheblich zu wünschen übrig. BIXLER's Nervenkostüm jedenfalls hielt dem nicht stand und so sah er sich gezwungen, sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Deswegen bezieht er heute deutlich geringere Bezüge als wenn er seinen Mund gehalten hätte.
Hinweis:
Diesen Text können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Bixler. Erwin BIXLER's ganze Geschichte ist ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Erwin-Bixler
(JL)
Online am: 01.01.2019
Aktualisiert am: 31.08.2019
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Whistleblower
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