Werner MARNETTE

Ehemaliger Wirtschaftsminister (CDU) in Schleswig-Holstein

Was grenzenlose Gier alles bewirken kann, ist spätestens seit der Finanzkrise 2008 bekannt.

Die gemeinsame Landesbank der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein, die HSH Nordbank mit Sitz in Hamburg, drehte bereits Jahre zuvor ein immer größeres Rad. Weil die Europäische Kommission Ende 2005 die so genannte Gewährsträgerhaftung der Landesbanken durch den Staat verboten hatte, besorgte sich auch die staatliche HSH noch schnell billiges Geld, das jetzt irgendwo und irgendwie angelegt werden musste. „Toxische“ Geschäfte, so genannte Kreditersatzpapiere und Ähnliches, boten ausreichend Gelegenheit, auf den Weltfinanz-märkten frei und unkontrolliert zu zocken. Dazu gründete die HSH Filialen in Steuersparoasen wie auf den Cayman-Inseln oder den Bermudas, konzentrierte ihr „toxisches“ Geschäft in Luxenburg, wo die Steuern niedriger und die Eigenkapitalvorschriften weicher sind.

Um alles ein wenig zu beschleunigen, nahmen die Bank und die Politiker der beiden Länder auch noch einen ausgewiesenen Spekulanten, den US-Investor Christoph Flowers als Aktionär mit auf – als Nachbrenner sozusagen. Geschäfte, die hierzulande nicht legal sind, wurden ins Ausland verlagert. „Omega 52“ oder „Omega 55“ usw. lauten die Codes für solche Kreislauftransaktionen, die zwei weiteren Umständen geschuldet sind: Bilanzverschleierung und Umgehung der Bankenaufsichtskontrolle durch das BAFin (Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen).

Bereits Ende 2007, ein dreiviertel Jahr bevor die Lehman-Bank in New York zusammenbrechen wird, meldet die Luxenburg-Tochter der HSH bereits einen Abschreibungsbedarf von weit über 1 Mrd. Euro. Dr. Werner Marnette, CDU-Mitglied und zu dieser Zeit noch Vorstandschef von Europas größtem Kupferproduzenten, sitzt im Beirat der HSH; er rät davon ab, die von der Bank ge-wünschte Eigenkapitalerhöhung um 2 Mrd. Euro mitzumachen – die Risiken seien nicht abschätzbar, solange die HSH keine konkreten Zahlen auf den Tisch lege. Marnette schätzt, dass die Kreditersatzpapiere, die in der Bilanz mit 30 Mrd. Euro stehen, allenfalls die Hälfte wert seien. Anders Hamburgs Finanzsenator Michael Freytag (CDU): „Um eine solche Bank werden wir beneidet.“

Kaum ist die Kapitalerhöhung durchgezogen, meldet die Bank erneut Abschreibungsbedarf: eine halbe Milliarde fürs erste Halbjahr 2008. Und kurz darauf, wenige Tage vor dem totalen Zusammenbruch der Investmentbank Lehman, kündigt die HSH auch noch eine Dividende in Höhe von 400 Millionen Euro fürs laufende Geschäftsjahr an. Dass Lehman schon zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger pleite war und über 700 Milliarden Dollar verzockt hat, entgeht den HSH Nordbankern, obwohl sie unmittelbar Ge-schäfte mit Lehman mach(t)en.

Inzwischen ist HSH-Kritiker Dr. Werner Marnette Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein (SH). In dieser Funktion wechselt er in den Aufsichtsrat der Bank, der auch Kontrollaufgaben hat. Die fachliche Zuständigkeit für die HSH jedoch liegt bei seinem Kollegen, dem Finanzminister von SH. Marnette spricht seinen neuen politischen ‚Chef’, Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) an, macht ihm klar, dass die Situation bei HSH weitaus dramatischer ist als diese zugibt.

Der will sich drum kümmern. Geschehen wird aber nichts. Die Bank gibt zu diesem Zeitpunkt aber immerhin eine Verlustsituation zu: 360 Mio in den ersten drei Quartalen. Als sich die Bank im November unter den Rettungsschirm des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) begeben muss, um für 30 Mrd. Euro Liquiditätsgarantien zu erhalten, schreibt Marnette an Carstensen und den Finanzminiserkollegen: "Ich bin nach wie vor bestürzt über unsere gestrige Sitzung und die fortwährende Nicht-Informationspolitik des HSH-Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat und der Landesregierung.“

Ministerpräsident Carstensen lehnt auch den Vorschlag ab, eine interministerielle Arbeitsgruppe mit externen Fachleuten einzuberufen, um die HSH zu retten. Denn der geht es jetzt richtig schlecht, will aber dennoch mindestens 70 Mio Dividende ausschütten.

Am 13. Februar 2009 bittet der HSH-Chef alle Regierungsmitglieder aus Kiel und Hamburg in den Sitzungssaal der HSH. Der Bankchef hält einen kleinen Powerpointvortrag mit netten Bildchen und ein paar nichtssagenden Zahlen. Die relevante Zahl nennt er erst zum Schluß und die auch nur so nebenbei: Die HSH hat einen Verlust von 2,8 Mrd. Euro gemacht. Und: Sie braucht sofort 3 Mrd. Cash und 10 Mrd. Bürgschaft. Ansonsten wird sie von der Bankenaufsicht BAFin dicht gemacht.

Marnette, der jetzt darauf besteht, konkrete Zahlen zu Gesicht zu bekommen, bekommt die Zahlen: in einem kleinen Raum des Finanzministeriums darf er sich der amtierende Wirtschaftsminister an einem Vormittag mehrere Hunderte Seiten anschauen. Kopieren darf er nicht. Und einen Finanzexperten mitbringen darf er auch nicht.

Werner Marnette, der das verkörpert, was man einen Hanseatischen Kaufmann nennt, zieht die Konsequenzen: Er reicht seinen Rücktritt als Wirtschaftsminister ein. Und er gibt dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ ein ausführliches Interview, in dem er Roß & Reiter nennt und die Probleme beschreibt: "Das ist ein Wahnsystem" (SPIEGEL 15/2009).


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(Text: JL, Foto: Petrov AHNER)

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