Making-of "ADAC"

aufgeschrieben von Bastian OBERMAYER und Uwe Ritzer, Süddeutsche Zeitung

So fing es an

An einem trüben Dezembertag 2013 wandte sich jemand – anonym – an uns, ans Investigativ-Team der Süddeutschen Zeitung und fragte, ob uns vertrauliche Informationen über den ADAC interessieren würden. Und: Ob wir Informantenschutz gewähren würden. Die Antwort: zweimal „ja“. Daraufhin vermittelte diese Person, der Kontaktmann, den Kontakt zu jener Person, die zu der ersten eigentlichen Quelle der Geschichte über möglichen Manipulationen beim ADAC-Autopreis „Gelber Engel“ erzählten würde. 

Aber vor dem Gespräch stand die Frage: wo treffen? Die Quelle hatte große Angst vor einer Enttarnung. Wir verabredeten uns schließlich zu einem längeren Spaziergang in einer größeren bayerischen Stadt. Wenn man unterwegs über vertrauliche Dinge spricht, gibt es keinen Nachbartisch, an dem jemand mithören kann.  

Der Aufwand schien uns (aus damaliger Sicht) etwas übertrieben – im Vorgespräch hatte es ja lediglich geheißen, es gehe um den ADAC. Klang nicht gerade gefährlich. Nur zum Vergleich: Wir hatten im Investigativ-Team gerade eine Serie über den „Geheimen Krieg“ der USA in Deutschland abgeschlossen, dafür hatten wir Angehörige von somalischen Drohnenopfern in Istanbul getroffen – die nicht wussten, ob sie bei ihrer Rückkehr auf der Stelle von somalischen Milizen enthauptet würden (glücklicherweise wurden sie nicht). 

Aber die Vorsicht kam nicht aus dem Nichts. Ohne Zweifel ist der ADAC eine sehr mächtige Organisation mit schier unerschöpflichen finanziellen Mitteln. Mitarbeiter, die Insiderwissen über Fehlverhalten von Führungskräften nach außen geben, würde der ADAC ohne großes Federlesen strafen und entfernen – das kannte man aus Regionalverbänden und es schien allen Quellen damals klar. Der Automobilclub bestätigte die Ahnung später eindrucksvoll, als in den ersten Tagen der Affäre ein Team der Internen Revision des ADAC Mitarbeiterbefragungen durchführte. Verdachtsmomente wurden gestreut, Verdächtige benannt, selbst ehemalige Mitarbeiter kontaktiert. Insofern war die Vorsicht in der Rückschau wohl ein guter Ratgeber. Es geisterten sogar Gerüchte über Detektive, die Verdächtige ausspionieren sollten, durch die ADAC Zentrale in München. Diese Gerüchte wurden nie bestätigt, aber es gab etliche, die selbst das der ADAC-Spitze ohne weiteres zutrauten.

Im Laufe des ersten Spaziergangs wurde schnell klar, dass das, was die Quelle erzählte, ein Thema war. Es ging darum, wie Michael Ramstetter, der Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim ADAC, mit seinen Untergebenen umging: weit mehr als hundert Mitarbeitern. Die Rede war einerseits von Mobbing – von untragbaren Zuständen, grundloser Schreierei, Demütigungen vor versammelter Runde und so weiter, sein interner Spitzname sei „Rambo“  – und andererseits von Journalismus auf Bestellung. Konkret soll er Themen und Serien ins Heft, seine ADAC-Motorwelt, genommen haben, weil zuvor für die „ADAC Stiftung Gelber Engel“, deren Geschäftsführer er war, gespendet worden sei. Für seine mehr oder wenigen prominenten Freunde, gut bayerisch „Spezln“, habe er immer einen Weg gefunden, ihnen einen Gefallen zu tun: ein nettes Interview, eine Hotelempfehlung oder anderes. Die Motorwelt hat eine Auflage von fast 14 Millionen, es lohnt sich also. Alles Vorwürfe, die Michael Ramstetter später bestreiten sollte.

Auch die Relevanz war gegeben: Die Motorwelt war Europas Auflagenstärkstes Magazin, und wenn der Chefredakteur dieses Magazins weder die Grenzen seiner Mitarbeiter noch journalistische Grenzen achtet, dann ist das eine Recherche wert. Aber erst auf der dritten Runde des Spaziergangs erzählte die Quelle, dass es da noch etwas gäbe. Etwas, das man aber nicht beweisen könne: Schon seit Jahren wundere man sich darüber, dass Ramstetter bei dem ADAC-Autopreis „Gelber Engel“, für den er verantwortlich war, so großen Wert auf Geheimhaltung legte. Niemand außer ihm kannte offenbar die genauen Endergebnisse der Leserwahl zum „Lieblingsauto der Deutschen“. Und man erzähle sich, dass das daran liege, dass er an die finalen Zahlen noch einmal Hand anlege. Hier und da die Reihenfolge verändere, das eine Auto nach vorn, das andere nach hinten verschiebe. All das aber war mit dem Vorbehalt des Angeblichen versehen, und die Quelle hatte dazu keinerlei belastbare Zahlen in der Hand.

Aber sollte all das stimmen – dann wäre das für den Verein ein echtes Problem. Tatsächlich gab es keine Institution, die von den Deutschen als so glaubwürdig eingestuft wurde wie ADAC. Wenn bei Markentests gefragt wurde, wem man vertrauen kann, landete der ADAC wieder und wieder an der Spitze, und zwar vor Institutionen wie dem Roten Kreuz, Greenpeace oder der Caritas. Gleichzeitig ist das Vertrauen der Deutschen das größte und wichtigste Kapital, das der ADAC besitzt: Weil die Deutschen dem ADAC vertrauen, werden sie Mitglied. Weil sie ihm vertrauen, vertrauen sie seinen Tests, seiner Pannenstatistik, seinen Empfehlungen. Weil die Deutschen dem ADAC vertrauen, funktionieren aber auch all die anderen Geschäfte der inzwischen fast 50 kommerziellen ADAC-Töchter: Sie bieten Versicherungen an und Kreuzfahrten, Bücher und Outdoorjacken, Autokredite, Mietwagen und, und, und. Sollte dieses Kapital auf dem Spiel stehen?

Zudem war der Autopreis „Gelber Engel“ in der Branche enorm wichtig, das ergab schon eine erste Archivrecherche. Eine Zeitung nannte ihn gar den deutschen „Auto-Oscar“. Obendrein stellte sich heraus, dass die Verleihung unmittelbar bevorstand: Am 16. Januar 2014 sollten die Preise feierlich vergeben werden, im feierlichen Ambiente der Münchner Hofkirche, in der ehemaligen königlichen Residenz

Wir hatten eine Deadline. Aber wir hatten noch keine belastbaren Beweise. Es ging langsam voran. Über verschiedene Wege kamen wir mit neuen Informanten ins Gespräch, jeder verwies uns an weitere und so wurde der Kreis immer größer. Die meisten Gesprächspartner kannten die Gerüchte um Ramstetter und die dubiosen Zahlen, keiner wusste Genaues. Aber es ergaben sich hier und da Wege, an interne Dokumente zu kommen. So gelangten wir Schritt für Schritt an einzelne Tabellen und Auflistungen der Abstimmungen für den  „Gelber Engel“ 2013und 2014. Außerdem organisierten wir uns die offiziellen Ergebnisse dieser beiden Wahlen. Die Zahlen für 2014 waren zwar noch nicht veröffentlicht, aber wir kamen an interne Emails – und aus diesen ging hervor, welche Zahlen zur Publikation vorgesehen waren. Die offiziellen und die tatsächlichen Zahlen lagen sehr weit auseinander, im Grunde unerklärbar weit. Aber noch fehlten entscheidende Puzzlestücke.

Der genaue Modus der Wahl war folgender: Als ADAC-Mitglieder konnte man entweder über die Homepage des ADAC abstimmen, dort musste man sich mit seiner Mitgliedsnummer einloggen, oder über einen Wahlcoupon, den man aus der ADAC-Mitgliederzeitschrift Motorwelt ausschneiden und per Post an den ADAC schicken musste. Diese Wahlzettel wurden in der ADAC-Außenstelle Landsberg am Lech ausgewertet, im Technikzentrum. Die online abgegebenen Stimmen wurden in der Münchner Zentrale ausgelesen, von einer Internet-Abteilung, die dem Medienchef nicht unterstellt war. Nach Ende der Wahl wurden also zwei Tabellen pro Jahr an Michael Ramstetter geschickt: Einmal die Online-Auflistung, und einmal die Coupon-Auswertung. Ramstetter war der, bei dem die Fäden zusammenliefen, nur er kannte beide Zahlen, und darauf legte er, nach allem was man hörte, auch großen Wert. Genau das machte ihn jetzt so verdächtig.

Dann kam der Durchbruch: Wir hatten über unsere Kanäle alle vier Tabellen beisammen, also die tatsächlichen Endergebnisse der Leserabstimmungen „Online“ und „Coupon“ zum „Gelben Engel“ 2013 und die für den (noch nicht offiziell vergebenen) „Gelben Engel“ 2014. Und nicht nur das, wir konnten die Zahlen sogar aus jeweils zweiter Quelle gegenchecken. 

Wir stellten fest, dass die absoluten Stimmzahlen massiv in die Höhe getrieben worden waren. Wenn das öffentlich würde, das stand fest, würde der Preis enorm an Glaubwürdigkeit einbüßen. Offiziell hatten an der 2013er Wahl 290.000 Menschen teilgenommen – tatsächlich war die ADAC-interne Auswertung aber auf rund 76.000 Stimmen gekommen, das waren 214.000 Stimmen weniger. Allerdings: In diesen beiden Jahren hatte Michael Ramstetter die Reihenfolgen der drei Erstplatzierten (und nur deren Stimmen sahen wir uns genau an) nicht verändert. Die Gerüchte, die uns inzwischen von vielen Seiten erreichten und die besagten, er würde persönlich für Abwechslung sorgen, wurden also nicht bestätigt. Vorerst.

Wir hatten Schwierigkeiten bei der Vorstellung, dass sich tatsächlich jemanden an seinen Tisch setzt und Zahlen erfindet – nur weil die echten Zahlen nicht groß genug sind für den mächtigen ADAC. Aber alles deutete darauf hin.

Dabei waren die Zahlen an sich nicht das Problem. Das Problem war das Missverhältnis, das durch die Zahlen und die offizielle Verkaufe entstand, das Marketing des Preises. Am besten lässt sich das beim Sieger der Wahl 2014 erklären, dem mutmaßlich letzten Gewinner dieser Abstimmung: In den offiziellen Stellungnahmen hatte der Automobilclub über die Jahre wieder und wieder betont, dass das „Lieblingsauto der Deutschen“ unter den vielen Millionen Mitgliedern ermittelt wurde, zuletzt waren das fast 19 Millionen. „Deutschland kürt sein Lieblingsauto“ lautete der Slogan. Und dann bekommt das siegreiche Fabrikat gerade mal 3409 Stimmen. Was für ein Witz. Was für eine Blamage. Und was für ein Unsinn.
Überhaupt: Lieblingsauto der Deutschen? Ging es nicht eine Nummer kleiner? Nicht beim ADAC. 

Das verzerrte Selbstbild des ADAC nährt sich auch aus Zahlen: 2012 hatte der ADAC mehr als eine Milliarde Euro Mitgliedereinnahmen, 61 Millionen blieben nach allen Abzügen als „Zuführung zum Vereinsvermögen“ übrig. Allein in den vergangenen fünf Jahren konnte der ADAC ziemlich genau 300 Millionen Euro beiseitelegen. Und das waren erst die Mitgliedereinnahmen: Auch die kommerziellen Töchter des ADAC machen Jahr für Jahr Umsatz in Milliardenhöhe, 2012 waren es 1,03 Milliarden Euro, der Gewinn lag bei etwa 85 Millionen Euro. Denkt man noch an die fast 19 Millionen Mitglieder und die fast 14 Millionen gedruckten Hefte der ADAC-Motorwelt, dann weiß man, was Michael Ramstetter geritten hat, als er schon vor der allerersten Verleihung des „Gelben Engels“ im Herbst 2004 den bereits zitierten Satz sagte, der „Gelbe Engel“ sei „sicher von Anfang an der wichtigste und größte Autopreis, den es in Deutschland gibt“. 

Sein Geschäftsführer Karl Obermair verwendete diese Formulierung auch noch nach der letzten Verleihung im Januar 2014, man sei „mächtig stolz darauf“ sagte er zu einem Zeitpunkt, zu dem er längst ahnen musste, dass der Preis ein massives Glaubwürdigkeitsproblem hatte (immerhin wusste er seit einer Woche von den Vorwürfen). Letztlich hat dieser Größenwahn wohl dazu geführt, dass Michael Ramstetter die Zahlen nach oben trieb: Weil etwas so kleines da nicht hineinpasste. Es mussten Zahlen her, die ordentlich was hermachen. (Offensichtlich war es keine Option, die Stimmzahlen einfach verschämt zu verschweigen. Mit einer nicht-veröffentlichten Zahl ließ sich ja auch wenig Wind machen.)
Das wurde der Tenor unserer Geschichte: Der ADAC war offensichtlich größenwahnsinnig geworden. 

Eine Woche vor der geplanten Verleihung der Preise konfrontierten wir die drei führenden Personen, Unsere Emails mit den konkreten Vorwürfen und Verdachtsmomenten rund um die Person Ramstetter und den „Gelben Engel“ gingen an drei ADAC-Führungskräfte:

  • An Michael Ramstetter, den ADAC-Medienchef, wegen des Verdachts, die „Gelbe Engel“-Wahl zu fälschen und seine Redaktion mit unangebrachten Mitteln zu führen. 
  • An Karl Obermair, den Hauptgeschäftsführer des ADAC, den direkten Vorgesetzten Ramstetters.
  • Und: An Peter Meyer, seit 2001 Präsident des ADAC, und somit oberster Verantwortlicher.

Diese drei Personen sollten die nächsten Wochen auf Seiten des ADAC maßgeblich prägen. Und schon zwei Monate später, im März, sollte keiner von ihnen mehr im Amt sein. 

Am Tag nach der Konfrontation bekamen wir per Mail Antwort von Geschäftsführer Karl Obermair. Ruhig und sachlich im Tonfall erklärte er, er spreche auch für Präsident Peter Meyer, der im Urlaub weile, und teilte mit, dass unsere Vorwürfe falsch seien. Die Zahlen des ADAC seien richtig. Auch Michael Ramstetter meldete sich, erst kurz telefonisch (er klang sehr entspannt und gelassen, und war kein bisschen aggressiv), dann ausführlich per Mail. Er, der eine längere Fragenliste als die anderen beiden bekommen hatte, beantwortete jede Frage – stritt im Kern aber alles ab. 

Wir schickten noch eine Reihe von Nachfragen und gingen ins Wochenende. 

Am Montag kam der ADAC nochmals schriftlich mit einer Antwort, und einer interessanten Version: Es gäbe weitere Auszählteams in weiteren Städten – deswegen würden uns so viele Stimmen fehlen. Außerdem war die Rede von ungültigen und nicht mitgezählten Stimmen, alles sei kompliziert, es hätte online Manipulationsversuche gegeben, sie könnten uns nur warnen da einer falschen Info auszusitzen. Schon damals hatten wir den Eindruck, dass diese Erklärungen allesamt Nebelkerzen waren. Wir checkten alles noch einmal, auch mit unserer Chefredaktion und unseren Anwälten, und gaben den Text zur Veröffentlichung frei. 

Mit großer Ankündigung auf Seite Eins der SZ, mit großem Bild, und auf der Seite Drei. Recht viel Lärm kann man nicht mehr machen in der SZ. Aber das Echo war lächerlich. Vom ADAC kam: nichts. Aber auch andere Medien griffen die Geschichte nur sehr zaghaft auf. Irgendwann fragte die DPA beim ADAC nach und erhielt die Antwort: Man werde zur gegeben Zeit reagieren und behalte sich rechtliche Schritte vor. 

Die Reaktion

Am Donnerstagmittag fand dann in der Münchner Hofkirche die Verleihung des „Gelben Engels“ statt. Wie immer war die gesamte Auto-Prominenz anwesend, außerdem Minister, Lobbyisten, Journalisten und so weiter. Wer hier fehlte, war entweder ein Niemand in der Branche, oder aber einer der ganz Großen (und auch die waren meistens da). Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude begrüßte die Gäste und witzelte, auf unseren Artikel anspielend, dass die SZ wahrscheinlich neidisch auf das schönere Hochhaus des ADAC sei. Dann folgte der inzwischen oft beschriebene Auftritt von Geschäftsführer Karl Obermair. Er griff uns frontal an. Wir hätten „Halbwahrheiten und Unterstellungen“ verbreitet, die Vorwürfe seien „kompletter Unsinn“. Das Ganze garnierte er mit der Feststellung, es sei doch nichts so alt wie die Zeitung von gestern „und was macht man mit der? Richtig: Man packt den Fisch ein“. Immerhin lobte er die Süddeutsche noch dafür, dass sie die vier Buchstaben ADAC in ihrem Artikel immer in der richtigen Reihenfolge geschrieben habe. Im Ganzen aber, so fasst Präsident Peter Meyer die ADAC-Position nach der Preisverleihung knapp zusammen, sei der Angriff auf den ADAC “ ein „Skandal für den Journalismus“.

Obermairs Rede war wohl einer der größeren PR-Gaus, der in der jüngeren Zeit einem deutschen Manager unterlaufen ist. Noch immer ist es ein Rätsel, wie er dazu kam, dermaßen auf die Süddeutsche Zeitung loszugehen. Wollte er damit die Automanager beruhigen? Oder uns den Schneid abkaufen, wie man in Bayern sagt? In jedem Fall war sein Auftritt der Höhepunkt einer katastrophalen Krisenkommunikation des ADAC. 

Für uns (wir sahen Obermairs Rede vor dem PC, im Livestream auf der ADAC-Homepage) gab es nur eine Erklärung: Das ADAC schaltet auf Angriff. Die Führungsspitze war nach einer kurzen Auszeit offenbar wieder zur Besinnung gekommen, und hat in den üblichen brachialen ADAC-Modus zurückgefunden. Ich rechnete damit, dass am nächsten Tag das erste Schreiben der ADAC-Anwälte auf dem Tisch liegen würde. Bis dahin berichteten wir in der Zeitung von Obermairs Reaktion und harrten der Dinge. 

Aber auch am Tag nach der Preisverleihung geschah, nach außen, nichts. Bis sich am späten Abend eine unserer Quellen meldete: Michael Ramstetter sei freigestellt. Aber wir hatten das nur aus zweiter Hand, und auch nur ziemlich vage. Die Bild am Sonntag kam weiter, sie verkündete am Sonntag den 19. Januar auf ihrer Titelseite, dass der ADAC sich am Freitag von seinem Medienchef Michael Ramstetter getrennt habe. Ramstetter habe die Manipulationen eingestanden – allerdings habe er nur die Stimmenzahl verfälscht, nicht aber die Reihenfolge. Darauf legte Geschäftsführer Obermair in den folgenden Tagen großen Wert. Der Unterschied war klar: Das eine, „geschönte“ Stimmzahlen, könnte man vielleicht noch als optisches Problem verkaufen. Unangenehm und unendlich peinlich, das schon, aber es wäre möglicherweise nicht das Ende des „Gelben Engels“. Aber wenn Ramstetter auch die Rangfolgen verändert hätte, wenn er also entschieden hätte, welche Marke welchen Preis gewinnt – dann konnte der ADAC seinen Autopreis gleich in die Tonne treten. Der Imageschaden wäre brutal.

Das einzige, was Michael Ramstetter an jenem Tag und bis heute öffentlich von sich gab, war der Satz „Ja, ich habe Scheiße gebaut.“, am Telefon mit Uwe Ritzer. Auch in den Wochen danach meldete er sich nicht zu Wort.

Aber auch so nahm die Affäre ADAC urplötzlich rasende Fahrt auf. Der bislang nahezu unangreifbare ADAC zeigte Schwäche, und nicht nur das: er zeigte auch eine ausgesprochen hässliche Fratze. Mit all seiner Arroganz und Selbstherrlichkeit hatte der Verein auf die Süddeutsche Zeitung eingeschlagen, und jetzt bekam er es hundertfach zurück. Das Dementi Obermairs ließ sich wunderbar mit dem folgenden Eingeständnis der Schuld gegenschneiden – und das taten denn auch zahlreiche Medien. Die Manipulationen beim ADAC waren an diesem Sonntag die Hauptmeldung der Tagesschau.

Viele Medien begannen, selbst zu recherchieren. Und weil der ADAC strukturell so angelegt ist, dass an etlichen Stellen sehr viel Macht und Geld auf sehr wenig Kontrolle trifft, wurden die Reporter auch an vielen Stellen fündig. Von da an war in deutschen Medien wochenlang jeder Tag ADAC-Tag. Selbst bei Günther Jauch gab es eine ADAC-Sendung.

Es ging um Vordergründiges wie die Flüge der Führungsetage in Rettungshubschraubern, einen Urlaubsflug eines Funktionärskindes im ADA-Rettungsjet, um protzige Villen für ADAC-Funktionäre oder um einen Hubschrauber, der mit seinen Rotoren den Rasen in Braunschweiger Fußballstadion trocknete. Aber auch das Herz des Vereins, die Pannenhilfe, geriet in die Kritik: Pannenhelfer berichteten uns unter anderem, wie sie unter Druck gesetzt wurden, möglichst viele Batterien zu verkaufen und Mitglieder zu werben. Schnell gerieten aber auch ADAC-Tests unter Beschuss, Winterreifentests, Badeseetests, Raststättentests, Fährentests und so weiter. Offensichtlich waren die Urteile des ADAC nie so unstrittig, wie es über Jahre den Anschein hatte, und offenbar waren die ADAC-Testdesigner nicht immer unparteiisch. 

Immer wieder ging es auch um den ADAC als Gebilde. Um die Frage, wie kompromisslos auf Gewinnmaximierung bauend die kommerziellen Töchter eines Vereins arbeiten sollten, die unter der vertrauenserweckenden Fahne des Vereins fahren.  Um die Frage, ob man in ein und derselben Branche gleichzeitig als neutraler Tester und Mitbewerber auftreten kann. Oder darum, wie verkrustet und zeitgemäß die Führungsstrukturen noch seien. 

Die Debatte hatte sich ausgeweitet. Der glühende Funke war vom Autopreis auf das ganze ADAC-Gebäude übergesprungen. Und es schien, als gäbe es kaum einen Raum in diesem Gebäude, in dem nicht entweder massenhaft trockenes Brennholz gelagert war oder sogar schon irgendwo ein Feuer schwelte. 

Was anfangs als eine schnelle ADAC-Geschichte angelegt war, wurde für die SZ die investigative Geschichte des Jahres. Und wir blieben monatelang dran, solange wir das Gefühl hatten, noch etwas zu finden, das wirklich Neues am System ADAC zeigte. Nach einer längeren Pause war das wieder im Januar 2015 der Fall: Ein hochrangiger Manager soll sich mit getürkten Spesenrechnungen und anderen Dingen bereichert habe. Wenig später schmiss der neue Geschäftsführer Thomas Kagermeier wieder hin, erst ein halbes Jahr zuvor als Heilsbringer geholt, aber schon ermattet vom Kampf gegen die verkrusteten Strukturen. Der ADAC wird uns noch länger beschäftigen.

Die Bestätigung mit Brief und Siegel

Viel später rekonstruierten externe Prüfer im Auftrag des ADAC was passiert war. Ihr Ergebnis war dieses: Am Vormittag des 28. November 2013 hatte sich Michael Ramstetter an seinen Laptop gesetzt und gemacht, was er seit einigen Jahren immer um diese Zeit machte: Er erfand Zahlen für den ADAC-Autopreis „Gelber Engel“, für den er verantwortlich war, den er den „wichtigsten und größten Autopreis Deutschlands“ genannt hatte. Genau genommen ging es um die wichtigste Kategorie des Preises: die Leserwahl zum „Lieblingsauto der Deutschen“. 

Nun lagen vor Michael Ramstetter die ausgezählten Stimmen dieser Leserwahl, er hatte sein Sekretariat gebeten, die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle zu übertragen und auszudrucken. Die Zahlen waren, wie jedes Jahr, beschämend. Insgesamt waren nicht einmal 50.000 Leser dem Aufruf gefolgt, und für das erstplatzierte Modell, den VW Golf, hatten nur 3409 von ihnen gestimmt. Die Welt da draußen würde den „Gelben Engel“ auslachen, wenn er das öffentlich machen würde. Keiner der großen Autochefs, kein Piëch, kein Zetzsche, kein Reithofer, würde einen Preis entgegennehmen, für den so wenig Menschen gestimmt hatten. Diese Zahlen konnten unmöglich publiziert werden. 

Also öffnete Ramstetter sein Word-Programm und begann die Zahlen zu manipulieren – so geht es aus dem Untersuchungsbericht der externen Prüfer hervor, die Monate später im Auftrag des ADAC die Wahl überprüften. In den Vorjahren hatte Ramstetter den Siegern meist um die 30.000 Stimmen gewährt, und so hielt er es auch in diesem Jahr. Dem VW Golf beispielsweise genehmigte er 34.299 Stimmen. Ramstetter hatte den Originalwert von 3409 also an zwei Stellen verändert, und damit offenbar ein gutes Gefühl: Daraus wurde (später) das offizielle Ergebnis. Auf Platz fünf lag der BMW 5er, obwohl er nach Stimmen nur siebter geworden wäre – aber Ramstetter war, so hört man, ein großer Freund der Theorie, dass alle deutschen Autohersteller ausreichend bedacht sein sollten. 

Um 12:13 Uhr schickte er seinem Sekretariat eine Mail mit einer Word-Datei. Um 14:36 Uhr schickte sein Sekretariat ihm eine Mail zurück, in der das „Endergebnis“ sowohl in Word- wie auch in PDF-Form angehängt war. Ramstetter setzte nun eine eigene Mail auf, adressierte sie an die diejenigen seiner Mitarbeiter, die mit der Organisation des Preises betraut waren, und hängte das finale PDF mit den ausgedachten Zahlen an. Um 14:52 Uhr drückte er auf senden.

Die Auftragsrekonstruktion des ADAC bestätigte den Verdacht und alle Zahlen, die wir zuvor veröffentlicht hatten.