So liefen die Recherchen

Die Redakteurin Christiane WOLFF erinnert sich

 

Vage Hinweise

„Da ist einiges faul“, hörte ich aus meinem Bekanntenkreis im Sommer 2007 regelmäßig, sobald das Gespräch auf die Trierer Handwerkskammer kam. Massive Missstände bei den Weiterbildungskursen in der Kammer-Prestigeabteilung "Umweltzentrum" sollte es geben. Außerdem dubiose Dienstleistungsverträge und Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Arbeitsstunden.

Meine journalistische Neugier war geweckt. Doch welche Bedeutung war den teils vagen, aber bedeutungschwangeren Äußerungen ehemaliger fester und freier Mitarbeiter und studentischer Hilfskräfte beizumessen? Wie viel Wahres war daran und wie viel entsprang möglicherweise persönlichen Animositäten?

Nachhaken: Stich in ein Wespennest

Ich hörte mich bei den Teilnehmern des angeblich betroffenen Weiterbildungskursus um – und stach in ein Wespennest: Etliche Ingenieure und Handwerker machten ihrem Ärger Luft und erzählten

  • von massivem Unterrichtsausfall
  • unfähigen Dozenten
  • falschen Lehrplänen
  • und dass sie mit falschen Versprechungen zur Teilnahme am mehr als 1000 Euro teuren Kursus verleitet wurden.


Erste Gegenreaktionen

Einer erzählte aber auch der Leitung des Umweltzentrums (UWZ) von meinen Recherchen – worauf diese den Kursteilnehmern nahe legte, sich nicht gegenüber der Presse zu äußern. Man setze schließlich auf gute Zusammenarbeit, und die Kursteilnehmer seien doch sicherlich daran interessiert, dass das UWZ die Adressen der angehenden Energieberater an potenzielle Kunden weiterreiche.

Unter Druck setzte die Kammer aber nicht nur ihre Kursteilnehmer, sondern auch mich: Mehrmals legte mir der damalige UWZ-Leiter, den meine Recherchen wenige Wochen später den Job kosten sollten, eindringlich nahe, die Beschwerden der Kursteilnehmer nicht zu veröffentlichen. Auch der Hauptgeschäftsführer der Kammer – ein mächtiger und damals gesellschaftlich höchst angesehener Mann in Trier – erklärte mir, welch „schweren Schaden“ eine Berichterstattung der Kammer zufügen würde, zumal es sich um „Interna“ handele, verschuldet durch einen einzigen Mitarbeiter des UWZ. Mit der fristlosen Entlassung dieses schwarzen Schafs sei die Sache erledigt. Der Ruf der Kammer dürfe nicht grundlos beschädigt werden, schließlich habe man mehr als 700 Mitgliedsbetriebe.

Bauernopfer oder mehr?

Dass der Hauptgeschäftsführer selbst mehr als ein Jahr später wegen den immer größer werdenden Ausmaßen der Affäre vom Kammer-Vorstand suspendiert werden würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt wohl nicht.

Denn die Missstände in den Weiterbildungskursen waren nur die Spitze des Eisbergs. Immer neue Tiefen des Sumpfs taten sich auf: Der fristlos entlassene Mitarbeiter hatte mit zwei Dozenten gemeinsame Sache gemacht und Honorar-Abrechnungen aufgeplustert. Die Dozenten, beide freiberufliche Ingenieure, hatten den größten Teil der Unterschlagungen an den Mitarbeiter zurückgezahlt – offenbar in der Hoffnung, dafür von diesem mit Aufträgen für ihre Ingenieur-Büros belohnt zu werden. Beweise für die Berichte mehrerer interner Quellen hatte ich bis dato allerdings nicht.

Schreibbeginn erst nach 3 Monaten

Erst der Arbeitsgerichtsprozess, den der entlassene Mitarbeiter gegen die HWK angestrengt hatte, bestätigte meine Informationen. Ich konnte mit dem Schreiben loslegen. Am 20. November 2007 - mehr als drei Monaten nach Beginn meiner Recherchen - erschien der erste Artikel im Trierischen Volksfreund: „Luftrechnungen im Umweltzentrum“. Mehr als zwei Dutzend weitere folgten in den nächsten 12 Monaten.

Kettenreaktionen: immer mehr Belege

Der erste Bericht löste eine wahre Informationsflut aus, die meinen Schreibtisch mit Briefen und Notizen überschwemmte: Anonyme und nicht-anonyme Schreiben und Anrufe enttäuschter HWK-Kunden, von Kammer-Mitgliedsbetrieben und ehemaligen Mitarbeitern prasselten auf mich ein. Die Akte füllte sich, die Arbeitstage wurden lang und länger. Teils erwiesen sich die Anschuldigungen als nicht überprüfbar, teils klangen sie unseriös.

Es gab aber auch handfeste Beweise: Zum Beispiel ein Original-Exemplar der dubiosen Dienstleistungsverträge, von denen mir mehrfach mündlich berichtet worden war. Außerdem Stundenzettel, die darauf hinwiesen, dass im Umweltzentrum die Kosten-Volumen öffentlich geförderter Projekte aufgebläht wurden, um höhere Fördergeld-Prozentsätze akquirieren zu können.

Protokolle aus Sitzungen der Führungskräfte der Kammer spielte mir ein ehemaliger Mitarbeiter zu. Sie zeigten, dass Handwerkskammer-Mitarbeiter für die Akquise öffentlicher Gelder zusätzliche Provisionen zum Gehalt erhielten. Ein Original-Brief des HWK-Hauptgeschäftsführers an einen Handwerksmeister machte deutlich, dass Mitarbeiter offenbar dazu aufgefordert wurden, Stundenzettel über nicht geleistete Arbeit auszufüllen, um so Projekt-Volumina in die Höhe zu treiben. Auch die Existenz fragwürdiger Werksverträge mit einer Unternehmensberaterin musste die HWK-Spitze einräumen.

Reaktionen der Handwerkskammer

Jeweils scheibchenweise und im Nachhinein bestätigte die Kammer meine Recherchen und die anfangs nahezu täglichen Berichte. Verantwortung für die Missstände wies der damalige HWK-Vorstand allerdings weit von sich. Man habe von den Unregelmäßigkeiten nichts gewusst, erklärte die HWK-Spitze in eiligst einberufenen Pressekonferenzen, zu denen auch die regionalen Radio- und Fernsehsender und ein lokales Online-Magazin eingeladen wurden.

Man werde die Affäre allerdings rückhaltlos aufklären, erklärte der HWK-Hauptgeschäftsführer. Nach dem leitenden Mitarbeiter wurde auch der Chef des UWZ fristlos entlassen. Gegen insgesamt vier Mitarbeiter stellte die Kammer schließlich Strafanzeige. Als Aufklärer wurden der ehrenamtliche Leiter der HWK-Schlichtungsstelle und der jahrzehntelange Wirtschaftsprüfer der Kammer eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft hatte sich mittlerweile aufgrund der Berichterstattung längst von Amts wegen eingeschaltet.

Meine Berichterstattung empfand man bei der HWK, die sich in ihren Pressemitteilungen aufklärerisch gab, als „reißerisch“. „Jenseits der Fakten“ wolle der Trierische Volksfreund „Köpfe rollen sehen“, veröffentlichte die Handwerkskammer nach dem Abdruck des Artikels „Ganz gewaltige Geschichte“ am 26. Januar 2008 auf ihrer Homepage. Die Handwerkskammer unterstellte mir in dem Schreiben

  • „abenteuerliche Spekulationen“
  • nicht sorgfältig recherchiert zu haben
  • und verantwortungslos zu berichten.


Ergebnisloser Versuch, Druck von hinten und direkt aufzubauen

Statt an mich, wandte sich der HWK-Hauptgeschäftsführer nach meiner ersten schriftlichen Anfrage mit einer Mail an unseren Leitenden Redakteur. Tenor: Mit der Entlassung des für die Weiterbildung verantwortlichen Mitarbeiters sei die Angelegenheit erledigt. Außerdem könne meine Anfrage schon deshalb nicht „detailliert beantwortet“ werden, da der UWZ-Leiter seit „Bekanntwerden der Vorfälle“ an akuten Depressionen leide und von seinem Arzt „mit hoher Dringlichkeitsstufe“ in eine Klinik eingewiesen worden sei.

Die monatelange psychische Erkrankung des UWZ-Leiters machte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Kammer später noch oft zum Thema. Ganz direkt erklärte er mir in Telefonaten, dass meine Recherchen und die Berichterstattung die massiven Probleme des UWZ-Leiters ausgelöst hätten. Ob ich mir der Tragweite meiner Veröffentlichungen bewusst sei, lautete seine regelmäßige Frage?

Eine weitere Demontage der Trierer Handwerkskammer könnte dazu führen, dass diese mit der größeren Koblenzer HWK fusionieren müsse, gab er an. Trier sei dann nur noch eine Filiale, Millionen von Projekt-Fördergeldern gingen der Region verloren. Die Regionalzeitung Trierischer Volksfreund würde so durch meine Artikel ihrem eigenen Verbreitungsgebiet und dem Handwerkerstand massiven Schaden zufügen, warf der stellvertretende HWK-Chef mir vor.

Besonders traf mich allerdings der Vorwurf, dass sich seine Tochter wegen der negativen Berichterstattung über ihn nicht mehr in die Schule traue und nur noch weinend zu Hause sitze.

Bei gesellschaftlichen Anlässen kolportierte die HWK-Spitze, dass ich negativ über die Kammer berichten würde, weil mein Lebensgefährte in einem Kammer-nahen Geschäftsfeld tätig sei und wir uns durch die Negativ-Schlagzeilen eigene Vorteile erhofften.

Die HWK-Spitze gab bei Mitarbeitern und Vertretern anderer Organisationen das arme Opfer: „Die Frau Wolff vom Volksfreund meint offenbar, mit Negativ-Schlagzeilen was werden zu können.“ Unserem Chef von Dienst und unserem Chefredakteur wurde ebenfalls zugetragen, dass ich subjektiv und aus persönlichem Interesse berichten würde.

Ergebnisse der Recherchen

Während der gesamten Berichterstattungszeit von etwa 12 Monaten ging die Handwerkskammer nicht rechtlich gegen den TV oder mich persönlich vor. Es gab keine Korrekturen oder Gegendarstellungen.

Im September 2008 eröffnete die Staatsanwaltschaft schließlich nach mehreren Hausdurchsuchungen und hunderten beschlagnahmter Akten ein Ermittlungsverfahren gegen den Hauptgeschäftsführer der Trierer Handwerkskammer und dessen Stellvertreter wegen des Anfangsverdachts auf Subventionsbetrug.

Anfang Oktober beurlaubte der HWK-Vorstand die Doppelspitze und erteilte den beiden wenig später Hausverbot. Mittlerweile sind beide Arbeitsverträge aufgelöst. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren läuft noch, Ergebnis offen. So der Stand im April 2009.