Erich SCHÖNDORF und die Holzschutzmittelprozesse: die ganze Geschichte im Überblick

Ein junger Staatsanwalt gegen das Kartell aus Industrie & Justiz

Das Problem ist alt und der Vorgang schon länger her: Wissenschaftler und Chemiker (er)finden Stoffe und chemische Verbindungen, die von großem Nutzen für die Industrie sind. Dass diese hochtoxische Substanzen enthalten, z.B. das später unter diesem Namen bekannt gewordene Seveso-Gift, Dioxin, interessiert dabei ersteinmal nicht weiter. Hauptsache das Geschäft brummt. So war es beispielsweise bei „PCP“ = „Penta-Chlor-Phenol“. Ein Stoff, dessen Produktion und Vertrieb in Deutschland z.B. seit 1989 verboten ist. So sehen für giftige Stoffe Warnschilder aus. Die Formel PCP dazwischen:

 

Da „Holz“ in den 70er Jahren ‚in’ war, sprich dem Trend und Zeitgeist entsprach und alte Fachwerkhäuser, Innendecken, Möbel und Küchen oder Kellerbareinrichtungen aus Holz immer beliebter wurden, konnte die Chemieindustrie Holzschutzmittel auf der Basis PCP in riesigen Mengen verkaufen. Z. B. „Xylamon“ und „Xyladecor“ der Firma DESOWAG, einer Tochterfirma des Chemieriesen BAYER AG aus Leverkusen. Von der Giftigkeit wusste das Unternehmen: 

 

Als sich immer mehr Hinweise auf ernsthafte und nachhaltige Gesundheitsschädigungen durch die toxischen Substanzen, u.a. durch „TCDD“, dem Sevesogift, verdichteten und die ersten Betroffenen auf die Idee kamen, Strafanzeige wegen „Körperverletzung“ zu stellen, war es ein junger Frankfurter Staatsanwalt, der diese Anzeige nicht nach einer juristischen Schamfrist ad acta legte, sondern mit Ermittlungen begann. Sein Name: Dr. Erich SCHÖNDORF.  

Die wissenschaftlichen Recherchen und strafrechtlichen Untersuchungen, die auf insgesamt 2.300 Anzeigen bzw. Fällen basierten, nahmen zum einen Zeit in Anpsruch. So war es äußerst schwierig, wissenschaftliche Experten zu finden, die vor Gericht als Gutachter kausale Zusammenhänge zwischen den Giften und den Gesundheitsschäden hätten darlegen können. Die meisten Experten waren längst ‚gekauft’: von der Industrie als wissenschaftliche Berater regelmäßig mit Aufträgen honoriert. Heimlich natürlich.  

Das staatliche Bundesgesundheitsamt (BGA) beispielsweise, eine Behörde des Bundesministeriums für Gesundheit, regiert von SPD-Ministerinnen, war ebenfalls ein Freund der Chemieindustrie und setzte sich nicht für die Interessen der Verbraucher ein – Verbraucherschutz war damals (noch) kein Thema. 

Zum anderen musste Erich SCHÖNDORF auch gegen den Wunsch von mehreren seiner obersten Vorgesetzten agieren, konkret gegen den Willen des Behördenleiters der Frankfurter Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwalts. Sie wollten, dass SCHÖNDORF die Ermittlungen einstellt: Dauert zu lange, zu teuer, und im übrigen wären die Unternehmen, gegen die sich die Ermittlungen richteten, große Steuerzahler. 

SCHÖNDORF, der als Beamter den hierarchischen Dienstwegen genügen und Anordnungen von oben Folge leisten muss, wusste sich zu helfen. Er machte die Medien zu externen Verbündeten, nahm sich für journalistische Nachfragen ausgiebig Zeit und redete Klartext. Die öffentliche Wahrnehmung wuchs: über die gesundheitlichen Probleme und ersten Todesfälle, aber eben auch über die Versuche, gegen die Chemieindstrie wegen Produkthaftung und Körperverletzung vorzugehen. SCHÖNDORF wurde zum Whistleblower: Er machte - indirekt über die Medien - auf alles aufmerksam.  

Seine Geschichte, gleichzeitig eine Rekonstruktion, wie (un)abhängig Wissenschaftler agierten, haben wir hier zusammengestellt: in der Chronologie: Wie ein Staatsanwalt einen Umweltprozess gewinnt und gleichzeitig dabei verliert.  

  • über seine Rolle als Staatsanwalt 
  • seine Kontakte zur Presse und wie das Strafverfahren zu einem "öffentlichen" Gerichtsverfahren wurde 
  • wie auf ihn Druck ausgeübt wurde 
  • warum Staatsanwälte so selten bereit sind, Whistleblower zu werden 
  • warum sein Buch "Von Ratten und Menschen" heißt 

hier   im Gespräch mit Erich SCHÖNDORF. In einem  SPIEGEL -Essay 1999 hat er dann auch zu Papier gebracht, warum so viele Prozesse scheitern: Wegen der  Lügen der Experten.  

Was es für Betroffene bedeutet, die Produkte "Xylamon", "Xyladecor", "Sadolin" oder ähnliche Markennamen gekauft zu haben, schildert Helga ZAPKE. Sie ist Mitbegründerin der Interessens-Gemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten (IHG) :  Wieviel kann ein Mensch ertragen? Die Krankengeschichte einer Dioxin-Vergifteten 

Dass das Thema "Holzschutzmittel" (leider nur) stellvertretend für andere gefährliche Stoffe und der verbreiteten Ignoranz seitens der Hersteller und vieler Wissenschaftler steht und erst öffentlicher Druck die Politik zum Einlenken bringt, belegt auch ein anderes Beispiel: Asbest - das tödliche Wunder. Ein anderes Fallbeispiel  

Im  ABC der Verantwortlichkeiten sind nochmals die wichtigsten Namen gelistet: mit ihren damaligen Funktionen und Positionen.  

Die heute noch gesundheitlich Geschädigten kommen hier - aus Kapazitätsgründen - noch nicht umfänglich zu Wort. Hier geht es derzeit um den Vorgang, wie ein Staatsanwalt zum Whistleblower wurde, der zwar den Gang der juristischen Prozesse nicht durchgehend in seinem Sinne beeinflussen konnte, der aber durch seine Aktivitäten das öffentliche Bewusstsein nachhaltig geschärft hatte.  

Wenn Sie diese Geschichte direkt aufrufen oder verlinken wollen, können Sie das unter www.ansTageslicht.de/Schoendorf tun. Die lange Geschichte gibt es auch als Kurzfassung unter diesem Link.  

 

(JL)