Frontal21, 27.08.2002

von Herbert KLAR

Abzocke mit Billig-Ersatz

Ein neuer Abrechnungs-Skandal rollt auf das deutsche Gesundheitssystem zu. Diesmal sollen Zahnärzte Zahnersatzleistungen bei Krankenkassen falsch abgerechnet haben. Die AOK spricht von einem bundesweiten Skandal.

Stadt P. im Emsland vergangene Woche: Staatsanwälte und Polizei durchsuchen die Zahnarztpraxis von Dr. L. Der Zahnarzt wird verdächtigt, Krankenkassen und Patienten betrogen haben mit falschen bzw. umgeschriebenen Rechnungen betrogen zu haben. Dutzende Ordner und Computer werden beschlagnahmt.

Manfred Manke, Staatsanwaltschaft Osnabrück: "Dem betreffenden Zahnarzt wird vorgeworfen: Kostenvorteile durch zahnprothetische Leistungen, die er in einem Labor in Ungarn hat erbringen lassen und als Eigenlabor-Rechnung gegenüber den Krankenkassen abgerechnet haben soll."

Der Verdacht der Staatsanwälte: Der Zahnarzt lasse im billigen Ungarn produzieren, rechne aber die teureren deutschen Preise ab. In Ungarn liegen die Preise rund 40 bis 50 Prozent unter dem deutschem Niveau. Kein schlechter Zusatz-Profit. Auf seinen Rechnungen, so der Verdacht, habe der Zahndoktor aber stets sein eigenes Labor als Zahnproduzent angegeben.

Abrechnung zu deutschen Preisen

Die Krankenkasse wunderte sich schon lange über die Rechnungen des Arztes. Klaus Altmann, AOK-Niedersachsen: "Der Zahnarzt hat den Zahnersatz also aus dem Ausland kommen lassen - auf welchen Wegen auch immer - und dann hat er die Rechnungen dafür so umgeschrieben, dass dieser ausländische Zahnersatz als deutscher Zahnersatz aus seinem eigenen Labor auftauchte."
Zum Schutz und zur Sicherheit der Patienten dürfen in deutschen Zahnlabors nur bestimmte Materialien verwendet werden, deren Herkunft genau nachgewiesen werden muss. In den meisten EU-Staaten ist das ähnlich. Kommt der Zahnersatz aus einem Nicht-EU-Staat - beispielsweise aus Ungarn - besteht diese Sicherheit nicht.

Mit verstecker Kamera

Wir fahren nach Körmend in Ungarn. Mitten in der Stadt befindet sich das D. - Dentallabor. Hier lässt der Zahnarzt aus P. produzieren. Wir drehen mit versteckter Kamera, geben uns als interessierte Zahnärzte aus. Aus juristischen Gründen dürfen wir den Ton nicht aufnehmen. Sie habe viele deutsche Kunden, erzählt uns stolz die Geschäftsführerin, eine Deutsche aus Berlin. Mindestens 200 deutsche Zahnärzte würden von D. beliefert, sagt sie. Klar, den Doktor L. aus P. kenne sie. Am Ende dürfen wir uns das Labor ansehen. Deutsche Geschäftsführung, deutsche Kunden aber ungarische Löhne und Standards. Kein schlechtes Geschäft für den deutschen Zahnarzt.

Klaus Altmann, AOK: "Wir haben ja in Deutschland im handwerklichen Bereich doch eine Menge von Vorschriften, denen hier auch zu genügen ist. Das ist das Eine, also die Frage, ob denn auch technisch gut gearbeitet worden ist, ob da auch keine giftigen Inhaltsstoffe im Zahnersatz-Material enthalten sind. Und das andere ist dann eben die Abrechnungsseite. Und wenn dort also Vorteile erzielt worden sind durch den erheblich günstigeren Einkauf, dann sind diese Vorteile an die Krankenkassen in Deutschland auch weiterzugeben, deswegen ist niedergelegt im Gesetz, dass Original-Rechnungen beizulegen sind. Und diese Original-Rechnungen haben wir nie bekommen."

Und das Geschäft mit billigen Zähnen blüht. Wir treffen die Besitzer eines deutschen Dentalcenters mit Sitz in Ungarn. Wir drehen wieder mit verdeckter Kamera und geben uns als deutsche Zahnärzte aus, die ungarische Geschäftspartner suchen.

Die beiden meinen, dass sie uns bestimmt weiterhelfen können und laden uns für den nächsten Morgen nach Ungarn ein. Am Tag darauf fahren wir wieder nach Ungarn. Das deutsche Dentalcenter ist etwa 100 Meter hinter der österreichischen Grenze.

Nach der freundlichen Begrüßung kommen die Besitzer schnell zur Sache.
Frau: "Klar, viele deutsche Zahnärzte und Dentallabore kaufen hier billig ein. In Deutschland wird das ja normalerweise nicht kontrolliert, bis jetzt. Der Transport läuft dann über Österreich. Aber sie müssen aufpassen. Wissen Sie, wir haben hier so unwahrscheinlich viel Pfusch gesehen. Sie brauchen hier in Ungarn jemand, der für sie die Arbeit kontrolliert. Das könnten wir übernehmen."

Mann: "Und damit sie zu deutschen Preisen abrechnen können, brauchen Sie natürlich noch ein Labor in Deutschland, das die Rechnung schreibt. Aber das ist kein Problem. Wir haben ein Labor in Weimar."

Kein Einzelfall

Ungarische Zähne, keine Kontrollen, deutsche Preise für deutsche Patienten. Zurück in der Stadt P. Zahnarzt Dr. L., dem genau dieses vorgeworfen wird, kann die Ermittlungen der Staatsanwälte nicht verstehen: "Wie allgemein bekannt ist, sind Lieferungen aus dem Ausland preisgünstiger wie Lieferungen aus Deutschland. Und dieses geben wir dem Patienten weiter. Wir haben beispielsweise Prospektmaterial entwickelt, aus dem hervorgeht, dass wir den Krankenkassen 15 Prozent der Laborkosten einsparen und dem Patient bis 40 Prozent seines Eigenanteils einsparen."

Für die Experten der AOK sind das reine Schutzbehauptungen. Sie haben nichts von der angeblichen Ersparnis gemerkt. Für Klaus Altmann ist das Betrug und bei weitem kein Einzelfall: "Die niedersächsischen Krankenkassen gehen hundertprozentig davon aus, dass dies kein Einzelfall ist. Genau wie viele der ungefähr 5.500 niedergelassenen niedersächsischen Zahnärzte diese Masche auch gefahren haben - das wissen wir im Augenblick noch nicht. Aber für uns steht außer Frage, dass dies ein bundesweites Phänomen ist."

Mindestens 200 deutsche Zahnärzte sollen allein bei D. Ungarn ihren Zahnersatz einkaufen. Insgesamt, so vermuten die Fahnder sind es Tausende, die billig in Osteuropa einkaufen.