Frontal21, 02.03.2004

von Christian ESSER, Herbert KLAR

Betrug mit Zahnersatz

Ermittlungen gegen Abrechnungsbetrüger

Es ist der 2. März 2004: Beamte des Landeskriminalamtes rücken an, durchsuchen ein Dentallabor in Berlin. Der Verdacht der Behörde: Das Labor betrügt Patienten und Kassen. Die Berliner Razzia ist Teil einer bundesweiten Polizeiaktion gegen mutmaßliche Abrechnungsbetrüger.

Frank Thiel von der Staatsanwaltschaft Berlin erläutert das Vorgehen: "Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen drei Geschäftsführer von Dentalfirmen, die im Verdacht zur Anstiftung zum Abrechnungsbetrug stehen. Hintergrund sind die Angebote an Zahnärzte im Ausland, speziell in der Türkei, Zahnersatz herstellen zu lassen und die dabei erwirtschafteten Rabatte dann nicht an die Kassen oder die Versicherten weiter zu reichen."

Immer gleiche Betrugs-Masche

Außer in Berlin schlagen zur gleichen Zeit auch Duisburger Staatsanwälte zu. Insgesamt durchsucht die Polizei zwei Dutzend Büros, Wohnungen und zwei große Dentallabore. Dabei wird umfangreiches Beweismaterial sichergestellt.

Die Betrugs-Masche ist immer gleich: Zahnersatz wird billig im Ausland produziert, etwa in der Türkei, und dann zu deutschen Höchstpreisen abgerechnet. Den Gewinn teilen sich Zahnarzt und Labor. Meist mit Rabatten, bar ausbezahlt. Das ist illegal.

Im November 2002 deckt Frontal21 den ersten großen Betrug mit Zahnersatz auf, den Globudent-Skandal mit chinesischen Billigzähnen. Genau 16 Monate später haben die Staatsanwälte Anklage gegen die Verantwortlichen erhoben.

Der Globudent-Skandal

Doch der Globudent-Skandal hat die kriminellen Zahnlabore und Zahnärzte offenbar nicht abgeschreckt. Vor wenigen Monaten meldet sich ein Mann bei Frontal21. Er war als Laborbesitzer selbst in Abrechnungsbetrügereien verwickelt, ist inzwischen ausgestiegen. Er will unerkannt bleiben und helfen, kriminelle Zahnlabore zu überführen.

Der ehemaliger Laborbesitzer gibt zu Protokoll: "Als im November 2002 der Globudent-Skandal mit den chinesischen Billigzähnen aufflog, empfand ich das fast als Erleichterung. Ich dachte, das sei allen eine Lehre und ich könnte jetzt wieder saubere Geschäfte machen. Dem war überhaupt nicht so. Die anderen Labore schmieren weiter die Zahnärzte, mehr denn je. Also musste ich auch zahlen, um Aufträge zu bekommen."

Kriminelle Labore

Der Informant nennt uns weitere Labore und Dentalhandels-Gesellschaften, die auch kriminell sein sollen. Eine Zahnärztin ist bereit, dem Verdacht nachzugehen. Sie bestellt vier Labore in ihre Praxis, die im Ausland Zahnersatz produzieren. Aus Angst vor der kriminellen Branche will sie anonym bleiben. Wir drehen in der Zahnarzt-Praxis mit versteckter Kamera. Aus juristischen Gründen dürfen wir keinen Ton aufnehmen.

Der erste Labor-Besitzer kommt schnell zur Sache: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder sie machen mit ihrem Bruder eine Handelsgesellschaft auf. Der stellt ihnen dann schöne, überhöhte Rechnungen aus. Der würde von mir die Zähne billiger bekommen und teurer an sie weiterverkaufen. Dann kriegen sie zum Beispiel eine Krone für 45 Euro statt für 120 Euro. Da könnte dann schon ein netter Gewinn entstehen. Das merkt keiner. Ich mache das schon mit anderen. Die zweite Möglichkeit: Wenn die Kassen 100 Prozent zahlen, bekommen sie von mir 20 Prozent zurück. Bar auf die Hand versteht sich. Das muss natürlich unter uns bleiben."

Gefälschte Rechnungen, verbotene Barzahlungen: Diese Betrugsmethode hat System. Besonders pikant dabei ist, dass diese Dental-Firma offizieller Vertragspartner der Ersatzkassen ist und ausdrücklich empfohlen wird.

In Izmir in der Türkei lässt das deutsche Dentallabor in großem Stil produzieren. Wir besuchen das türkische Labor. Dem deutschen Chef Werner Puckert ist die ganze Sache unangenehm: "Die Tatsache, dass in Deutschland zu einem gesetzlich fast schon festgelegten oder zur Höchstpreisliste abgerechnet wurde, ist ja in gar keiner Weise strafbar. Strafbar ist nur, dass der Importeur dem Zahnarzt quasi Schwarzgeld gegeben hat. Und das ist etwas, so viel ich weiß, das meine Leute in Deutschland eben nicht tun, das ist eben nicht der Fall."

Schwarzgeld für den Zahnarzt

Das sehen die deutschen Staatsanwälte anders. Sie haben deshalb heute im nordrhein-westfälischen Vörde durchsucht. Sie haben den Verdacht, auch in diesem Fall seien Schwarzgelder geflossen. Vom Dentallabor will niemand mit uns reden.

Zurück zur Zahnarztpraxis, der nächste Labor-Vertreter erscheint. Auch er lässt in Izmir produzieren. Schnell präsentiert er sein Betrugsmodell: "Wir produzieren billig in der Türkei. Deshalb können wir ihnen auch 15 Prozent cash zurückzahlen. Das taucht natürlich nicht auf der Rechnung auf. Wir sind ja nicht dumm. Das Geld kriegen sie dann in der Schweiz, über unseren Mittelsmann. Dort kann nichts schief gehen."

Getarnte Rabattzahlungen

Laut Visitenkarte unseres Besuchers residiert die Firma im Osten Berlins. Merkwürdig nur: Wir finden kein Namensschild, keinen Briefkasten, nichts. Stattdessen entdecken wir ein Zahnlabor mit anderem Namen, das angeblich deutschen Zahnersatz produziert. Der Verdacht der Ermittler ist: Über dieses Labor könnte die Herkunft der türkischen Zähne verschleiert worden sein. Ein raffiniertes und zugleich einfaches System: Türkischer Zahnersatz wird als deutscher deklariert und die illegalen Rabatte unerkannt in der Schweiz ausgezahlt.

Der dritte Labor-Chef fährt vor. Der präsentiert eine ganz andere Masche, um mit der Zahnärztin ins Geschäft zu kommen. Er schlägt ihr vor, so genannte Garantie-Leistungen abzurechnen, die es in Wahrheit gar nicht gegeben hat: Der Gewinn beträgt gut 20 Prozent bei jedem Zahnersatz.

Kriminelle Geschäfte

Jörg Engelhard vom Landeskriminalamt Berlin kennt das Vorgehen: "Bei den erweiterten Garantieleistungen ist es so, dass der Zahnarzt für das Dentallabor Dienstleister ist, und dass er für das Dentallabor eine erweiterte Garantieleistung erbringt, die durch das Dentallabor bezahlt wird. Und über diese Bezahlung wird gegebenenfalls der Rabatt verdeckt an den Zahnarzt weitergegeben."

Überhöhte Rechnungen, Schwarzgeld, getarnte Rabattzahlungen: Beim Abrechnungsbetrug sind Zahnlabore offensichtlich erfinderisch. Von vier eingeladenen Labor-Vertretern schlagen drei der Zahnärztin kriminelle Geschäfte vor.

Erheblicher Schaden für Kassen

Für die AOK nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Klaus Altmann von der AOK Niedersachsen erläutert die Vorgänge: "Wir haben inzwischen rund 70 weitere Einrichtungen, das heißt also Dentallabore, Dentalhandelsgesellschaften und Zahnärzte, bei denen genau dieselben Erkenntnisse vorliegen. Wir müssen also konstatieren , dass es nach wie vor Einrichtungen gibt, die diese Masche weiter fahren. Und das heißt ja, dass Versicherte und Krankenkassen um Geld erleichtert werden. Es gibt hier Nachlässe von Dentallabors gegenüber Zahnärzten von 30, 50 und bis zu 80 Prozent sogar, die nicht an die Krankenkassen und an die Versicherten weitergegeben werden. Der Schaden ist also immens."

Ein großer Schaden also für Kassen und Patienten und eine unruhige Zeit für rund 250 Zahnärzte. Die sind nach den heutigen Durchsuchungen jetzt im Visier der Fahnder.