Frontal21, 26.11.2002

von Herbert KLAR

Billig-Zahnersatz

Skandal um falsche Zähne weitet sich aus

Nach dem Frontal21-Beitrag über den Abrechnungsbetrug mit Zahnersatz wurden über ein dutzend Firmen durchsucht: Der Skandal um überteuert abgerechnete Billig-Gebisse aus Asien hält inzwischen die Justiz in mehreren Bundesländern auf Trab.


Mülheim an der Ruhr am Mittwoch, den 20. November 2002 - es ist gegen fünf Uhr morgens. Vor über zehn Stunden hat Frontal21 über die Betrügereien der Firma Globudent mit Billigzähnen aus China das erste Mal berichtet. Nun räumen die Manager bei Globudent auf - versuchen Beweise zu vernichten - und Frontal21 dreht das Treiben in den Büroräumen von außen mit. Immer wieder blicken die Geschäftsführer hektisch aus dem Fenster: Jeden Moment erwarten sie die Polizei.

Zu dieser Zeit schläft die Wuppertaler Staatsanwaltschaft noch selig, obwohl sie Tage vorher ausführlich informiert war. Aber der Durchsuchungstermin war in der Behörde ordentlich festgelegt worden - für Mittwochmorgen, acht Uhr, keine Minute früher.

Durchsuchung trotzdem erfolgreich

Als die Staatsanwälte erst Stunden später anrücken, finden sie dann im Müll massenweise geschreddertes Material.

Was die Beamten finden, reicht aber trotzdem, um den bisher größten Gesundheitsskandal auszulösen. Gegen acht Globudent-Manager wird noch ermittelt: Der Vorwurf lautet: bandenmäßiger Betrug. Der Firmenchef und sein Bruder sitzen bereits in Untersuchungshaft.

Die Fahnder schleppen beschlagnahmte Unterlagen gleich kistenweise aus der Firmenzentrale. Sie suchen nun nach den Kundenlisten der Firma, nach den beteiligten Zahnärzten. Auch in den Privathäusern der Manager schlagen sie zu. Der Ferrari des Firmenchefs parkt nun in der Tiefgarage der Polizei. Die Manager haben mittlerweile die Vorwürfe weitgehend zugegeben.

Skandal weitet sich aus

Den Schaden für die Krankenkassen und Patienten schätzen Fachleute auf eine dreistellige Millionensumme. Doch damit nicht genug - Globudent ist der Anfang eines Betrugsskandals - Klaus Altmann von der AOK Niedersachsen: "Es ist mit das Verdienst von Frontal21, darauf aufmerksam gemacht zu haben. Wir haben unmittelbar nach der Sendung - und das hält immer noch an, die Telefone stehen nicht mehr still - viele Hinweise bekommen, von außen, von Informanten, die uns mitteilen, die wir ansonsten allein hätten recherchieren müssen. Das hätte sehr viel länger gedauert und so haben wir bereits jetzt eine Fülle von Hinweisen, denen wir nun nachgehen."

Auch gegen einen Zahnarzt aus Hannover ermittelt die Staatsanwaltschaft. Er hat gleich seine eigene Importfirma gegründet und die Globudent-Methode verfeinert. Sein Angebot liegt 88 Prozent unter den deutschen Preisen.

Altmann: "Der niedersächsische Zahnarzt, von dem wir erfahren haben, hat die Masche von Globudent einfach weiterentwickelt. Er hat sie perfektioniert, ganz einfach, indem er über eine andere Firma, FIRSTDENT, abgerechnet hat, die ihm praktisch selber gehört, das heißt er hat den Zwischenhandel über Globudent ausgeschaltet und seinen eigenen Zwischenhandel eingeschaltet und den Verdienst, den Globudent sich vorher in die Tasche gesteckt hat, auch noch in die eigene Tasche gewirtschaftet."

Dr. Ulrich Stegmann hat mit den Betrügereien und den Tricks nichts zu tun. Der Zahnarzt aus Berlin bekam eines Tages Besuch von Globudent- Vertretern.

Er lehnte das verlockende Angebot mit den Billigzähnen aus China und mögliche Traumreisen nach Asien ab.

Nicht nur, weil das Geschäft illegal war - auch die Gesundheit seiner Patienten war ihm wichtiger. Die Qualität der Billigzähne sei einfach nicht kalkulierbar, meint er: "Da muss ich mich darauf verlassen. Und in China kann ich schon überhaupt nicht daneben stehen. Ich glaube auch nicht, dass es dort möglich ist, zu diesem Standard zu produzierent."

Wir haben (wie bereits am 19. November 2002 berichtet) in einem Labor in der thailändischen Hauptstadt Bangkok mit verdeckter Kamera gedreht. Auch der Zahnarzt aus Hannover, gegen den ermittelt wird, bezieht seine Billigzähne aus diesem Labor. Gegenüber den Fahndern der AOK räumte der deutsche Zahnarzt sogar ein, dieses Labor noch nie von innen gesehen zu haben - und dies ist vermutlich die Regel. Kontrollen gibt es dort quasi nicht. Niemand überprüft, welche Materialien verwendet werden.

Krebserregende Bestandteile

Und dies hält Lutz Wolf, Präsident des Verbandes der Zahntechniker Innungen, für bedenklich: "So wissen wir, dass es heute noch Legierungen auf dem Weltmarkt gibt, die Stoffe beinhalten, die eindeutig als krebserregend eingestuft werden. Allein daraus ergibt sich eine wesentliche gesundheitliche Gefährdung der Patienten, wenn Zahnersatz aus unklaren Verhältnissen auf den deutschen Markt importiert wird."

Frontal21 will wissen, welche Stoffe dies sind. Wolf: "Zum Beispiel gibt es den Stoff Beryllium. Der Stoff ist bei uns in Deutschland limitiert bei zur Anwendung kommenden Legierungen auf 0,02 Prozent. Während wir auch in Europa von Anbietern wissen, die ein Prozent Beryllium enthalten und Beryllium gehört zur Gruppe Eins der karzinogenen Stoffe."

Doch Ersatzkassen wie die DAK interessieren sich für solche Warnungen offensichtlich nicht. Sie fördern sogar den Einkauf von billigem Zahnersatz im Ausland.
Auf ihrer Internetseite wirbt die DAK mit Preisnachlässen bis zu 40 Prozent für Patienten. Die Verantwortung für die Qualität des Zahnersatzes schiebt sie einfach weiter.

Ersatzkassen bieten Preisnachlässe

Herbert Mrotzek von der DAK Berlin-Brandenburg: "Das ist wie bei jeder anderen Leistung. Also wir treten hier nicht in die Verantwortung des Leistungserbringers, das können wir auch nicht als Krankenversicherung, sondern wir schließen Verträge ab. Und das ist nun mal der Grundsatz eines Vertrages, dass sich jeder in diesem Vertrag für die Teile verantwortlich fühlt und für die Teile haftungsmäßig verantwortlich ist. Und ein Labor, das mit einem Arzt einen Vertrag abschließt, garantiert dann auch die Qualität dieses Vertrages, auf der Grundlage der deutschen Standards."

Im Klartext: Die Ersatzkassen machen Druck - versuchen ihre Kosten zu minimieren und schieben den schwarzen Peter an die Zahnärzte weiter. Am Ende sind es Ärzte wie Ulrich Stegmann, die dann für potentielle Fehler der Auslandslabore büßen müssten. Stegmann: "Drum ist es ja auch letztlich für den Zahnarzt nicht wirklich lukrativ. Weil er handelt sich Schwierigkeiten ein, logischerweise, wenn er im Ausland produzieren lässt. Er hat ein erhöhtes Risiko: Qualität, auch die Gewährleistungsfragen, die bleiben ja an ihm haften. Er kann ja mal in fünf Jahren versuchen seine Gewährleistung in Singapur einzutreiben. Er erhöht das Risiko und hat eigentlich keinen wirklichen Vorteil, dafür."

Um Zahnärzten das Risiko zu versüßen, greift die Berliner Betriebskrankenkasse, die BKK, tief in die Trickkiste. In einem persönlichen Schreiben an Zahnärzte, das Frontal21 vorliegt, lockt die BKK bei im Ausland hergestellten Zahnersatz: "Der Vergütungszuschlag für Sie beträgt ein Drittel unserer Kostenersparnis. "

Zusatz-Profit für Zahnärzte

Das heißt die BKK Berlin ködert Zahnärzte mit einem Zusatz-Profit. Von Jürgen Fedderwitz, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, wollen wir wissen, wie er einschätzt, dass die Kasse ein Drittel ihrer Kostenersparnis an die Zahnärzte weitergibt: Fedderwitz: "Ausgesprochen fragwürdig. Bis vor zwei, drei Tagen waren es die bösen Zahnärzte, die hier auf kriminellen Wege sich einen Vorteil verschafft haben. Nach der derzeitigen Rechtslage ist es nach wie vor nicht statthaft und betrügerisch, ob nun die Krankenkassen mit im Boot sind oder der Zahnarzt oder Zahntechniker es allein verantwortet."

Viele deutsche Zahnlabore werden von den ausländischen Billiganbietern mittlerweile an die Wand gedrückt . Draufzahlen müssen am Ende immer die Patienten und Beitragszahler - und zwar mit gesundheitlichen Risiken und trotz allem mit weiter steigenden Beiträgen. Viele Ersatzkassen heizen diesen ruinösen Wettbewerb noch an - die AOK hält nichts von ausländischen Billigimporten:

Altmann: "Wir als AOK halten nicht sonderlich viel davon, Zahnersatz überhaupt im Ausland einzukaufen, also diesen Einkauf zu ermöglichen. Denn, wenn der vom anderen Ende der Welt kommt, wer bürgt für die Qualität? Man kann vielleicht jemanden finden, der sagt, über mich abgewickelt ist das alles kein Problem. Aber im Ernstfall haben wir es hier mit einem Land weit entfernt von Deutschland zu tun, mit einem anderen Rechtssystem, mit einem anderen Qualitätsbewusstsein. Das Risiko ist uns für unsere Versicherten einfach zu groß."