Frontal21, 19.11.2002

von Herbert KLAR

Falsche Zähne

Wenn der Zahnarzt den Bohrer ansetzt, wird es meist teuer. 4,5 Milliarden Euro zahlen Kassen und Patienten jährlich für Zahnersatz. Ein gutes Geschäft mit großer Gewinnspanne, vor allem, wenn die Zähne aus asiatischen Billiglabors kommen.

Frontal21 hat von deutschen Ermittlern einen Tipp bekommen. Nun suchen wir ein Dentallabor am Rande der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Dort wird für deutsche und dänische Patienten Zahnersatz produziert. Wir drehen mit versteckter Kamera, stellen uns als interessierte Zahnärzte aus Deutschland vor.

Der thailändische Laborchef zeigt uns die Räume und erklärt seine Preise. Die deutschen Verhältnisse kennt er genau: Er liefere 80 Prozent billiger als deutsche Labors und zähle auch schon andere Zahnärzte aus Deutschland zu seinen Stammkunden. Aus gutem Grund: Ein Zahn aus Metall-Keramik kostet in Deutschland 200 Euro - in Bangkok 40 Euro - gerade mal ein Fünftel. Der thailändische Produzent weiß auch, dass seine deutschen Abnehmer inzwischen Ärger mit deutschen Krankenkassen und Behörden haben. Einige Zahnärzte sind erwischt worden, weil sie statt der billigen thailändischen Preise die deutschen Höchstpreise abgerechnet haben - mit gefälschten Rechnungen. Ihn lässt das völlig unbeeindruckt.

Betrugsmasche läuft wie geschmiert

Ob aus seinem thailändischen oder anderen asiatischen Labors: Diese Betrugsmasche läuft wie geschmiert. Er kann gar nicht soviel liefern wie bestellt wird.

Klaus Altmann, AOK-Niedersachsen: "Wir betrachten ja jetzt nur von uns aus den Aspekt der Krankenkassen und der Patienten. Und für uns geht es um handfesten Betrug. Aber allein da ist das Schadensvolumen ganz immens. Wir können wohl davon ausgehen, dass ein dreistelliger Millionenbetrag zu Lasten von Patienten und von Krankenkassen falsch abgerechnet worden ist und in die Taschen von Zahnärzten und Labors gewandert ist."

Zum Schutz und zur Sicherheit der Patienten dürfen in deutschen Zahnlabors nur bestimmte Materialien verwendet werden, deren Herkunft genau nachgewiesen werden muss. In den meisten EU-Staaten ist das ähnlich. Deshalb verwischen Zahnärzte und Importeure die Spuren der Billigzähne mit falschen Dokumenten. Aus einem Thai-Zahn wird ein deutscher Qualitätszahn.

Frage der Qualität

Altmann: "Patienten und Krankenkassen sind natürlich in erheblichem Maße finanziell geschädigt worden. Und man muss sich dann die Frage stellen, ob bei der Qualität alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Das heißt also, ob nach deutschen Standards hier gearbeitet worden ist."

Die Firma Globudent gehört zu den Großen der Branche, wirbt im Internet mit einer Kostenersparnis für Patienten von über 50 Prozent. Die Firma aus Mühlheim an der Ruhr lässt in Shenzen im Süden Chinas im großen Stil produzieren. 300 bis 400 Chinesen fertigen hier Zahnersatz für deutsche Patienten. Über Hongkong werden täglich ganze Zahnladungen per Luftfracht nach Deutschland geschickt. Doch die Experten der AOK sind den Machenschaften auf die Schliche gekommen.

Altmann: "Globudent tritt an deutsche Zahnärzte heran und bietet ihnen einen Deal an: Ihr lasst den Zahnersatz über uns laufen. Wir besorgen euch den Zahnersatz, die Abrechnung macht ihr auch über uns. Und ihr könnt dann den deutschen Krankenkassen und den Patienten hier in Deutschland den Originalpreis, der auch bei Zahnersatz in Deutschland fällig gewesen wäre, berechnen. Wir bekommen den Zahnersatz im Ausland aber viel billiger hergestellt und den Gewinn den teilen wir uns."

Der Verdacht der AOK-Fahnder: Globudent stelle deutschen Zahnärzten gefälschte Rechnungen aus. Dank der niedrigen chinesischen Preise streichen die Zahnärzte einen satten Zusatzgewinn ein.
Altmann: "Der Gewinn kommt dadurch zustande dass die Firma Globudent die Rechnung auf deutsche Höchstpreise umschreibt und mit dieser Rechnung ausgestattet kann der Zahnarzt dann mit den Krankenkassen und dem Patienten abrechnen - niemand erfährt davon, niemand weiß davon. Die Rechnung sieht einfach sauber aus, wie eine deutsche Zahnersatz-Rechnung."

Gefälschte Rechnungen

Wir wollen wissen, ob der Verdacht der AOK-Fahnder zutrifft. Die Zentrale von Globudent in Mühlheim an der Ruhr. Wir drehen wieder mit versteckter Kamera und geben uns als interessierte Zahnärzte aus. Der Geschäftsführer sei nicht da, heißt es. Wir vereinbaren einen Termin. Doch dazu brauchen wir eine richtige Zahnarztpraxis, damit uns der Globudent-Manager auch für echte Zahnärzte hält. Ein Zahnarzt will uns helfen, stellt uns seine Praxis zur Verfügung. Aus naheliegenden Gründen will er anonym bleiben. Er kennt die Methoden und den Händler.

Briefkastenfirmen in Hongkong

Zahnarzt: "Ja, ich kenne Globudent. Man muss sich das als eine Art Dreiecksgeschäft vorstellen. Die Zentrale ist in Mühlheim, das Labor ist in China. Und in Hongkong ist eine Art Briefkastenfirma. Über die findet der Vertrieb statt. Über Hongkong werden auch Geldgeschäfte abgewickelt."

Kurze Zeit später. Ein Globudent-Manager besucht uns in der Zahnarztpraxis. Offensichtlich schöpft er keinen Verdacht, denn er kommt schnell zur Sache und macht uns folgendes Angebot: "Also, der interessanteste Tarif ist der sogenannte Komfortpreis. Wenn Sie das auf dem Bestell-Formular ankreuzen passiert folgendes. Sie bekommen von uns eine ganz normale Rechnung, zu deutschen Preisen - versteht sich. Das ist ja auch legal. So, und einmal im Monat bekommen Sie dann 20 Prozent bar zurück. Sie müssen nur hier unten Komfort ankreuzen. Das Geld kommt per Post, natürlich ohne Absender und am besten an die Privat-Adresse. Wenn Sie verheiratet sind an den Ehepartner." Einfach Komfort ankreuzen und fertig ist der Betrug. Ergebnis eines offenbar wasserdichten Systems.

Zahnarzt: "Ein Manager von Globudent hat mir erzählt das System sei sicher. Das Geld von den überhöhten und gefälschten Rechnungen werde nach Hongkong überwiesen, damit alles korrekt aussehe. Er fliege einmal im Monat nach Hongkong um es dort dann wieder bar abzuheben. 300.000 bis 400.000 Euro transportiere er in einem kleinen Koffer als Handgepäck. Zurück in Deutschland werde das Geld an Zahnärzte verteilt."

Betrug nach Flugplan

Die Geschäfte von Globudent laufen so gut, dass täglich ein Kurier zwischen Mühlheim und dem Frankfurter Flughafen pendelt. Fertige Zähne aus China werden abgeholt, Abdrücke und Gipsmodelle ins Reich der Mitte geschickt. In der Wirtschaftsmetropole Hongkong wartet dann am Flughafen schon der nächste Kurier, holt die deutschen Päckchen ab, schickt den fertigen Zahnersatz nach Deutschland. Betrug nach Flugplan - alltägliche Routine.

In der Globudent-Zentrale findet dann noch die sogenannte Endkontrolle des asiatischen Zahnersatzes statt. Rund 50 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Sie verschicken die chinesischen Zähne an die deutschen Zahnärzte. Und hier werden dann die Rechnungen geschrieben, von denen die AOK-Fahnder vermuten, dass sie betrügerisch überhöht sind.

Größter Betrugsskandal

Altmann: "Nach unseren bisherigen Erkenntnissen handelt es sich hier - mutmaßlich jedenfalls - um den größten Betrugsskandal im deutschen Gesundheitswesen, den wir bisher überhaupt erlebt haben. Wir gehen davon aus, dass mehrere hundert - vielleicht sogar bis zu 2000 Zahnärzte in ganz Deutschland in diesen Betrugsskandal verwickelt sind."

Bis zu 2000 Zahnärzte - so der Verdacht - betrügen allein mit dieser Firma Patienten und Kassen. Doch Globudent ist kein Einzelfall - andere Firmen und Labors arbeiten auf ähnliche Weise - bislang nahezu ungestört.