So liefen die Recherchen bei Frontal21

von Herbert KLAR

Dieser Text ist mit dem Einverständnis des Autors dem folgendem Buch entnommen: Thomas Leif (Hrsg.): Mehr Leidenschaft Recherche. Skandalgeschichten und Enthüllungsberichte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2003, S. 84-93

Seinen feuerroten Ferrari fährt John M. nur bei wirklich schönem Wetter oder wenn er seinen chinesischen Geschäftspartnern imponieren will. Die kurze Strecke von seinem Essener Privathaus in sein Mühlheimer Büro legt John M. üblicherweise in seinem silbergrauen Mercedes SL zurück. Der 27 jährige ist erfolgreich und dynamisch - sein Unternehmen expandiert - kurz John M. ist ein Vorzeige-Unternehmer. Bis zum Morgen des 20. November 2002, als sein beschlagnahmter Ferrari in der Tiefgarage der Polizei und er in Untersuchungshaft landet.

Am Abend zuvor, am 19. November 2002 enthüllt das ZDF-Magazin FRONTAL21 seinen gigantischen Abrechnungsbetrug mit Billig-Zähnen aus China. Die Betrugsmasche ist einfach, aber wirkungsvoll. John M´s Mühlheimer Firma Globudent hat in großem Stil Patienten und Kassen betrogen, in dem die Firma gefälschte und überhöhte Rechnungen für Zahnärzte ausstellt. Obwohl der Zahnersatz billig in China produziert wird, können dann die Zahnärzte zu deutschen Höchstpreisen abrechnen.

Nach Einschätzung der AOK-Niedersachen handelt es sich um den bisher größten Betrug im deutschen Gesundheitswesen. Die BILD-Zeitung schreibt später: "Polizei zerschlägt Zahnprothesen-Mafia". Wochenlang berichten Zeitungen über den Abrechnungsbetrug. Das "Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen" fordert die bayerischen Zahnärzte, Zahntechniker und Krankenkassen ultimativ auf "kurzfristig gemeinsam geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der in der Sendung FRONTAL21 geschilderten Missstände zu entwickeln und ...über das Veranlasste zu berichten." In den Tagen und Wochen nach der Sendung melden sich neben Hunderten Zuschauern auch sehr viele Zahnärzte und Zahntechniker. Viele behaupteten jetzt , der GLOBUDENT-Skandal sei nur die Spitze des Eisberges, der Betrug in der Zahnklempner-Branche gang und gebe. Und fast alle wollen es gewusst haben. Ein Zahnarzt aus Berlin-Kreuzberg schreibt uns: "Auch mir wurden diese Praktiken angeboten. Ich habe dankend abgelehnt." Na prima. Warum kann John M. dann jahrelang seinen Betrugsgeschäften nachgehen?

Ich habe im Juni 2002 zum ersten mal von den GLOBUDENT-Geschäftspraktiken erfahren. Peter Scherler, Leiter der Ermittlungsstelle Betrug der AOK-Niedersachen liest mir aus einer Aussage vor, die ein Zahnarzt Dr. "Soundso" bei ihm gemacht hatte, Scherler liebt es seine Zeugen mit "Soundso" zu benennen. Also, dieser Dr. "Soundso" sagt gegenüber Scherler aus, dass GLOBUDENT zwei Tarife anbiete: "Der eigentlich interessante Tarif sei die Variante 2. danach - dieses habe Herr K. mit den "Vorzügen" im Detail erläutert - erstelle die Fa. GLOBUDENT eine - falsche- Rechnung zu den deutschen Listenpreisen. Der Preisvorteil werde sodann rückwirkend in Höhe von 20 Prozent des Rechnungsbetrages an den Zahnarzt zurückvergütet." Das ist der Beginn meiner GLOBUDENT-Recherche.

Zu diesem Zeitpunkt ist es noch ein Betrugsverdacht, hieb und stichfeste Beweise habe ich keine. Schriftliches dazu gibt es nicht. Außer der Aussage von Scherler´s Dr. "Soundso" habe ich nichts. Auch die Betrugsexperten der AOK haben nicht viel mehr, erfahre ich später. Wie also weiterkommen?

Staatsanwälte ermitteln lustlos

Seit August 2001 gibt es ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Duisburg gegen Verantwortliche von GLOBUDENT, später kommt noch das Verfahren der Staatsanwaltschaft Wuppertal hinzu. Doch die Staatsanwälte wissen auch nicht mehr, Beweise haben auch sie nicht und ermitteln - so scheint es - eher lustlos. Mein Verdacht ist, sie halten die Aussagen von Scherler´s Zahnarzt Dr. "Soundso" anfangs für eine Räuberpistole, denn monatelang passiert wenig bis gar nichts. Später erfahre ich, dass im Juni 2002 - also 8 Monate nach den ersten Aktivitäten der Staatsanwälte - bei der Kripo Essen eine Sonderermittlungsgruppe gegründet wird. Sie besteht zunächst aus 2 Beamten und soll jetzt den größten Betrug im deutschen Gesundheitswesen ermitteln. Behörden und Ermittler können mir also nicht weiterhelfen.

Ich beschließe wieder einen Trick anzuwenden, mit dem ich schon früher Erfolg hatte: Mit verdeckter Kamera in die Dental-Branche eintauchen. Ich will die GLOBUDENT-Manager auf frischer Tat ertappen, das ist der Beweis, den ich brauche. Voraussetzung dafür: ich finde einen Zahnarzt, der mitspielt. Mit Hilfe einer Kollegin und mit Glück finde ich schließlich einen Zahnarzt, der bereit ist für mich bei GLOBUDENT anzurufen und Geschäftsinteresse vorzutäuschen.

Ich verspreche Dr. X., seinen Namen nie zu erwähnen, ihn anonym darzustellen und auch seine Praxis nicht zu filmen. Zahnarzt Dr. X will später nicht als Zeuge auftreten, seine größte Sorge gilt dabei Staatsanwälten und Polizei. Denn würde Dr. X bei Staatsanwälten oder Polizei aussagen, ist sein Name aktenkundig. Und Dr. X will auf gar keinen Fall, dass später gegnerische Anwälte seinen Namen und Adresse in den Akten finden. Als Journalist habe ich es da einfacher - für mich bleibt der Zahnarzt der anonyme Dr. X. Dennoch: Ich bewundere den Mut von Dr. X, schließlich haben wir es hier mit organisierter Kriminalität zu tun, es geht um sehr viel Geld, den Verdacht der Geldwäsche, der Steuerhinterziehung und um schweren Betrug.

Im Internet preist die Mühlheimer Firma vollmundig ihre Vorzüge an - wirbt mit einer Kostenersparnis für Patienten von über 50 Prozent. GLOBUDENT lässt in Shenzen im Süden Chinas im großen Stil produzieren. 300 bis 400 schlecht bezahlte Chinesen fertigen hier Zahnersatz für deutsche Patienten. Über Hongkong werden täglich ganze Zahnladungen per Luftfracht nach Deutschland geschickt. Die Geschäfte von GLOBUDENT laufen so gut, dass täglich ein Kurier zwischen Mühlheim und dem Frankfurter Flughafen pendelt. Fertige Zähne aus China werden abgeholt, Abdrücke und Gipsmodelle ins Reich der Mitte geschickt. In der Wirtschaftsmetropole Hongkong wartet dann am Flughafen schon der nächste Kurier - holt die deutschen Päckchen ab - schickt den fertigen Zahnersatz nach Deutschland. Betrug nach Flugplan - alltägliche Routine. In der GLOBUDENT-Zentrale findet dann noch die sogenannte Endkontrolle des asiatischen Zahnersatzes statt. Rund 50 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Sie verschicken die chinesischen Zähne an die deutschen Zahnärzte. Und hier werden die gefälschten Rechnungen geschrieben.

Über ihre Aussendienst-Mitarbeiter versuchen die Mühlheimer immer mehr deutsche Zahnärzte unter Vertrag zu nehmen. Bis zu 2000 Zahnärzte schätzen die AOK-Experten arbeiten mit GLOBUDENT zusammen. Klaus Altmann, AOK-Niedersachen:
"GLOBUDENT tritt an deutsche Zahnärzte heran und bietet ihnen einen Deal an: Ihr lasst den Zahnersatz über uns laufen, wir besorgen euch den Zahnersatz, die Abrechnung macht ihr auch über uns. Und ihr könnt dann den deutschen Krankenkassen und den Patienten hier in Deutschland den Originalpreis, der auch bei Zahnersatz in Deutschland fällig gewesen wäre, berechnen. Wir bekommen den Zahnersatz im Ausland aber viel billiger hergestellt und den Gewinn daraus den teilen wir uns."

Dank der niedrigen chinesischen Preise streichen die deutschen Zahnärzte einen satten Zusatzgewinn ein. "Der Gewinn kommt dadurch zustande dass die Firma Globudent die Rechnung auf deutsche Höchstpreise umschreibt. Und mit dieser Rechnung ausgestattet kann der Zahnarzt dann den Zahnersatz mit den Krankenkassen und dem Patienten abrechnen - niemand erfährt davon, niemand weiß davon. Die Rechnung sieht einfach sauber aus, wie eine deutsche Zahnersatz-Rechnung", so Klaus Altmann.

Betrug mit Komfort-Preis

Im Juli 2002 ist es soweit. Ein Globudent-Manager hat seinen Besuch in der Zahnarztpraxis von Dr. X angekündigt. Ich will das Gespräch heimlich filmen - dazu haben wir 2 Kameras in den Praxisräumen versteckt. Den Ton dürfen wir aus juristischen Gründen nicht aufnehmen. Deshalb möchte ich zusammen mit Dr. X an dem Gespräch teilnehmen. Grundsätzlich gilt bei Aufnahmen mit einer versteckten Kamera: Vier Augen und Ohren sehen bzw. hören mehr. Diese Absicherung ist besonders wichtig: Wir sind zu zweit und können beide bezeugen, dass dieses und andere Gespräche genau so abgelaufen sind. Käme es zum Rechtsstreit und wäre einer von uns beiden alleine erschienen, stünde Aussage gegen Aussage.

Der GLOBUDENT-Manager erscheint pünktlich. Ich gebe mich als Geschäftspartner und Berater von Dr. X aus - zuständig für das finanzielle - denn der Onkel Doktor verstünde zwar viel von Zahnprothesen aber wenig von finanziellen Dingen. Unser Besucher schaut sichtlich irritiert - 2 Gesprächspartner hat er nicht erwartet. Er ist misstrauisch, will wissen, woher wir überhaupt von GLOBUDENT erfahren haben. Dr. X erzählt von einem befreundeten Zahnarzt, der seit Jahren mit GLOBUDENT zusammen arbeite und sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Unser Gesprächspartner entspannt sich, er kennt den erwähnten Zahnarzt - sein Misstrauen schwindet. Wir reden schon fast eine Stunde über GLOBUDENT, die kostengünstige Produktion in China, die niedrigen GLOBUDENT-Preise und die Qualitätsstandards. Schließlich frage ich unseren Besucher, was denn für Dr. X dabei herausspringe, schließlich sei seine Zahnarztpraxis kein Wohltätigkeits-Institut. Jetzt endlich kommt der GLOBUDENT-Mann zum entscheidenden Punkt - den Tarifen und Abrechnungsmodalitäten.

"Also, der interessanteste Tarif ist der sogenannte Komfortpreis. Wenn Sie das auf dem Bestell-Formular ankreuzen passiert folgendes. Sie bekommen von uns eine ganz normale Rechnung, zu deutschen Preisen - versteht sich. Das ist ja auch legal. So, und einmal im Monat bekommen Sie dann 20 Prozent bar zurück. Sie müssen nur hier unten Komfort ankreuzen. Das Geld kommt per Post, natürlich ohne Absender und am besten an die Privat-Adresse. Wenn Sie verheiratet sind an den Ehepartner."

Einfach Komfort ankreuzen - und fertig ist der Betrug. 20 Prozent bekommt der Zahnarzt cash zurück, keine Überweisung, keine Spuren. Einfach und genial. Ergebnis eines offenbar wasserdichten Systems. Endlich habe ich den Beweis, den ich brauche, ich war dabei als ein GLOBUDENT-Manager das Betrugssystem erklärte. Die versteckten Kameras haben funktioniert, die Bilder sind im Kasten.

Polizei und Staatsanwälte sind soweit noch lange nicht. Wenige Tage nach unseren heimlichen Aufnahmen telefoniere ich mit Staatsanwältin S. in Wuppertal. Sie will von mir noch einmal ganz genau wissen, wie das Betrugssystem von GLOBUDENT funktioniert, ob denn die Zahnärzte nur 80 Prozent des Rechnungsbetrages überweisen und 20 Prozent zurückbehalten würden. Nach dieser Frage weiß ich, dass die Ermittlungen der Staatsanwälte noch lange dauern können. Ich verspreche ihr, dass wir noch nicht senden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Da ich bei meinen Recherchen auf zahlreiche andere Betrüger in der Dentalbranche gestoßen bin, beschließe ich, erst einmal diese abzuarbeiten.

Ausflug nach Ungarn

August 2002. Als Staatsanwälte und Polizei die Zahnarztpraxis von Dr. L. in P. im Emsland durchsuchen, stehen wir schon mit der Kamera vor der Praxis. Der Zahnarzt soll, so der Verdacht der Staatsanwälte, Krankenkassen und Patienten betrogen haben - mit falschen bzw. umgeschriebenen Rechnungen. Dutzende Ordner, Computer, alles wird beschlagnahmt.

Im Keller seiner Praxis hat Dr. L ein sogenanntes Praxislabor. Normalerweise haben Zahnärzte solch ein Labor, um dort kleinere Arbeiten selbst zu erledigen - oft mit Hilfe eines Zahntechnikers/in. In den meisten Fällen ordert der Arzt den Zahnersatz bei einem professionellen Dentallabor. Auf den Rechnungen, die Zahnärzte später den Kassen oder Patienten stellen, ist der Zahnersatz ein sogenannter durchlaufender Posten, d.h. der Zahnarzt verdient nichts am Zahnersatz. Hat er aber ein eigenes Praxislabor, dann darf er den dort produzierten Zahnersatz ganz normal in Rechnung stellen. 20 bis 30 Prozent aller deutschen Zahnärzte wird geschätzt, haben ein eigens Praxislabor - sehr oft werden sie auch von den Ehefrauen der Ärzte geführt.

Richtig absahnen können die Zahnklempner, wenn sie billig im Ausland einkaufen und dann später behaupten, sie hätten die Zahnprothesen im eigenen Labor produziert. Und genau diesen Verdacht haben die Staatsanwälte bei Dr. L. Der Zahnarzt lasse im billigen Ungarn produzieren - rechne aber die teureren deutschen Preise ab. In Ungarn liegen die Preise immerhin rund 40 bis 50 Prozent unter dem deutschem Niveau. Kein schlechter Zusatz-Profit. Auf seinen Rechnungen, habe der Zahndoktor aber stets sein eigenes Labor als Zahnproduzent angegeben. Klaus Altmann von der AOK-Niedersachsen wundert sich schon lange über die Rechnungen des Arztes.

"Der Zahnarzt hat den Zahnersatz also aus dem Ausland kommen lassen - auf welchen Wegen auch immer - und dann hat er die Rechnungen dafür so umgeschrieben, dass dieser ausländische Zahnersatz als deutscher Zahnersatz aus seinem eigenen Labor auftauchte."

Den Tipp mit der ungarischen Firma habe ich von der AOK bekommen, lange bevor die Staatsanwälte den Doktor in P. durchsuchen. Doch was bringt mir dieser Tipp? Wie kann ich ihn verifizieren, welche Recherche-Möglichkeiten gibt es?

Ich fahre nach Körmend in Ungarn, zusammen mit meinem Lieblings-Kameramann aus Berlin. Wir haben die ganz normale Kameraausrüstung dabei und zusätzlich unsere Spezialausrüstung für verdeckte Drehs. Kurz hinter der österreichischen Grenze fällt auf- überall werben Zahnärzte und Labors - in deutscher Sprache. Rund 10 km hinter der Grenze erreichen wir das kleine Städtchen Körmend. Mitten in der Stadt das D. - Dentallabor. Hier also lässt der Zahnarzt aus P. produzieren.

Ungarische Zähne verkaufen sich gut

Wir haben uns gut vorbereitet und wollen mit versteckter Kamera drehen. Ich habe inzwischen einige Grundbegriffe der Zahnklempner gelernt und weiß, dass es Stumpfmodelle, Sägemodelle und Keramikverblendungen gibt und dass man in Deutschland Zahnersatz nach dem Medizin-Produkte Gesetz herstellen muss. Und natürlich habe ich mir Preise gemerkt, schließlich geht es hier ja ums Geschäft. So gewappnet betreten wir das D.-Labor. Wir drehen mit versteckter Kamera, geben uns als Touristen aus, die das angenehme mit dem nützlichen verbinden wollen. Ich spiele den Ehemann einer deutschen Zahnärztin, die gerne mit D. ins Geschäft kommen wolle. Geschäftsführerin Rita D. schöpft keinen Verdacht, sie habe viele deutsche Kunden erzählt sie uns stolz. Mindestens 200 deutsche Zahnärzte würden von D. beliefert, sagt sie. Klar, den Doktor L. aus P. kenne sie. Am Ende dürfen wir uns das Labor ansehen. Deutsche Geschäftsführung, deutsche Kunden aber ungarische Löhne und Standards. Kein schlechtes Geschäft für die deutsche Zahnärzte.

Wir fahren zurück nach Österreich - ohne Kontrolle. Genauso könnten aus den ungarischen Zähnen EU-Zähne werden. Vielleicht hat Dr. L. deshalb im österreichischen Städtchen Eberau gleich noch eine Firma D. gegründet. Zähne werden hier keine produziert - wir finden eine Briefkasten-Firma, ein D.-Schild. In dem Gebäude ist ansonsten der städtische Kindergarten. Die Geschäfte mit den ungarischen Zähnen laufen offenbar gut. Journalistisches Glück gehört dazu. Als wir uns auf der Gemeindeverwaltung im österreichischen Eberau nach D. erkundigen - treffen wir zufällig die Besitzer eines Deutschen Dentalcenters mit Sitz in Ungarn. Sie holen gerade Post ab. Später erfahre ich, auch sie haben eine Briefkastenfirma in Österreich, über die sie ihre Geschäfte abwickeln. Wir drehen wieder mit verdeckter Kamera, ich gebe mich wieder als Ehemann einer Zahnärztin aus, die ungarische Geschäftspartner sucht. Die beiden meinen, dass sie uns bestimmt weiterhelfen können und laden uns für den nächsten morgen nach Ungarn ein.

Das Deutsche Dentalcenter ist etwa 100 Meter hinter der österreichischen Grenze. Nach der freundlichen Begrüßung kommen sie schnell zur Sache. Die Frau klärt uns auf: "Klar, viele deutsche Zahnärzte und Dentallabore kaufen hier billig ein. In Deutschland wird das ja normalerweise nicht kontrolliert, bis jetzt. Der Transport läuft dann über Österreich. Aber sie müssen aufpassen. Wissen Sie, wir haben hier so unwahrscheinlich viel Pfusch gesehen. Sie brauchen hier in Ungarn jemand, der für sie die Arbeit kontrolliert. Das könnten wir übernehmen."

Und ihr Mann weiht uns dann auch noch in die Geheimnisse ein, wie wir in Deutschland Kassen und Patienten betrügen können: "Und damit sie zu deutschen Preisen abrechnen können - brauchen Sie natürlich noch ein Labor in Deutschland, das die Rechnung schreibt. Aber das ist kein Problem. Wir haben ein Labor in Weimar." Ungarische Zähne, keine Kontrollen, deutsche Preise für deutsche Patienten. Unser Ausflug nach Österreich und Ungarn hat sich gelohnt.

Am 11. September 2002 schreibt D.-Geschäftsführerin Rita D. an die Redaktionsleitung von FRONTAL21, natürlich mit Kopie an den ZDF-Intendanten: "Für den Erfolg einer ,story, wurden Fakten; Halbwahrheiten, Vermutungen und Unterstellungen bunt vermischt und ein nettes Süppchen gebraut. Schon allein die Tatsache, dass ein Dentallabor mit den Mitteln versteckte Kamera, die einem Waffenimporteur oder Drogenhändler angemessen wären, journalistisch untersucht wird, gibt einigen Aufschluss." Die Staatsanwälte haben bei ihrer Durchsuchung übrigens gefälschte Rechnungen des Dr. L aus P. gefunden. Aber Rita D. hat Recht - ohne das Mittel der versteckten Kamera, hätte ich die trüben Zahngeschäfte von Dr.L. und von D. nicht aufdecken können.

Warten auf die Staatsanwälte

Im September 2002 habe ich einen guten Überblick über die Dentalbranche und frage mich allmählich, wie viele deutsche Zahnärzte kriminell sind. Vor drei Monaten habe ich heimlich den GLOBUDENT-Manager gedreht. Meinen Beitrag über die Betrügereien von GLOBUDENT kann ich aber immer noch nicht senden, Staatsanwälte und Polizei bitten, noch zu warten. Sie planen die GLOBUDENT-Zentrale und 2 Dutzend weitere Objekte zu durchsuchen und hoffen, dabei Beweise für den Betrug zu finden und natürlich die Namenslisten der beteiligten Zahnärzte. Wenn ich berichte, bevor die Ermittler zuschlagen, werden die Fahnder wohl nicht mehr viel finden. Ich verspreche zu warten, schließlich will ich mir nicht vorwerfen lassen, die Justiz zu behindern.

Inzwischen habe ich einen Zahnarzt gefunden, der mir ein Interview zu GLOBUDENT geben will, allerdings anonym. Er berichtet interessante Details über die Mühlheimer Firma: "Ein Manager von GLOBUDENT hat mir erzählt das System sei sicher. Das Geld von den überhöhten und gefälschten Rechnungen werde nach Hongkong überwiesen, damit alles korrekt aussehe. Er fliege einmal im Monat nach Hongkong um es dort dann wieder bar abzuheben. 300.000 bis 400.000 Euro transportiere er in einem kleinen Koffer als Handgepäck. Zurück in Deutschland werde das Geld an die Zahnärzte verteilt. Man muss sich das als eine Art Dreiecksgeschäft vorstellen. Die Zentrale ist in Mühlheim, das Labor ist in China. Und in Hongkong ist eine Art Briefkastenfirma. Über die findet der Vertrieb statt. Über Hongkong werden auch Geldgeschäfte abgewickelt."

Ich warte noch immer auf die ermittelnden Staatsanwälte. Mitte Oktober 2002 rufe ich den Leiter der Polizei Sonderkommission an - die Polizei scheint mir besser organisiert zu sein als die Wuppertaler Staatsanwälte. Da weder Staatsanwälte noch Polizisten mir das Datum nennen dürfen, wann sie GLOBUDENT durchsuchen - sonst würden sie ja Dienstgeheimnisse verraten - nenne ich meine Daten. Ich kündige also an, dass ich am 19. November 2002 meinen Beitrag senden möchte. Ja, höre ich plötzlich am anderen Ende des Telefons, das gehe in Ordnung. In fünf Wochen also kann es losgehen. Endlich kann ich meinen Jahresurlaub buchen, ich fliege mit einem Freund nach Asien.

Ausflug nach Thailand

Ein Journalist ist immer Journalist - also habe gleich noch ein paar Adressen asiatischer Billiglabore mitgenommen, die mit deutschen Zahnärzten Betrugsgeschäfte machen. Vor dem Rückflug nach Deutschland bleibe ich daher noch drei Tage in der thailändischen Hauptstadt Bangkok, um ein solch ein Zahnlabor zu besuchen. Wir finden es am Rande der Stadt. Hier wird für deutsche und dänische Patienten Zahnersatz produziert. Mein Freund begleitet mich, wir drehen mit versteckter Kamera. Ich spiele wieder den Ehemann einer Zahnärztin. Und wir bekommen eindrucksvolle Bilder vom Innenleben eines thailändischen Zahnlabors.

Der thailändische Laborchef - zeigt uns die Räume - erklärt seine Preise. Die deutschen Verhältnisse kennt er genau: er liefere 80 Prozent unter deutschen Preisen und zähle auch schon andere Zahnärzte aus Deutschland zu seinen Stammkunden. Aus gutem Grund: Ein Zahn aus Metall-Keramik kostet in Deutschland 200 Euro - hier 40 gerade mal ein Fünftel. Unser thailändischer Produzent weiß auch, dass seine deutschen Abnehmer inzwischen Ärger mit deutschen Krankenkassen und Behörden haben. Einige Zahnärzte sind erwischt worden, weil sie statt der billigen thailändischen Preise - mit gefälschten Rechnungen die deutschen Höchstpreise abgerechnet haben. Ihn lässt das völlig unbeeindruckt. Ob aus seinem thailändischen oder anderen asiatischen Labors - diese Betrugsmasche läuft wie geschmiert. Klaus Altmann von der AOK-Niedersachsen geht von einem Betrug im dreistelligen Millionenbereich aus: "Für uns geht es um handfesten Betrug - wir können wohl davon ausgehen, dass ein dreistelliger Millionenbetrag zu Lasten von Patienten und von Krankenkassen falsch abgerechnet worden ist und in die Taschen von Zahnärzten und von Labors gewandert ist."

Am 15. November 2002 informiere ich Polizei und Staatsanwaltschaft Wuppertal zum wiederholten Mal, dass FRONTAL 21 am 19. November 21Uhr über den Abrechnungsbetrug von GLOBUDENT berichten wird. Der stellvertretende Behördenchef fordert mich auf, nicht zu berichten. FRONTAL21 dürfe auf gar keinen Fall am 19. November senden, ansonsten würden wir die Ermittlungen behindern. Ich weiß jetzt, dass am 20. November durchsucht werden soll. Ein ermittelnder Staatsanwalt sagt mir - inoffiziell - dass ich lange gewartet hätte, das sei ungewöhnlich genug, unser Bericht würde die Justiz nicht behindern. Was also tun? Nach Rücksprache mit unserem Justitiar steht fest: wir senden am 19. November. Das ZDF ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt und keine Unterbehörde der Wuppertaler Staatsanwaltschaft. Allerdings verzichten wir auf eine Vorabmeldung, um die Betrüger nicht vorzuwarnen.

Staatsanwälte schlafen noch

Mittwoch, der 20. November 2002, gegen fünf Uhr morgens. Vor über zehn Stunden hat FRONTAL21 über die Betrügereien von GLOBUDENT berichtet. Jetzt räumen die Manager auf - versuchen Beweise zu vernichten. Immer wieder blicken die Geschäftsführer der Firma hektisch aus dem Fenster: Jeden Moment erwarten sie die Polizei. Unsere Kamera läuft - noch in der Nacht habe ich ein Kamerateam vor die GLOBUDENT-Zentrale geschickt. Zu dieser Zeit schläft die Wuppertaler Staatsanwaltschaft noch selig, obwohl sie informiert war. Aber: Der Durchsuchungstermin ist in der Behörde ordentlich festgelegt worden - für Mittwochmorgen, 8 Uhr, keine Minute früher. Als die Staatsanwälte erst Stunden nach unseren Aufnahmen anrücken, finden sie im Müll massenweise geschreddertes Material.

Das reicht für einen Haftbefehl - John M. und sein Bruder werden verhaftet - wegen Verdunklungs- und Fluchtgefahr. Trotz der Akten-Vernichtungsaktion schleppen die Fahnder beschlagnahmte Unterlagen gleich kistenweise aus der Firmenzentrale. Sie suchen vor allem nach den Kundenlisten der Firma, nach den beteiligten Zahnärzten.

Nach der Durchsuchung wird klar, wie konspirativ und kriminell Zahnärzte und Globudent zusammengearbeitet haben. Die Rechnungen enthielten sogar einen Geheim-Code - ein Sternchen. Den Experten der AOK Niedersachsen ist es gelungen, die Rechnungen der Mühlheimer Zahnfirma zu entschlüsseln. Klaus Altmann, AOK-Niedersachsen: "Wir wissen seit kurzem, dass die Firma Globudent und die mit ihr zusammenarbeitenden Zahnärzte so eine Art Geheimcode entwickelt haben. Und zwar, wenn auf der Rechnung für den Zahnersatz vor dem Namen des Patienten ein Sternchen auftaucht, dann ist das schon ein recht guter Hinweis darauf, dass hier der Zahnarzt und die Firma gemeinsame Sache gemacht haben, dass da Geld geflossen ist an den Zahnarzt und dann kann der Patient also daran gehen, jetzt Schadensersatz zu fordern."

Wochenlang ist die Branche in heller Aufregung. Und auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt fordert Konsequenzen von den Kassen: "Es ist Sache der Krankenkassen auch dafür zu sorgen, dass das was abgerechnet wird, tatsächlich an Leistung erbracht wurde. Das Problem ist ja, dass man Billigzahnersatz eingeführt hat und trotzdem die deutschen Höchstpreise abgerechnet hat. Und da muß das Vertragsrecht so transparent gestaltet werden, dass das nicht mehr möglich ist."

Noch in der U-Haft legen John M. und sein Bruder ein Geständnis ab. Sie sind heute wieder frei und in der Dental-Branche aktiv. Anfang 2003 wird die Firma GLOBUDENT aufgelöst. Im Mai 2003 laufen die Ermittlungen weiter, Ende 2003 soll es zum Prozess kommen. Es ist immer noch nicht klar, wie viele Zahnärzte Kassen und Patienten betrogen haben. Sicher ist nur: es waren mehrere hundert.