Eine Chronologie aus Kummerfeld

Von links bis rechts und in die Tiefe gehend:
das rd. 7.500 qm große Grundstück von Thea SCHÄDLICH in Kummerfeld. Foto: Emna ALOUI

23. Juli 2004

Thea SCHÄDLICH wird auf Anregung des Amtes Pinneberg-Land wegen eines vermeintlichen „Vermüllungssyndroms“ unter rechtliche Betreuung gestellt. Grundlage ist das medizinische Gutachten eines Sachverständigen. Für die Erstellung der Beurteilung unternahm dieser elf vergebliche Kontaktversuche. Nur einmal gelang es ihm, SCHÄDLICH an einem Altpapiercontainer persönlich abzupassen und ihre einige Fragen zu stellen


Anfang August 2004

Thea SCHÄDLICH erhält die behördliche Aufforderung, ihr Grundstück sofort zu räumen – nur wenige Tage, nachdem der medizinische Gutachter sie abgefangen hatte


November 2004

SCHÄDLICH begibt sich freiwillig in nervenärztliche Behandlung. Aus wenigen Tagen wird auf Betreiben einer für sie zuständigen Betreuerin ein monatelanger Aufenthalt


29.11.2005

Thea SCHÄDLICHs Grundstück wird von ihren Betreuern gegen ihren Willen an die Gemeinde verkauft. Offizieller Grund: Erbschaftssteuerschulden in Höhe von knapp 40 000 Euro, die durch den Grundstücksverkauf beglichen werden sollten. Der Verkaufspreis liegt rund 30 000 Euro unter dem auf rund 370 000 Euro geschätzten Verkehrswert


01.01.2006

Die Gemeinde beginnt mit der Räumung des Grundstückes von Thea SCHÄDLICH. Die Räumungskosten werden mit 174 000 Euro veranschlagt. Die Summe wird von SCHÄDLICHs Rechtsanwalt ihres Vertrauens, Gunther GIESE, wegen der wirtschaftlich wiederverwertbaren Bestandteile als viel zu hoch kritisiert. Für runde 170 000 Euro kann man in Kummerfeld ganze Häuser kaufen


08.02.2006

Thea SCHÄDLICH erscheint in der Redaktion der Pinneberger Zeitung und erzählt der Reporterin Marion GIRKE ihre Geschichte


16.02.2006

Die Pinneberger Zeitung berichtet erstmals über den Fall: Bereichert sich ein Dorf auf ihre Kosten?


März 2006

Das Amtsgericht Pinneberg erlässt auf Antrag ihrer vorgesetzten Betreuer eine einstweilige Verfügung, die es Thea SCHÄDLICH untersagt, sich öffentlich zu ihrem Fall zu äußern. Zitat: „Der Aufgabenkreis der Betreuer wird um den Bereich Vertretung gegenüber Presse, Fernsehen und gegenüber dem Behindertenbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein erweitert“. Sie darf sich danach auch nicht an den Behindertenbeauftragten wenden


20.03.2006

Das Landgericht Itzehoe lehnt einen Antrag von SCHÄDLICHs Rechtsanwalt Gunther GIESE „aus formalen Gründen“ ab. GIESE wollte durch eine einstweile Verfügung die Räumungs- und Rodungsarbeiten auf SCHÄDLICHs ehemaligem Grundstück stoppen


23.03.2006

Thea SCHÄDLICHs vorgesetzte Betreuer beauftragen einen Berliner Medienanwalt, der über das Landgericht Berlin eine Einstweilige Verfügung durchsetzt: Das Hamburger Abendblatt darf ab sofort nicht mehr identifizierend über den Fall berichten: Es dürfen weder die Namen der beteiligten Personen, noch Orte genannt werden


24.03.2006

Der erste große Bericht im Hauptblatt Hamburger Abendblatt erscheint – die bisherigen Artikel waren in der Lokalausgabe Pinneberger Zeitung erschienen. Der Text der großen Reportage auf der „Seite Drei“ ist unter der Überschrift Im Namen des Gesetzes - wie eine alte Frau ihr Haus verlor wegen der einstweiligen Verfügung an dutzenden Stellen geschwärzt. Ein Foto zeigt Thea SCHÄDLICH gepixelt und damit unkenntlich gemacht


25.03.2006

SPIEGEL ONLINE berichtet unter der Überschrift „Streit um Entmündigung: Die schrullige Frau und das Haus“ über den Fall SCHÄDLICH


29.03.2006

Thea SCHÄDLICH erhält auf Antrag ihres Anwalts vom Amtsgericht Pinneberg eine neue Betreuerin ihrer eigenen Wahl. Der zweite Betreuer (so genannter Ergänzungsbetreuer), der den Medienanwalt aus Berlin eingeschaltet hat, wird vorerst nicht ausgetauscht.
Zapp, das Medienmagazin des NDR, sendet einen Bericht über die "Hintergründe einer menschlich bewegenden Geschichte" - und die juristischen Auseinandersetzungen um die Abendblatt-Berichterstattung. Vor und nach der TV-Ausstrahlung versucht der zweite Betreuer mit dem von ihm eingeschalteten Medienanwalt aus Berlin auch diesen Bericht zu verhindern - gegen den Willen von Thea SCHÄDLICH


30.03.2006

Das zuständige Vormundschaftsgericht hebt auf Antrag des von ihr selbst beauftragten Anwalts GIESE das Redeverbot auf, das Thea SCHÄDLICH untersagte, sich an die Presse wenden zu dürfen. Namen und Orte der Affäre dürfen vom Hamburger Abendblatt weiterhin nicht genannt werden


04.04.2006

"Wie eine alte Frau ihr Haus verlor" - die Kieler Nachrichten berichten über Thea SCHÄDLICH und die Betreuungsproblematik


10.04.2006

Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtet über die „rabiate Landnahme von Kummerfeld“. Der von Thea SCHÄDLICHs zweitem Betreuer beauftragte Medienanwalt aus Berlin wird zu diesem Artikel später sagen: Alles Kotze


11.04.2006

Das Landgericht Itzehoe stoppt vorläufig die Räumung des Grundstücks und den Abriss des Hauses. Zu diesem Zeitpunkt ist der vermeintliche „Müll“ bereits komplett vom Grundstück beseitigt worden, Bäume und Sträucher wurden abgeholzt


13.04.2006

Die zuständige Kammer des Landgerichts Berlin hebt die einstweiligen Verfügungen gegen dasHamburger Abendblatt weitgehend auf. Es dürfen wieder fast alle Namen und die Orte der Betreuungsaffäre genannt werden. Über den zweiten Ergänzungsbetreuer darf weiterhin nur in nicht identifizierbarer Weise berichtet werden


Mitte April 2006

Die Staatsanwaltschaft Kiel übernimmt „wegen der Komplexität des Verfahrensgegenstandes“ den Fall von der Staatanwaltschaft in Itzehoe. Es soll unter anderem geprüft werden, ob der Verkauf des Grundstücks 30 000 Euro unter dem Verkaufswert strafrechtlich relevant sein könnte. Außerdem greift die FDP-Fraktion des schleswig-holsteinischen Landtags das Thema auf, indem sie die auf Umsetzung des Betreuungsgesetzes und der rechtlichen Betreuung - konkret am Fall Thea SCHÄDLICH die Tagesordnung des Sozialausschusses setzen lässt


24.04.2006

Die Süddeutsche Zeitung berichtet auf ihrer Medienseite groß über die „bizarre Medienaffäre“ um Thea SCHÄDLICH und das Hamburger Abendblatt – ohne den Namen des „Berliner Starjuristen“ zu nennen


Juni 2006

Die Staatsanwaltschaft Kiel leitet ein offizielles Ermittlungsverfahren im Fall Thea SCHÄDLICH ein. Es besteht der Anfangsverdacht der Untreue sowohl gegen die ehemaligen Betreuer als auch gegen namentlich noch nicht näher benannte „Verantwortliche“ der Gemeinde Kummerfeld und des Amtsgerichts Pinneberg


29.06.2006

Die Hamburger Bürgerschaft beschäftigt sich mit dem Thema Betreuung. Zuvor hatte die Hamburger SPD-Fraktion einen Antrag in das Landesparlament eingebracht. Darin wurde der Senat aufgefordert, einen umfassenden Bericht über die Betreuungssituation in Hamburg vorzulegen


Anfang Juli 2006

Der bisherige Ergänzungsbetreuer, der den „berühmt-berüchtigten“ Medienanwalt aus Berlin eingeschaltet hatte, um der Alten Dame und dem Abendblatt einen Maulkorb zu verpassen, wird vom Amtsgericht Pinneberg entlassen. Neuer Ergänzungsbetreuer wird auf Wunsch von Thea SCHÄDLICH der Hamburger Strafrechtsprofessor Bernd-Rüdeger SONNEN, der Erfahrung in schwierigen Betreuungsfällen hat


Oktober 2006

Verspätet legt die Gemeinde die Abrechnung über die Räumungskosten des Grundstücks vor: Sie bleibt mit etwas mehr als 100 000 Euro um etwa 73 000 Euro unter den geschätzten Kosten, die mit 174 000 Euro angesetzt waren. Von den Betreuern eigenhändig bei Müllentsorgungsfirmen eingeholte Alternativangebote, hätten die Kosten auf 43 000 Euro beschränkt. Dennoch ging der Auftrag an die Gemeinde. Laut einer Passage im Kaufvertrag kommt Thea SCHÄDLICH lediglich die Hälfte der erzielten Einsparung zugute


23.12.2006

Einen Tag vor Heiligabend hebt das Landgericht Itzehoe die Entscheidung des Amtsgerichts Pinneberg auf, das im November 2005 den Grundstücksverkauf durch die Betreuer vormundschaftsrechtlich gebilligt hatte: Der Kaufvertrag ist fehlerhaft, weil gegen den Willen der Eigentümerin durchgesetzt! 
Damit ist für Thea SCHÄDLICH der Weg frei, ihr Grundstück zurückzuerhalten. Ihr Anwalt Gunther GIESE drängt auf eine schnelle Rückabwicklung des Kaufvertrags


Februar 2007

Die Gemeinde Kummerfeld erklärt sich grundsätzlich bereit, den Beschluss des Landgerichts Itzehoe zugunsten von Thea SCHÄDLICH zu akzeptieren, und ihr Haus und Grundstück zurückzugeben. Neben dem Kaufpreis soll SCHÄDLICH allerdings auch die Kosten für die Räumung und Rodung des Grundstücks erstatten. SCHÄDLICH und ihr Anwalt GIESE hingegen fordern Schadenersatz für die Vernichtung wertvollen Besitzes.
GIESE reicht eine erste Schadenersatzklage gegen die ehemaligen Betreuer ein. Der vorläufige Streitwert setzt sich aus Anwalts- und Gerichtskosten zusammen und beläuft sich auf 5200 Euro


April 2007

Das Berliner Kammergericht entscheidet, dass die Redaktion des Hamburger Abendblattes jetzt auch identifizierend über den mittlerweile ausgetauschten Betreuer berichten darf: Es können „im Einzelfall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit Vorrang haben“, heißt es in dem Urteil des Berliner Kammergerichts (Az: 9 U 106/06). Damit ist der Maulkorb gegen das Abendblatt endgültig und in vollem Umfang aufgehoben


Mai 2007

Die beiden Redakteure des Hamburger Abendblatts, Marion GIRKE und Christian DENSO, bekommen im Frankfurter Römer den ersten "Wächterpreis der Tagespresse" überreicht. Der Vorsitzende der Jury, Hermann RUDOLPH (Herausgeber des Berliner Tagesspiegel) würdigt die Preisträger für ihren "Gerechtigkeitssinn und ihre Ausdauer. Aber auch die verantwortlichen Manager der Zeitung: Sie hätten ihren Journalisten "die notwendige Unterstützung und Freiheit bei ihren Recherchen" zukommen lassen. Was die Gemeinde Kummerfeld anbelangt, so spricht RUDOLPH von der "Arroganz lokaler Macht"


Juni 2007

Thea SCHÄDLICH wird vom Psychiater und Neurologen Professor Dr. Bernhard HOFFERBERTH untersucht, der ihr bescheinigt, nicht auf eine Betreuung angewiesen zu sein: "Psychisch war die Patientin wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Es finden sich keine Merkfähigkeits- oder Gedächtnisstörungen, keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen, kein Anhalt für Wahn- oder Sinnestäuschungen, Ich- oder Persönlichkeitsstörungen."
Damit ist der Betreuungsgrund hinfällig, weshalb ihr Rechtsanwalt Gunther GIESE das Gutachten beim Vormundschaftsgericht Pinneberg einreicht


2008

Nach wie vor ist die Gemeinde Kummerfeld als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Thea SCHÄDLICH darf ihr Grundstück nicht betreten - nur mit Einverständnis des Gemeinde bwz. des Bürgermeisters Hans-Jürgen BOHLAND, CDU. 
BOHLAND hat das Grundstück zwischenzeitlich roden und teilweise räumen lassen: für 174.000 Euro. Dieses Geld will er jetzt von Thea SCHÄDLICH erstattet haben. Beziehungsweise bei der Rückabwicklung mit dem zu erstattenden Verkaufspreis von 340.000 € verrechnen.
Das Landgericht gibt Thea SCHÄDLICH recht. Die Gemeinde Kummerfeld ist mit diesem Urteilsspruch nicht einverstanden und reicht Berufung vor dem Oberlandesgericht Schleswig ein


2009

Thea SCHÄDLICH's neuer Betreuer, Rechtsanwalt Corvin FISCHER, will von der Gemeinde Kummerfeld Schadensersatz: für bei der Räumung verschwundene Baumaterialien. Außerdem stellt er Strafanzeige gegen Bürgermeister BOHLAND und einen Gemeindevertreter, Jürgen B, ebenfalls Mitglied der CDU. Letzterer hatte in seiner Eigenschaft als Notar das fragwürdige Geschäft notariell beurkundet. 
Corvin FISCHER: "Beide haben sich strafbar gemacht. Unabhängig davon haben sie auch ihr politisches Amt missbraucht."
FISCHER stellt deshalb gleichzeitig auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen "Amtsmissbrauchs" bei der Kieler Staatskanzlei


2010

Der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e.V.startet eine Informationskampagne "SoFa 2010 - Sozial und Fair". Auslöser ist u.a. die Geschichte von Thea SCHÄDLICH. Die Aktiven wollen auf die grundsätzliche Problematik und auf die Misere im Betreuungswesen aufmerksam machen: immerhin werden rund 1,2 Mio Menschen deutschlandweit betreut - Tendenz steigend


Ende 2011

Noch immer ist nichts entschieden:

  • die Gemeinde Kummerfeld ist gerichtlich verurteilt, das Grundstück wieder an Thea SCHÄDLICH zurückzugeben
  • geschehen ist das noch nicht, weil die Gemeinde, vertreten durch ihren Bürgermeister Hans-Jürgen BOHLAND, 174.000 für zwischenzeitliche Aufräumarbeiten erstattet haben möchte. Würde sie damit vor dem Oberlandesgricht Schlwesig Gericht durchkommen, könnte Thea SCHÄDLICH ihrerseits den erhaltenen Kaufpreis von 340.000 Euro nicht mehr aufbringen, den sie zurückbezahlen muss.

Dies wäre ein echtes Schnäppchen für die Gemeinde: Sie besäße ein 7.500 qm großes unbebautes Grundstück mitten im Dorf, das geschätzte 1,5 Mio € wert ist und für das sie ganze 340.000 € gezahlt hätte

  • über die Strafanzeige und die Dienstaufsichtsbeschwerde aus dem Jahr 2009 ist ebenfalls noch nicht entschieden - die Staatsanwaltschaft in Kiel sowie die Staatskanzlei von Schleswig-Holstein zieren sich ...


(mn / EA)