Frontal 21, 01.02.2005

von Jörg BRASE, Johannes HANO

Entführt und misshandelt

Die Geschichte von Khaled el Masri klingt wie ein Drehbuch für einen Agentenfilm. Sie handelt von maskierten Männern, ominösen Flugzeugen, Verschleppung und Verhören. Doch es sei kein Krimi, sondern eine wahre Geschichte, sagt el Masri.

Und sie soll sich so abgespielt haben: Am Silvesterabend 2003 wird Khaled el Masri, der auf dem Weg zu einem Kurzurlaub in Mazedonien ist, am Grenzübergang Tabanovce/Mazedonien von Grenzpolizisten aus dem Reisebus geholt.

El Masri erinnert sich: "Drei Männer kamen in Zivil und mit Pistolen bewaffnet. Sie haben mich in einen kleinen Raum an der Grenze gebracht, haben mich und meine Kleider untersucht, was ich in der Tasche hatte. Und dann hat einer angefangen, mich auszufragen, ob ich irgendwelche Beziehungen zu El Kaida oder den islamischen Hilfsorganisationen habe."

Im Verhörraum an der Grenze

Offenbar ist el Masri ins Visier einer internationalen Terrorfahndung geraten. Wie sein Name in den mazedonischen Grenzcomputer kam, weiß er nicht. Er verkehrt in seiner Heimatstadt Ulm zwar in einer Moschee, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Doch gegen el Masri liegt bei den deutschen Behörden nichts vor.

An der Grenze wird er zunächst in einen Verhörraum geführt. Jeder Kontakt zu seiner Familie oder einem Anwalt wird ihm verwehrt. Dann bringt man ihn in die Hauptstadt Skopje, hält ihn dort in einem Hotel fest und bewacht ihn rund um die Uhr.

"Und sie haben zu den Waffen gegriffen"
El Masri erzählt weiter: "Dann haben wir miteinander richtig heftig gestritten. Ich habe mit ihnen auf deutsch geschimpft und sie haben irgendetwas auf mazedonisch gesagt. Ich habe sie nicht verstanden. Und dann haben sie zu ihren Waffen gegriffen. Der eine stand am Fenster, der andere an der Tür und der dritte am Fenster neben dem Bett. Sie haben mich bedroht. Ich sah, dass die Situation richtig ernst ist."

Gut drei Wochen wird er von den Mazedoniern über seine Ulmer Moschee und El Kaida ausgefragt. Schließlich übergeben sie ihn an schwarz vermummte Männer. El Masri werden die Augen verbunden, dann bringt man ihn zum Flughafen, wo er in einer Verhörzelle zusammengeschlagen wird. Man schneidet ihm die Kleider vom Leib und bringt ihn schließlich in ein Flugzeug, wo er eine Spritze bekommt.

Als el Masri wach wird, ist er bereits in Afghanistan. In Kabul wird er in das Kellerverlies eines Gefängnises gesteckt. Vier Monate wird er dort festgehalten und von Amerikanern befragt, behauptet el Masri: "Dann hat er angefangen, mich anzuschreien. Er sagte: 'Weißt du, warum du hier bist?' Und ich habe gesagt: 'Das ist eigentlich meine Frage'. Das wollte ich ja wissen, warum ich hier bin. Darauf hat er geantwortet: 'Du bist hier in einem Land, wo es keine Gesetze gibt. Und niemand weiß, wo du bist. Weißt du, was das heißt?' Ich habe ihm gesagt: 'Ja'."

Mit verbundenen Augen im Flugzeug

Doch offenbar merken seine Entführer, dass sie den Falschen geschnappt haben. Im Mai 2004, so berichtet el Masri, verspricht ihm der amerikanische Gefängnisdirektor, dass er bald freikommen werde. Ende Mai setzt man ihn tatsächlich in ein Flugzeug. Mit verbundenen Augen verbringt el Masri Stunden in der Maschine, dann in einem Bus. Er wird in einem Wald ausgesetzt, läuft einem albanischen Grenzer in die Arme. El Masri berichtet: "Ich habe ihm erzählt, was mit mir passiert ist. Daraufhin hat er mich ausgelacht und hat zu mir gesagt, ich soll das nur keinem erzählen, sonst lachen sie mich aus."

Verschleppungen gängige Praxis

Zurück in Deutschland erzählt el Masri seine Geschichte seinem Anwalt. Dieser erstattet Anzeige. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft München. Man hält seine Aussagen für glaubwürdig. Beweise für eine Beteiligung ausländischer Geheimdienste an der Entführung aber habe man nicht.

Doch eine ehemalige amerikanische Agentin bestätigt, dass solche Verschleppungen zur gängigen Praxis der US-Geheimdienste gehören. Melissa Boyle Mahle hat selbst jahrelang für die CIA solche Aktionen durchgeführt: "Vor dem 11. September war unser Ansatz der Strafverfolgung, dass wir Zielpersonen in die USA transportieren, um sie bei uns vor Gericht zu stellen. Aber nach dem 11. September hat sich der Ansatz verändert. Wir führen solche Verschleppungsaktionen heute durch, indem wir die Personen einfach zum Verhör in ein drittes Land bringen", erklärt Boyle Mahle. Illegal würde sie das nicht nennen, sagt sie. "Außergesetzlich" gefalle ihr da schon besser.

EIN DEUTSCHER IN DEN FÄNGEN DER GEHEIMDIENSTE (TEIL 2)

Wir fahren nach Mazedonien und wollen el Masris Geschichte und die Rolle der CIA überprüfen. Wir haben einen Hinweis bekommen.

Jörg Brase und Johannes Hano

Am 23. Januar 2004, exakt an dem Tag, als el Masri von Skopje nach Kabul gebracht worden sein soll, sei ein geheimnisvolles Flugzeug in Skopje gelandet. Eine Boeing 737, Kennzeichen N313P, eine amerikanische Zulassungsnummer.

Wir recherchieren die Flugzeugkennung im Internet: Die Maschine gehörte damals der Firma Premier Executive Transport Service in Massachusetts. Nach amerikanischen Medienberichten ist das eine Firma, hinter der sich die CIA verbirgt. Mit einer ihrer Maschinen wurden nachweislich solche Operationen durchgeführt.

Flugzeug für Verschleppungsfälle

Kenneth Roth, der Direktor von Human Rights Watch, erklärt: "Human Rights Watch weiß von einem konkreten Flugzeug, ein Gulfstream Jet. Er wurde in vielen solcher Verschleppungsfällen benutzt. So hat es die US-Regierung zum Beispiel eingesetzt, um zwei verdächtige Ägypter aus Schweden nach Ägypten zu bringen, wo sie nachweislich gefoltert wurden."

Uns wird der Flugplan von N313P zugespielt. Am 23. Januar 2004 landet die Maschine aus Palma de Mallorca kommend gegen 21 Uhr in Skopje. Das ursprüngliche Flugziel Kabul wird geändert. Um 2.35 Uhr am 24.Januar startet N313P Richtung Bagdad. Nach einer kurzen Zwischenlandung fliegt es von dort aus weiter, schließlich doch nach Kabul in Afghanistan.

Im Auftrag der CIA

Bis zum Abflug der Maschine aus Skopje sind die Mazedonier zuständig. Alllerdings, so erfahren wir aus mazedonischen Sicherheitskreisen, im Auftrag eines befreundeten Dienstes.

Auch der Journalist Alexandar Bozinovski bekam diese Information. Seine Quelle im mazedonischen Geheimdienst berichtete ihm vom Fall el Masri: "Er sagte, sie hätten einen dicken Fisch im Zusammenhang mit dem 11. September geschnappt. Sie dürften das aber nicht öffentlich machen. Denn die CIA habe die mazedonische Regierung darum gebeten, diese Aktion durchzuführen."

Wir finden auch jenes Hotel in Skopje, in dem el Masri drei Wochen lang festgehalten worden sein soll. Alle Details passen auf seine Beschreibungen - und tatsächlich identifiziert el Masri später das Hotel als den Ort, an dem er zu angeblichen Terrorkontakten von den Mazedoniern befragt wurde. Es liegt nur wenige Schritte entfernt von der amerikanischen Botschaft in Skopje. Ein bloßer Zufall? Oder ein weiterer Mosaikstein, der el Masris Geschichte erhärtet?

Hoffnung auf ernste Nachfragen

Roth weiter: "Hinter der Sache muss eine Großmacht stehen. Man kann wohl vermuten, dass es sich da um die USA handelt. Ich hoffe also, dass die deutsche Regierung ernsthafte Nachfragen in Washington stellt.

"Der US-Geheimdienst wollte den Fall el Masri gegenüber Frontal21 nicht kommentieren. Wenn ein deutscher Staatsbürger von fremden Diensten entführt wird, müsste sich eigentlich auch die Bundesregierung dafür interessieren. Man habe aber dazu keine Erkenntnisse, heißt es in Berlin. Das dürfte sich jetzt ändern.

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