Frontal 21, 22.02.2005

von Jörg BRASE, Johannes HANO

Weitere Ermittlungen im Fall EL MASRI

George Bush und Gerhard Schröder sind in Brüssel, sie wollen nicht zurück, sondern in die Zukunft blicken. Nichts und niemand soll die Feierlaune stören, auch nicht Khaled el Masri. Der Deutsche libanesischer Herkunft wurde offenbar ein unschuldiges Opfer der Amerikaner in ihrem weltweiten Krieg gegen den Terror.

Nachgehakt vom 8. November 2005:

Frontal21 berichtete mehrfach über den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el Masri. El Masri war ins Visier der amerikanischen Terrorfahndung geraten. Von einer US-Spezialeinheit wurde er im Jahr 2004 mit einer CIA-Maschine nach Afghanistan verschleppt. Dort, so berichtet el Masri, habe man ihn an einem geheimen Ort gefangen gehalten und misshandelt. Nach fünf Monaten ließ man ihn wieder frei. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft München auch gegen die USA.

Jetzt berichtete die Washington Post über ein ganzes Netzwerk geheimer CIA-Gefängnisse. Neben Afghanistan und Thailand seien in den vergangenen vier Jahren auch in Osteuropa solche Gefängnisse eingerichtet worden. In ihnen sollen etwa 100 Terrorverdächtige interniert sein. Ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Betreuung durch Anwälte. Zu klären bleibt, wer in der US-Regierung für diese "schwarzen Gefängnisse" die Verantwortung trägt.

El Masri erwartet klare Worte der Bundesregierung an den amerikanischen Gast: "Ich erwarte Gerechtigkeit von den Behörden und dass sie sich um den Fall kümmern. So etwas darf sich nie wieder wiederholen." Seine Geschichte ist politisch hochbrisant, juristisch allerdings absolut eindeutig. Das meint ausgerechnet Christian Tomuschat, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität Berlin. Er berät die Bundesregierung in internationalen Rechtsfragen: "Was die Amerikaner tun, ist nichts anderes als Entführung und Freiheitsberaubung." Wir fragen nach: "Das ist strafrechtlich relevant?"

Tomuschat antwortet: "Das ist strafrechtlich relevant, natürlich."
Vor zwei Wochen berichtete Frontal21 über El Masris Fall. Am Silvestertag 2003 wird der Deutsche an der mazedonischen Grenze aus einem Reisebus geholt und verschleppt. Drei Wochen lang verhören ihn die Mazedonier in einem Hotel in Skopje. Dann übergeben sie ihn offenbar an den amerikanischen Geheimdienst. Auf dem Flughafen wird er in einem Verhörraum zusammengeschlagen, gefesselt und mit einer Spritze betäubt.

"Renditions" als gängige Praxis
Nach Recherchen von Frontal21 wird er Ende Januar 2004 mit einem Flugzeug über Bagdad nach Kabul geflogen. Die Maschine gehört einer Firma, hinter der sich nach US-Medienberichten die CIA verbirgt. Solche so genannten "renditions", so bestätigt uns eine ehemalige CIA-Agentin, gehören zur gängigen Praxis des US-Geheimdienstes. Sie war früher selbst an solchen Operationen beteiligt.

Nachgehakt vom 7. Juni 2005:

Frontal21 berichtete mehrfach über den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el Masri. Die USA ließen ihn Ende 2003 in Mazedonien entführen und verschleppten ihn nach Afghanistan. Erst nach fünf Monaten kam der unbescholtene el Masri wieder frei.

Offizielle Stellen in Mazedonien geben nun erstmals ihre Mitwirkung an der Verschleppung zu. Um Beitrittsverhandlungen mit der EU nicht zu gefährden, soll ein Sonderbeauftragter der mazedonischen Regierung in Brüssel vorsprechen.

Melissa Boyle Mahle über diese Vorgänge: "Rendition ist eine außergesetzliche Kidnapping-Aktion. Wenn du in irgendeinem Land ein Ziel ausgemacht hast, dann schnappst du dir diese Zielperson, den Terroristen oder wen auch immer, und überführst ihn von diesem Land in ein anderes Land."

"Sehr beängstigend"

Tomuschat sagt dazu: "Das ist sehr beängstigend, wenn Menschen einfach verschwinden und man von ihnen nichts wieder hört. Um so beängstigender, wenn das nicht irgendwelche Terrorgruppen sind, sondern eine rechtsstaatliche, eine angeblich rechtsstaatliche Demokratie ist.

DEUTSCHLAND BITTET MAZEDONIEN UM RECHTSHILFE (TEIL 2)

Jörg Brase und Johannes Hano

Ende Mai setzen sie ihn an der Grenze zu Albanien wieder aus. Menschenrechtsorganisationen kennen viele solche Fälle. Der Fall El Masri sei typisch für die US-Politik nach dem 11. September.

Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch, sagt: "Das ist ein klassischer Fall von Verschwindenlassen. Etwas, das man sonst nur von Diktaturen kennt. In den meisten Fällen werden diese Menschen gefoltert oder umgebracht. El Masri hatte Glück, dass er lebend herausgekommen ist. Aber wenn jemand erst mal von der Bildfläche verschwunden ist und es keinen Beweis mehr für seine Existenz gibt, dann ist er allen Formen von Misshandlung ausgeliefert."

Rechtshilfeersuchen an Mazedonien

Die Verantwortlichen zu fassen ist nur selten möglich. Doch die Münchner Staatsanwaltschaft glaubt El Masri. Sie will die Täter ermitteln und hat jede Menge Belege zusammengetragen. Jetzt hat sie ein Rechtshilfeersuchen an Mazedonien auf den Weg gebracht.

Auf unsere Frage, was es bedeuten würde, wenn ausländische Geheimdienste an der Verschleppung beteiligt waren, antwortet man uns: "Der Vorgang wäre von besonderer Bedeutung in politischer Beziehung."

"Mazedonien trägt Verantwortung"

In Mazedonien werden die deutschen Ermittlungen aufmerksam beobachtet, denn hier könnte die Staatsanwaltschaft fündig werden. Pavle Trajanov war von 1998 bis 2001 mazedonischer Innenminister und damit Chef der Geheimdienste.

Der Fall El Masri, meint Trajanov, könne für die mazedonische Regierung zu einem großen Problem werden: "In diesem Fall trägt die mazedonische Regierung eindeutig die Verantwortung. Denn auch nach unseren Gesetzen darf das Innenministerium einen Verdächtigen nur 24 Stunden festhalten, länger nicht. Anderenfalls bräuchte man die Entscheidung eines Haftrichters. Mir ist nicht bekannt, dass in diesem Fall eine solche Gerichtsanordnung vorgelegen hätte."

Initiative durch CIA

Und was er uns dann sagt, könnte politischer Sprengstoff sein, auch für die deutsch-amerikanischen Beziehungen: "In diesem Fall, also bei der Festnahme dieses Mannes, ging die Initiative vom amerikanischen Geheimdienst CIA aus. Denn wir pflegen mit der CIA eine hervorragende Zusammenarbeit. Ich denke, der jetzige mazedonische Innenminister und ein Geheimdienst in Mazedonien unternehmen nichts ohne die Zustimmung der CIA."

Ein deutscher Staatsbürger illegal im Auftrag der USA verschleppt, das müsste für die Bundesregierung hohe politische Priorität haben. Wir wollen vom Regierungssprecher wissen, ob diese US-Praxis Thema der Gespräche sein wird.

Berlin äußert sich nicht

Regierungssprecher Bela Anda antwortet: "Ich gehe nicht davon aus, dass dieses Thema auf der Tagesordnung steht, weder von der einen noch von der anderen Seite." Wir fragen nach: "Was tut denn die Bundesregierung, um deutsche Staatsbürger vor solchen Entführungen zu schützen?"

Anda entgegnet: "Es handelt sich bei dem Fall, der sie bewegt und bei dem sie hier fragen, um ein laufendes Verfahren. Und ich habe nicht die Absicht - und werde das auch nicht tun - mich zu laufenden Verfahren zu äußern."

Auf unsere Frage, was die Regierung unternehmen wird, bekommen wir keine Antwort. Ausweichen und abwiegeln, die Sache bloß nicht an die große Glocke hängen. Zu wichtig ist dem Kanzler die neue, alte Freundschaft mit dem US-Präsidenten. Die deutschen Ermittler wollen sich davon nicht beeinflussen lassen. Das Rechtshilfeersuchen an die USA ist bereits in Arbeit.

zurück zur Übersicht der Berichte "Die TV-Berichte von Frontal 21"