Wie die Welt von den geheimen Foltergefängnissen erfuhr

Chronologie der 'Karriere' eines geheim gehaltenen Themas 

Das US-eigene Foltergefängnis Guantanamo Bay auf Kuba - die USA besitzen dort einen großen militärischen Stützpunkt als Eigentum - geriet nach dem 11. September 2001 schnell in die Schlagzeilen der Weltpresse. Dass neben diesem völlig gesetzlosen und rechtsfreien Raum auch geheime Gefängnisse in anderen Staaten der Welt existieren, wo Demokratie ein Fremdwort, politischer Druck und Folter aber die Regel sind und dass die USA Hunderte von gefangen gesetzten bzw. entführten vermeintlichen Terroristen dorthin mit CIA-eigenen Flugzeugen „überstellen“, also in eigener Regie transportieren, wurde erst nach und nach bekannt.

Wie die Weltöffentlichkeit von diesem politischen ‚Outsourcing’ von Verhören durch Folter erfuhr, können Sie in dieser kleinen Chronologie nachlesen. Das Erzwingen von Geständnissen ist auf dem Boden der USA verboten.


"Nine eleven"

Die Anschläge in New York und Washington am 11. September 2001 lösen bei vielen Journalisten Recherchen über den Umgang der amerikanischen Regierung mit der Bedrohung durch Terrorismus aus. Man möchte die Hintergründe verstehen und erfahren, wie die Geheimdienste auf solche Gefahren vorbereitet waren


07.10.2001

Als Ergebnis einer Recherchen beschreibt der Journalist Anthony SHADID in seinem Artikel „US, Egypt raids caught Militants“ im Boston Globe erstmals die Praxis der heute bekannten „Renditions“. Im konkret recherchierten Fall wurden 1995, also in der Regierungszeit von Bill CLINTON, islamistische Extremisten von Kroatien nach Ägypten transportiert.
Der Artikel bringt einen interessanten Hinweise zu Tage: die traditionell gut funktionierende Kooperation zwischen amerikanischen und ägyptischen Geheimdiensten. Dieses politische ‚Hilfsprogramm’ wird bereits zu diesem Zeitpunkt als ‚renditions’ („Überstellungen“) bezeichnet.


26.10.2001

Ein erstes konkretes Beispiel für eine Überstellung nach dem 11. September findet sich in der englischen Version der Tageszeitung The News International, die in Karatschi/Pakistan verlegt wird. Der Reporter Masood ANWAR schreibt im Artikel „Mystery man handed over to U.S. troops in Karachi“, was sein Informant am dortigen Flughafen beobachtete: Nachts um 1.00 Uhr landete eine Maschine mit der Kennungsnummer N-379P und parkte in einem dunklem, isolierten Bereich. Ein junger Mann wurde daraufhin von maskierten Männern, darunter US Soldaten, in die Maschine geführt und das Flugzeug startete nach ca. 2 Stunden Aufenthalt wieder in Richtung Amman/Jordanien.

Dass mit der Kennungsnummer „N–379P“ erstmals eine CIA Maschine entdeckt wird, weiß der Journalist zu diesem Zeitpunkt nicht. Obwohl dieser Artikel auch im Internet online geht, findet der Bericht international kaum Beachtung. Erst 1 ½ Jahre später werden 3 schwedische Journalisten des TV-Magazin Kalla Fakta diesen Artikel entdecken und die Informationen für ihre eigenen Recherchen nutzen

Von dem mutmaßlich hier entführten Jamil Quasim SAEED MOHAMMAD, einem jementischen Studenten der Mikrobiologie an der Karachi Universität, fehlt bis heute jede Spur.


Dezember 2001

Die Washington Post veröffentlicht in einer mehrteiligen Serie „The road to 9/11“ am 19.12.2001 in dem Artikel"Broad effort launched after ‚98’ attacks“ebenfalls Fakten zu ‚renditions’ aus der CLINTON-Ära und beschreibt diese als nicht legale Operationen, wo Häftlinge nicht in die rechtstaatlichen USA, sondern in Drittstaaten überführt werden

Die Außenministerin der CLINTON-Administration, Madeleine ALBRIGHT, rechtfertigt in einem dieser Artikel dieses Vorgehen: „For what we knew, and what we had to operate with, I think we did the right thing.”


11.03.2002

Peter FINN, Journalist der Washington Post schreibt gemeinsam mit Rajiv CHANDRASEKARAN, unter der Überschrift „U.S. Behind Secret Transfer of Terror Suspects“ über mehrere Dutzend verschiedene Renditionopfer seit 9/11. Unter anderem greifen sie auch die Geschichte aus der pakistanischen The News International auf (siehe 26.10.2001) und berichten konkret über eine weitere Entführung von Indonesien nach Ägypten am 11. Januar 2002 unter Berufung auf anonyme Quellen aus indonesischen Regierungskreisen

Der Artikel thematisiert gleichzeitig die engen Verbindungen zwischen der CIA sowie den ägyptischen und jordanischen Geheimdiensten. Erstmals wird die Problematik von Verhörmethoden wie Folter und von Bedrohungen der betroffenen Familien öffentlich angesprochen.


28.04.2004

Das US-Militär, und somit auch die US Regierung, gerät durch die Veröffentlichung von Bildern über Mißhandlungen von muslimischen Häftlingen in dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib unter Druck. Die Bilder, die u.a. vom Fernsehsender CBS in der Sendung 60 Minutes 2 gesendet werden und die auf Wunsch des Weißen Hauses längere Zeit zurückgehalten wurden, dann aber dennoch gesendet werden, lösen einen internationalen Skandal aus. Seymour HERSH, einer der investigativen Journalisten in den USA, beschreibt die Folter und sexuelle Erniedrigungs-Praktiken in Abu Ghraib im The New Yorker am 10. Mai 2004.


17.05.2004

Das britische Wochenmagazin New Statesman veröffentlicht die Titelgeschichte "America’s Gulag“. Der Autor Stephen GREY recherchierte zu diesem Zeitpunkt über die rendition flights bereits über 2 ½ Jahre, u.a. in den USA, in Ägypten und anderen Ländern. Der Skandal um die Folterbilder aus Abu Ghraib und die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit sind ein günstiger Zeitpunkt, seine bisherigen Rechercheergebnisse zu publizieren (siehe auch: Stephen GREY's Netzwerk). GREY schreibt als erster über das weltweit umspannende Gefängnissystem unter der Regie der CIA. Diese Gefängnisse sind durch CIA-eigene Flugzeuge logistisch miteinander verbunden. Der Journalist schätzt die Zahl der dort Gefangenen auf mehr als 3.000.
GREY stützt sich in seinem Bericht vor allem auf den Fall des Kanadiers Maher ARAR. Der wurde am 08.10.2002 mit einem Flugzeug des Typ’s Gulfstream III und der Kennungsnummer N-829MG von amerikanischem Boden über Rom nach Amman geflogen. Von dort ging die ‚Reise’ für fast ein Jahr in das Foltergefängnis des syrischen Geheimdienstes Far Filastin.
Zufall: Am selben Tag enthüllen drei Reporter des schwedischen Fernsehmagazins Kalla Fakta des Senders TV4 die Wahrheit über die „Abschiebung“ der beiden Ägypter Ahmed AGIZA und Muhammed AL-ZERY am 18. Dezember 2001. Die Sendung legt offen, dass die Abschiebung im Rahmen des "extraordinary renditions" Programm der USA geschah. Den Reportern liegen Originaldokumente vor, die die in der Sendung präsentierten Zeugenaussagen bestätigen: beide Männer wurden von der CIA transportiert in der ägyptischen Gefangenschaft systematisch gefoltert. Die 3 TV-Reporter hatten 2 ½ Jahre benötigt, um diese Geschichte ‚wasserdicht’ zu bekommen – ebenso lange wie Stephen GREY. Hier geht es zum Script (engl.) der Sendung vom 17.05.2004


14.11.2004

In der Sunday Times schreibt GREY ein halbes Jahr später einen weiteren Artikel: „US accused of 'torture flights'“ und spricht von mehr als 300 CIA Flügen über Europa mit bisher zwei bekannten Flugzeugen, einer „Gulfstream V“ (Kennnummer: N-379P) und einer „Boing 737“ (N-313P). Unter Berufung auf die Bordbücher dieser Maschinen trifft er Aussagen über die Flugziele und somit über die möglichen Standorte von CIA Gefängnissen in Marokko, Libyen, Usbekistan, Ägypten, Afghanistan und Syrien. Die Ziele lesen sich wie das ‚Who is who’ der Folterwelt.

Stephen GREY dokumentiert im Detail 4 ‚Rendition Flights’ von folgenden gefangen gesetzten Menschen:

  • Ahmed AGIZA und Muhammed AL-ZERY am 17.12.2001 mit der Gulfstream V, Kennung: N-379P. Strecke: Stockholm – Kairo; es ist die von Kalla Fakta enthüllte Überstellung
  • Wahab AL-RAWI am 08.11.2002 mit der Gulfstream V, Kennung: N-379P. Strecke: Gambia - Kabul
  • Muhammad Saad IQBAL MADNI am 11.01.2002 mit der Gulfstream V, Kennung: N-379P. Strecke: Jakarta - Kairo
  • Jamil Quasim SAEED MOHAMMAD am 23.10.2001 mit der Gulfstream V, Kennung N-379P. Strecke: Karatschi - Amman

Dies waren die ersten journalistisch nachgewiesenen Verschleppungen durch die CIA, im Auftrag der US-Regierung.


2005

Im deutschen Sprachraum werden die renditions erst zum Thema, als sich der Rechtsanwalt des 2004 in Skopje nach Kabul entführten Deutsch-Libanesen El MASRI 2005 an die Presse wendet, nachdem er sich von der Bundesregierung und anderen staatlichen Ermittlungsorganen im Stich gelassen fühlt. MASRI’s Anwalt wendet sich an eine Journalistin, die am 9. Januar 2005 die Erlebnisse von El MASRI in der New York Times beschreibt. Daraufhin setzen eigenständige Recherchen und Berichte der Süddeutschen Zeitung und des TV-Magazins Frontal21 ein. 
Mit dem Namen El MASRI ist das Thema jetzt auch in der deutschen Öffentlichkeit angekommen.
Zur Chronologie der Affäre El MASRI geht es Khaled el MASRI: Chronologie einer Entführung und ihrer Folgenhier. Und hier zu den Berichten in der Süddeutschen Zeitung


Die Rekonstruktion dieser Themenkarriere basiert auf einer Diplomarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), Hamburg: „Aufdeckung des „extraordinary rendition program“ der CIA durch Stephen GREY – Recherchestrategien und journalistische Netzwerke im internationalen investigativen Journalismus“ von Marco HEDINGER.