Kritiker in Großbritannien: Dr. Stephen DEALLER

Der Fall eines Mikrobiologen

 

Stephen (Steve) DEALLER ist ein britischer Mikrobiologe aus Burnley, geboren 1955. Zur Beginn der BSE-Krise war er bereits ein erfahrener und gut vernetzter Wissenschaftler. Er forschte für Professor Richard LACEY an der University of Leeds an Themen wie Listerien, Salmonellen, Mikrowellen und der Bestrahlung von Lebensmitteln. Ende der 1980er Jahre fing DEALLER an, sich mit dem Thema BSE zu beschäftigen.

Ein junger Arzt namens Tim HOLT hatte im Juni 1988 einen bemerkenswerten Artikel zu BSE im British Medical Journal veröffentlicht. HOLT erkannte: „daß transmissible spongiforme Enzephalophatien (TSE) durch Nahrungsmittel von einer Art auf die andere übertragen werden konnten, daß es dagegen kein Heilmittel gab und auch kein Verfahren zur Verfügung stand, mit dem sich die Infektion am lebenden Tier nachweisen ließ“. DEALLER, der mit Prof. Richard LACEY im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit forschte, war alarmiert. Er rief beim Public Health Laboratory Service (kurz PHLS) an, der in Großbritannien als staatliche Einrichtung für die Überwachung, Kontrolle und Bekämpfung von übertragbaren Infektionskrankheiten beim Menschen verantwortlich war, stieß dort jedoch auf eine Mauer des Schweigens: „Man sagte mir, man habe Anweisung, niemandem Auskunft über die Krankheit zu geben und auch keine eigenen Forschungen dazu anzustellen. Nur das Landwirtschaftsministerium sei befugt, Informationen herauszugeben und Forschungsaufträge zu vergeben“, erinnert sich DEALLER.

Das britische Landwirtschaftsministerium (Ministry of Agriculture, Fisheries and Food - kurz MAFF) hatte das alleinige Informationsrecht an sich gerissen und wiegelte kritische Fragen ab. Es kontrollierte und koordinierte alle Forschungen zu dem Thema und erklärte, es gebe keinerlei Belege für eine Übertragung von BSE auf den Menschen. Außerdem hätte man auch schon eine Kommission berufen, die das Ministerium berate.

1989 veröffentlichte diese Kommission, die sogenannte Southwood-Gruppe, ihren Bericht und erklärte darin, dass das BSE-Risiko für Menschen "verschwindend klein" sei. DEALLER war schockiert über diese Einschätzung. Anfang der 1990er Jahre begann er deshalb Datenmaterial zusammenzutragen, um zu ermitteln, wie viele britische Rinder tatsächlich bereits mit BSE infiziert waren. Dabei fühlte er sich durch das britische Agrarministerium (MAFF) behindert und ausgebremst, auf das er aber in Bezug auf Zahlen und Statistiken gänzlich angewiesen war. Diese Erfahrung war für DEALLER nicht neu. Schon früher hatte er den Eindruck, dass das MAFF eher an den wirtschaftlichen Interessen der Landwirtschaft, als an der Sicherheit der Lebensmittel interessiert sei. Kritische Forschungsergebnisse, die diesen Interessen zugegen liefen, wurden ignorierte oder mitunter einfach dementiert.

Das Ministerium war – aufgrund einer Verordnung - offizieller Eigentümer aller vermeintlich mit BSE infizierten Rinder. Somit konnten unabhängige Forschungsteams auf keine infektiösen Proben zurückgreifen. Als DEALLER und LACEY sich trotzdem Material besorgen konnten (von einem Rind, das nach dem „cattle feed ban“, also erst nach 1988, geboren wurde und somit laut MAFF gar kein BSE haben konnte…) und zentrale Aussagen der MAFF mit ihren Tests widerlegten, wurde DEALLER telefonisch vom MAFF aufgefordert, die Proben an das Ministerium „zurückzugeben“.Die Proben waren brisant, denn andere Forscher hätten damit weiterarbeiten können.

Im Mai 1990 übersprang BSE erstmals die Artengrenze. Eine Katze erkrankte daran und die öffentliche Aufmerksamkeit war enorm. Denn laut MAFF war dies nicht möglich. Das Ministerium hatte BSE immer als Scrapie-ähnlich beschrieben und da Scrapie nicht auf Menschen übertragbar sei, sollte dies ebenfalls für BSE gelten. Nun stand also die Übertragbarkeit von Tier auf Tier und damit auch von Tier auf Mensch im Raum. 1991 veröffentlichte die Fachzeitschrift Food Microbiology DEALLERS und LACEYS Aufsatz „A Threat of BSE to Man“. Die beiden Autoren folgerten darin: Aufgrund der hohen Anzahl der zum Untersuchungszeitpunkt erkrankten Tiere, müsse man nunmehr von einem erheblichen Gesundheitsrisiko für Menschen ausgehenDoch das MAFF spielte weiterhin das Risiko für Menschen herunter und bezeichnete die Thesen als „Spekulation und Panikmache“.

Derweil nahm der Druck von staatlicher Seite auf BSE-kritische Wissenschaftler zu; vor allem im Staatsdienst tätige Forscher, bekamen das Muskelspiel der MAFF zu spüren. DEALLER's bisherige Arbeitgeber indes zeigten insgesamt wenig Interesse an seiner Forschung, der er parallel zu seiner Arbeit als klinischer Mikrobiologe nachging. Als Dr. Stephen DEALLER für Prof. Richard LACEY arbeitete, hielt dieser ihm weitestgehend den Rücken frei. Damals nahm DEALLER Kontakt zu anderen Forschern auf, die sich mit BSE beschäftigten. Einige von Ihnen arbeiteten für das MAFF (nur wenigen MAFF-Mitarbeitern war es gestattet, an der BSE zu forschen), andere waren für ein regierungsberatendes Gremium tätig. Viele von ihnen waren von der Linie des MAFF eingeschüchtert.

DEALLER schildert seine Eindrücke vom Sommer und Herbst 1992 so: “The very dangerous data that I was telling them was largely ignored but not completely. Gradually I realised that I was the only way in which many veterinarian researchers could tell the world what was really going on! Several researchers contacted me and told me what was happening. They had been ordered not to allow any information out (or they would be put in jail). One of them went to the top man in the MAFF and said that the information must come out for the good of the people. He was told to close the door and then told that he has lost his job, and that if any information came out from this then it would be treated as a major offence against the Government” (DOKZENTRUM 2015).

1993 stellte DEALLER auf Basis der bisher gesammelten Daten eine Berechnung darüber an, wie viele Rinder in Großbritannien infiziert sein müssten. Er kam zu dem brisanten Schluss, dass die offiziellen Zahlen des MAFF nicht stimmen konnten und anscheinend eine große Zahl infizierter Rinder gar nicht erst gemeldet worden war. Damals eine gewagte Äußerung. Seine Ergebnisse fasste er im Juni 1993 für einen Artikel zusammen, als in sein Büro in Manchester eingebrochen wurde. Es wurde die Computerdiskette gestohlen, auf der die statistischen Daten zu BSE gespeichert waren, sonst nichts. Aber die „Mühe“ war umsonst, DEALLER konnte seinen Artikel rekonstruieren und im British Food Journal (s. DEALLER 1993) veröffentlichen. Dies war bereits der zweite Einbruch in diesem Jahr, einen hatte DEALLER bereits miterleben müssen. Bewaffnete Personen waren in sein Wohnhaus eingedrungen und suchten weder Schmuck noch Bargeld: „… it was not clear what they were looking for”.

Wer da eingebrochen war und mit welchem Zweck, ließ sich nie ermitteln. Doch die Einbrüche heizten die Atmosphäre des Misstrauens zusätzlich auf und waren für DEALLER ein weiterer Grund an die Öffentlichkeit zu gehen und die Medien einzuschalten, statt sich weiterhin auf die Diskussion in Fachzirkeln zu beschränken, da diese ebenfalls seitens der MAFF immer stärker unter Druck gerieten. Rückblickend erklärt DEALLER: „At that point I realised that the only way to get information to the people … was to do it through Professor Lacey’s contacts and through the TV” (DOKZENTRUM 2015). Sein Engagement zur medialen Aufklärung über die Gefahren von BSE für den Menschen nahm Fahrt auf (vgl. DOKZENTRUM 2015) und DEALLER positionierte sich damit deutlich jenseits der Linie des MAFF.

Ebenfalls im Juni 1993, nach dem Einbruch in DEALLERS Büro, nahmen Prof. Richard LACEY und Dr. Stephen DEALLER an einem privaten Treffen des britischen BSE-Beratergremiums SEAC (Spongiform Encephalopathy Advisory Committee) teil, bei denen auch die von DEALLER ermittelten Zahlen über die Anzahl der bereits in die Nahrungskette gelangten erkrankten Rinder und eine Berechnung über die im Schnitt von jedem Fleischesser zu diesem Zeitpunkt bereits verzehrten infizierten Rindfleischmahlzeiten (50 Stück), thematisiert wurden. Die beiden Wissenschaftler wurden regelrecht vorgeführt. Man behandelte sie, als ob sie von der Materie keine Ahnung hätten und erst einmal aufgeklärt werden müssten. Aber nicht diese Schmähung machte DEALLER zu schaffen, sondern vielmehr die Sorge, dass SEAC, also ein regierungsberatendes Fachgremium, anscheinend völlig unkritisch die Positionen des MAFF als Fakt übernommen hatte.

Derweil forcierte das MAFF Schmähkampagnen gegen missliebige Wissenschaftler. Neben Dr. Helen GRANT und Prof. Richard LACEY war vor allem Dr. Harash NARANG davon betroffen. Der Mikrobiobiologe aus Newcastle kontaktierte DEALLER, nachdem er vom Public Health Laboratory Service (PHLS) entlassen worden war. NARANG war seine Beharrlichkeit bei der Entwicklung eines politisch nicht gewollten BSE-Schnelltests zum Verhängnis geworden. Auch Stephen DEALLER sollte ausgebremst werden. Dies wurde ihm schmerzhaft bewusst, als er sich im Laufe des Jahres 1993 auf Arbeitssuche begab, um eine Stelle als Consultant anzutreten. Damit ist nicht der Beruf des Unternehmensberaters gemeint. Im medizinischen Bereich spricht man in Großbritannien von einem „consultant“ oder „medical consultant“, wenn man einen Facharzt meint.

DEALLER bewarb sich auf 20 Stellen. Und selbst bei denen, für die er eigentlich überqualifiziert war, kam es nicht einmal zum Vorstellungsgespräch. Erst als er sich am Burnley Hospital um einen Posten als Consultant bewarb, bekam er schließlich ein Vorstellungsgespräch. Denn hier arbeitete er bereits, man kannte ihn also und wusste um seine Eignung. Ein Kollege aus seinem Department kam damals auf DEALLER zu und zeigte ihm den Brief eines Mitarbeiters des PHLS. Darin wurde DEALLER als inkompetent und für den ausgeschriebenen Posten als völlig ungeeignet bezeichnet. Damit nicht genug saß eine Person vom PHLS auch im Besetzungsgremium des Krankenhauses und sprach sich im Besetzungsverfahren explizit und ohne ersichtlichen Grund gegen ihn aus, obwohl sich niemand qualifizierteres beworben hatte. Rückblickend sagt DEALLER, man habe ihn stoppen wollen, fand aber keinen Weg.

Es gab zu verschiedenen Zeitpunkten Diskreditierungsversuche, von denen DEALLER oft erst im Nachhinein durch Kollegen und durch Menschen erfuhr, die ihm wohlgesonnen waren. Diese hatten aber auch den Effekt, dass er in der BSE-Krise unter den Wissenschaftlern eine besondere Position einnahm. Im Jahr 2000 spricht Frank SCHIRRMACHER in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung DEALLER rückblickend sogar eine „Schlüsselrolle in der BSE-Krise“ (Schirrmacher 2000) zu. Und in der Tat war DEALLER Ansprechpartner für zahlreiche Kollegen, deren wissenschaftlichen Ergebnisse und Meinungen politisch „nicht gewollt“ waren.

Um mehr Informationen über BSE ans Licht zu bringen, nutzte DEALLER damals verschiedene Wege: eigene Kontakte und solche, die er über Prof. LACEY hatte, Kontakte zu den Medien und seine eigene Website (vgl. DokZentrum 2015). DEALLERS Website www.airtime.co.uk/bse/ ist heute nicht mehr aktiv, jedoch wurden Teile davon auf der archive.org gespeichert und lassen sich dort heute noch abrufen.

1994 veröffentlichte DEALLER einen Bericht, indem er belegte, dass die Briten bereits große Mengen BSE-infizierter Rinder verzehrt haben. Die Zahlen wurden vom MAFF schlichtweg ignoriert. Darüber hinaus wurde DEALLER ein bereits vor sechs Monaten genehmigtes Interview mit dem neuen Landwirtschaftsminister, William WALDEGRAVE, ersatzlos gestrichen. Spätestens jetzt war DEALLER klar, dass das SEAC „unethisch handelte“.  DEALLER versuchte über andere Ministerien Unterstützung zu bekommen, doch diese Versuche schlugen fehl. Als er bei Kollegen der staatlichen Gesundheitsführsorge vorstellig wurde, erklärten sie ihm, dass das Department of Health eine Direktive herausgegeben habe, dass alle Arbeit zum Thema BSE nur durch das Landwirtschaftsministerium (MAFF) geleistet werden dürfe. Es war ihnen schlichtweg verboten worden, selbst aktiv zu werden. Selbst die wissenschaftlichen Verlage waren eingeschüchtert vom Muskelspiel seitens der Regierung und dem MAFF. DEALLER fand phasenweise kein Journal, das seine aktuellen Artikel veröffentlichen wollte.

So trat DEALLER weiterhin in den Medien auf und das öffentliche Interesse wuchs zunehmend. 1995 konfrontierte DEALLER den Chefveterinär des MAFF, Chief Medical Officer Keith MELDRUM, vor laufender Kamera mit seinen Ergebnissen und der Kritik an der mangelhaften Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher. MELDRUM hatte vor der Sendung noch behauptet, es bestünde kein Risiko beim Verzehr von britischen Rindfleisch. Im Laufe der Sendung musste er jedoch von seiner Einschätzung abrücken. Rückblickend war das für DEALLER ein Wendepunkt im BSE-Skandal: „Das war das Ende. Die Menschen glaubten dem Landwirtschaftsministerium nicht länger“(DEALLER 2000).

DEALLER setzte seine Forschung mit Fokus auf Behandlungsmethoden fort. Doch er erhielt noch immer keinen Zugriff auf BSE-infiziertes Gewebe, so dass er nicht an der Erforschung diagnostischer Tests arbeiten konnte. Das MAFF stockte in dieser Zeit die Forschungsmittel für BSE auf. Aber DEALLER profitierte nicht davon, er musste weiterhin ohne Fördermittel auskommen und war auf die Hilfe von Freunden angewiesen. Derweil stieg die Zahl, der an der menschlichen Variante von BSE – der „new variant of Creutzfeldt-Jakob-Disease“ (kurz: vCJD) erkrankten Personen in Großbritannien an. Bis März 1996 waren mindestens zehn Menschen daran gestorben.

Am 20.03.1996 traten schließlich Gesundheitsminister Stephen DORRELL und Landwirtschaftsminister Douglas HOGG vor das britische Unterhaus. Sie erklärten, es sei eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit aufgetreten, die wahrscheinlich in einer Verbindung zu BSE stünde. Die Parlamentarier konnten nicht fassen, dass man sie die ganze Zeit über in dem Glauben gelassen hatte, man habe das Problem im Griff, erinnert sich DEALLER. Und zuvor diskreditierte Wissenschaftler, wie DEALLER und LACEY bekamen Recht in ihren Einschätzungen über das Ausmaß und die Gefahren der BSE-Krise: „Sechs Jahre lang hatte man mich verleugnet und verdammt, und nun erwiesen sich meine Berechnungen als notwendig. LACEY, den die Presse seit 1990 totschwieg, hatte recht behalten. Es wurde deutlich, daß die Forschung deshalb im Rückstand war, weil das Landwirtschaftsministerium keine unangenehmen Ergebnisse wünschte“. Ab da an änderte sich das Verhalten der Regierung gegenüber DEALLER und anderen BSE-kritischen Wissenschaftlern dramatisch, erinnerte sich DEALLER (DOKZENTRUM 2015).

Im April 1996 und damit in gewisser Weise von den Ereignissen bereits überholt, erschien DEALLERS Buch zum BSE-Skandal: Lethal Legacy: BSE - The Search for the Truth. Darin wiederholt er seine in den letzten Jahren aufgestellten und so lange ignorierten Behauptungen: die Briten hätten bereits 1,5 Millionen infizierte Rinder verzehrt und dass im Schnitt sieben von acht infizierten Kühen in die Nahrungskette gelangt seien. Darüber hinaus kritisiert DEALLER darin die Regierung, zu wenig Geld für die Forschung ausgegeben und nicht alle notwendigen Maßnahmen ergriffen zu haben. Vor allem aber verurteilt er, dass sie nicht mit vollem Einsatz habe nach einer Möglichkeit suchen lassen, um BSE-Erreger zu identifizieren. Im Gegenteil habe das MAFF die Forscher sogar davon abgehalten vielversprechende Ansätze zur Erforschung von BSE fortzuführen. Außerdem bedauert DEALLER darin, dass die britische Regierung den großen Pharmaunternehmen abgeraten habe, ein Medikament gegen die Creuzfeldt-Jakob-Krankheit zu entwickeln. Mit der Begründung, die Zahl der Fälle werde nicht mehr nennenswert steigen, deshalb sei eine Medikament-Entwicklung wirtschaftlich nicht vertretbar.

In den Jahren nach 1996 war DEALLER wieder als Medical Consultant, sprich als klinischer Mikrobiologe tätig. Parallel dazu forschte und publizierte er weiterhin intensiv zu BSE, vCJD und auch Prionen-Infektionen. Im Dezember 1997 erhielt der Neurologe und Biochemiker Stanley B. PRUSINER den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung und den wissenschaftlichen Nachweis von Prionen. Diese Art von Erregern werden heute u.a. für die Rinderseuche BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verantwortlich gemacht. PRUSINERS Theorie war damals nicht neu, aber über lange Zeit umstritten.

Im März 1998 nahm unter der Leitung des Lordrichters Sir Nicholas PHILIPPS eine unabhängige Kommission zur Aufklärung der BSE-Krise ihre Untersuchung auf. Sie brauchte über zwei Jahre, ehe sie die Ergebnisse ihrer Untersuchung im BSE-Inquiry-Report verabschieden konnten. Dieser Report belegte u.a., dass das britische Landwirtschaftsministerium (MAFF) die britische Regierung bewusst in die Irre geführt hatte.

DEALLER führte seine Forschungsbemühungen zu BSE fort. 2001 erklärte er im britischen Guardian, es seien mittlerweile 40 Stoffe bekannt, die gegen Prionen-Infektionen wirken. Darunter einige, die so gering toxisch seien, dass man erlauben könne, sie an Menschen zu testen. DEALLER war damals optimistisch und arbeitete daran ein Verfahren zu entwickeln, um vCJD zu diagnostizieren und zu behandeln - noch bevor Symptome sichtbar werden.

Inzwischen ist Stephen DEALLER in seiner Funktion als klinischer Mikrobiologe im Ruhestand, aber weiterhin als Forscher aktiv. Die Wirksamkeit einzelner Stoffe gegen Prionen-Infektionen, konnte DEALLER 2011 gemeinsam mit Kollegen an Mäusen belegen. Leider müssen die Mittel noch immer vor Eintritt der Symptome verabreicht werden, um wirken zu können. Immerhin wisse man jetzt wie man nach den Wirkstoffen suchen könne und wie sich ihre Wirkung maximieren ließe, so DEALLER in einem Interview Anfang des Jahres 2015 (vgl. DOKZENTRUM 2015). Man wolle jetzt nach Methoden suchen, vCJD lange vor dem Ausbruch von Symptomen zu diagnostizieren. Ergebnisse dazu erwartet DEALLER in den nächsten Monaten und hofft, dass sich auch ein daran interessiertes Pharmaunternehmen findet (vgl. DOKZENTRUM 2015).

DEALLER bekleidete während seiner Karriere keine verantwortliche Position an staatlichen oder universitären Forschungseinrichtungen. Dies hat ihn zur Hochphase der BSE-Krise bis zu einem gewissen Grad vor der Beeinflussung und der Einschüchterung seitens des MAFF geschützt. Viele andere Wissenschaftler hatten zu viel Angst und haben sich mitunter in vorauseilendem Gehorsam der Linie des MAFF gebeugt. DEALLER verurteilt sie nicht dafür: „I think you should be aware that many of the people working low down in the MAFF were always found by myself to be good and wanting to be doing the right thing. They were scared themselves of doing anything that the officials did not want”(DOKZENTRUM 2015).

Er selbst bewegte sich die meiste Zeit außerhalb dieser Strukturen, wurde aber auch Opfer, in Form von Schmähungen und Ignoranz gegenüber seinen Forschungsergebnissen. Jedoch machte seine im positiven Sinne “querulatorische Energie” (vgl. SCHIRRMACHER 2000) sowie seine gute Vernetzung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. DEALLER im Verlaufe der BSE-Krise zu einer Art “Helden”, der von seinen Kollegen unterstützt, angefeuert und mitunter sogar bewundert wurde.

Rückblickend aber ist dieser Umstand, sprich nie ein institutionell verantwortlicher Teil staatlicher oder universitärer Forschung gewesen zu sein, für DEALLER's heutige Forschungsbemühungen eher ein Nachteil. Denn klinische Forschung an Patienten außerhalb staatlicher Einrichtungen erweist sich heute in Großbritannien als schwieriger denn je. DEALLER erklärt: My major problem is the changes in academia in the UK. … it is simply because of the difficulty in carrying out clinical research in patients in the UK. … I just did not manage to become part of a university” (DokZentrum 2015).

 

(GM)

 

Quellen:

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DEALLER, Stephen F.: Bovine Spongiform Encephalopathy (BSE): The Potential Effect of the Epidemic on the Human Population. In:British Food Journal, Vol. 95, Iss. 8, pp. 22 – 34
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ROWELL, Andrew: Don’t worry, it’s safe to eat : The true story of GM food, BSE, and Foot and Mouth. Earthscan, 2003. Auszüge des Buchs sind über Google Books online abrufbar unter URL: http://books.google.de/books?isbn=1136567844 Abruf: 2014-10-14
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