PFT - Berichte der WamS, 26.11.2015

Gift-Mix im Wasser zerstört Gene

Welt am Sonntag (WamS) , 05.08.2007 von David SCHRAVEN

Die Ruhr als wichtigste Trinkwasserquelle des Ruhrgebietes ist weiterhin stark mit dem Umweltgift PFT belastet. Das berichtete zuerst die "Welt am Sonntag" am 29. Juli. Der Bericht löste ein großes Echo in den Medien aus, Regierung und Opposition streiten heftig über die Bewertung. Während Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) und Sprecher der Ruhr-Wasserwerke von "Panikmache" der Opposition sprachen, warfen die Grünen Uhlenberg Untätigkeit vor. Aber die Hinweise auf wachsende Gefahren nehmen zu. Fest steht: Das Gift belastet das Blut der Wasserkonsumenten. Und die Folgen sind weitgehend unerforscht.
Nach einer Studie der Universität Bochum ist es "ohne Zweifel", dass Personen, deren Trinkwasser mit Perfluorierten Tensiden (PFT) verseucht ist, "eine deutlich erhöhte innere Belastung" mit PFT aufweisen. In der Studie für das Umweltministerium wurden vor allem Menschen in Arnsberg untersucht, wegen der besonderen Nähe zur Hauptquelle der Ruhr-Verseuchung.
Der Abschlussbericht stammt vom 21. Mai. Der Originaltext, wie er der "Welt am Sonntag" vorliegt, blieb fast ohne Echo. Dabei sind die Details erschreckend. So wurde bei einem Untersuchten eine Konzentration von 396 260 Nanogramm je Liter Blut gemessen. Eine andere Person hatte einen PFT-Wert von 226 390 Nanogramm. Zum Vergleich: im Trinkwasser gelten gerade 100 Nanogramm je Liter als gesundheitlich unbedenklich. Nach Ansicht der Wissenschaftler sind die Arnsberger Werte "mit hoher Wahrscheinlichkeit begründet durch den außerordentlich hohen Leitungswasserkonsum, den die beiden Probanden aufgrund einer speziellen Erkrankung haben".
Mit anderen Worten: Wenn ein Zuckerkranker viel Wasser trinkt, erhält er damit an der Ruhr eine unerwünschte Extraportion PFT. Dabei reichert sich das Umweltgift im Körper immer weiter an, die "Halbwertzeit" bis zum Abbau wird von Essener Hygienikern grob auf fünf bis acht Jahre geschätzt.
Aber nicht nur die Spitzenwerte beunruhigen. Vor allem die hohen Durchschnittsbelastungen mit dem Gift aus dem Trinkwasser bereiten Sorgen. Im weitgehend unbelasteten Siegen wurden etwa 8000 Nanogramm PFT in jedem Liter Blut nachgewiesen. Kinder in Arnsberg aber haben über 40 000 Nanogramm Gift in ihrem Blutkreislauf.
Eine entsprechende Blutstudie für die Menschen in Dortmund, in Witten, in Hamm, in Bochum, in Unna und in Essen gibt es nicht. In den USA aber gab es Reihenuntersuchungen in dem besonders betroffenen Ort Little Hocking (Ohio). Dort wurde ein direkter Zusammenhang zwischen der PFT-Konzentration im Trinkwasser und der im Blut nachgewiesen. Die Umweltbehörde in New Jersey hat auch deswegen im Februar den Grenzwert für PFT im Trinkwasser auf 40 Nanogramm je Liter Wasser heruntergesetzt.
In Deutschland ist ein ähnlich drastischer Schritt kaum zu erwarten. In der zuständigen Trinkwasserkommission, die Grenzwerte festlegt, sitzt beispielsweise mit Bernhard Hörsgen auch ein Vorstand der Gelsenwasser AG am Tisch. Das Unternehmen betreibt einige der umstrittenen Wasserwerke an der Ruhr. Bislang hat die Trinkwasserkommission die Frage nach der Schädlichkeit des PFT offen gelassen.
Allerdings geht aus einer aktuellen medizinischen Studie unter Federführung der Universität Heidelberg hervor, dass es zu gefährlichen Wechselwirkungen mit Medikamenten kommen kann. Die Studie weist nach, dass in über 80 Prozent der Fälle Gene innerhalb von Zellen zerstört werden, wenn diese mit PFT und Rheumamitteln in geringer Konzentration in einem Messbecher zusammen treffen.
Die PFT allein zerstören nur in zehn Prozent der Fälle die Gene. Erst im Zusammenspiel mit Medikamenten entfalten sie fatale Wirkung. Zerstörte Zellgene können Krebs auslösen. Ähnliche Wechselwirkungen wiesen die Forscher mit Östrogenen nach, dem Wirkstoff der Anti-Baby-Pille. Die Studie stellt fest, dass sich die PFT vor allem im Blut und in der Leber ansammeln. Dort konzentrieren sich aber auch die außerdem aufgenommenen Medikamente.
Im Ruhrwasser finden sich neben PFT Rheumamittel, Östrogene und Antibiotika. Mit dem Wasser trinken die Kunden der Wasserwerke also einen unerforschten Medizin-Cocktail.
Unterdessen wird der Grenzwert für PFT im Ruhr-Trinkwasser weiter überschritten. Eine Messung des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit an der Universität Bonn wies im April einen Wert von 196 Nanogramm je Liter im Dortmunder Trinkwasser nach. Im Juni lag der Wert dort bei 352 Nanogramm. Jetzt kündigen die Wasserwerke ein 80-Millionen-Erneuerungsprogramm für fünf Jahre an, einschließlich bereits angekündigter Pläne. Harald Färber vom Hygiene-Institut Bonn aber rechnet so: "Jeder der Menschen im Ruhrgebiet müsste etwa fünf Euro im Jahr mehr zahlen, dann könnte das Gift beseitigt werden." Es geht also um mehr als 25 Millionen Euro.