Die SPIEGEL-Affäre bis zur Invasion im Oktober 1962 - Chronologie Teil I

Vorspann:

Im Jahr 1957 ging in der gerade mal acht Jahre alten Bundesrepublik eine erste Teilära der ADENAUER-Regierung zu Ende. Zwei größere politische Auseinandersetzungen waren geschlagen, die zu heftigen Diskussionen und teilweise agressiven Protestaktionen geführt hatten:

  • Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 war auf den Weg gebracht, das bis heute - mit regelmäßigen Anpassungen - zu den wichtigsten Bausteinen des deutschen Arbeitslebens gehört
  • und die Entscheidung um die Wiederbewaffnung der "BRD" war gefallen. Gleichzeitig um die aktive Mitgliedschaft in der Nato.

Jetzt wollte man sich darauf konzentrieren, zu zeigen, dass man wieder wer war. Auch militärisch.
Im SPIEGEL, der bereits auf elf Jahre "Nachrichtenmagazin" zurückblicken konnte und eine Auflage von rund einer Viertelmillion Exemplare hatte (heute ca. eine Million), machte sich ebenfalls eine Kehrtwende breit:

  • Die Lieblingsthemen zweier SPIEGEL-Redakteure,
    • des ehemaligen SS-Hauptsturmführers Horst MAHNKE, der inzwischen Ressortleiter "Ausland" war,
    • sowie des früheren SS-Hauptsturmführers Georg WOLFF, Ressortleiter "Internationales",
    verloren an Gewicht:
    • So z.B. eine 19-teilige Serie über das frühere Reichskriminalhauptamt, dem Vorläufer des heutigen Bundeskriminalamt, in dem gestandene SS-Männer den Ton angaben.
    • Oder eine mehrteilige Schmuggelreihe, in dem Juden und sogenannte displaced persons für den internationalen Kaffeeschmuggel nach Deutschland nach Kriegsende verantwortlich gemacht wurden.
    • Ebenso ein ausgesprochen freundlich gehaltener Bericht über die "Organisation Gehlen" im Jahr 1954, aus der 1956 der BND wurde - nebst Übernahme des alten Personals
  • das bedeutendste journalistische 'Feindbild' von Rudolf AUGSTEIN sowie einiger anderer, nicht vorbelasteter Redakteure, verlor an Glanz, weil man publizistisch nichts ausrichten konnte:
    • Bundeskanzler Konrad ADENAUER, der bereits im 8. Jahr regierte.
    • Jetzt schoss man sich auf den dynamischen und neuen Bundesverteidigungsminister ein, Franz Josef STRAUSS (CSU), der eine eigene Vorstellung von militärischer Stärke und Umgang mit dem politischen Feind im Osten hatte: eigene Atomwaffen.
    Es sollte eine längere Geschichte werden, die fünf Jahre später in der sogenannten SPIEGEL-Affäre im Jahr 1962 enden wird.

Wir dokumentieren hier die wichtigsten Ereignisse bis ins Jahr 1967: in einer umfassenden, aber kompakten Chronologie. Dann wird im Skandal, der weniger eine Affäre des SPIEGEL, sondern der Bonner Staatsmacht war, mit der Einstellung des letzten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, ein erster Schlusspunkt gesetzt sein. Dabei haben wir bedeutende Vorgänge, die einer detaillierteren Betrachtung wert sind, in mehreren gesonderten chronologischen Darstellungen ausgelagert. Wir weisen darauf an passender Stelle hin.

Die Chronologie von Anfang an (Teil I):

Das Jahr 1957

Zwischen diesen beiden Titelgeschichten über Franz Josef STRAUSS (FJS), die zeitlich nur ein Vierteljahr trennt (Januar - Mai), liegen Welten:

  • In der ersten Geschichte vom Januar zollt DER SPIEGEL dem neuen Minister Respekt, lobt ihn für seine Power, mit dem er sein neues Amt auszufüllen gedenke.
  • Doch nur zwei Monate später, als Franz Josef STRAUSS in Hamburg weilt und abends mal auf einen "Herrenabend" mit einigen Redakteuren um Rudolf AUGSTEIN hereinschaut, kommt es zum Zerwürfnis: Politische Vorstellungen und Umgangston des hemdsärmeligen Bajuwaren kommen bei den norddeutsch eher dezent-höflichen SPIEGEL-Machern nicht gut an. Als AUGSTEIN merkt, dass FJS nicht nur - aus seiner Sicht - gefährliche Vorstellungen über Landesverteidigung und militärische Vergeltung hat, sondern auch, was Recht und Gesetz anbelangt, eine sehr laxe Haltung hinsichtlich der Einhaltung solcher Spielregeln für ihn selbst besitzt, kommen AUGSTEIN nachhaltige Zweifel. Er will diesen aufsteigenden Politiker als etwaigen Nachfolger des "Alten" (Bundeskanzler ADENAUER) verhindern: viel zu gefährlich für den (Welt)Frieden, so seine Meinung.
  • Da es nicht nur die sehr unterschiedlichen Vorstellungen über militärische Angriffs- und Verteidigungsstrategien sind, sondern auch das selbstherrliche Gehabe des CSU-Politikers, wechseln Inhalt und Ton der SPIEGEL-Berichterstattung auf der Stelle: Jetzt geht AUGSTEIN - zum Teil unter seinem Pseudonym "Jens DANIEL" - auf Angriff über. Z.B. in einem Beitrag über den Atomschreck Bundesrepublik?. Aber auch mit pikanten Details über das private Leben des FJS: Pfingsten ist Hochzeit.

Eine ausführliche Rekonstruktion dieser jetzt innig werdenden Feindschaft zwischen Rudolf AUGSTEIN und Franz Josef STRAUSS haben wir in dem Kapitel Das Vorspiel rekonstruiert (siehe auch die Aufstellung auf der linken Navigationsleiste). Diese chronologische Darstellung reicht bis einen Tag vor der Besetzung des SPIEGEL am 26. Oktober 1962 und setzt sich mit den Gründen dieser Aktion auseinander. 
Der Auslöser dieser Aktion und die anlaufenden Vorbereitungen der staatlichen Macht sind chronologisch zusammengestellt: im Kapitel Die Invasion.


Im Jahr 1958

ereignet sich vieles, was von Bedeutung ist (in zeitlicher Abfolge):

  • Im März kommt es im Deutschen Bundestag in Bonn, in dem die CDU/CSU über eine absolute Mehrheit verfügt, zur sogenannten Atomschlacht. Sie endet mit der prinzipiellen Bereitschaft der Regierung, für die Alliierten auf westdeutschen Boden Atomwaffen zu deponieren
  • FJS will einen Polizeibeamten zermürben, der seinem Fahrer nicht auf der Stelle Vorfahrt gewährt.DER SPIEGEL berichtet genüsslich
  • die CDU/CSU-Mehrheit entscheidet sich für die Anschaffung eines neuen Flugzeugs für die Bundeswehr: den "Starfighter", bei dem es die nächsten Jahre zu 269 Abstürzen mit 116 toten Piloten kommen wird - exzellenter Stoff für den SPIEGEL
  • im November stellt der neue oberste 'Chef' der Sowjetunion, Nikita CHRUSCHTSCHOW, ein Ultimatum: Er will den Westteil von Berlin, der für den Ostblock eine Art Pfahl im Fleische ist, entmilitarisieren, konkret die Westalliierten aus der Stadt vertreiben (1. Berlin-Ultimatum)

1961

ist ebenfalls ein Jahr mit mehreren Ereignissen, die für die spätere sogenannte SPIEGEL-Affäre von Bedeutung sein werden (zeitliche Reihenfolge):

  • Im Frühjahr erlebt der neue 'Chef' der USA, Präsident John F. KENNEDY, sein erstes außenpolitisches Debakel: Die Invasion in der Schweinebucht von Kuba geht schief. Mehr dazu unter Die Kuba-Krise
  • DER SPIEGEL hat mehrere Skandale und Skandälchen über FJS zusammengetragen, z.B. über Hans und Franz: erste Informationen über das, was später als "Fibag-Affäre" in die Annalen eingehen wird
  • längst ist dafür ein neuer Redakteur eingestellt: Hermann RENNER, ein ausgezeichneter Rechercheur, der jetzt regelmäßig das Heft mit Berichten füllt
  • die ehemaligen SS-Hauptsturmführer im SPIEGEL, MAHNKE und WOLFF, die gerade dabei waren, weiter Karriere zu machen, sind kaltgestellt:
    • Horst MAHNKE arbeitet jetzt im Verlag von Axel SPRINGER
    • Georg WOLFF wurde nicht - wie eigentlich vorgesehen - Chefredakteur.
    Rudolf AUGSTEIN und sein Freund, der Redakteur Hans Detlev BECKER, der später die Geschäfte des Verlags führen wird, haben die beiden 'abgezogen'. Sie wären ein zu gutes Ziel für Franz Josef STRAUSS, wenn der mit deren NS-Vergangenheit zurückschießen wollte
  • 'Schießen' - das macht FJS vor dem Landgericht Nürnberg-Erlangen. Er wehrt sich:
    • gegen einige Zitate und Meinungen über ihn, die DER SPIEGEL in einem weiteren Artikel über ihn zusammen getragen hat
    • sowie die Berichterstattung des Nachrichtenmagazin über die „Fibag“-Affäre
    Die innige Feindschaft zwischen STRAUSS und SPIEGEL siedet ihrem Höhepunkt entgegen
  • Bei der Bundestagswahl verliert die CDU/CSU ihre absolute Mehrheit - sie muss mit der FDP koalieren. Einer der Gründe für das Wahlergebnis: ADENAUER hatte nach dem 13. August, dem Tag des beginnenden Mauerbaus, nur leere Worte für die Situation und nur hämische Bemerkungen über den Regierenden Bürgermeister Willy BRANDT auf den Lippen - der Stern des "Alten" begann jetzt auch im eigenen Parteivolk zu sinken

Das Jahr 1962 bis zum Sommer

So sieht der Ablauf des Jahres der eigentlichen Affäre aus:

  • DER SPIEGEL bzw. der Rechercheur Hermann RENNER lässt sich nicht lumpen - die "Fibag-Affäre" wird durch neue Informationen und Dokumente gefüttert, die das Nachrichtenmagazin präsentieren kann: vor Gericht und im Heft. Mehr dazu unter Das Vorspiel
  • im Bonner Bundestag setzen SPD und die FDP, obwohl letztere zur Regierungskoalitiongehört, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss durch. Der soll die "Fibag"-Vorwürfe klären
  • da FRANZ Josef STRAUSS immer noch auf die alte Verteidigungsstrategie der vorrangig bzw. ausschließlich atomaren Vergeltung setzt, was im Ernstfall bedeuten würde, dass man auf einen konventionellen Angriff - mangels konventioneller Masse - mit einem Atomschlag reagieren müsste, was wiederum den Gegenschlag des Angreifers auslösen würde, wäre die Welt wohl am Ende. 

Genau darüber machen sich mehrere hohe Militärs - wie auch AUGSTEIN und andere SPIEGEL-Journalisten - Sorgen. Sie fühlen sich bestätigt, weil auch die USA unter KENNEDY - unabhängig des Schweinebuchtdesasters auf Kuba - eine differenzierte Abwehrstrategie verfolgt: mittels eines "flexible response". Die Luftwaffengeneräle stehen hinter FJS - er hat ihnen mit dem "Starfighter" ein wunderbares Spielzeug beschert und Generäle pflegen nicht in der Pilotenkanzel zu sitzen. Anderer Meinung hingegen sind Vertreter des konventionellen Heers.

Einer von ihnen, Alfred MARTIN, Oberst im Generalstab der Bundeswehr, nimmt im Frühjahr über Rudolf AUGSTEIN's Bruder, den Rechtsanwalt Dr. Josef AUGSTEIN, vorsichtig Kontakt zum SPIEGEL auf. Er tauscht sich künftig mit Conrad AHLERS aus, dem stellvertretenden Chefredakteur, der gleichzeitig einer der Militärfachleute beim SPIEGEL ist.

Als eines der ersten Gesprächsergebnisse erscheint am 13. Juni ein kleiner, aber informationsgeladener Bericht im Blatt: Stärker als 1939?

Den liest auch ein Hochschulprofessor für "Staatsrecht" an der Universität Würzburg: Prof. Dr. Friedrich-August Johannes Wilhelm Ludwig Alfons Maria Freiherr von der HEYDTE, kurz Prof. Dr. Friedrich August von der HEYDTE.

Seit 1933 Mitglied der NSDAP und eifriger Verfechter der Zeitschrift Totenkopf, das Mitgliedsblatt der SS, ist HEYDTE nach 1945 aktives Mitglied der CSU. Als begeisterter Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs, bei dem er sich viele militärische Auszeichnungen erworben hatte - u.a. bekam er von Adolf HITLER das Ritterkreuz mit Eichenlaub höchstpersönlich überreicht - ist der Gelehrte auch im Nachkriegsdeutschland ein überzeugter Anhänger militärischer Stärke. Er agiert - sozusagen im Nebenberuf - als "Oberst der Reserve" bei der Bundeswehr. Eine Beförderung auch im Nachkriegsdeutschland wird ihm nicht versagt bleiben. Nach der "SPIEGEL-Affäre" wird er in den Stand eines "Brigadegeneral der Reserve" erhoben. 

Von der HEYDTE ist für den SPIEGEL kein Unbekannter. Der konservative Staatsrechtler aus Würzburg wirft dem Hamburger Magazin schon länger landesverräterische Machenschaften vor, spricht und schreibt von "gesinnungslosen Publizisten" und veröffentlicht solcherlei eifrig in diversen Pamphleten, die er über die CSU streuen lässt. DER SPIEGEL setzt sich juristisch zur Wehr und gewinnt. 
Der Würzburger Freiherr ärgert sich. Und der Artikel "Stärker als 1939?" kommt ihm wie gerufen. Vielleicht lässt sich doch nochmals ein Angriff gegen das "gesinnungslose" Blatt starten. Doch jetzt ist ersteinmal Sommer und damit Ferienzeit...

Zu dieser Zeit - mit Beginn des Monats Juli - fahren über die unterschiedlichen Meeresrouten (Route 1: Schwarzes Meer > Mittelmeer > Atlantik; Route 2: Arktischer Ozean > Atlantik) aus dem riesigen Reich der Sowjetunion ungewöhnlich mehr Frachter auf den atlantischen Ozean. Sie haben alle ein Ziel: Kuba. 

Was niemand weiß und niemand wissen kann: Es handelt sich um eine der geheimsten Militäroperationen. Alle Anweisungen und Befehle wurden und werden nur mündlich ausgeführt. Weil es keine Funksprüche und sonstige medialen Übertragungen (Telefon, Telefax) gibt, versagt das weltumspannende US-Abhörsystem der National Security Agency (NSA) bei dieser gigantischen Operation, die unter dem Code "Anadyr" sorgfältig vorbreitet wurde. 

Die Frachter haben sensibles Gut versteckt: Raketentechnik vom Feinsten und auf dem allerneuesten Stand. Flugabwehrraketen, Abschussrampen, aber auch die Raketen des allerneuesten Typs wie der "SS-4" und der "SS-5". Ebenfalls auf den Frachtern gut getarnt: nukleare Sprengköpfe.

CHRUSCHTSCHOW sieht nicht mehr ein, dass die USA in der Türkei atomare Jupiterraketen aufgestellt haben, die Moskau in fünf Minuten erreichen könn(t)en. Jetzt will er sich revanchieren: mit Atomraketen auf Kuba, die Washington in 5 Minuten angreifen und zerstören könn(t)en.

Von all dem ahnt die Welt noch nichts ... 


August und September

In den USA beim CIA laufen erste Hinweise auf ungewöhnliche Schiffsbewegungen und Aktivitäten in kubanischen Häfen ein. Die USA hat kaum noch Agenten vor Ort. Viele tot, die meisten verschreckt. Das Schweinebuchtdebakel hat seine Spuren hinterlassen.

Jetzt zeigen Fotobilder eines "U-2"-Aufklärungsflugzeugs erstmals Raketenabschussvorrichtungen dort, wo vorher keine waren. Und am 15. September können US-Aufklärer auf dem riesigen Atlantik erstmals einen Sowjetfrachters namens "Poltava" ausmachen:

Was die "Poltava" geladen hat, lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Auch bei einem anderen Dampfer lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um militärisches Großgerät handelt.

US-Präsident John F. KENNEDY sorgt sich nicht: Er hat – nach dem Schweinebuchtdebakel - seinen Generälen und Militärs befohlen, einen konkreten Schlachtplan zur Invasion auf Kuba auszuarbeiten. Diesmal nicht mit nur 1.300 Mann wie bei der Schweinebucht. Diesmal richtig: mit allem Drum und Dran. 100.000 Soldaten sind bereits in südliche Militärbasen verlegt. Avisierter Angriffstermin: der 20. Oktober. Also in knapp vier Wochen.

Mehr zum Beginn der Kuba-Krise unter Kurz vor dem Dritten Weltkrieg: Die Kubakrise


21. bis 28. September

In Europa spielt die Nato den Ernstfall durch. Auch die Bundeswehr ist mit dabei. Das Manöver bzw. das Planspiel "Fallex 62" soll die Leistungsfähigkeit des westlichen Miltärbündnisses im Falle eines atomaren Erstschlags und anschließender Großoffensive durch die Sowjetunion und der Warschauer Pakt-Staaten testen. Das Ergebnis fällt mehr als ernüchternd aus:

  • allein in Deutschland an die 15 Millionen Tote
  • um die massiven Panzertruppen aufzuhalten, müsste die Nato ihrerseits mit einem atomaren Gegenschlag antworten
  • Mitteleuropa, insbesondere Deutschland, wäre eine atomare Trümmerwüste.

Das Zeugnis für die Bundeswehr fällt mit der zweitschlechtesten Note noch schlechter aus: "Bedingt abwehrbereit"


Währenddessen

ist Franz Josef STRAUSS 'not amused'. Seine atomaren Visionen sind gescheitert. Jetzt werden die Amerikaner erst recht auf eine Aufstockung traditionellen Verteidigungsgeräts bei der Bundeswehr pochen. Und noch weniger ist FJS 'amused', als DER SPIEGEL am 26. September mit einer neuen Affärengeschichte über ihn aufwartet: Onkel Aloys - Günstlingswirtschaft, mal wieder vom Allerfeinsten.

Der Würzburger Staatsrechtsprofessor Dr. Friedrich August von der HEYDTE, der inzwischen genauso viele Jahre aktives Mitglied in der CSU ist wie er zuvor Mitglied der NSDAP war, und der Franz Josef STRAUSS für den richtigen Mann an der richtigen Stelle hält, geht regelmäßig auch auf Veranstaltungen seiner (neuen) Partei. Schon um seine diversen politischen Schriften unters Volk zu bringen. Ob und inwieweit er dort auch sein großes Idol in Gestalt von FJS getroffen hat oder trifft, ob und inwieweit der eine oder andere den jeweils anderen um einen kleinen Gefallen gebeten hat oder bittet, wissen wir nicht. Es wäre auch unerheblich  


1.Oktober

Tatsache ist: An diesem Tag geht eine Strafanzeige gegen den SPIEGEL bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ein: wegen des Verdachts auf Landesverrats. Anzeigensteller: Prof. Dr. Friedrich August von der HEYDTE. Beigefügt: Kopien von insgesamt sechs Berichten aus dem Nachrichtenmagazin, die sich mit Fragen des Militärs und der Verteidigung befassen. Unter anderem auch der kleine, aber informativeSPIEGEL-Bericht vom 13. Juni


zu dieser Zeit

sind die SPIEGEL-Journalisten Conrad AHLERS und Hans SCHMELZ, ebenfalls ein Wehrexperte, dabei, ihren kritischen Bericht über das Fallex-Manöver fertig zu stellen und mehrere Informationen ein weiteres Mal zu verifizieren.

Unter anderem legt AHLERS einen Entwurf dem Hamburger "Polizeisenator" vor: Helmut SCHMIDT. Der hat ein Jahr zuvor ein international anerkanntes Buch über Verteidigung oder Vergeltung publiziert, das längst in englischsprachiger Fasssung vorliegt. SCHMIDT war bereits im Bonner Bundestag Wehrexperte der SPD. Jetzt gibt er seinem früheren Studienfreund einige Tipps, was möglicherweise "geheim" sein könnte. AHLERS will das nochmals checken.

So geht der geplante SPIEGEL-Artikel seiner redaktionellen Fertigstellung entgegen 


Sonntag, 7.Oktober

Die neue Ausgabe der Illustrierten stern erscheint. Im Blatt eine Geschichte mit dem Titel "Wie stark sind wir?". Autor: Gerd SCHARNHORST, Militär- und Wehrexperte beim stern. Zudem ein Großneffe des Generals Gerhard von SCHARNHORST.
Der stern-Redakteur sitzt schon länger an diesem Thema. Jetzt musste plötzlich alles ganz schnell gehen, damit seine Geschichte noch an diesem Tag erscheinen kann - einen Tag vor der Veröffentlichung des Fallex-Artikels durch den SPIEGEL.
Wie es dazu kam, dass die Illustrierte schneller als das Nachrichtenmagazin war, hat uns Gerd SCHARNHORST erzählt: Rudolf AUGSTEIN und Henri NANNEN, Chefredakteur und Herausgeber des stern, saßen wenige Tage zuvor 'beim Chinesen' zusammen...
Hier das Interview mit Gerd Scharnhorst, stern-Redakteur:


8.Oktober, Montag

Einen Tag später als der stern, aber zwei Tage früher als sonst erscheint der angekündigte Artikel des SPIEGEL "Bedingt abwehrbereit". Auf dem Titel: der Generalinspekteur der Bundeswehr, Friedrich FOERTSCH. Auf weiteren 16 Seiten: Informationen, Zahlen, Details und Hintergründe um die Bundeswehr und deren schlechtes Abschneiden beim Nato-Manöver "Fallex 62".

Der Artikel ist lang. Nicht unbedingt eingängig zu lesen. AUGSTEIN selbst hat sich um diese Geschichte auch nicht wirklich gekümmert, zu detailverliebt. Auf der nächsten Redaktionskonferenz stellt er denn auch die rhetorische Frage, wer denn diesen Bericht überhaupt gelesen habe?

Gelesen wird der "Bedingt abwehrbereit"-Artikel von vielen anderen. Zum Beispiel vom Würzburger Staatsrechtsprofessor Dr. Friedrich August von der HEYDTE. Der greift erneut zur Feder und setzt mit einer weiteren Strafanzeige gegen den SPIEGELnach. Adressat: die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.
Dort liest den kritischen Bericht eine aufmerksame Justizangestellte. Sie eilt auf der Stelle zu Bundesanwalt Albin KUHN. Der wiederum muss prüfen. Von juristischen Dingen versteht er viel, von militärischen wenig. Er braucht einen Fachmann, einen Gutachter, der den Pressebericht auf Verdachtsmomente für Landesverrat überprüfen könnte.

KUHN wird auch fündig: im Bundesverteidigungsministerium selbst, das selbst Adressat der Kritik desSPIEGEL ist. Es fügt sich, dass der dortige Oberregierungsrat Dr. Heinrich WUNDER vor noch nicht allzu langer Zeit selbst als Staatsanwalt bei der Karlsruher Bundesanwaltschaft gearbeitet hat. KUHN beauftragt seinen Quasi-Ex-Kollegen, sich darum zu kümmern.

Und Oberregierungsrat WUNDER kümmert sich. KUHN und WUNDER setzen jetzt eine Spirale in Gang: die Vorbereitungen für die Invasion in den SPIEGEL, die in zweieinhalb Wochen erfolgen wird. 
Mehr zu den Vorbereitungen im Kapitel Die Invasion


zeitgleich

planen hinter verschlossenen Türen in Washington die Militärs im Pentagon und im Weißen Haus ebenfalls eine Invasion: auf Kuba. Anvisierter Termin: der 20. Oktober. KENNEDY will seine Schweinebuchtblamage wettmachen.

Erst am 15. Oktober weiß er von der aktuellen Bedrohung: ein neuerlicher Aufklärungsflug einer "U-2" über Kuba, der gegen das Völkerrecht verstößt, hat nunmehr den sicheren Beweis erbracht, dass die Sowjets dabei sind, Raketen aufzustellen. Darunter auch jene vom Typ "SS-4" und "SS-5". 

KENNEDY ruft seine engsten Militär- und Sicherheitsberater, den Verteidigungsminister und seinen Bruder Robert, den derzeitigen Justizminister, zusammen. Das Krisengremium "ExComm" (Executive Committee of the National Security Council) tagt ab sofort regelmäßig (Foto: National Security Archive). Jetzt steht der Ernstfall bevor. Allerdings in ungeahnter Weise: Die bisherige Invasion war als Angriff auf Kuba und Fidel CASTRO gedacht. Jetzt sieht man sich einem anderen Gegner gegenüber: der Sowjetunion und deren atomaren Waffenarsenal.

Wie sich diese Krise immer mehr zuspitzt und dann in letzter Minute entschärft werden kann, welche Rolle dabei zwei Radiosender spielen, weil es zwischen Moskau und Washington keine regulären Kommunikationsverbindungen gibt, ist ausführlich dokumentiert im Kapitel Kurz vor dem 3. Weltkrieg: die Kuba-Krise


15. bis 22. Oktober

Während in den USA nur ganz wenige von der dräuenden Krise wissen und auch die Sowjets noch nicht ahnen, dass die USA von ihrer Operation wissen, hat auch in Hamburg niemand eine Vorstellung, was da auf den SPIEGEL zukommen könnte. In Karlsruhe und in Bonn indes laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Längst hat Oberregierungsrat WUNDER sein Gutachten vorgelegt: 41 landesverräterische Punkte will er ausgemacht haben. Deshalb stehen inzwischen auch die "Sicherungsgruppe Bonn" des BKA, Mitarbeiter des MAD (Militärischer Abschirmdienst) und Bundesanwalt Siegfried BUBACK, unterstützt durch weitere Beamte der Bundesanwaltschaft, bereit. In Bonn ist ebenfalls alles eingetaktet, was da kommen soll: Bundeskanzler ADENAUER hat seinem Sprössling Franz Josef STRAUSS grünes Licht und Rückendeckung signalisiert


23. bis 25. Oktober

In Deutschland ist es bereits 1 Uhr nach Mitternacht, als US-Präsident John F. KENNEDY in einer auf 19 Uhr Ortszeit angesetzten Fernsehansprache seinen Amerikanern mitteilt, dass Nikita CHRUSCHTSCHOW auf Kuba Atomraketen stationieren will, ein erster Teil bereits einsatzfähig ist und dass eine Unzahl von Schiffen sich Kuba nähern. Von dort abgefeuerte Raketen würden Washington in fünf Minuten erreichen, warnt der US-Präsident.

Die US-Regierung habe deshalb eine "Quarantäne" verhängt, konkret: eine Seeblockade, die verhindern werde, dass Frachter mit Flugzeugen und Raketenteilen Kuba erreichen. Und an seinen Widerpart in Moskau adressiert: Die Raketen auf Kuba müssen weg. Und im Falle eines Angriffs würde sich die USA mit einem atomaren Gegenschlag revanchieren.

Die Welt scheint am Abgrund zu stehen...

In Karlsruhe fertigt derweil Wolfgang BUDDENBERG, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, die Papiere aus: Haftbefehle, Durchsuchungsbefehle und dergleichen.

Während tags drauf, am 24. Oktober, einem Mittwoch, 800 Meilen vor Kuba die Blockade in Kraft tritt und das US-Militär ein riesiges Aufgebot an Zerstörern, Aufklärungsflugzeugen und U-Booten in Stellung gebracht hat, beziehen auch in Hamburg diverse Einsatzteams ihren Posten. Team "Einstein" z.B. ist auf "Libelle", sprich AUGSTEIN, angesetzt.

Der Donnerstag sowie der darauffolgende Freitag sind Tage, die ganz im Sinne von Franz Josef STRAUSS ablaufen:

  • Am 25. Oktober im Bonner Bundestag kann die Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und FDP den Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur "Fibag-Affäre" über die Bühne bringen. Mehrheitliches Ergebnis: FJS ist nichts vorzuwerfen
  • zeitgleich wird ein Telefonat zwischen Conrad AHLERS und Chefredakteur JACOBI abgehört. AHLERS weilt im sonnigen Spanien auf Urlaub, ruft aber in Hamburg an, ob er wegen der Kuba-Krise zurückkommen müsse? Nein, sagt JACOBI, "das ist nicht nötig. Ruldolf hat schon etwas gemacht."Dieser Satz, den man FJS rapportiert, wird wenig später gründlich missverstanden werden.
  • Doch vorher, am Freitag, steht die Invasion an. Zumindest in Hamburg

Der Tag der Invasion, 26.Oktober

Weil in Düsseldorf BKA- und MAD-Beamte den Geschäftsstellenleiter des dortigen SPIEGEL-Büros mit Rudolf AUGSTEIN verwechseln, verhaften sie ihn. Abends, nachdem der Irrtum offenbar geworden ist, müssen sie ihn wieder freilassen. Damit der Düsseldorfer SPIEGEL-Mitarbeiter die Redaktion in Hamburg nicht vorwarnen kann, sieht sich die seit Tagen in der Hansestadt postierte Staatsmacht gezwungen, ihre Aktion früher zu starten als geplant.

Dies geschieht. Gegen 21 Uhr rücken in den SPIEGEL-Verlag rund 50 Mann aus BKA, MAD und Bundesanwaltschaft, inzwischen verstärkt durch Hamburger Polizei und Kripobeamte in das Hamburger Pressehaus ein. Sie besetzen die Telefonzentrale, legen den Paternoster still und suchen auf allen drei Etagen der SPIEGEL-Redaktion erstmal nach Rudolf AUGSTEIN und Conrad AHLERS:

Rudolf AUGSTEIN ist genauso wenig in der Redaktion, wie Conrad AHLERS in Hamburg ist. Den tüchtigen Observierungsteams von BKA und MAD, die auf "Fliege" und "Wespe" angesetzt sind, ist völlig entgangen, dass AUGSTEIN bei seiner neuen Freundin weilt, zusammen mit seinem Freund Hans Detlev BECKER, und dass AHLERS sich bereits seit einer ganzen Woche in den Urlaub nach Spanien verzogen hat. 

Weil die Haftbefehle (bisher) nur auf AUGSTEIN und AHLERS lauten, läuft die Verhaftungsaktion ersteinmal ins Leere. Weil sich auch der in der Redaktion anwesende Chefredakteur Claus JACOBI weigert, mit seinem kleinen Technik-Team das Gebäude sofort zu verlassen, kann die gerade in der Endproduktion befindliche nächste SPIEGEL-Ausgabe Nr. 44 für nächsten Mittwoch fertig gestellt werden. Allerdings: Die Staatsmacht will jede Seite vorher lesen - Vorzensur sozusagen. Der Titel der Ausgabe, die am Mittwoch erscheinen soll: Kubakrise (siehe aktives Titelbild).

Da der SPIEGEL - wie alle anderen gedruckten Medien - mit großem zeitlichem Vorlauf produziert werden muss, können die Informationen nicht aktuell sein. Denn in Washington versucht nun ein Einzelkämpfer die verzwickte Situation zu retten - mehr oder weniger eigenmächtig: Der Chef des dortigen KGB-Büros, der einen bekannten Fernsehmoderator anspricht, auf dass dieser John F. KENNEDY die Botschaft überbringen möge, die Sowjetunion sei bereit, gegen eine Nichtangriffsgarantie gegenüber Kuba die Raketen abzuziehen.

KENNEDY reagiert unverzüglich. Der zwischengeschaltete TV-Mann übermittelt dem sowjetischen Meisterspion die Bereitschaft, dass "höchste Autoritäten an Verhandlungen interessiert" seien. Dies wiederum veranlasst CHRUTSCHTSCHOW in Moskau, ebenfalls zu reagieren und zwar schnell, denn auch dem Sowjetführer beginnt die Kontrolle über die ersten militärischen Pannen zu entgleiten. CHRUSCHTSCHOW lässt seinen Brief an KENNEDY diesesmal über Radio Moskau verlesen. Und KENNEDY wird ihm - des Zeitdrucks wegen - über den Radiosender Voice of America antworten...

Nachdem die letzten SPIEGEL-Mitarbeiter die letzten Vorbereitungen für den Druck beendet haben, müssen sie die Redaktionsräume verlassen. Ab jetzt ist alles blockiert. Nun machen sich Bundesanwalt BUBACK und seine Mannen an die Arbeit.

Nachdem sie AUGSTEIN und AHLERS nicht angetroffen haben, versuchen sie das Leck zu finden, durch das dem SPIEGEL landesverräterische Informationen zugeflossen sind. Die Staatsmacht sucht nun nach Dokumenten und sonstigen verräterischen Hinweisen. In der SPIEGEL-Dokumentation, die jetzt streng bewacht wird, sind archiviert

  • 17.000 Leitzordner
  • 4.000 Schnellhefter
  • 6.000 Bücher
  • 180 Karteien und diverse Register
  • insgesamt rund 5,5 Millionen Blatt Papier sowie
  • 10.000 Meter Mikrofilme.

So hat sich die Staatsmacht die Arbeit einer Redaktion nicht vorgestellt ...

Zeitzeugen erinnern sich, wie das war und was sie dachten, was da vor sich gehen würde (in der Reihenfolge des Auftretens):

  • Rudolf HERBERS, Redakteur bei der Zeitschrift Constanze
  • Helmut SCHMIDT, "Polizeisenator" (später in "Innensenator" umbenannt)
  • Herbert LUDZ, Jungredakteur beim stern
  • Dieter WILD, SPIEGEL-Redakteur
  • Heinz EGLEDER (kein Zeitzeuge, aber langjähriger Hausdokumentar beim SPIEGEL, der seit Jahren alles über den SPIEGEL dokumentiert)
  • Gerd SCHARNHORST, Redakteur beim stern

 


nach 22 Uhr

Überall herrscht ungewohnter Hochbetrieb:

  • In Hamburg muss die Staatsmacht in den SPIEGEL-Räumen erstmal alles "sichern"
  • zeitgleich werden dort mehrere Privatwohnungen durchsucht: bei Rudolf AUGSTEIN (der nicht zuhause ist), bei den beiden Chefredakteuren ENGEL und JACOBI, beim stellvertretenden Chefredakteur AHLERS, der auf Urlaub im sonnigen Spanien ist
  • im Bonner Redaktionsbüro des SPIEGEL wird der dortige Redaktionsleiter Hans Dieter JAENE festgenommen und über Nacht festgehalten. Ebenso werden dessen Büro und Wohnung gefilzt
  • im Bonner Verteidigungsministerium lässt sich STRAUSS'ens Staatssekretär Volkmar HOPF - in Vertretung seines Chefs - über alles ständig unterrichten. Er weiß inzwischen, dass AHLERS in Spanien weilt, will ihn unbedingt verhaften lassen. Jetzt laufen die Telefondrähte heiß. Denn mit Spanien gibt es wenig Kooperation: In Spanien herrscht seit dem Bürgerkrieg von 1936, also seit 26 Jahren, der inzwischen 70jährige Diktator Francesco FRANCO.
    Wie die Staatsmacht Conrad AHLERS zur freiwilligen Rückkehr nach Deutschland bringt, wie sich Franz Josef STRAUSS (wieder) über alle Regeln und Gesetze hinwegsetzt und hinterher den Deutschen Bundestag belügt, ist im Kapitel dokumentiert Wie die Wahrheit scheibchenweise ans Tageslicht kommt

27.Oktober, Samstag

Einen der anwesenden Redakteure hat die Staatsmacht übersehen: Leo BRAWAND, der mitbekam, was gerade geschah und telefonisch nach draußen Alarm schlagen konnte. Als die Beamten in sein Zimmer schauten, hatte sich BRAWAND im mannshohen Kleiderschrank seines Büros versteckt. Die Polizeibeamten bemerkten das nicht, versiegelten sein Büro von außen und BRAWAND konnte wenig später über einen Hinterausgang entweichen, den die diversen Einsatzteams ebenfalls übersehen hatten.

Daher ist jetzt auch Rechtsanwalt Dr. Josef AUGSTEIN aus Hannover auf dem Weg nach Hamburg. Er trifft nach Mitternacht ein. Zusammen mit seinem Bruder und Hans Detlev BECKER beschließen sie, dass Rudolf sich um 12 Uhr im Hamburger Polizeipräsidium stellen wird. Bis dahin können sie noch einige Dinge arrangieren.

Um 12 Uhr wird Rudolf AUGSTEIN verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis gesteckt. Von dort wird er ab jetzt regelmäßig abgeholt. Er soll Bundesanwalt BUBACK und seinen Mannen beim Durchsuchen der Redaktion helfen und auf Fragen antworten.

Eine Antwort gibt es auch auf einer anderen Ebene. Nachdem John F. KENNEDY seinem Widersacher in Moskau per Radio geantwortet hat, gibt CHRUSCHTSCHOW erneut ein Signal über Radio Moskau. Darin bestätigt er den Deal, den KENNEDY zwischendurch über einen offiziellen Kanal nach Moskau angeboten hat: Raketenabzug aus Kuba gegen den Abzug der US-Raketen in der Türkei. Dieser Deal ist noch inoffiziell.

Nur wenig später reagiert KENNEDY wiederum über seinen Radiosender Voice of America: Die USA"begrüssen die staatsmännische Entscheidung des Vorsitzenden CHRUSCHTSCHOW". Die Kubakrise ist ausgestanden, der Dritte Weltkrieg verhindert.

"Wir hatten Glück"
, wird später der Verteidigungsminister Robert McNAMARA eingestehen.

Die Presseagentur dpa hatte noch kurz vor Mitternacht am Freitag eine erste Meldung über die Geschehnisse im Hamburger Pressehaus über die Ticker abgesetzt. Für viele Zeitungen war das zu spät, nicht jedoch für dasHamburger Abendblatt (siehe aktives Bild), das - damals - am Samstagabend, sozusagen als frühe Sonntagszeitung erscheint. Aufmacher: die Kubakrise, die die ganze Welt bewegt.

Dass sich die Welt schon längst weiter gedreht hat, können die Blattmacher nicht mehr vermelden. Drucken, auf Papier, dann Austragen und Zustellen, ist ein zeitlich aufwendiges Unternehmen. 
Darauf hat wohl auch die Bonner Staatsmacht gesetzt: Den SPIEGEL durch Nichterscheinen auch wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Denn jetzt sind die Redaktionsräume blockiert. Für ganze vier Wochen. Nichts geht mehr. Jedenfalls nicht in den SPIEGEL-Etagen.

Doch die staatliche Macht hat sich verrechnet. Zwei Dinge sind es, die dem SPIEGEL das Weiter- bzw. Überleben in den nächsten 4 Wochen ermöglichen:

  1. Mehrere Hamburger Verleger werten den Angriff auf den SPIEGEL auch als allgemeinen Angriff auf die Pressefreiheit. Davon wären sie im Zweifel selbst betroffen. Sie schließen sich zusammen und praktizieren Journalistische Solidarität. Dies haben uns mehrere Zeitzeugen beschrieben.
  2. Auf der anderen Seite begreifen aber auch die Menschen, was da geschieht. Sie protestieren, demonstrieren und diskutieren. Deutschlandweit. Selten hat sich ein derartiger Sturm des öffentlichen Protests formiert. Wir haben diese Vorgänge zusammengestellt in einer
    Und wir rekonstruieren,

Hier geht es zum Teil II der chronologischen Gesamtdarstellung: Die Affäre: Wie es nach der Invasion weitergeht. 

(JL; Fotos: National Security Archive; Hausdokumentation DER SPIEGEL)