SPIEGEL-Affäre 1962: die Invasion am 26. Oktober

Washington, Bonn und Karlsruhe:

Während in Washington im Weißen Haus und unbemerkt vom Rest der Welt die Krisenstäbe wegen Kuba tagen, sitzen in Karlsruhe und Bonn andere Leute zusammen: Bundesanwaltschaft, Experten aus dem Bundesverteidigungs-ministerium und Vertreter des BKA. In den USA spielt man wegen der anlandenden Atomraketen aus der Sowjetunion die Folgen einer militärischen Invasion auf Kuba durch. In Karlsruhe wird die polizeiliche Invasion in Hamburg vorbereitet: bis auf das letzte Detail.

Am Freitag, den 26. Oktober 1962, als die Kubakrise auf ihren Höhepunkt zusteuert, schlägt in Deutschland die Staatsmacht zu.

Der Einmarsch der geballten Staatsmacht in Gestalt

  • der "Sicherungsgruppe Bonn", einer Abteilung des BKA,
  • dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr
  • sowie Beamten der Hamburger Kriminalpolizei, die man im Wege der "Amtshilfe" bemüht hatte,

in die SPIEGEL-Redaktion war in dieser Größenordnung ein einmaliger Vorgang.

Durchsuchungen von Redaktionen hatte es auch schon vorher gegeben und natürlich auch hinterher. Beispielsweise bei der sogenannten Cicero-Affäre im Jahre 2005. In keinem der anderen Fälle war es aber so, dass die staatliche Gewalt die sogenannte Vierte Gewalt, von der man bereits in den 60er Jahren sprach, nicht nur in die strafrechtliche Zange nehmen wollte, sondern dass die Obrigkeit versuchte, ein 'unbotmäßiges' Magazin wirtschaftlich zur Strecke zu bringen: durch eine totale Blockade. Vier ganze Wochen lang.

Wie es überhaupt dazu kam, dass DER SPIEGEL zum Objekt des staatlichen Zorns wurde, haben wir unter Das Vorspiel: DER SPIEGEL versus Franz Josef STRAUSS beschrieben.

Warum DER SPIEGEL überleben konnte, ist unter Journalistische Solidarität und Hamburger Kumpanei rekonstruiert.

Hier dokumentieren wir

  • den Einmarsch in die Redaktion - u.a. mit den Erinnerungen von Zeitzeugen
  • sowie die generalstabsmäßigen Vorbereitungen der staatlichen Macht in den 2 1/2 Wochen davor, die in jene Phase fallen,
  • in der die "Kubakrise" noch keine ist, sondern die Mächtigen in den USA, Präsident KENNEDY und die CIA, gerade überlegen, wie sie agieren sollen.

Aus diesem Grund sind hier diese Vorgänge mit eingeblendet. Eine detaillierte Darstellung dieser Ereignisse in der Karibik bzw. vor der Haustüre der USA finden Sie unter Kurz vor dem 3. Weltkrieg: die Kubakrise.

Die Invasion. Und die strategischen Vorbereitungen. In Hamburg, nicht auf Kuba:

Montag, der 8. Oktober 1962

Auslöser, nicht alleiniger Grund für die Invasion in den SPIEGEL, ist der Artikel Bedingt abwehrbereit, in dem das Nachrichtenmagazin bzw. die beiden Wehr- und Militärexperten Conrad AHLERS und Hans SCHMELZ die Ergebnisse des Nato-Manövers "Fallex 62" kritisch unter die Lupe nehmen. U.a. mithilfe des geheimen Protokolls dieses Planspiels. Die Bundeswehr bekam die zweitschlechteste Note, die zu vergeben war: nur bedingt abwehrbereit im Falle eines sowjetischen Großangriffs.

Konkret: Um die sowjetischen Panzertruppen aufzuhalten, müsste die Nato mit einem atomaren Gegenschlag antworten. Mitteleuropa wäre nicht nur eine Trümmerwüste, sondern atomar verseucht. Allein in Deutschland wären um die 15 Millionen Tote zu beklagen.

Weil AUGSTEIN den Artikel zwar nicht für besonders gelungen oder spannend, aber politisch für wichtig hält, wird der offizielle Erscheinungstermin 'Mittwoch`- in diesem Fall der 10. wie auf dem Cover aufgedruckt - auf Montag, den 8. Oktober 1962 : vorverlegt.

Bereits ein Tag zuvor hatte auch die Illustrierte stern eine ähnliche Geschichte im Blatt, monatelang recherchiert und geschrieben von Gerd SCHARNHORST, der ebenfalls ein Wehr- und Militärexperte ist. Dass der stern mit seiner Geschichte einen Tag vor demSPIEGEL aufwarten konnte, hängt mit einer typischen Begebenheit in der Medienstadt Hamburg zusammen. Gerd SCHARNHORST hat sie uns erzählt: Wieso die Illustrierte stern schneller als DER SPIEGEL war. Ex-stern-Redakteur Gerd SCHARNHORST erzählt


Auch in Karlsruhe, der Stadt, in der Bundesanwaltschaft, Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht sitzen, wird DER SPIEGEL gelesen. Zum Beispiel von einer Angestellten der Bundesanwaltschaft, bei der bereits seit 1. Oktober die Strafanzeige eines gewissen Prof. Dr. Friedrich August Freiherr von der HEYDTE gegen das Magazin vorliegt: wegen Landesverrats, den das Blatt in 6 Artikeln begangen haben solle, zuletzt in dem Bericht vom 13. Juni unter der Überschrift Stärker als 1939?. HEYDTE's Schreiben liegt dort in der Ablage - ohne Vorgangsnummer und ohne "Wichtig"- oder "Eilt"-Vermerk.

Jetzt, wo die Justizangestellte den Artikel über das "Fallex 62"-Manöver gelesen hat, eilt sie zu Bundesanwalt Albin KUHN, um ihn auf das verräterische Machwerk aufmerksam zu machen.

Nicht der stern-Bericht vom Vortag erregt die Aufmerksamkeit. Es ist die SPIEGEL-Story vom heutigen Tag.

Bundesanwalt KUHN, der das Strafgesetzbuch wie seine Westentasche kennt, weiß wenig über militärische Dinge. Schon garnicht, ob und wann die Veröffentlichung von Informationen aus diesem Bereich "Landesverrat" nach § 100 des Strafgesetzbuches darstellen könne. Immerhin ein Straftatbestand, der mit bis zu 15 Jahren Zuchthaus geahndet werden kann. 
KUHN beauftragt einen Gutachter. Zupass kommt ihm der Umstand, dass ein Ex-Staatsanwalt, der drei Jahre bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gearbeitet hat, jetzt in der Rechtsabteilung des Bundesverteigungsministeriums in Bonn sitzt: Oberregierungsrat (ORR) Dr. Heinrich WUNDER. 
KUHN beauftragt WUNDER.

Anders gesagt: Die Justiz beauftragt damit ausgerechnet jene Institution mit der fachlichen Prüfung, die selbst Kern des kritischen Presseberichts ist. Heute - 50 Jahre danach - würde das öffentlicher Kritik kaum standhalten (können). Doch Anfang der Sechziger atmete der Zeitgeist flächendeckend Obrigkeitsdenken.

Heinrich WUNDER aus der Rechtsabteilung des Ministeriums wiederum gibt den Auftrag weiter: an Oberst Hans Joachim HOPFFGARTEN, der für Militärpolitik, strategische Planung und Nato-Angelegenheiten zuständig und im Übrigen ein ausgewiesener Fan von Franz Josef STRAUSS ist. Damit ist der Gutachtenauftrag in den 'richtigen Händen'


danach

Die Ministerialen in Bonn befragen ihr eigenes Presseauswertungsarchiv. Dort werden nur wenige Zeitungen ausgewertet. Sie fragen nicht beim Bundespresseamt nach, das sehr viel mehr Zeitungen und insbesondere auch die ausländische Presse berücksichtigt. Schon garnicht fragen die Militärministerialen beim Bundesnachrichtendienst an, wo ebenfalls (viele) Experten arbeiten. 
Längst sind eingeweiht in den Vorgang

  • STRAUSS'ens Pressesprecher Oberst Gerd SCHMÜCKLE, der im Zweiten Weltkrieg schon unter Erwin ROMMEL gedient hatte
  • Staatssekretär Volkmar HOPF als Stellvertreter des Verteidigungsministers, der 1933 sofort in die NSDAP eingetreten war und vor 1945 dem NS-Staat diente wie nach 1945 der neu gegründeten Bundesrepublik: erst im Innenministerium, jetzt als Stellvertreter des Ministers

HOPF informiert seinen Chef, der gerade in Südfrankreich im Urlaub weilt. Und STRAUSS wiederum schreibt Bundeskanzler Konrad ADENAUER, dass DER SPIEGEL "in raffinierter Vermengung richtige Details mit falschen Behauptungen" publiziert habe


Donnerstag, 11.Oktober

Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe geht erneut eine Strafanzeige ein. Absender: Prof. Dr. August von der HEYDTE, ein Professor für Staatsrecht an der Uni Würzburg. Vor 1945 war er eingetragenes Mitglied der NSDAP, engagierter Leser der Zeitschrift Totenkopf, dem Organ der "SS", nach 1945 agiert er als aktives Mitglied der CSU.

Von der HEYDTE hat den SPIEGEL schon lange 'auf dem Kieker', sieht dort"gesinnungslose Publizisten" am Werk. Er hatte bereits 10 Tage zuvor Anzeige erstattet. 

Nach dem neuen SPIEGEL-Artikel "Bedingt abwehrbereit" wittert HEYDTE erst recht Landesverrat 


Samstag, 13. Oktober

Nach nur vier Tagen - an einem Samstag - taucht WUNDER höchstpersönlich in Karlsruhe bei Bundesanwalt KUHN auf. Er bestätigt ihm seinen Verdacht, dass der SPIEGEL-Artikel Geheimnisse preisgegeben habe.

KUHN braucht das schriftlich. Und umfassend. 

Damit kann WUNDER dienen. Er fährt zurück nach Bonn, auf dass er am Montag wieder an seinem regulären Schreibtisch sitzen kann


Montag, 15. Oktober

Im Bonner Ministerium legt die inzwischen eigens eingesetzte Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse vor, denn jetzt ist Franz Josef STRAUSS wieder zurück in Bonn.

Parallel dazu, aber zeitversetzt, werten in den USA die höchsten Militärs sowie US-Verteidungsminister Robert McNAMARA weitere Fotos aus, die "U 2"-Flieger über Kuba zuletzt geschossen haben. Bisher war alles nur ein Verdacht. Jetzt aber steht fest, dass es sich bei den Raketenabschussrampen, die in Kuba seit Anfang August entstehen, um Abschussbasen für die "SS-4" - Mittelstreckenrakete handelt. Reichweite: 2.000 Kilometer. Und damit locker bis nach Washington. Man beschließt, den Präsidenten, John F. KENNEDY, erst am nächsten Morgen zu informieren 


tags drauf, Dienstag, 17. Oktober

In Washington ruft John F. KENNEDY sofort seinen engsten Beraterstab zusammen. Man beschließt, zunächst alles geheim zu halten. Auch die Nato-Verbündeten werden (noch) nicht informiert. KENNEDY will weitere Fotos sehen - man schickt erneut eine "U-2" auf Mission. Diese Ereignisse, von denen zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenige US-Militärs und Geheimnisleute wissen, haben wir dokumentiert unter Kurz vor dem 3. Weltkrieg: die Kubakrise.

In Bonn lässt sich Franz Josef STRAUSS über die Ergebnisse der hauseigenen Ermittlungen hinsichtlich "Landesverrats" informieren. Schnell müsse man handeln, ist seine Devise. Irgendwo habe es Indiskretionen aus seinem Ministerium gegeben. Dieses Leck müsse man ausfindig machen!Währenddessen spricht der SPIEGEL-Geschäftsführer Hans Detlev BECKER in Hamburg ein weiteres Mal seinen Kontaktmann beim BND an: den Hamburger BND-Residenten Oberst Adolf WICHT. DER SPIEGEL, der seine "Fallex 62"-Story bereits vor Veröffentlichung erst vom Hamburger "Polizeisenator" und Militärexperten Helmut SCHMIDT (SPD) hatte prüfen lassen und danach auch Oberst WICHT 13 Fragen zwecks Prüfung in Pullach übergeben und von dort 'grünes Licht' signalisiert bekommen hatte, will gerne wissen, ob der BND weiß, ob und was 'im Busche' ist. WICHT verspricht, sich in der Zentrale in Pullach umzuhören 


Mittwoch, 18.Oktober

Bundeshauptstadt Bonn: Jetzt ist das WUNDER-Gutachten fertig: Auf 25 Seiten hat Dr. Heinrich WUNDER insgesamt 41 landesverräterische Geheimnisse ausgemacht und kommt auf S. 25 in seiner "Gesamtbewertung" zu dem Schluss, dass der fragliche Artikel "für Nachrichtendienste des Ostblocks eine der wertvollsten Erkenntnisquellen darstelle, die ihnen ohne die geringste eigene Anstrengung gewissermaßen auf den Tisch gelegt" worden sei:

Franz JOSEF STRAUSS hat endlich etwas in der Hand und geht damit zu Konrad ADENAUER, berichtet ihm "unter vier Augen". Der wünscht auf dem Laufenden gehalten zu werden und sichert STRAUSS seine volle Rückendeckung zu.

In der Hansestadt gibt Oberst WICHT vom BND sein versprochenes Feedback an Hans Detlev BECKER vom SPIEGEL: Es sei etwas 'im Busche', genaueres wisse aber auch der BND nicht.

Trotzdem rüstet sich Conrad AHLERS für seinen anstehenden Urlaub - er will nach Spanien:

  • Im Falle eines Falles könne, solle und dürfe sich AHLERS auf den Informantenschutz berufen, wird einheitlich beschlossen
  • und für alle Fälle übergibt AHLERS seiner Sekretärin alle seine Unterlagen: diverse Aufzeichnungen, Spesenabrechnungen und dergleichen in einem Kuvert, mit der Bitte, dies sorgfältig aufzubewahren. Die Sekretärin nimmt alles mit nach Hause

Freitag, 19.Oktober

Oberregierungsrat und Gutachter Dr. WUNDER fährt erneut nach Karlsruhe. Er will sein Gutachten persönlich übergeben.
Staatssekretär HOPF will zu diesem Zweck erst am Samstag aus Bonn anreisen


Samstag, 20.Oktober

Zu dritt erscheinen WUNDER, HOPF sowie Bundesanwalt KUHN beim stellvertretenden Leiter der Bundesanwaltschaft Walter WAGNER, übergeben das WUNDER-Gutachten und erläutern alles.

WAGNER wird sich später als Zeuge erinnern, dass STRAUSS'ens Staatssekretär betont habe, der US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNAMARA sei "erschüttert" und würde die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik in Frage stellen.

WAGNER neigt zur Vorsicht: Der 'Krieg' zwischen SPIEGEL und STRAUSS, der sich teilweise auch vor Gericht abgespielt hat, würde wohl jede noch so triftige Begründung für irgendwelche Strafmaßnahmen gegen das Nachrichtenmagazin nicht wirklich objektiv aussehen lassen. Andererseits: Das persönliche Erscheinen des Staatssekretärs scheint den Ernst der Lage zu repräsentieren. Und: Als Staatsanwalt kann er sich immer darauf berufen, dass er dem sogenannten Legalitätsprinzip folgen muss. Eine Anzeige setzt zwingend eine sorgfältige Prüfung voraus.

Deshalb verabredet man sich für Montag erneut. Diesesmal gleich in Bonn. Zusätzlich sollen Vertreter des Bundeskriminalamtes sowie ein Ermittlungsrichter vom Bundesgerichtshof gleich mit dabei sein - für den Fall, dass Haft- und Durchsuchungsbefehle notwendig würden.

Staatssekretär HOPF (CSU), verspricht überdies, den zuständigen Bundesminister der Justiz, Wolfgang STAMMBERGER (FDP), zu unterrichten. Und zwar unverzüglich. Der Justizminister ist schließlich oberster Dienstherr von Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof


Sonntag, 21.Oktober

In Washington tagen die Sicherheitsberater des Präsidenten und hohe Militärs seit Tagen. Mehr oder weniger ununterbrochen. KENNEDY selbst ist auf Wahlkampftour in Ohio und Illinois - er will kein Aufsehen erregen und die Sowjets nicht wissen lassen, dass die Amerikaner wissen, dass sie um die "SS 4"-Raketen längst wissen. Ihre Quelle ist ein ganz spezielles Dokument: das "Betriebshandbuch für die SS-4". Der sowjetische Oberst Oleg W. PENKOWSKI, der sich um den Weltfrieden sorgt, hat es erst kürzlich dem CIA und dem MI5 in Mikrofilm-Form übergeben. PENKOWSKI wird in Kürze auffliegen und wegen Hochverrats eineinhalb Jahre später zum Tode verurteilt werden.

Jetzt hat man sich - nach allem Pro und Kontra – mit dem Maßnahmen wie sofortiger Luftangriff und Zerstörung aller Abschussrampen, Invasion oder Seeblockade diskutiert wurden - für die Strategie einer Blockade entschieden. Damit die großen Zeitungen, denen einige ungewöhnliche Aktivitäten auf US-Militärbasen längst aufgefallen sind, nichts, aber auch wirklich nichts darüber veröffentlichen, telefoniert US-Präsident KENNEDY am abend mit den Herausgebern der großen Blätter und appelliert an ihr nationales Gewissen: New York Times, Washington Post, New York Herald


Montag, 22.Oktober

Die US-Zeitungen kündigen in ihren morgendlichen Ausgaben nur eine wichtige Fernsehrede des Präsidenten für 19 Uhr Washingtoner Ortszeit an. Bis dahin informiert die US-Regierung auch alle Bündnispartner über das Problem und die in Aussicht genommene Lösung. Erst jetzt erfährt man in Bonn um die Zuspitzung der weltpolitischen Lage.
In Bonn ist es derweil Mittagszeit. Es kommen zusammen

  • aus dem Verteidigungsministerium
    • Oberregierungsrat WUNDER sowie Staatssekretär HOPF
    • der Nachrichtenchef des Ministeriums
    • der Chef des MAD.
  • Die aus Karlsruhe angereiste Bundesanwaltschaft ist vertreten durch
    • Bundesanwalt KUHN
    • dem stellvertretenden Leiter WAGNER sowie
    • dem Bundesanwalt Siegfried BUBACK, der dazu gerufen wird.
  • Aus dem BKA kommen
    • der Leiter der Sicherungsgruppe Bonn Ernst BRÜCKNER
    • sowie dessen Stellvertreter Theo SAEVECKE, der später auch die Aktion organisieren und leiten wird. SAEVECKE ist ebenfalls ein gestandener 'Kriminaler' - war vor 1945 nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern auch aktives SS-Mitglied. Nach 1945 stand er kurzzeitig in Diensten der CIA, nunmehr macht er ein zweites Mal Karriere: diesmal beim Bundeskriminalamt (mehr im ABC der Akteure)
    .

Es wird ein richtiges Arbeitstreffen: alles wird minutiös geplant. Um die Durchsuchung der Redaktion auch juristisch abzusichern, sucht man nach einem juristischen Kniff. Denn eine Redaktionsdurchsuchung ist - eigentlich - gesetzlich nicht erlaubt: Redaktionsgeheimnis. Das hat im Jahre 1962 noch nicht den Stellenwert wie heutzutage, aber Vorschrift ist Vorschrift und Verbot ist Verbot.
Bei so viel kriminalistischem und juristischem Sachverstand findet sich eine Lösung schnell:

  • DER SPIEGEL kann den größten Teil seiner Informationen nur durch einen Informanten aus der Bundeswehr und/oder dem Verteidigungsministerium haben.
  • Weil ein verbeamteter Informant seinen Arbeitsplatz nicht ohne weiteres aufs Spiel setzen würde, kann ihn DER SPIEGEL eigentlich nur durch Bestechung dazu gebracht haben.
  • Und bei Bestechung, einem glasklaren Straftatbestand, darf auch durchsucht werden

 


Dienstag, 23.Oktober

In den USA spricht US-Präsident KENNEDY um 1 Uhr nachts mitteleuropäischer Zeit zu seinen Amerikanern. Er eröffnet ihnen und der Weltöffentlichkeit, was in Kuba gerade geschieht,

  • dass die Sowjets Mittelstreckenraten aufbauen, die Amerika in wenigen Minuten erreichen können
  • und dass er ab 24. Oktober 10 Uhr Ortszeit eine Seeblockade verhängen wird.
  • Gleichzeitig fordert er seinen Gegenspieler in Moskau, Nikita CRUSCHTSCHOW, auf, die Raketen abzuziehen. Die USA würden sich im Falle eines Angriffs mit einem atomaren Gegenschlag revanchieren.

Ab jetzt ist die Kubakrise weltöffentlich.

In Deutschland
 erfahren die Menschen davon zunächst nur durch das Radio und das Fernsehen. Die Zeitungen konnten diese Nachricht von gestern für heute nicht mehr drucken.

In Bonn ist alles vorbereitet: Der zuständige und aus Karlsruhe angereiste Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, Wolfgang BUDDENBERG, unterzeichnet auf Antrag Siegfried BUBACK's, der jetzt seitens der Bundesanwaltschaft das Zepter führt, die gewünschten Haftbefehle gegen

  • Rudolf AUGSTEIN und
  • Conrad AHLERS.

Zugleich fertigt BUDDENBERG Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen die Beteiligten und gegen den SPIEGEL-Verlag aus. Oberlandesgerichtsrat BUDDENBERG ist gerade dabei, Karriere zu machen. Seine zweite Karriere. Während seiner ersten war er ausgewiesenes NSDAP-Mitglied

Unmittelbar nach der Ausfertigung aller schriftlichen Papiere geht es auf Reisen:

  • 5 Mitglieder der Sicherungsgruppe Bonn des BKA
  • mehrere Beamte des MAD
  • und auch Bundesanwalt BUBACK

fahren noch am selben Tag nach Hamburg, um als erste Vorhut vor Ort Stellung zu beziehen. Weitere Unterstützung kommt aus Bonn


Mittwoch, 24.Oktober

In der Hansestadt sind derweil 5 Observationsteams im Einsatz. Der Tarnname der Operation: "Sabotage". Um alles geheim zu halten und Pannen auszuschließen, werden Codes vereinbart:

  • AHLERS heißt "Fliege"
  • SCHMELZ läuft unter "Wespe" und
  • AUGSTEIN ist die "Libelle", auf die das Team "Einstein" angesetzt ist.

In der Bundeshauptstadt Bonn lässt sich Franz Josef STRAUSS über alle Haftbefehle, Pläne und Vorbereitungen ausführlich informieren. Um für alles gewappnet zu sein, soll sich ein hoher Beamter des FDP-geführten Bundesjustizministeriums auch übers Wochenende in Bereitschaft zu halten.

Um seinen FDP-Kollegen Justizminister Wolfgang STAMMBERGER nicht selbst zu bemühen, der vielleicht nicht mitspielen würde, teilt er dessen Staatssekretär Walter STRAUß mit, dass eine Weisung des Bundeskanzlers vorliege, nach der der Kreis der Eingeweihten möglichst klein gehalten werden solle. Aus diesem Grund ergehe die ausdrückliche Order, den Herrn Bundesjustizminister nicht in diese Aktion einzuweihen. STRAUSS kann sich sicher sein, dass Staatssekretär STRAUß seine Weisung befolgt: STRAUß ist Mitglied der CSU.

Abends hält Bundespräsident Heinrich LÜBKE Hof: Er gibt einen Empfang für die Bonner Abgeordneten und auserwählte Gäste. Einer von ihnen: Franz Josef STRAUSS. Der erholt sich siegestrunken vom Tag - u.a. mit gut gekühltem Bier, das in ausreichender Menge für jeden Gast verfügbar zu sein scheint. Zu vorangeschrittener Stunde, zu der sich der gewichtige Bajuware offenbar nicht mehr ganz unter Kontrolle hat, lässt er zufällig Anwesende mit vagen Andeutungen wissen, dass es mit dem SPIEGEL wohl bald nicht mehr so weitergehen werde. 

Spricht’s, trinkt sich ein weiteres Mal Mut und Siegesgewissheit zu und übergibt sich wie ein Häufchen Elend im Gebüsch nach einem derart hoffnungsträchtigen Tag...

500 Meilen um Kuba herum tritt um 10:00 Washingtoner Zeit die Seeblockade in Kraft. In Deutschland ist es 15 Uhr, in Moskau bereits zwei Stunden später. CHRUSCHTSCHOW hatte bereits am Morgen erneut gedroht: Sollten die USA irgendwelche "Piratenaktionen" wagen, würde die UdSSR entsprechende "Maßnahmen ergreifen".
US-Zerstörer und Flieger beschatten zunächst alle sowjetischen Frachter mit Kurs auf Kuba (siehe Bild). Die bleiben - zunächst - auf ihrem Kurs...


Donnerstag, 25.Oktober

In Bonn quält sich FJS zu nächtlicher bzw. frühmorgendlicher Stunde von Schloss Brühl zurück in seine Wohnung, bevor im Bundestag die parlamentarische Schlussdebatte über den Bericht des eingesetzten Untersuchungsausschusses über die "Fibag-Affäre" beginnt. Aufgrund der parlamentarischen Mehrheit im Untersuchungsausschuss wie im Plenum geht auch dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss aus, wie er ausgehen muss: Franz Josef STRAUSS ist keinerlei Fehlverhalten nachzuweisen. So beschließt es jedenfalls die Regierungsmehrheit.

Zeitgleich weist Bundesanwalt BUBACK in Hamburg die inzwischen verstärkte "Sicherungsgruppe Bonn" in die zu observierenden Objekte und Subjekte als auch in die geplante Durchsuchung am Wochenende ein. Jetzt sind alle auf Position und auch die Telefonleitungen zum SPIEGEL bzw. zum Hamburger Pressehaus, in dem auch andere Verlage und Zeitungen sitzen, sind längst unter Kontrolle.
So hören die Geheimdienstler von BKA und MAD auch ein Telefonat von Conrad AHLERS von dessen Urlaubsort in Spanien mit. Der fragt Chefredakteur Claus JACOBI, ob er wegen der Kubakrise seine Koffer wieder packen müsse?

Nein, "das ist nicht nötig. Rudolf hat schon etwas gemacht," lautet die Antwort. 

Auf diese Bemerkung wird sich Franz Josef STRAUSS kurze Zeit später stützen, wenn er anderen weismachen möchte, dass sich AUGSTEIN "im U-Boot nach Kuba abgesetzt" habe.

Weil auch das Düsseldorfer Büro des SPIEGEL im Visier von BKA, MAD und Bundesanwalt BUBACK ist, wird eine Meldung durchgegeben, dass AUGSTEIN in Düsseldorf gesichtet worden sei: mit einem weißen Mercedes und Hamburger Kennzeichen...


Freitag, 26.Oktober: Der Tag der Invasion

Jetzt geht es Schlag auf Schlag:

Oberregierungsrat (ORR) WUNDER fährt erneut nach Karlsruhe zum stellvertretenden Leiter der Bundesanwaltschaft WAGNER. Er macht Druck: Die Aktion lasse sich auf Dauer nicht geheim halten, man müsse handeln, und zwar schnell - AUGSTEIN sei in Düsseldorf

15:00 Uhr:
 Zwei BKA-Beamte der "Sicherungsgruppe Bonn" fahren von Hamburg nach Düsseldorf, um AUGSTEIN festzunehmen. AUGSTEIN ist zu dieser Zeit in Hamburg, arbeitet im SPIEGEL. Der Observationstruppe "Einstein" ist dies entgangen

Gegen 18:30 Uhr in Düsseldorf
 wird der Geschäftsstellenleiter des dortigen SPIEGEL-Büros, Erich FISCHER, festgenommen: als vermeintlicher Rudolf AUGSTEIN. Ähnlichkeiten zwischen beiden gibt es so gut wie nicht.

Eine Stunde später
 weiß Bundesanwalt BUBACK von dieser Panne. Da man FISCHER nicht länger festsetzen kann und der nach seiner Freilassung die Hamburger warnen könnte, ist jetzt - gegen 20 Uhr - Handeln angesagt. BUBACK entscheidet sich - zeitgleich zu FISCHER's Entlassung - für den sofortigen und vorgezogenen Beginn der Aktion, die man eigentlich - ganz ruhig und gemütlich - übers Wochenende durchziehen wollte. Jetzt ist "Gefahr im Verzuge"

Ab 20 Uhr
 laufen die notwendigen formalen Dienst- und Kommunikationswege an. Schließlich sind es Bundesbehörden, die in quasi 'exterritorialen' Bundesländern agieren wollen: So wird jetzt der Staatssekretär des nordrhein-westfälischen Innenministeriums von dessen Kollegen aus dem Bundesinnenministerium über die anlaufende Aktion informiert. Und STRAUSS'ens Staatssekretär HOPF vom Bundesverteidigungsministerium unterrichtet seinen Kollegen STRAUß im Bundesjustizministerium. Der Bundesjustizminister selbst bleibt, wie geplant, außen vor.

In Hamburg
 benötigen die Vertreter von BKA-, MAD und Bundesanwaltschaft "Amtshilfe" durch Kriminalbeamte vor Ort. So taucht gegen 20:30 Uhr bei Hamburgs "Polizeisenator" (so die damalige offizielle Amtsbezeichnung) ein Vertreter auf, der Helmut SCHMIDT von der in wenigen Minuten anlaufenden Großaktion - sozusagen nachträglich - in Kenntnis setzt. Hamburg, in dem die SPD das Sagen hat, ist aus der Sicht der Bonner 'ein rotes Tuch'. Wo Verschwiegenheit verlangt ist, glaubt man, sich auf die in Hamburg nicht verlassen zu können.

Nur eine halbe Stunde später, gegen 21:00 beginnt der Einmarsch in das Hamburger Pressehaus, in dem außer der Wochenzeitung DIE ZEIT, demHamburger Echo, Teile der stern-Redaktion auch die 117 Redaktionsräume des SPIEGEL untergebracht sind.

Rund 50 Mann, inzwischen verstärkt durch Hamburger Polizeibeamte, rücken in das Gebäude ein, blockieren die Telefonzentrale, legen den Paternoster still, schwärmen in allen drei Stockwerken der SPIEGEL-Redaktion aus und besetzen alles, was zum SPIEGEL gehört (Fotos/Copyright: mit freundlicher Genehmigung des SPIEGEL). 

Zeitzeugen erinnern sich,

  • wie das war
  • was sie dachten, was da vor sich gehen würde

(in der Reihenfolge des Auftretens):

  • Helmut SCHMIDT, "Polizeisenator" (später in "Innensenator" umbenannt)
  • Herbert LUDZ, 1962 Jungredakteur beim stern
  • Dieter WILD, damals SPIEGEL-Redakteur
  • Heinz EGLEDER (kein Zeitzeuge, aber langjähriger Hausdokumentar beim SPIEGEL)
  • Gerd SCHARNHORST, 1962 Redakteur beim stern

Die Ereignisse nach dem Überfall sind dokumentiert unter Die Affäre: Wie es nach der Invasion weitergeht. Chronologie Teil II

Dass DER SPIEGEL trotz vierwöchiger Blockade überleben konnte, ist zwei Faktoren zu verdanken:

  • Einer beispiellosen journalistischen Solidaritätsaktion mehrerer Hamburger Verleger
  • dem massenhaften Protest, der sich wie ein Flächenbrand durch die ganze Republik verbreitete: Solidaritätsbekundungen, Protestnoten, Demonstrationen, andere einfallsreiche Aktionen, Diskussionsveranstaltungen usw. Die Gegenreaktionen sind von einer derart großen Vielfältigkeit, dass wir hier uns auf einige wenige konzentriert haben:

Was es mit der weltpolitischen Lage auf sich hat und wie es damit weitergeht bzw. wie die Krise um Kuba endet, finden Sie unter Kurz vor dem 3. Weltkrieg: die Kuba-Krise

(JL)