Die Berichte des Handelsblatt, 12.12.2010

von Martin-Werner BUCHENAU, Jürgen FLAUGER, Sönke IWERSEN

Zweifel am Milliardendeal

Handelsblatt , 12.12.2010 

1. Warum hatte es Mappus so eilig?

"Ein Wechsel in der Eigentümerstruktur von EnBW war absehbar", sagt Ministerpräsident Stefan Mappus, "wir haben frühzeitig und vorausschauend gehandelt." Er spielt damit auf den Konsortialvertrag zwischen den beiden Aktionären Electricité de France (EDF) und Zweckverband Oberschwäbischer Elektrizitätswerke (OEW) an, der den Einfluss der Franzosen beschränkte. Der wäre aber erst Ende 2011 ausgelaufen. Es wäre also genug Zeit gewesen, das Thema auch nach der Landtagswahl Ende März zu klären.
Doch Mappus muss um seine Wiederwahl bangen. Und in dieser Situation präsentiert der CDU-Politiker einen spektakulären Deal - auch in der Hoffnung auf politischen Rückenwind.

Aus Sicht des Stromkonzerns war die Eile wahrscheinlich ein Fehler. Die EnBW würde bei einem Regierungswechsel ernste Probleme bekommen, ihre bisherige Konzernstrategie durchzuhalten. Zwar verspricht Mappus, der Staat steige nur vorübergehend ein und werde sich aus dem operativen Geschäft heraushalten. In den Umfragen aber liegt Grün-Rot fast gleichauf. Grüne und SPD haben bereits deutlich gemacht, dass sie für die Beteiligung an der EnBW dankbar sind. An einen baldigen Ausstieg denken sie nicht. Eine grün-rote Regierung hätte nun Zugriff auf einen Atomkonzern.

SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid kündigte an, die Reaktoren in Neckarwestheim und Philippsburg abzuschalten.

 

2. Wie kam Morgan Stanley an den Auftrag?

"Die Vergabe an Morgan Stanley erfolgte im Einklang mit dem Vergaberecht direkt, das heißt ohne Ausschreibung", sagt ein Sprecher der Regierung. Der Landesrechnungshof hat in einer ersten Reaktion gesagt, dass der Verzicht auf eine Ausschreibung prinzipiell wohl in Ordnung sei, aber die genaue Prüfung noch ausstehe. Inzwischen mehren sich die Zweifel an der Korrektheit. Vom Handelsblatt befragte Vergaberechtsexperten und Gesellschaftsrechtler sind sich einig, dass das Land Baden-Württemberg den Milliardenauftrag hätte ausschreiben müssen. Maßgeblich sind die Vergaberichtlinien, die "Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A)". Hier sieht Paragraf 3 unter Punkt 4 zwar Ausnahmeregelungen vor, um einen Auftrag ohne Ausschreibung zu vergeben, "wenn die Leistung besonders dringlich ist" oder "wenn es aus Gründen der Geheimhaltung erforderlich ist".

Juristisch strittig ist aber besonders, ob die Dringlichkeit in diesem Fall tatsächlich gegeben war.
Doch selbst wenn die Ausnahmebedingungen erfüllt wären, dann darf nicht komplett auf Wettbewerb verzichtet werden. Baden-Württemberg ist an die Landeshaushaltsordnung gebunden und damit einer Politik der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet. Dazu gehört, stets mehrere Angebote für eine zu vergebende Dienstleistung einzuholen. Die Begründung aus der Landesregierung, der EnBW-Deal wäre allein durch die Zulassung mehrerer Wettbewerber gefährdet worden, ist fraglich. Unternehmen, private wie öffentliche, haben ständig Projekte, bei der Vertraulichkeit eine Grundvoraussetzung für den Erfolg ist. Für Investmentbanker und Anwälte ist das Arbeiten mit Vertraulichkeitserklärungen bei Übernahmen Praxis.

 

3. Wie hoch ist das Honorar für Morgan Stanley? 

"Die Höhe der Vergütung ist vertraulich", konterte die Pressestelle des Ministerpräsidenten alle Anfragen nach dem Honorar, das Mappus' Freund Dirk Notheis, der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, für die Begleitung der Transaktion erhalten hat. Dabei tagt der Finanzausschuss, dessen Nachfrage nicht abgewiesen werden kann, bereits am Dienstag. Er besitzt das höchste Recht eines deutschen Parlaments: das Budgetrecht.

Die Honorare, die im Raum stehen, sind schwindelerregend. Übliche Honorare bei der Einfädelung eines milliardenschweren Aktiendeals sehen ein Honorar von 0,8 bis 1,5 Prozent des Transaktionsvolumens vor. Das Land zahlte 4,7 Milliarden Euro. Die Vergütung von Morgan Stanley könnte also zwischen 38 und 71 Millionen Euro liegen. Das Land gibt zwar an, das tatsächliche Honorar liege weit darunter. Allerdings handelt es sich bei dem EnBW-Deal auch nicht um ein normales Geschäft. Üblicherweise wird eine Investmentbank damit beauftragt, einen Käufer oder einen Verkäufer für ein Aktienpaket zu suchen. In diesem Falle aber wollte der französische Energiekonzern seinen 45-Prozent Anteil an der EnBW verkaufen, und Baden-Württemberg wollte kaufen. Vom Handelsblatt befragte Investment-Banking-Experten geben an, Morgan Stanley könne für diesen Teil des Auftrags allenfalls bis zu zwei Millionen Euro verlangen. Jede Summe darüber sei extrem erklärungsbedürftig. Interessant für die Parlamentarier dürfte auch die Frage sein,ob der Vertrag mit Morgan Stanley bereits Nebenabsprachen enthält - zum Beispiel über die Beteiligung der Bank beim später geplanten Börsengang. Dann wären zwei Prozent des Transaktionsvolumens zu verdienen, also noch mal rund 90 Millionen Euro.

 

4. Warum wurde ein so hoher Aufschlag gezahlt? 

"Wir haben uns auf einen fairen Preis geeinigt", sagt Mappus. Knapp 4,7 Milliarden Euro zahlt das Land EDF für die 45,01 Prozent an EnBW. Das sind 41,50 Euro je Aktie und 18 Prozent mehr, als der Titel an der Börse wert war. Das sei gerechtfertigt, weil das Land die Kontrollrechte erwerbe. Laut Morgan Stanley sind solche Aufschläge in Deutschland üblich. Zwischen 2002 und 2009 hätten sie durchschnittlich 28 Prozent betragen.

Allerdings gibt es bei den meisten Übernahmen Konkurrenten, die ein Bieter ausstechen muss. Bei EnBW gab es dagegen keinen Mitbieter: Es wurde nur bilateral zwischen Land und EDF verhandelt. Es waren auch keine in Sicht - obwohl in der Politik die Furcht vor einem unangenehmen Investor wie dem russischen Branchenriesen Gazprom oder einem Finanzinvestor umging. In Wirklichkeit galt das EDF-Paket wegen der ebenfalls mit 45,01 Prozent beteiligten kommunalen Aktionäre als schwer verkäuflich. Fazit: Der Aufschlag erscheint also recht hoch.

 

5. Wie hoch ist das Risiko für das Land? 

"Der Kauf wird nicht zulasten des Steuerzahlers gehen", verspricht Mappus. Seine Rechnung ist simpel: Finanziert wird der Deal durch eine Anleihe, deren Zinsen sollen durch die Dividenden gedeckt sein.
Das könnte theoretisch funktionieren. Gemessen an der Bonität, dürfte das Land die Anleihe mit einem Zinssatz von drei Prozent platzieren können. Beim Kaufpreis von 41,50 Euro je Aktie müsste die EnBW eine Dividende von 1,25 Euro ausschütten, damit das Land die Zinslast ohne Verlust bedienen kann. Zuletzt schüttete das Unternehmen 1,53 Euro je Aktie aus. Analysten bezweifeln aber, dass die Dividende in dieser Höhe künftig noch machbar ist.

Denn noch verdient die EnBW zwar passabel. 2009 lag das Ergebnis vor Zinsen und Steuern bei 1,8 Milliarden Euro. Die EnBW steht aber vor schwierigen Zeiten. In den kommenden sechs Jahren wird sie wegen der neuen Brennelementesteuer jährlich mit rund 440 Millionen Euro belastet. Dazu kommen pro Jahr rund 50 Millionen, die die EnBW in den Fonds zum Ausbau der erneuerbaren Energien einzahlen muss.

Gleichzeitig steht die Marge unter Druck, weil die Preise im Stromgroßhandel gesunken sind und die Kosten durch den Emissionshandel steigen. Sinkt die Dividendenzahlung unter die fällige Zinszahlung, würde der Steuerzahler, anders als von Mappus versprochen, dazuschießen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, schätzen Firmenkenner als hoch ein.

 

6. Wie leicht kann sich das Land zurückziehen? 

Mappus hat eine große Vision: "Unser Ziel ist, dass EnBW nach Daimler, Heidelcement und SAP der vierte Dax-Konzern in Baden-Württemberg wird." Mittelfristig soll das Land seine EnBW-Anteile in erheblichen Teilen oder komplett an die Börse bringen, verspricht er. Klingt gut. Ist aber schwierig. Zum einen ist klar, dass das Unternehmen auch nach dem Ausstieg des Landes von der öffentlichen Hand kontrolliert werden soll. Der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) soll Großaktionär bleiben, und am besten sollen weitere Stadtwerke und Regionalversorger einsteigen, damit die Kommunen sogar die Mehrheit übernehmen können. Das dürfte den Wert der Aktie bei einer Platzierung aber deutlich drücken. Ob das Land die 41,50 Euro, die es jetzt pro Aktie bezahlt, wieder reinholen kann, ist angesichts der schwierigen Geschäftsaussichten der EnBW zu bezweifeln. Zudem fehlen dem Unternehmen Wachstumsperspektiven, die es bei einer Kontrolle durch die EDF eher gehabt hätte.

 

Ist das Geschäft ordnungspolitisch vertretbar? 

Die Landesregierung sei ihrer industriepolitischen Verantwortung gerecht geworden, betont Mappus. Mit der Beteiligung sei "die wachstumsorientierte Weiterentwicklung von EnBW" besser zu meistern.
In Baden-Württemberg kam der Schritt auch durchaus gut an. Die neue Eigentümerstruktur sei besser als die bisherige Patt-Situation, argumentieren die Befürworter der Verstaatlichung.

Allerdings ist unklar, wie verantwortungsvoll das Land mit der Beteiligung künftig umgehen wird. Mappus versprach bei einem Ortstermin in Karlsruhe vor den Mitarbeitern, das Land werde sich aus der operativen Führung heraushalten: "Ich sitze nicht im Staatsministerium und spiele Manager."

Gleichzeitig verspricht Mappus aber, sich verstärkt für die Sicherheit der Arbeitsplätze einzusetzen. Dabei hatte Vorstandschef Hans-Peter Villis erst wenige Wochen zuvor ein Sparprogramm angekündigt. Konflikte sind programmiert - auch mit den ordnungspolitischen Grundsätzen der CDU.