So entwickelte sich der Skandal zum Politikum

Eine kleine Rückschau von Angela BÖHM

Die Ouvertüre

Es war die letzte Sitzung vor Weihnachten. Zum Abschluss des Jahres gab CSU-Chef Edmund Stoiber im Parteivorstand morgens im Franz-Josef-Strauß-Haus einen Überblick über die Lage der Nation. Er erklärte dem Spitzengremium, wie schwierig das Regieren in der großen Koalition sei, schimpfte über die Gesundheitsreform und brachte ein Thema, das die Schlagzeilen über die Weihnachtsferien beherrschen sollte: Die Pkw-Maut, mit einer Jahresvignette von 120 Euro für jedes Auto. Der Plan war in der CSU strittig, so wurde an diesem Montagvormittag des 18. Dezembers 2006 darüber auch heftig gestritten.

Bis mittags waren die heißen Themen endlich abgehakt. Da meldet sich die Fürther Landrätin Gabriele Pauli zu Wort. Seit Wochen quälte sie den bayerischen Ministerpräsidenten mit einem Anti-Stoiber-Internetportal und forderte immer wieder, er solle nicht mehr kandidieren. „Wir müssen in diesem Gremium darüber reden, mit welchem Personal wir 2008 antreten“, fing Pauli an. Dann stellte sie ihren Parteichef zur Rede: „Ich finde es nicht akzeptabel, dass leitende Beamte aus dem direkten Umfeld des Ministerpräsidenten meinen Freundeskreis abtelefonieren und nach Angriffspunkten gegen mich ausfragen.“

Im Raum war es mucksmäuschenstill. Staatskanzlei-Chef Eberhard Sinner rief dazwischen: „Das ist unwahr!“ Edmund Stoiber beschied der erfolgreichen Kommunalpolitikerin eiskalt: „So wichtig sind Sie auch nicht.“ Wirtschaftsminister Erwin Huber sprang ihm zur Seite und ging auf Paulis Internet-Aktion los: „So kann man Parteidisziplin nicht definieren.“ Das holte viele aus ihrem Schock. Sie applaudierten. An den hinteren Tischen, dort wo die Referenten und Mitarbeiter sitzen, stieg einem unterdessen die Röte ins Gesicht. Michael Höhenberger, der Bürochef des bayerischen Ministerpräsidenten, saß wie versteinert da – und schwieg.

 

Die Geschichte

Es war etwa 11. 30 Uhr in der Abendzeitung-Redaktion: Mein Handy piepste zwei Mal. Eine SMS. Direkt aus der CSU-Vorstandssitzung. „Rieseneklat: Stoiber lässt Pauli bespitzeln“. Sofort wählte ich die Handynummer von Gabriele Pauli, sprach ihr auf die Mailbox: „Bitte rufen Sie mich an. Wie hat Stoiber Sie bespitzelt?“ Die Vorstandssitzung war noch voll im Gange. Ich versuchte Kontakt zu Teilnehmern zu bekommen, bat dringend um Rückruf. Keiner meldete sich. Erst als die Sitzung zu Ende war, erreichte ich einige Vorstandsmitglieder. Die redeten sich heraus, wollten sich an den Spitzelvorwurf nicht erinnern: „Da war ich gerade draußen.“ Oder: „Da hab’ ich nix gehört.“ Ein Stoiber-Getreuer versicherte mir gar: „Der Huber hat die Pauli heute gscheid rasiert für ihre Internetaktion.“ Schließlich bekam ich doch noch eine Bestätigung und eine realistische Schilderung des Vormittages.

Gabriele Pauli fiel aus allen Wolken, als sie sich gleich nach der Sitzung bei mir meldete: „Ich habe noch geredet, als Sie mich angerufen haben. Wie konnten Sie da schon wissen, was ich sagte?“ „Die Abendzeitung ist halt schnell“, antwortete ich. Doch recht gesprächig war die Stoiber-Gegnerin nicht. Sie erzählte zwar: „Ein Beamter aus Stoibers Umfeld hat einen Freund von mir angerufen und gefragt, es müsse doch etwas geben, was man mir anhängen könnte. Etwas Privates.“ Es sei um Männer und sogar Alkohol gegangen. Der Freund habe sie dann informiert und alarmiert. Wer der Spion war, wollte Pauli aber nicht verraten. Der solle sich selber outen.

Die Staatskanzlei wollte erst schweigen, verschickte am späten Nachmittag dann doch eilig eine Stellungnahme von Staatskanzlei-Chef Eberhard Sinner: „Ich halte es genauso wie der Ministerpräsident für ausgeschlossen, dass hier ein Mitarbeiter so etwas macht. Das ist nicht unser Stil.“ Die Taktik war klar: Gabriele Pauli sollte als unglaubwürdig dargestellt werden.

Doch die Abendzeitung ging der Regierungszentrale nicht auf den Leim. Denn schmutzige Tricks, um Kritiker mundtot zu machen, haben in der CSU Tradition. Stoibers Vorgänger Max Streibl schnüffelte sogar missliebigen Journalisten hinterher. Auch mir, als ich 1990 die so genannte „Caritas-Affäre“ aufdeckte, für die ich meinen ersten Wächterpreis erhielt. So wusste ich, wie sich Gabriele Pauli fühlen musste. Vor allem aber: Ich glaubte ihr.

Am Montagabend erschien der Politikteil der Abendzeitung mit den Einzelheiten aus der CSU-Sitzung. Andere Medien gingen zurückhaltend damit um. Meine Redaktion aber hatte Feuer gefangen. Alle wollten wissen, wer der Spitzel ist.
Für CSU-Kenner war das kein großes Rätsel. In Stoibers Umgebung gab es seit Jahrzehnten einen Mann fürs Grobe: Michael Höhenberger. Seit 1978 wich er nicht von Stoibers Seite und bereitete ihm den Weg. Ein weiteres Indiz: Höhenberger kannte Gabriele Pauli von Jugend an. Gemeinsam waren sie in der Jungen Union.

„Dieses Sittengemälde der CSU will ich lesen“, empfing mich Matthias Maus, der Seite-3-Chef der Abendzeitung am Dienstagmorgen. Sex, Alkohol, eine schöne Landrätin, ein böser Spitzel und die bayerische Staatskanzlei. Diese Geschichte hatte alles, wovon Boulevard träumt. In der Morgenkonferenz war sich die Redaktion einig. Das wird Schlagzeile. Vize-Chefredakteur Torsten Fricke bastelte an der "Seite 1".

Edmund Stoiber saß unterdessen mit seinem Büro-Chef und seiner Regierungsmannschaft in der Kabinettsklausur in St. Quirin am Tegernsee. Im Minutentakt rief ich an, wollte eine Stellungnahme, ob Höhenberger der Spitzel sei. Die Staatskanzlei schwieg.

Am Dienstagabend erschien die Abendzeitung mit der Titelseite: „Sex, Alkohol und die Staatskanzlei. Schöne Landrätin: So mies wurde ich bespitzelt.“ CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann saß gerade mit der bayerischen Landtagspresse zum Weihnachtsessen im Spatenhaus. Gegen 20 Uhr betrat der Abendzeitung-Verkäufer die Opernstube. In wenigen Minuten hatte er alle Zeitungen verkauft. Herrmann las sofort die Seite 3: "Die Tradition der schmutzigen Tricks - Der Fall Pauli: in der CSU legt man sich nicht ungestraft mit den Oberen an".

Er wurde bleich. Ich fragte ihn: „Was sagen Sie dazu?“ Und ließ nicht mehr locker. Schließlich brummte Herrmann in sich hinein: „Da muss ich mit Stoiber reden.“ Am nächsten Morgen interessierten sich die Zeitungs- und Fernsehredaktionen der ganzen Republik für Gabriele Pauli und die bayerische Staatskanzlei. Eine Lawine war losgetreten.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Herrmann war um Schadensbegrenzung bemüht. Am Mittwoch, den 20. Dezember, mittags um 12.36 Uhr gab Michael Höhenberger zu, sich bei einem Parteifreund über die Stoiber-Kritikerin erkundigt zu haben. Von einem Ausspähen oder Bespitzeln könne nicht die Rede sein, schrieb er in einer Erklärung. Die Staatskanzlei versuchte Pauli wieder als Lügnerin darzustellen. Inzwischen hatte nicht nur die AZ herausbekommen, wen Höhenberger aushorchen wollte. Sein Gesprächspartner war der Wirtschaftsreferent der Stadt Fürth, Horst Müller. Der packte schließlich in einem Interview mit den Nürnberger Nachrichten aus und bestätigte Paulis Spitzel-Vorwurf.

Die Regierungszentrale geriet in Panik. Am 22. Dezember um 11.40 Uhr gab die Staatskanzlei lapidar bekannt: „Der Büroleiter Michael Höhenberger hat heute um die Entbindung von seiner Aufgabe gebeten, Stoiber dankt ihm für seine langjährige Tätigkeit.“ Stoiber hoffte, sich damit zu retten.

Doch Pauli ließ nicht locker. Ich klopfte die Stimmung an der Parteibasis ab. Dort brodelte es. Dass eine CSU-Landrätin bespitzelt wurde, bewegte die Basis nicht übermäßig. Das schwarze Blut in Wallung brachte vielmehr Stoibers arrogantes Auftreten. Die Parteimitglieder waren empört, dass Stoiber nicht mit Pauli reden wollte und sie mit den Worten abblitzen ließ: „So wichtig sind Sie nicht.“ In nur wenigen Tagen war die aufmüpfige Landrätin so zu einer Jeanne d’Arc der CSU geworden.

Ein Mitglied des Fraktionsvorstandes berichtete mir, die Landtagsabgeordneten müssten sich jetzt daheim von ihrer Basis als die „größten Luschen“ und „letzten Weicheier“ beschimpfen lassen: „Da muss erst eine Frau kommen, die sich traut, das zu sagen, was ihr nur hinter vorgehaltener Hand flüstert – dass Stoiber 2008 nicht mehr antreten darf. Die hat Courage, ihr Männer nicht.“ Ein einflussreicher Minister sagte mir klipp und klar: „Die Leute können den Stoiber einfach nicht mehr sehen. Das ist wie in der Endphase von Kohl.“ Dem Ministerpräsidenten selbst sagen, wollte das aber zu diesem Zeitpunkt noch keiner. „Ich bin doch nicht todesmutig“, versicherte mir ein Abgeordneter.

So musste Stoiber in der Abendzeitung lesen, was seine Partei über ihn dachte. Er wollte es aber nicht wahrhaben. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident fühlte sich selbst noch stark und hoffte auf den Weihnachtsfrieden. In den Ferien würden sich die Wogen schon wieder glätten. Aber die Zeit spielte nicht für ihn.


Das Finale

Stoiber fuhr in den Skiurlaub. Die Abendzeitung beauftragte Forsa vom 27. bis 29. Dezember eine Umfrage in Bayern durchzuführen. Das Ergebnis wurde am 4. Januar 2007 veröffentlicht. Es war für den Ministerpräsidenten erschütternd: Die Bayern hatten sich von ihm abgewandt. 60 Prozent der Wähler sagten, er solle 2008 nicht mehr antreten. Stoiber rief für den 8. Januar 2007 eine Krisensitzung in der CSU-Zentrale ein und verlangte die volle Rückendeckung der Parteispitze.

Teilnehmer berichteten mir aus der Sitzung. Einstimmig gaben alle Bezirkschefs der CSU und die Parteispitze eine Solidaritätserklärung ab. Doch die war keinen Cent wert. Das hätte Stoiber aus Erfahrung wissen müssen. Schließlich hatte auch er vor 14 Jahren dem damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl die Treue geschworen. Ich nannte es damals den „Auftritt der Pharisäer". Kurze Zeit später musste Streibl das Amt für Stoiber frei machen.

Auch bei Stoiber nahm die Solidarität von Tag zu Tag ab. Die Parteispitze bearbeitete ihn. Aber er sträubte sich: „Wegen der Pauli trete ich nicht zurück“, beschied er Parteifreunden. Inzwischen wurde ich fast stündlich über den Stand der Dinge informiert. Eine Woche später, bei der Klausurtagung der Landtagsfraktion in Kreuth, war die Solidarität zu Ende. In der historischen Nacht von Kreuth rechneten die Abgeordneten mit Stoiber gnadenlos ab. Mancher würde nun gerne erfahren, woher ich alle Einzelheiten dieser turbulenten Sitzung hinter verschlossenen Türen hatte. Das aber bleibt mein Geheimnis. Die Abendzeitung titelte in ihrer Ausgabe 17. Januar: „Edmund Stoiber - Das war‘s!“

Aber nun wurde es turbulent für mich. Statt für Stoiber schien an diesem Morgen in der Redaktion das Aus für mich zu drohen. Der Chefredakteur und meine Kollegen hatten natürlich Nachrichtensendungen gesehen und andere Zeitungen gelesen. Die aber berichteten alle genau das Gegenteil: Nämlich von einem Punktsieg für Edmund Stoiber.

Ich war mir meiner Recherche und meiner Einschätzung sicher. Trotzdem wurde dieser Tag für mich zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Während wir in der Abendzeitung tagten, kam es beim Frühstück in Kreuth zu einem Zusammenstoß der Stoiber-Kritiker mit den wenigen, die Stoiber noch halten wollten. Die Fraktion drohte auseinanderzubrechen, wenn in den nächsten Stunden nichts passieren würde. Ich wartete und wartete. Aber es herrschte Funkstille. Um 16.30 Uhr druckte die Abendzeitung an. Ich ahnte, Beckstein und Huber würden nun zusammensitzen. Aber aus Kreuth kam und kam kein Rauchzeichen.

Frustriert verließ ich gegen 20.30 Uhr die Redaktion. Kaum hatte ich eine halbe Stunde später daheim die Haustüre aufgesperrt, klingelte mein Handy. Der Anruf kam aus Kreuth. Und: Er brachte die erlösende Nachricht: „Sie haben sich geeinigt, Beckstein wird Ministerpräsident, Huber Parteichef.“ Ich rannte zum Auto, raste in die Redaktion zurück, setzte mich im Mantel an den Computer und tippte im Rekordtempo meinen Bericht: „Einigung über Stoiber-Nachfolge.“ Gerade erreichten wir damit noch den letzten Wechsel um 22.30 Uhr. Am nächsten Morgen, den 18. Januar, hing die Abendzeitung damit in allen Zeitungskästen. Danach ging alles ganz schnell. Um 14.08 Uhr erklärte Edmund Stoiber seinen Rücktritt von beiden Ämtern.


(Foto: Stefanie REX)