Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 25.08.2009

Die Millionenfalle, Teil 3

Zu wenige Euros für zu viele Steine. Nun ist das Geld weg, und auf Bonns größter Baustelle rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) droht der Stillstand. Stellt man nur Einnahmen und Ausgaben gegenüber, war die Anfangskalkulation eigentlich, wie Experten bestätigen, seriös. 139 Millionen Euro veranschlagten Kosten standen im März 2006 immerhin 148 Millionen Euro Mittel gegenüber: 35,79 Millionen vom Land NRW, 74,3 Millionen Kredit von der Sparkasse KölnBonn, und angeblich 40 Millionen als Eigenkapital des Investors SMI Hyundai Corporation. Drei Jahre später sind die Baukosten explodiert - um vorläufig 60 auf insgesamt 200 Millionen Euro. Um das zu verstehen, muss man weit ausholen.

Korruption gilt als Krebsgeschwür aller Gesellschaften und Staaten auf der Erde und ist offenbar eine kulturübergreifende Schwäche. Sie wuchert meist an den Schnittstellen von Industrie und öffentlicher Verwaltung. Im neuesten Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) liegt die Bauindustrie weiter ganz vorn. Allerdings ist die öffentliche Verwaltung Bonns beim WCCB bei der Vergabe von Aufträgen gar nicht im Spiel und somit komplett befreit von jeglichem Korruptionsverdacht. Aber eine Baukostenexplosion von 139 auf mindestens 200 Millionen will akribisch geprüft sein - erst recht, wenn Steuergelder im Spiel sind. Das waren zum Projektstart indirekt schon über 100 Millionen Euro; und nun wächst es sich weiter aus.

Das Handicap der WCCB-Baukostenüberprüfung beginnt damit, dass der WCCB-Bauherr, die UN Conference Center (UNCC) GmbH, eine privatwirtschaftliche Veranstaltung ist und den ohnehin weichen Projektvertrag mit der Stadt weidlich ausnutzt. Mit der Unterschrift ist Man Ki Kim (SMI Hyundai) Herr über zunächst 110 Millionen Euro, was man im Baugewerbe eine "fette Made" nennt. Um an diese 110 000 000 Euro zu kommen, musste Kim nur 25 000 Euro Stammkapital einsetzen, um die UNCC GmbH zu gründen. Aber vor allem musste er gegenüber Entscheidungsträgern Weltläufigkeit und Vertrauen aufbauen.

Es gibt Menschen, die lassen sich bereits beeindrucken, wenn ein wohlgekleideter Investor mit einem großen Schlitten vorfährt und den ledernen Aktenkoffer aufspringen lässt. In Bonn hat Kim auf seine Weise mit den richtigen Worten und Gesten den Schein über das Sein gestellt und die - aus seiner Sicht - gewünschten Assoziationen geweckt.

Kim schafft es. Der Projektvertrag zwischen SMI Hyundai und Stadt wird unterschrieben. Von den darin geforderten 40 Millionen Eigenkapital fehlen zu Baubeginn im November 2006 immerhin drei Viertel. Die Stadt schaltet trotzdem die Ampeln auf Grün. Von einem, der offensichtlich kein Geld hat und sich trotzdem in ein solches Projekt wagt, darf man annehmen, dass er einen Plan hat. Dieser kann nur vermutet werden, aber er muss etwas mit der "fetten Made" zu tun haben. Die Bauarbeiten beginnen - und das Kostenmanagement leidet von Anfang an unter einem fatalen Kreislauf. Die Sparkasse KölnBonn, von der Stadt Bonn weitgehend instrumentalisiert, ist tatsächlich nur Geldgeber ohne Prüfungsauftrag. Und die Stadt hat mit einer Mischung aus Blauäugigkeit und Fahrlässigkeit einen Projektvertrag "ausgehandelt", der ignoriert, wo die Baubranche im Korruptionsindex steht.

Nächster Schritt: Kim hat anderes zu tun, als sich um Baustelle und Kostenmanagement zu kümmern. Er überträgt als freier, privater Unternehmer die UNCC-Generalunternehmerschaft seinem Landsmann Young-Ho Hong und dessen Architekturbüro an der Berliner Körbisstraße. Damit wird Hong zum "Generalübernehmer". Er gründet dafür sogar eine eigene Firma. Hong plant und baut und schreibt Rechnungen, und Kim zeichnet ab. Aber wer prüft?

Wer wüsste es nicht: Ob Firma oder Familienkasse oder Steuergeld - eigenes Geld erhöht den Rechnungsprüfer-Ehrgeiz, fremdes lässt ihn erlahmen. Im konkreten Fall hat der Projektvertrag jeden Prüfungshebel schlichtweg vergessen. Und die Sparkasse KölnBonn lässt Laissez-faire walten. Sie trägt null Risiko, weil die Kommune in einer Nebenabrede für jeden Cent haftet. Aber die Banker sind trotzdem wachsam und beobachten jeden Randaspekt: Schließlich können Unterschriften unter Kreditverträgen unwirksam sein, wenn - wie beim WCCB zurzeit der Fall - noch nicht einmal feststeht, wem die UNCC GmbH samt Kongresszentrum eigentlich gehört. Honua oder Arazim? Die Bank beharrt auf einer Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede zum Projektvertrag UNCC/Stadt Bonn, die dem GA vorliegt.

Darin heißt es, dass die Nebenrede auch dann gelte, "wenn UNCC bei Abschluss des weiteren Kreditvertrages trotz Zustimmung der Gesellschafter Honua/SMI Hyundai nicht wirksam vertreten wird". Im Klartext: Die Stadt zahlt, egal was passiert. Was könnte passieren? Dass der Heuschrecke Arazim Investment Ltd. tatsächlich das WCCB gehört - ausgerechnet, wo die israelisch-niederländische Investmentfirma doch bisher nur an dem Projekt verdient und nicht investiert hat. Wenn die Stadtoberen zurzeit einen Albtraum haben, dann heißt er Arazim.

Fazit: Stadt haftet, Sparkasse zahlt, und der sogenannte Investor SMI Hyundai macht seiner Funktion keine Ehre; er investierte bis heute kaum die Hälfte des vertraglich Zugesicherten, erhielt aber 100 Prozent der zugesagten öffentlichen Mittel. Wenn man jemandem eine Veruntreuungs- oder Selbstbereicherungsfalle zu Testzwecken stellen wollte, könnte man einen solchen Selbstbedienungsladen nicht besser konstruieren.

Wer Bundesanzeiger und Handelsregister studiert, erkennt eine außerordentliche Bewegungs- und Veränderungsfreude bei der UNCC GmbH (HRB 14642) und ihrer Betreibergesellschaft SMI Hyundai Management GmbH (HRB 14830), die erst am 27. Juni 2006 gegründet wird. Immer wieder taucht Mister Hong auf, der Generalübernehmer, der die Besucher seiner Homepage mit dem Spruch empfängt: "Das Ganze ist exakt die Summe seiner Teile." Hong ist bald, am 25. Juli 2007, auch Geschäftsführer der Management GmbH und löst Kim ab. Auch besitzt er nun plötzlich 92 Prozent der Gesellschaftsanteile, den Rest teilen sich die neuen Geschäftsführer Matthias Schultze und Michael Thielbeer - jener Thielbeer, der offenbar für alle Parteien gleichzeitig arbeitete und für die Stadt Bonn an der WCCB-Wirtschaftlichkeitsberechnung mitwirkte.

Nach GA-Informationen soll das Trio Hong, Schultze und Thielbeer Herrn Kim massiv bedrängt haben, ihnen die Anteile der Betriebsgesellschaft zu übertragen. Dass Schultze und Thielbeer bald als geschäftsführende Gesellschafter und mit Genehmigung von Hauptgesellschafter Hong ihre Monatsgehälter auf bis zu 20 000 Euro hochschraubten, ist angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation rund um den Kongressbau zumindest optisch unglücklich - erst recht vor dem Hintergrund, dass die Management GmbH jährlich aus dem vom Bund gefüllten Rücklagetopf mit 600 000 Euro subventioniert wird und die Stadt als Treuhänder bisher kein Recht auf Büchereinsicht hat. Schultze und Thielbeer waren gestern trotz mehrfacher Versuche nicht für den GA erreichbar, allerdings hatte der Redakteur das Stichwort "Gehaltsverdoppelung" hinterlassen. Abends dann eine Mail von Schultze: "Auf Ihre Frage nach der Verdoppelung unserer Gehälter können Herr Thielbeer und ich Ihnen nur antworten, dies stimmt nicht."

Die Verquickungen gehen weiter: Architekt und Generalübernehmer in Personalunion ist gewöhnungsbedürftig, aber Hong kontert derartige Auffälligkeiten lässig: "So sind wir schneller und flexibler, um auf Planänderungen reagieren zu können", und weil man schneller sei, sei man auch "preiswerter". Vermutlich auch in der Rechnungsüberprüfung und -zahlung, denn der Bundesanzeiger liefert ein weiteres, erstaunliches Indiz für die still wachsende Macht des Berliner Koreaners in der WCCB-Bauphase: Hong wird am 31. Juli 2007 sogar - neben Kim - weiterer UNCC-Geschäftsführer. Man kann es nicht deutlich genug sagen: In Hong vereinigt sich nun alles. Architekt, Generalübernehmer und jetzt auch Generalunternehmer und Bauherr. Das ist fast wie beim Eigenheimwerker, der alles selbst macht - jedoch mit eigenem Geld. Dem Vernehmen nach war das selbst der Stadt zu viel, und Hong, so der Bundesanzeiger am 11. Februar 2008, musste seine Pole-Position räumen.

Hong wird die um 60 Millionen höheren Baukosten gegenüber Stadt und Öffentlichkeit regelmäßig mit Dollar-Abwertung, Rohstoffpreis-Erhöhungen, Hotel-Erweiterungen und (weitgehend) mit Umplanungskosten begründen. Bauexperten kontern: Währungsrisiken seien versicherbar, Rohstoffpreis-Erhöhungen seien maximal mit zwei bis drei Millionen Euro vertretbar, und das Umplanungshonorar von 6,1 Millionen Euro sei vielleicht zu rechtfertigen, wenn man "ein viereckiges Kaufhaus mit Flachdach in eine Kirche mit drei Türmen verwandeln soll". Bleibt die Hotelfrage. Auch da gehen die GA-Informationen in verschiedene Richtungen. Zudem liegen dem GA inzwischen einige Hinweise auf Hongs "listige Vergabepraktiken" vor.

Ursachenanalyse: Auch die Großwetterlage hatte das Projekt im Vorfeld beeinflusst. "Outsourcing" war und ist in Mode, zudem schwebte über allen öffentlichen Vorhaben und Bauten inzwischen das Credo "Private können es besser als der Staat". Das Wort "Investor" hatte eine magische Ausstrahlung, wenngleich einige Erfahrungen (insbesondere bundesweit mit der Müllbranche) alle Euphorie verfliegen ließen. Da war es fast wieder fortschrittlich, dass der Rat der Stadt Bonn am 24. Juli 2003 beschlossen hatte, von der Verwaltung prüfen zu lassen, ob ein Bau in städtischer Eigenregie möglich sei. Es blieb ein Auftrag ohne Ergebnis.

So verkörperte SMI Hyundai 2006 den letzten Strohhalm. Mit dem Griff nach diesem begann für Rat und Verwaltung eine nicht gebuchte Reise in die Welt der Heuschrecken. Und das Projekt "Zukunft", für die das WCCB wie kein anderes Vorhaben stehen sollte, prägt in unbeabsichtigter Weise tatsächlich die Zukunft - vor allem die des städtischen Haushalts mit rund 7,3 Millionen Euro für Zins und Tilgung pro Jahr und einem kaum vermeidbaren Millionenzuschuss für den laufenden WCCB-Betrieb. Sofern es bei 104 Millionen Euro Kreditsumme bleibt.

Die Bonner Chaos-Veranstaltung mit all ihren unerwarteten, turbulenten Auswirkungen lässt sich vielleicht aus der wissenschaftlichen Chaostheorie erklären: Herzrhythmik, Wetter, Börsencrash, politische Systeme oder eben die WCCB-Entwicklung: Man weiß inzwischen, wie in hochgradig vernetzten Systemen aus Ordnung Unordnung oder zuweilen gar Chaos entsteht. Die Chaostheorie sagt vereinfacht: Geringste Veränderungen in den Anfangsbedingungen können sich hochschaukeln und dann eine Katastrophe verursachen.

Übertragen auf das WCCB reduziert sich fast alles auf das karge Eigenkapital von Kim (SMI Hyundai) im November 2006. Der geduldete Vertragsbruch setzte mit dem Baubeginn einen Domino-Effekt in Gang, der das Kartenhaus einstürzen ließ. Mit ausreichend Eigenkapital gleich zu Anfang hätte es keinen in der Welt umherirrenden und nach Geld suchenden Kim gegeben und heute auch keine Arazim-Heuschrecke, die - mit einem vorläufigen Rechtstitel im Gepäck - über Bonn kreist. Oder es ist noch einfacher, wie ein Rechtsanwalt sagt: "Die Stadt hat es versäumt, für 25 Euro bei der creditreform die Bonität von Herrn Kim zu prüfen.

" Kim hat indes längst das Weite gesucht. Stundenweise fliegt er noch in Bonn ein. Kim verhindert den Baustopp. Es braucht weiter die Unterschrift des Noch-UNCC-Geschäftsführers unter Hongs "Schnell-und-Preiswert"-Rechnungen. Und zwar seit dem 4. Mai 2007 von der Privatperson Kim, denn ab da war er "aus familiären Gründen" nicht mehr Direktor bei SMI Hyundai Corporation. Aber offenbar hat es irgendeinen Nutzen, wenn Kim weiter "einen angemessenen Titel zu Marketingzwecken führt, wie ein Berater oder Aufsichtsratsvorsitzender" (aus dem Landgerichtsurteil zur Eigentümerfrage). Das genehmigen die SMI-Verantwortlichen ihm, aber betonen: ohne jede Vollmacht. Auch das lässt inzwischen viele Juristenköpfe rauchen.

Mitarbeit: Andreas Boettcher, Ulrich Bumann, Rolf Kleinfeld, Bernd Leyendecker, Florian Ludwig, Ulrich Lüke und Delphine Sachsenröder