Kölner Stadtanzeiger, 18.01.2013

von Joachim FRANK

Ritt auf Prinzipien

Noch stürmen in Deutschland christliche Abtreibungsgegner keine Kliniken oder bedrohen Gynäkologen wie in den USA. Aber Mahnwachen selbst ernannter "Lebensschützer" hat es auch in Köln schon gegeben. Dabei gibt es subtileren und wirkungsvolleren Druck als Flashmobs vor Krankenhäusern: Kirchlichen Mitarbeitern droht die fristlose Kündigung, wenn sie Abtreibungen vornehmen oder daran mitwirken. Im Erzbistum Köln ist der Begriff inzwischen offenbar so weit gefasst, dass er sogar eine Aufklärung über die "Pille danach" einschließt.

Anerkennung verdient, wer das hohe Gut des Lebens achtet und ungeborene Kinder schützen will, die schwächsten Glieder in der Kette des Lebens. Gut, dass die Kirche dafür eintritt. Etwa 100 000 Abtreibungen in Deutschland pro Jahr sind eine Zahl, die beunruhigt. Dass die Kirche einer vergewaltigten Frau aber sogar die "Pille danach" samt Information hierüber verweigert wissen will, obwohl das Präparat nach dem Stand der Forschung nicht einmal kontrazeptiv im engeren Sinne wirkt, sondern nur den Eisprung und damit eine mögliche Befruchtung verhindert - dieser Rigorismus ist mindestens so verstörend wie die Schock-Bilder abgetriebener Föten.

Die Kirche lehrt: Jedes Kind ist Frucht der Liebe Gottes und - im besten Fall - der Liebe zwischen Mann und Frau. Wie das mit Vergewaltigung vereinbar sein soll, mit Wunden an Leib und Seele, die womöglich ein Leben lang schwären – das bleibt das Geheimnis einer zölibatären Priesterkaste, ihrer Moralisten und Juristen. Sie reiten Prinzipien ("Abtreibung ist Todsünde") und vergessen darüber die Menschen.

Der Paragraf 218 nimmt Bürgerinnen, die als Opfer sexueller Gewalt eine Schwangerschaft abbrechen, von strafrechtlichen Sanktionen aus. Weil der Gesetzgeber es für unzumutbar hält, dass die Frau unter solchen Umständen ein Kind zur Welt bringen soll. Damit ist der Staat ein besserer Seelsorger als die katholische Kirche. Sie hat die "kriminologischen Indikation" nie als Rechtfertigung einer Abtreibung gelten lassen.

Die Klinikverantwortlichen im Kölner Fall sprechen jetzt von einem fatalen Missverständnis ihrer Angestellten. Das lässt zumindest ahnen, wie der Druck des kirchlichen Arbeitgebers natürliche oder professionelle Reflexe ausschaltet. Ein Arzt ist dafür da, zu helfen, nicht seinen Arbeitsvertrag herunterzubeten. Und wenn er der vergewaltigten Frau die "Pille danach" - aus Überzeugung oder zum Erhalt seines Jobs - schon nicht selbst verschreibt oder verabreicht, so muss er sie doch behandeln, ihr sagen, was es mit der "Pille danach" auf sich hat und wie sie das Präparat bekommt. Das ist das Mindeste, was Staat und Gesellschaft auch in einem kirchlichen Betrieb mit "Tendenzschutz" erwarten dürfen und verlangen müssen.

Über den pastoralen Schaden des aktuellen Skandals braucht sich die nichtkirchliche Öffentlichkeit eigentlich keine Gedanken zu machen. Das ist die Sache des Kardinals und seiner Leute. Aber in einer Zeit, in der die Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche die Abgründe des katholisch-klerikalen Komplexes offengelegt haben, sollte die Kirche nicht ausgerechnet im Bereich der Sexualmoral ihre vermeintliche Macht proben und sich als Hüterin einer (ja, was eigentlich?) "reinen Lehre" aufspielen.