Interview mit David Berger

Vom angesehenen Theologen zum Kritiker der Katholischen Kirche

Er war Chefredakteur der konservativ-katholischen ZeitschriftTheologisches, heute leitet er das Schwulen-Magazin Männer. Einiges hat sich verändert bei dem ehemals in katholischen Kreisen angesehenen Theologen David BERGER, dessen Outing zur Entlassung aus kirchennahen Ämtern und Funktionen führte. Weiteres zu seinem Leben im Portrait.

Herr BERGER, Sie haben eine Karriere in konservativen katholischen Kreisen hinter sich, die durch ihr Outing beendet wurde. Wie ist heute Ihr Kontakt zu damaligen Freunden oder Bekannten aus dem konservativen Katholischen Bereich?

Es gibt Fälle, wo der Kontakt erhalten geblieben ist, zum Beispiel zu Eduard HABSBURG-LOTHRINGEN, der ein sehr überzeugter Katholik und „Thomist“ ist, der natürlich nicht mit allem einverstanden ist, aber wo man sagen muss, vom menschlichen her bin für ihn David BERGER geblieben. Er hätte auch in der Öffentlichkeit kein Problem damit, zu sagen, dass er mit mir in Kontakt steht. Dann gibt es einige aus dem Vatikan, die danach mit mir in Kontakt geblieben sind, aber mich nachdrücklich gebeten haben, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommt. Wenn wir uns treffen, dann meistens hier in Berlin, weil es in Rom zu kompliziert ist, oder wir telefonieren oder mailen miteinander. Das hat für mich den Vorteil, dass wenn es etwas neues im Vatikan gibt, ich dann noch einmal nachfragen kann, wie die Stimmung dort ist, oder was dort gesagt wird, was man in den Medien nicht sofort lesen kann. Das ist nicht immer zuverlässig, aber sehr aufschlussreich. Dann gibt es noch eine dritte Form der Auseinandersetzung, zum Beispiel hat ein sehr guter Freund mit dem Outing jeden Kontakt zu mir abgebrochen, obwohl er vor dem Outing genau wusste, dass ich mit meinem Partner zusammen bin und wollte mich auch von diesem Outing abhalten. Da ist also trotz Versuchen von meiner Seite nie mehr ein realer Kontakt zustande gekommen.

Wie nehmen Sie heute die Reaktionen von der katholischen Kirche und ehemaligen Weggefährten auf Sie und ihre Arbeit wahr?

Das geht dann über Internetforen wie kath.net oder kreuz.net. Für kath.net habe ich selber gearbeitet. Dort hat sich kristallisiert, dass man in mir den Teufel und die Unperson sieht, was bis zu der Tatsache ging, dass kath.net frühere Artikel von mir gelöscht hat, um zu verschleiern, dass ich für sie gearbeitet habe, obwohl diese Artikel damals natürlich ganz in deren Sinne waren. Wobei ich jetzt nicht traurig bin, dass diese Artikel nicht mehr online verfügbar sind. Aber dass man dort zu solchen Maßnahmen gegriffen hat, ist zum Teil kindisches Getue, ging zum Teil aber soweit, dass man versucht hat, mir meine Existenz zu zerstören, über zusätzliche Outings, wie dass man mein Gayromeo-Profil im Internet veröffentlicht hat, dann permanent den Schulleiter der Schule, an der ich gearbeitet habe, angerufen hat, dass es doch mit mir als Lehrer nicht ginge. Also das ganze Spektrum dessen, was vorstellbar ist. Von sachlicher Kritik bis zu blankem Hass, den ich dort erlebt habe.

Nachdem Papst BENEDIKT eine konservative Linie gegangen ist, ist seit über einem Jahr Papst FRANZISKUS im Amt, an dem viele Hoffnungen auf Veränderung hängen. Sehen Sie Veränderungen in der katholischen Kirche?

Von der Stimmung her sehe ich Veränderungen. Man erlebt bei den wohlmeinenden Katholiken, in den ganz normalen Pfarreien, in vielen Gemeinden sehr aufgeschlossene, sehr sympathische, in keiner Weise homophobe Menschen. Da glaube ich, dass die Stimmung sich durchaus verändert hat und sich auch, soweit ich das absehen kann, in Ländern wie Polen oder in den lateinamerikanischen Ländern ein bisschen in Richtung Toleranz verschoben hat. Sachlich, inhaltlich hat sich aber gar nichts an der Doktrin der Kirche verändert. Das will FRANZISKUS auch nicht, was er auch offen sagt. Das wäre aber die Garantie dafür, dass auch nachfolgende Päpste den leichten Kurs der Annäherung weiterführen könnten, denn bisher ist das nur eine klimatische Veränderung. Ein solches Klima kann mit dem nächsten Papst wieder umsteigen, worauf die Kurie auch hofft. Was anderes wäre es, wenn nun wirklich eine Kehrtwende eingeleitet würde, durch eine klare Änderung der kirchlichen Lehre im Katechismus und in anderen offiziellen Dokumenten.

Da sehen sie aber keine Hoffnung?

Nein, das ist ganz offensichtlich bei FRANZISKUS. Es geht vom Frauenpriestertum, zu den ganzen moraltheologischen Vorstellungen der künstlichen Verhütung, bis hin zu den ganzen Fragen der Sexualität. Sachlich scheint er völlig desinteressiert zu sein, so mein Eindruck. Ihm scheint die Dimension der sachlichen Auseinandersetzung und der sachlichen Wegweisung überhaupt nicht zu liegen und klar zu sein.

Eine vom Vatikan initiierte Umfrage innerhalb der deutschen Katholischen Kirche zeigt auf, dass das Verständnis von Sexualität nicht dem der Anhängerschaft entspricht. Warum glauben Sie schafft es die katholische Kirche, ihre Sexuallehre beizubehalten.

Die Kirche weiß genau, dass wenn sie weiter die Massen weltweit an sich binden will, sie im Grunde genommen keinen anderen Weg hat, als sich diametral zur offenen Gesellschaft zu positionieren. Das klingt jetzt frustrierend, aber wir sehen es ja an anderen religiösen Institutionen. Den größten Erfolg in Lateinamerika haben die Pfingstkirchen, die Evangelikalen, die häufig noch viel radikaler in ihren gesellschaftspolitischen und sexualmoralischen Vorstellungen sind, als die katholische Kirche. In den USA ist es ähnlich. Das heißt, wenn die bevölkerungsreichsten Zuträger der katholischen Kirche bei der Stange bleiben sollen, dann bleibt der katholischen Kirche gar nichts übrig, als diesen konservativen Kurs weiter zu gehen. Ob das sachlich richtig ist oder nicht, ist für die meisten Strategen in der katholischen Kirche leider irrelevant. Relevant ist für die, wie sie weiter die Massen an sich binden können und da haben sie vermutlich recht, wenn sie sagen: Das können wir nur, wenn wir das, was als typisch katholisch gilt weiter stark nuancieren, denn das ist unser eigentliches Kapital.

Und das trotz dessen, dass eine solche Einstellung in Ländern wie Deutschland weniger auf Zustimmung trifft?

Länder wie Deutschland braucht man als Finanzier, aber das nimmt man gerne hin, denn schon unter BENENDIKT galt, dass Deutschland nur in Einzelpersonen wichtig ist, die man fördern will und die finanziell wichtig sind, aber von der Katholikenanzahl vernachlässigtbar sind.

Was ist ihr persönlicher Rat an homosexuelle Priester, wie sie mit ihrer Veranlagung in der Katholischen Kirche umgehen sollen?

Das kann man leider so pauschal nicht sagen. Ich bekomme dazu Anfragen, die inzwischen unzählig geworden sind. Jeder lebt sein Schwulsein unterschiedlich und kommt damit unterschiedlich psychisch zurecht. Es gibt die typischen Verdränger, die sublimieren und sich dann besonders in religiöse Ekstase hineinsteigern und sehr papsttreu sind. Dann gibt es die Pragmatiker, die den Job nur noch machen, um Geld zu verdienen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, da sie zu alt sind oder nichts anderes gelernt haben. Die haben sich Freiräume geschaffen, wo sie ihre Sexualität ausleben können, ohne dass ihr Bischof ihnen irgendetwas tut. Und dann gibt es jene, die in einem dauernden Zwiespalt leben, weil sie schwerste Gewissensbisse aufgrund der katholischen Lehre und ihres Lebens haben und psychisch enorm darunter leiden und zu Grunde gehen können. Denen muss man wirklich sagen: Wenn ihr das psychisch irgendwie überleben wollt, macht einen radikalen Schnitt in die eine oder andere Richtung, aber dieses Schwanken werdet ihr nicht aushalten.

Ignoriert die Kirche dies einfach?

Die Kirche ignoriert es nicht, sondern sie nutzt es auch, um diese Menschen gefügig zu machen, das ist die eigentliche Tragik an der Sache. Wenn die Menschen loyal sind und sich nichts zu Schulden kommen lassen, lässt die Kirche sie machen. Das Problem ist, sobald sie illoyal werden, sobald sie sich zum Beispiel nicht einfach versetzen lassen, sobald sie einen kirchenkritischen Artikel veröffentlichen oder sich sonst irgendwie kritisch äußern, packt man das Wissen um die Homosexualität aus, um sie zu erdrücken, zu erpressen, sie wieder einzuordnen. Das ist auch das, worunter die meisten dieser Menschen leiden, weil sie die Angst davor, entsprechend unterdrückt zu werden, entsprechend erpresst zu werden aufgrund ihrer Homosexualität schon soweit internalisiert haben, dass es eine dauernde Angstkulisse ist.

Warum glauben Sie, setzten sich homosexuelle Geistliche nicht gemeinsam gegen solche Handhabungen ein und setzen Zeichen für größere Toleranz in der Katholischen Kirche?

Das hängt damit zusammen, dass die Angstkulisse aufgrund dieses Teufelskreises aus Erpressungen und Dämonisierung von Homosexualität so groß ist, dass sobald so eine Gruppe zusammen kommt, Verrat gelauert wird. Wo sich solche Gruppen ansatzweise gebildet hatten, war sofort einer in dieser Gruppe, der, um besondere Gnade bei seinem Vorgesetzten zu erlangen, oder um Karriere zu machen, als Verräter aufgetreten ist, und gesagt hat: „Dort ist eine Homoverschwörung“ und diese Leute gemeldet hat. Das geht soweit, dass sogar gegenüber dem Bischof das Beichtgeheimnis gebrochen worden ist, um Leute an den Pranger zu stellen. Die Angstkulisse und der Teufelskreis sind so heftig, dass es nie dazu gekommen ist, dass sich eine einflussreiche Gruppe bilden konnte, die sagt: Wir wollen jetzt gleiche Rechte.

Sie nannten gerade eine „Homoverschwörung“. Existiert so etwas wie eine Lobby oder „Verschwörung“ im Vatikan?

Ich bin jetzt schon seit 2010 nicht mehr im Vatikan direkt gewesen und habe nur Kontakt zu einzelnen Personen, aber diese Homolobby gab es, soweit ich es erlebt habe, nie in dem Sinne, dass sich Leute zusammen getan haben, um für gleiche Rechte zu kämpfen. Wenn sie sich zusammen getan haben, dann um möglichst unauffällig, möglichst unkompliziert Sex zu haben, also Sex zu organisieren. Die Homosexuellen, die ich im Vatikan kennengelernt habe, waren ganz loyale, ganz brave Leute, die wollten alles andere, als eine Revolution in der Kirche, denen hat eigentlich die Kirche unter BENEDIKT sehr gut gefallen. Es gab eine fromme Kulisse, unter der sie ihr Sexualleben ausleben konnten, solange sie papsttreu und loyal waren.

Wie lange haben sie vor dem öffentlichen Outing darüber nachgedacht, mit ihrer Homosexualität so an die Öffentlichkeit zu gehen?

Das hat vorsichtig 2005 begonnen, von da an waren es knapp fünf Jahre.

Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen war es das Karrierestreben, man hat sich soviel aufgebaut und stellt sich die Frage, ob man das alles innerhalb weniger Stunden zerstören will. Zum anderen hat es eigentlich gut funktioniert zu dieser Zeit und die Erpressungsgeschichten, die ich auch erlebt habe, haben erstmal sehr subtil  und vorsichtig eingesetzt, das hat sich dann einfach nur gesteigert, wie sich generell die Homophobie in der Katholischen Kirche seit 2007 enorm gesteigert hat. Dann liegt das sicher auch an meinem persönlichen Charakter, der eher auf Harmonie bedacht ist und vor Veränderungen eher zurückschreckt.

Haben sie schon einmal bereut, diesen Schritt gegangen zu sein und damit ihre Karriere in katholischen Kreisen beendet zu haben?

Das Gefühl nach dem Outing war so befreiend, dass es sehr überzeugend war und dann kam hinzu, dass ich auf einer ganz anderen Ebene erfolgreich war. Man muss es natürlich relativ sehen, ich bin damals weder Kardinal geworden, noch bin heute Großverleger oder ähnliches, aber ich habe danach einen Job gefunden, in dem ich glücklich bin und sagen kann, was mir wichtig ist. Ich habe es nicht bereut, aber schaue auch nicht verärgert auf diese Zeit zurück und denke, es wären furchtbare Jahre gewesen, sondern da gab es auch tolle Momente. Auch im Katholizismus sind weiterhin Dinge, die mir wichtig sind, Traditionen und Bräuche, die ich nicht missen möchte.

Hat es nach dem Outing noch Überwindung gekostet, über die Verhältnisse in katholischen Kreisen gerade im Bezug auf Homosexuelle zu berichten, wie sie es dann in Ihrem Buch getan haben?

Überwindung hat es nur gekostet, weil ich wusste, wie die reagieren würden, dass die alles auffahren werden, um mich irgendwie bloßzustellen. Während des Schreibens habe ich aber gemerkt, dass es fast eine Art Therapie für mich ist. Auf einmal musste ich mir selber Rechenschaft über Dinge geben, bei denen ich damals gar nicht so viel darüber nachgedacht habe, warum ich sie gemacht habe. Man bekommt ein Angebot, freut sich, darf dort eine Rede halten oder eine Vorlesung und macht sich dann gar keine Gedanken mehr darüber, warum man das macht oder ob es richtig oder falsch ist. Nun war ich auf einmal gezwungen, über solche Motive nachzudenken. Es hat mir dann auch geholfen, generell aufzuarbeiten, was damals passiert ist. Von daher war das eigentlich eine ziemlich günstige Psychotherapie.

In Ihrem Buch berichten Sie von Abenden in konservativer, katholischer Runde, in der Frauen- und Homosexuellenfeindliche Gedanken geäußert wurden. Wie haben Sie sich gefühlt und warum haben sie weiter an diesen Abenden teilgenommen?

Einerseits dachte ich, sie könnten das jetzt erzählen, da sie wissen, was mit mir los ist und einen Hinweis geben sollen. Dann wurde zum Teil der eigene Selbsthass bedient, wo man denkt, ein bisschen Recht hätten sie ja schon, wie sich die Schwulen so in der Öffentlichkeit aufführen. Und dann der Gedanke, darüber hinweg zu schauen, da es mir darum gar nicht ging, sondern um eine konservative Kirchenform und da spielte Homosexualität keine große Rolle. Also eine Mischung aus Verdrängung, ein Stück weit Tolerierung der Meinung und die Angst, dass man selbst damit gemeint sein könnte.  

Sie haben ein Enthüllungsbuch herausgebracht, die Katholische Kirche stark kritisiert und ihre Lehrerlaubnis verloren. Warum sind Sie weiterhin Katholik?

Ich muss dazu sagen, dass ich 2011 aus der Kirchensteuergemeinschaft ausgetreten bin, ich auch nicht FRANZISKUS als mein Oberhaupt betrachte, dass ich mich aber trotzdem noch katholisch fühle. Das, was meine Kindheit, meine Jugend und diese Jahre bei der Kirche geprägt hat, wurzelt so sehr im Denken und Fühlen, dass ich sag, ich bin weiter katholisch, aber bin nun kein Kirchenmitglied im juristischen Sinne mehr.

Herr BERGER, herzlichen Dank für das Gespräch.

(MK)