Das journalistische Problem


Dass im Sport gedopt wird, war schon länger bekannt. Dass es in einigen Ländern, die in ihrem politischen Ansehen im internationalen Ranking eher unten standen, dafür ein wenig mehr praktiziert wurde, um wenigstens bei internationalen Sportwettbewerben ganz vorne mitspielen und vom ‚besseren’ Gesellschaftssystem künden zu können, wusste man auch. Spätestens seit dem Fall von Mauer und Eisernem Vorhang nach 1989.

Im Freien Westen hingegen galt Doping immer nur als das Problem einzelner "Schwarzer Schafe".

So ist es auch im Jahre 1997, als der 30jährige Kölner Radprofi Jörg PAFFRATH nicht mehr will, weil er gesundheitlich nicht mehr kann und sich outet. Er tut das zunächst im SPIEGEL . Vermittelt hat ihn Ralf MEUTGENS, Trainer und Trainerausbilder im Radsportverband Nordrhein-Westfalen, der sich nebenbei seine erste Sporen auch als Journalist verdient. 

SPIEGEL -Redakteur Udo LUDWIG, der auf diese Informationen anspringt, hat damit eine große Geschichte übers Doping im Blatt, die am 16. Juni 1997 erscheint: "Wie ein Hund an der Kette" (siehe aktives Bild).

PAFFRATH gibt zu, sich mit 24 Medikamenten gedopt zu haben, denn „ohne Chemie läuft in dem Geschäft garnichts“. Jetzt ist er ausgestiegen, bevor sein Körper vollends schlapp macht. Ein dreiviertel Jahr später wird ihn das Sportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) mit lebenslangem Lizenzentzug bestrafen. Natürlich, weil er gedopt habe. „Strafverschärfend“ habe sich allerdings ausgewirkt, dass er durch sein Outen bzw. Whistleblowing „dem Ansehen des BDR schweren Schaden zugefügt habe."

PAFFRATH, MEUTGENS und der SPIEGEL -Redakteur LUDWIG wissen natürlich, dass das alles gelogen, wenn nicht gar verlogen ist. Sie wissen, dass auch im Radpsort flächendeckend gedopt wird. Dass das alle Funktionäre im BDR wissen. Und dass auch der neue deutsche Superstar Jan ULLRICH, der gerade für das Team Telekom die Tour de France gewonnen hat, ebenfalls dopt. Nur: keiner kann es beweisen. Eine echte Herausforderung für Journalisten, die einmal Blut geleckt haben.

‚Blut lecken’ bzw. ‚hungrig sein’ oder sehr viel neutraler: neugierig sein, eine Spürnase besitzen und Ungereimtheiten oder gar Widersprüchen nachzugehen, gehört zur absoluten Grundausstattung journalistischen Gespürs und Handwerks. Wer selbst nicht eigene Geschichten ‚aufreißt’ oder journalistischen ‚Jagdtrieb’ verspürt, wird mehr oder weniger zum Sprachrohr offizieller Pressemitteilungen und gesteuerter Informationskampagnen von PR-Profis in Unternehmen und Behörden. Insofern treibt den SPIEGEL -Redakteur Udo LUDWIG das, was einen investigativ arbeitenden Journalisten ausmacht, der mehr wissen will und sich nicht mit Vermutungen oder Wissen zufrieden gibt, das man nicht veröffentlichen darf, weil man es (noch) nicht belegen kann. Also nutzt man jede potenzielle Chance, die sich bietet.

Die bietet sich ersteinmal nicht, weil bei der Tour der France ein Jahr später, 1998, der so genannte Festina-Skandal das weltberühmte Rennen fast zum Absturz bringt. Als der Masseur des französisch-spanischen Teams Festina von der französischen Polizei mit Unmengen von Dopingsubstanzen, u.a. dem nicht nachweisbaren „Epo“, erwischt und verhaftet, daraufhin die gesamte Festina-Mannschaft ausgeschlossen wird, fast alle restlichen Rennradler streiken ob des polizeilichen Eingriffs in den Leistungssport und nur noch die Hälfte der ursprünglich gestarteten Radprofis ins Ziel einläuft, wird man auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland wach.

„Sabine Christiansen“ widmet diesem Vorgang eine eigene Diskussionsrunde „Der Sport im Dopingsumpf?". Das WDR-Magazin Monitor bringt einen kleinen Filmbericht. In dem tritt – anonym – auch Dieter QUARZ aus Düsseldorf auf, Diplomtrainer (Radsport) und Diplomchemiker, der sich mit Doping wissenschaftlich beschäftigt, aber auch Kontakte in die Branche unterhält. QUARZ dreht einige Runden mit seinem Rennrad, wird aber nur bis zur Hüfte gefilmt, weil der Fernsehredakteur Bilder braucht. Dann wird der Diplomchemiker und Rennradtrainer interviewt, unkenntlich, und brichtet über die Verseuchung mit Doping, besorgt zum Schluss auch noch einige ‚Mittelchen’ zum Abfilmen, während er die Wirkung dieser illegalen Schnellmacher erklärt.

Das Motiv des Wissenschaftlers und gleichzeitigen Praktikers, der seinen Kampf gegen das Doping auf wissenschaftliche Weise führt: QUARZ ist aufgebracht über die Verlogenheit des BDR, dessen Präsident BÖHMER nicht müde wird, immer wieder zu beteuern: „Wenn andere Nationen ein Problem mit Doping haben, dann ist das deren Sache, bei uns ist alles in Ordnung!".

Da Monitor zu den führenden Magazinen gehört, die Brisantes enthüllen, gehören zu den regelmäßigern Zuschauern auch der SPIEGEL -Redakteur Udo LUDWIG und Prof. Dr. Werner FRANKE, Molekularbiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, der mit Brigitte BERENDONK verheiratet ist, die einige Jahre zuvor zwei anerkannte Bücher über Doping veröffentlicht hat. FRANKE ist vor allem als scharfzüngiger und draufgängerischer Doping-Kritiker bekannt.

Udo LUDWIG und Prof. FRANKE tun sich zusammen. Sie kennen sich, sie brauchen einander. Der Gelehrte ein mediales Sprachrohr, der Journalist einen ausgewiesenen und glaubwürdigen Experten. Später, 2007, werden sie zusammen ein Buch veröffentlichen („Der verratene Sport. Die Machenschaften der Doping-Mafia. Täter, Opfer, und was wir ändern müssen“; siehe Bild).

Beide wollen den Insider von Monitor gerne auch für sich einspannen, weil der offensichtlich über eine große Detailkenntnis der Doping- und Radsportszeme verfügt – dies lassen zumindest seine Anekdoten aus dem Filmbericht erahnen. Und er hat Ahnung von den spezifischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Praktiken im Radrennsport. Und er könnte ja noch mehr wissen. Vielleicht auch etwas über die Radrennfahrer des Team Telekom.

Den Vortritt bei dieser Aktion erhält der „Professor“. Er lädt QUARZ nach Heidelberg ein, will ihm behilflich sein, falls QUARZ aus seinem Umfeld aussteigen wolle. Der Journalist Ralf MEUTGENS wird diesen Anwerbeversuch in seinem Artikel <link>"Die große Informanten-Verbrennung" eineinhalb Jahre später (Februar 2000) aus der Erinnerung von Dieter QUARZ noch sehr viel drastischer beschreiben: FRANKE wolle ihn „aus dem Sumpf des Radsports herausholen“, ihm eine „berufliche Existenz sowohl im Wissenschafts- als auch im Sportbereich ermöglichen.“ FRANKE hat dieser Darstellung nie widersprochen.

Aus dem angeblichen Vieraugengespräch wird ein Achtaugen- bzw. Sechsaugengespräch: neben FRANKE ist – vorübergehend – ein Kollege von FRANKE dabei und vor allem ein Redakteur des SPIEGEL : Udo LUDWIG. FRANKE und LUDWIG suchen vor allem nach Informationen, die das Team Telekom belasten könnten. Damit kann QUARZ nicht wirklich dienen.

QUARZ gibt ihnen auch keine Unterlagen, lässt sie aber einen Blick auf seine Dokumente werfen. Er fährt nach Hause zurück, weil er nicht erkennen kann, was das Gespräch ihm bringen soll.

Der Tour-de-France-Sieger ist diesesmal Marco PANTINI, Jan ULLRICH wird Zweiter. Dass Jan ULLRICH auch im nächsten Jahr wieder an den Start gehen würde, davon gehen FRANKE und LUDWIG aus. Grund genug, am Ball - bzw. am Rad - zu bleiben. Aus verschworenen Gemeinschaften wie Radsportteams oder Mafiafamilien einzelne Mitglieder herauszubrechen und sie zum Reden zu bringen, ist ausgesprochen schwierig, wenn nicht unmöglich. Als investigativ arbeitender Journalist lässt man daher keine (einzige) Möglichkeit ungenutzt.

Weiter geht es daher im Jahr 1999 mit der Informanten-Verbrennung.

 

(JL)