Die Berichte der SZ, von kicker und der Ruhr Nachrichten, 03.04.2004

von Freddie RÖCKENHAUS

Frühjahrsputz am Schuldenberg

Süddeutsche Zeitung

Dortmund - Gemeinsame Feinde stärken schon immer die Freundschaft. Und so freut man sich dieser Tage an Dortmunds Rheinlanddamm, in der Konzernzentrale der Borussia, nicht nur an den Frühlingsknospen vor den Fenstern, sondern auch daran, wie freundlich die Anhängerschaft den Rauswurf oder Abgang, auf jeden Fall die spektakuläre Vertragsauflösung mit dem einstigen Liebling Marcio Amoroso aufgenommen hat. "Keiner fliegt so schön wie Amoroso" triumphierte eines der beiden konkurrierenden Internet-Fanmagazine ganz im Einklang mit der Chefetage des BVB, die ansonsten in den verschiedenen Internet-Foren für ihre Verschuldungs-Politik immer heftiger niedergemacht wird. Im Gegenzug buhlen die Borussen-Bosse Gerd Niebaum und Michael Meier um die Zuneigung der BVB-Fans wie noch nie.
Vor dem Lokalderby am Sonntag, gegen den nur zwölf Kilometer entfernten Nachbarn VfL Bochum, ist die Gesichtspflege auch nötig. Denn den meisten BVB-Fans stößt der Erfolg des jahrelang belächelten kleinen VfL besonders bitter auf, weil dort, direkt vor der eigenen Haustür, mit einem Jahresetat gewirtschaftet wird, der kleiner ist als die Ablösesumme, die der abgehobene BVB für einen einzigen Amoroso verpulvert hat. Sollte Dortmunds für die Champions-League eingekaufte Zuckertruppe gegen Bochums Low-Budget-Team keine drei Punkte im Westfalenstadion behalten, dürfte der Unmut hochgehen - mit den Stars, mit dem Trainer Matthias Sammer und mit dem Vorstand, den die Hälfte der Anhänger offenbar lieber heute als morgen aus dem Amt jagen würde. Wenn es denn ginge - und wenn denn eine personelle Alternative bereit stünde.
"Es gibt wichtige Oppositionelle", beschreibt ein BVB-Intimus die Lage, "aber noch keine Opposition. Man wartet ab. Es kann nicht mehr lange dauern, bis den Teller-Jongleuren Niebaum und Meier die ersten rotierenden Teller vom Stöckchen fallen." Offenbar warten die Widersacher des amtierenden Borussen-Managements vor allem auf zwei Ereignisse: Die Entscheidung der DFL, ob und unter welchen Auflagen oder gar Bedingungen dem massiv verschuldete BVB eine Lizenz für die kommende Saison erteilt wird. Und was die Finanziers und Aktionäre des Klubs im Falle eines Lizenzentzugs oder Beinahe-Entzugs tun würden. Dass der BVB die Lizenz ohne Auflagen erhalten könnte, halten Kenner der Lizenzierungs-Methoden der DFL für unwahrscheinlich.
Der aktuelle Stand der Verbindlichkeiten soll bei rund 140 Millionen Euro angekommen sein, weil ein Teil der laufenden Kosten über neue Kreditaufnahmen finanziert wurde. Allein die Zinsen für diesen im deutschen Fußball wie ein Mont Blanc aufragenden Schuldenberg dürften sich nach Schätzungen von Bankexperten auf mindestens elf Millionen Euro pro Saison addieren. Ohne jede Tilgung. Hinzu kommt die dauerhaft hohe Last von ungefähr 15 Millionen Euro für die Leasingraten für das an eine Fondsgesellschaft verkaufte Stadion. Das schmucke Geschäftsstellengebäude wird, nach Angaben von Michael Meier, "in einer Art Mietkauf" von der Gesellschaft Korin erworben und für die Namensrechte an der BVB-eigenen Sportmarke "goool.de" muss der Verein annähernd 1,5 Millionen Euro jährlich an den Gerling-Versicherungskonzern zahlen.
Banker haben berechnet, dass der BVB in den kommenden 13 Jahren, also bis zum geplanten Rückerwerb des Westfalenstadions im Jahre 2017, gut und gerne 450 Millionen Euro an bereits heute feststehenden Zahlungsverpflichtungen aufzubringen hat, also an die 35 Millionen Euro jährlich. Nicht zuletzt deshalb klagt ein ehemaliges Gremiumsmitglied des BVB: "Die Erfolge der 90er Jahre und der zugegebenermaßen tolle Ausbau des Stadions sind nur auf Pump zustande gekommen. Von den Schulden kommen wir nie wieder herunter. Es sei denn, wir würden pleite und die Gläubiger müssten nehmen, was sie kriegen können. "Diesen Fall halten allerdings selbst größte Pessimisten in Dortmund für undenkbar. Schließlich ist der BVB das letzte große Aushängeschild der Stadt.
Weiteres Ungemach droht Dortmund von einer außerordentlichen Bilanzprüfung, die Stefan ten Doornkaat von der Schutzgemeinschaft der Kleinanleger dem BVB-Manager Michael Meier abgerungen hat. Jetzt soll das renommierte Düsseldorfer "Institut der Wirtschaftsprüfer" (IDW) überprüfen lassen, ob die börsennotierte Borussia in allen Punkten korrekt bilanziert hat. Vor allem ist sich ten Doornkaat sicher, dass ein Depot von inzwischen über 50 Millionen Euro beim BVB nicht als "liquide Mittel" hätte geführt werden dürfen. Es gaukele hohe Barreserven vor, die auf keinen Fall zur Verfügung stehen.
Immerhin hat Dortmunds sanierungswilliges Management beim Frühjahrsputz mehrere Aktivposten aufgetan. Weltmeister Stefan Reuter wird beim Großreinemachen zum Saisonende zum Manager umgewandelt und am Donnerstag wurde auch der nach seiner Krebs-Erkrankung nie wieder in Form gekommene Heiko Herrlich zum Jugendtrainer (angeblich mit Drei-Jahres-Vertrag) gemacht. Herrlichs Gehalt dürfte auf die drei Jahre umgelegt werden. Auch der zuletzt an Bochum ausgeliehene Sunday Oliseh (dessen Gehalt von circa 2,5 Millionen Euro zu zwei Dritteln der BVB bezahlt haben soll) wurde gekündigt, doch der Nigerianer klagt. Der dickste Brocken sind rund fünf Millionen Euro Gehalt für Amoroso - allerdings schmälert der ablösefreie Verzicht auf den Exzentriker auch das zuletzt vielzitierte "Eigenkapital" des BVB um rund acht Millionen für den Buchwert des Torjägers.
Am Sonntag werden über 80 000 Betriebswirtschaftsstudenten wider Willen auf den Rängen trotzdem wieder einem Spiel zuschauen. Evanilson und Sebastian Kehl fehlen dem BVB. Doch die letzten beiden Mal gewann Dortmund 4:0 und 5:1. Es gibt eben Lichtblicke, selbst bei den Zahlen.