Ein Pass in die Tiefe

Kritischer Sportjournalismus in Deutschland - eine Bestandsaufnahme

Anders formuliert: Wieviel Herz verträgt sportliche Berichterstattung?


In den Medien wird sehr häufig über Sport – der schönsten Nebensache der Welt – berichtet. Eine Gattung nimmt dabei nahezu 100% der Berichterstattung ein: der Profi- oder Hochleistungssport. Er dominiert die Sportseiten der Printmedien ebenso wie die Sportsendungen der Fernsehsender. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesellschaftsleben. Trotzdem wird darüber fast rund um die Uhr berichtet.

Wie allgemein bekannt, läuft im Hochleistungssport nicht immer alles so, wie es sich Sportfunktionäre, Politiker oder auch die Fans vorstellen. Da gibt es neben den sogenannten großen Siegen und bitteren Niederlagen noch Dopingfälle, Betrugsdelikte und andere illegale Aktivitäten. Selbstverständlich möchte die Mehrheit in diesem Land über solche Machenschaften kritisch informiert werden. Das wiederum ist Aufgabe des Sportjournalismus – sollte man meinen.

Wir möchten an dieser Stelle den Fokus auf die z.T. erschreckende Realität in der deutschen Sportjournalisten-Landschaft anhand einiger ausgewählter Thesen richten und auf interessante Artikel zu diesem Thema verweisen. Diese Thesen und die daraus entstandenen Artikel stammen aus der Hand von Sportjournalisten und Hochschulprofessoren, die sich mit dem Beruf des Sportjournalisten und dessen Außendarstellung kritisch auseinandersetzen. Sie wurden im Rahmen einer Sportjournalismus-Konferenz am 15./16. Februar 2008 in Dortmund veröffentlicht. Wir haben einige der Veröffentlichungen zusammengetragen, so dass ein kurzer Überblick über die Thematik möglich ist.

Voraussetzung für eine kritische Berichterstattung ist eine genaue Recherche. An dieser Stelle scheint jedoch bereits der erste große Knackpunkt in der deutschen Sportjournaille zu liegen: die Mehrzahl der Sportjournalisten halten es schlicht für nicht notwendig, kritisch zu berichten, wie Sebastian FLEISCHMANN von der Uni Eichstätt mit Hilfe einer Online-Befragung unter deutschen Sportjournalisten im Rahmen seiner Diplomarbeit herausarbeitete. Statt kritisch zu hinterfragen begnügen sie sich mit der Rolle als „Vermittler“. Dies wiederum hängt eng mit der oftmals vorhandenen fehlenden Distanz zum „Objekt der Berichterstattung“ zusammen, die Kritik nahezu ausschließt.

Lars-Marten NAGELvon der Uni Leipzig deckte in seiner Diplomarbeit vor allem fehlende Strukturen in der deutschen Sportjournaille auf, die eine investigative Arbeit unmöglich machen. Vor allem fehlende Recherche-Profis, die für die schreibende Zunft Fakten und Hintergründe, Interviews und Informationen ausarbeiten könnten, fehlen in den meisten Redaktionen – zumeist aufgrund fehlender Finanzmittel. Aus diesem Grund sind bei den Sportjournalisten keine Kapazitäten frei, um gründlich zu recherchieren, schreibt er.

Damit sind wir wiederum bei „unserer Geschichte“ und Borussia Dortmund. Freddie RÖCKENHAUS stimmt Lars-Marten NAGEL und seiner Aussage nach fehlender Zeit und fehlendem Geld in seinem Beitrag indirekt zu. Bei der Aufdeckung im Fall Borussia Dortmund arbeitete RÖCKENHAUS als freier Journalist. Zudem hatte er keine Zeit- und Geldnöte, da er zusätzlich eine florierende Film-Produktionsfirma betrieb. So konnte er sich völlig der Recherche widmen, was am Ende zu den bekannten Enthüllungen führte.
Auch die Tatsache, dass die Süddeutsche Zeitung in München erscheint, also in weiter Entfernung zu Dortmund, war für RÖCKENHAUS von Vorteil. Durch die fehlende Nähe aller Beteiligter, konnte die Berichterstattung leichter durchgeführt werden, da emotionale Bindungen zu Borussia Dortmund in München ‚äußerst selten’ sind.

Eine andere Zeitung hatte nämlich mit der offensichtlichen Nähe zu Borussia Dortmund zu kämpfen: die Ruhr Nachrichten, die eine offizielle Medienpartnerschaft mit Borussia Dortmund pflegten, mussten zunächst abwägen, wie kritisch ihre Berichterstattung ausfallen sollte. Angesichts der Fakten entschied man sich für die kritische Berichterstattung und stieg bereits kurz nach den ersten Veröffentlichungen aus Süddeutscher Zeitung und kicker voll in die Recherche ein.

Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche kritische Berichterstattung ist, und dies klang bereits kurz an, die Distanz zum Objekt der Berichterstattung zu wahren. Andererseits muss ein Sportjournalist möglichst nahe an die zentralen Persönlichkeiten heran, um wichtige Informationen zu erhalten. Ein Dilemma, dem Jens WEINREICH, freier Journalist, in seinem Filmporträt über FIFA-Boss Joseph BLATTER durch drei Verhaltensweisen entging: durch

  • Ausschalten der eigenen Emotionen 
  • ständige Selbstkontrolle 
  • Hinzuziehen andere Journalisten als ‚Berater’ 


Ein weiterer, langjährig tätiger Sportjournalist ist Dieter MATZ, der für das Hamburger Abendblatt u.a. über die Spiele von Fußball-Bundesligist Hamburger SV berichtet. Auf unsere Anfrage berichtete er kurz über seine Arbeitsweise und wie er der Schwierigkeit zwischen Kritik und Nähe begegnet:

„Da ich selbst Amateurtrainer (dreier Landesliga-Klubs) in Hamburg war (…), habe ich schon allein deshalb ein kritisches Verhältnis zu Funktionären - denn ich wurde dreimal schwer betrogen. (…)

Seit dieser Zeit begegne ich allen Funktionären und Präsidiumsmitgliedern mit Skepsis, denn die meisten von ihnen sind wahre Selbstdarsteller, die würden alle in der Familie verkaufen, um selbst glänzen zu können.

(…) Zum Hamburger SV kann ich sagen, dass ich auch dort keine Freundschaften pflege. Alles per Sie, alles ein wenig distanziert und kühl, und ich nehme für mich in Anspruch, immer, absolut immer die Wahrheit zu schreiben. Dann kann mir keiner, wie man in Hamburg sagt. (…)

Es ist auch eindeutig besser so, wenn man Distanz hat, denn wenn es Beschwerden der Funktionäre gab, dann wurden die immer schön per Sie ausgetragen, und das ist viel, viel angenehmer, als wenn man per Du angeschnauzt wird. Wenn einem die ‚Freundschaft‘ per Sie gekündigt wird, kann man weiter ganz objektiv berichten, denn sein Gehalt bezieht man ja nicht vom HSV.“


Auf die Frage, wie er – quasi aus der Ferne – die dramatischen Wochen und Monate in Dortmund erlebt hat, antwortete er:

„Ich war bestürzt, dass ein solcher Traditionsklub an den Rand des Ruins gebracht worden ist. Durch Kollegen aus dem Westen der Republik wusste ich immer etwas mehr, als in den Zeitungen stand, habe viel über die verantwortlichen Herren des BVB, Niebaum und Meier erfahren - nicht viel Gutes. Da waren damals unheimlich viele Eitelkeiten (Niebaum) im Spiel. Und da man wusste, auf welch großem Fuße die Borussia lebte, welche Millionen-Gehälter die Profis von dannen schleppten, war es eine Frage der Zeit, wann dieses Konstrukt zusammenbrechen würde.

Dass es allerdings so dramatische Züge annehmen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Und noch eines: Der Kollege Röckenhaus hat in diesen schweren Zeiten zwar viel um die Ohren bekommen, er hat aber auch grandiose, überragende Arbeit geleistet.

Als Fußball-Fan habe ich damals gedacht, dass die Borussia diese schwere Krise nicht überstehen würde, eigentlich wundere ich mich noch heute, dass es keinen Zwangsabstieg gab - viele in Dortmund danken in dieser Beziehung noch Dr. R. Rauball für seine guten Kontakte zum DFB.“


Soweit die Äußerungen von Sportjournalist Dieter MATZ.

Als abschließende Lektüre empfehlen wir, neben den Artikeln auf www.sportnetzwerk.eu auch einen Artikel von Hans LEYENDECKER, einer der bekannten investigativen Journalisten in Deutschland, zum Thema Korruption im deutschen Sportjournalismus.


(vs/mw)