Die Berichte von Daniel DREPPER und Niklas SCHENCK, 13.09.2012

von Daniel DREPPER, Niklas SCHENCK

Der Prämiensalat

F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Bundesinnenministerium honoriert schlecht bezahlte Trainer und Betreuer erfolgreicher Athleten mit einem Olympiabonus und gewährt Fachverbänden zusätzlich den Einsatz nicht verbrauchter Steuergelder: Davon hat Turn-Coach Wolfgang Hambüchen erst nach den Spielen in London erfahren. Die erste Freude ist großer Enttäuschung gewichen: Das System ist zu starr, der Verteilungsschlüssel umstritten, die Kommunikation schlecht und die Folge grotesk: Manche Trainer werden belohnt, andere bekommen nichts.

Als der Stuttgarter Turntrainer Valeri Belenki kurz nach den Olympischen Spielen bei seinem Kollegen Wolfgang Hambüchen anrief, da reagierte der Vater und Coach des Silbermedaillengewinners Fabian verwundert. Es solle ein Schreiben vom Bundesinnenministerium geben, sagte Belenki, da werde den Trainern der olympischen Medaillengewinner eine Erfolgsprämie versprochen. Beide kannten das Schreiben nicht. Also ließ Hambüchen seine Kontakte spielen. Bald hatte er das Papier des Ministeriums in der Hand und traute seinen Augen nicht. Da bezeichnen die Ministerialen doch tatsächlich Vereine als „Keimzellen für die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen“ und schreiben, dass Talente in Deutsch- land „naturgemäß außerhalb der eigenen Strukturen der Bundessportfachverbände“ entdeckt werden. „Ich war begeistert“, sagte Hambüchen dieser Zeitung, „denn genau das sage ich seit Jahren.“ Als „Vater“ einer Silbermedaille winkte Hambüchen dazu ein schöner Bonus. Denn das BMI hatte in seinem Schreiben vom 24. Juni, es liegt dieser Zeitung vor, folgende Summen für die Hintermänner und -frauen ausgelobt: 40 000 Euro für Gold, 25 000 Euro für Silber und 15 000 für Bronze, zu verteilen auf die Beteiligten. Wobei ein Trainer pro Medaille maximal 15 000 Euro, bei mehreren aber höchstens 30 000 erhalten soll; damit die Keimzellen des Triumphes weiterhin gedeihen.

Denn Trainer außerhalb der professionellen Mannschaftssportarten darben in Deutschland: Sie bekommen, gemessen an Aufwand, Erwartung und dem hohen Entlassungsrisiko vergleichsweise wenig Geld. Viele Trainer im Kunstturnen, sagt Hambüchen, verdienen weniger als 2200 Euro brutto im Monat. „Ich kann niemandem guten Gewissens dazu raten, Vollzeit als Trainer zu arbeiten.“ Das Dilemma betrifft nicht nur die Turnszene. Jürgen Mallow war bis 2009 Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und hatte jahrelang Probleme bei der Suche nach Trainern. „Wenn ich wenige Trainerstellen habe, und die sind auch noch mäßig bezahlt mit einem hohen Berufsrisiko: Wer macht denn das? Einen Hammerwurftrainer zu finden ist schon verdammt schwierig. Es gibt keinen Arbeitsmarkt dafür.“

Immerhin hat das BMI das Problem erkannt. „Den Geist und den Gedanken dieser Trainerprämien des BMI finde ich klasse“, sagte Hambüchen Ende August: „Die machen sich zum ersten Mal einen Kopf, wo die Leute denn überhaupt herkommen, die für den Erfolg von Athleten zuständig sind.“ Fabian Hambüchens Erfolge sind in Wetzlar entstanden, fern von den großen Turnzentren in Cottbus, Berlin oder Stuttgart. Neben dem Kernteam Vater (Trainer) und Sohn (Turner) traten auf: die Mutter als Managerin, der Onkel als Mentaltrainer, ein Physiotherapeut aus Wetzlar und ein Biomechaniker aus Frankfurt. Und weil das Schreiben des BMI vorsieht, dass auch „Servicepersonal“ entschädigt werden könne und dass man die Arbeit von Jugend- und Nachwuchstrainern würdigen wolle, gingen die Hambüchens davon aus, dass sie mit den 25 000 Euro für die Silbermedaille endlich mal danke sagen könnten, „dass man denen mal mehr in die Hand drücken kann als ne Pulle Wein“, wie Hambüchen sagt. Und so hat er nach Vorlage des BMI für das Serviceteam seines Sohnes mitgerechnet: 25 000 Euro dividiert durch fünf macht 5000 pro Beteiligten, abzüglich der Steuern.

Diese Aufstellung schickte er an den Deutschen Turnerbund (DTB), der in Abstimmung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die für den Spitzensport gedachten Gelder des BMI im Kunstturnen verteilt. Aber Hambüchen hat die Rechnung ohne die Funktionäre gemacht. In einem Brief vom 6. September lehnte der DTB den Verteilungsschlüssel des Hessen rundweg ab. Die vorgeschlagenen Empfänger, heißt es darin, fielen nicht unter die Definition des vom BMI genannten „Servicepersonals“. Nun kennt Hambüchen alle erdenklichen Turnübungen. So ein Funktionärssalto rückwärts aber überrascht selbst ihn. Denn DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam hatte die Prämienregelung gegenüber dieser Zeitung gelobt: „Der Kick der ganzen Sache ist, dass man auch die Trainer mit Prämien beglücken kann, die an der Entwicklung der Talente mal beteiligt waren.“ Allerdings sei im Falle von Fabian Hambüchen der Heimtrainer ja auch der Entdecker gewesen. Und so schwebte Willam schon vor der schriftlichen Absage ein anderer Verteilungsschlüssel vor: „Ich denke, wir verteilen das klassisch. Die Hälfte für den Heimtrainer und die Hälfte für den Bundestrainer.“ Demnach erhält Hambüchen Senior nach der Prüfung von DTB und DOSB nur noch 12 500 Euro. Seine „Danksagung“ hat sich halbiert: „Ich bin zutiefst enttäuscht, obwohl ich die Idee des BMI anfangs für eine großartige Möglichkeit gehalten habe“.

Der Unmut über die im Ansatz gute Idee wächst, weil die Flexibilität zu wünschen übriglässt. So kann der in London erfolgreiche Deutsche Kanu-Verband (DKV) die Offerte des BMI nicht ausschöpfen: „Wir haben unsere Strukturen so gestrafft, dass der Heimtrainer, der Bundestrainer und der Stützpunkttrainer oft eine Person ist“, sagt Jens Kahl, Sportdirektor DKV: „Das führt dazu, dass wir gar nicht alles ausschütten können.“ Etwa im Fall der Kajak-Sprinterinnen, deren Trainer die Fahrt zu Gold und Silber mitbestimmten. „Außerdem würde ich gerne Vereine entlohnen, die unsere Medaillengewinner mal entdeckt haben – die brauchen wir, damit sie auch in Zukunft Talente suchen“, fügt Kahl hinzu. Das sei laut BMI nicht möglich. Auch der Wunsch, Bootsbauer, Sportwissenschaftler und Mediziner einzubeziehen, klassisches „Servicepersonal“ also, ließ sich nicht verwirklichen: „Die Verteilung“, sagt Kahl, „ist zu starr.“ Das ist nicht die einzige Kritik. Weil die Politik den Sportverbänden erlaubt, Personalmittel pauschal für vier Jahre im Voraus zu beantragen, können diese Lohn und Honorare ansparen – etwa wenn Stellen eine Zeit lang nicht besetzt werden oder Spezialisten zunächst eingeplant, dann aber nie unter Vertrag genommen wurden. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) sind deshalb 100 000 Euro zusammengekommen, sagt Generalsekretär Frank Hensel. Andere Verbände aber verließen sich auf die Auskunft des BMI, dieses Geld irgendwann zurückzahlen zu müssen. Entsprechend unterschiedlich sind die Guthaben: „Wir haben nichts zurückgelegt“, sagte der Sportdirektor der Schwimmer, Jürgen Fornoff, dieser Zeitung. Die Folgen dieser verwirrenden Kommunikation haben nun manche Trainer zu tragen. Denn das BMI erlaubt den Verbänden, die Euro auf der hohen Kante für ein zweites Prämiensystem einzusetzen. Neben der zusätzlichen Ausschüttung des BMI für die Trainer von Medaillengewinnern darf mit dem Sparguthaben auch der Coach eines Sportlers belohnt werden, der in London zwar Weltklasseleistungen bot, aber nicht unter die ersten drei kam. Elisabeth Seitz, junge Athletin aus Mannheim, wurde Sechste im Finale am Stufenbarren. Weil der Turnerbund fleißig Mittel gespart hat, soll ihre Trainerin in den Genuss eines Zuschlags kommen. Das gilt auch für die Trainer der Männerriege. Sie führten die deutsche Equipe ins Teamfinale. „Nur Medaillen zu prämieren wäre nicht im Sinne unserer Strategie“, sagt Wolfgang Willam.

Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag und Vizepräsidentin des Leichtathletik-Verbandes, stimmt dieser Strategie zu. Aber sie hätte gerne früher von dieser Variante erfahren. Das BMI hatte sie, trotz mehrmaliger Nachfrage, nicht informiert. „Das Prämiensystem für die Medaillenränge ist im Sportausschuss, auch in den Haushaltsberatungen, sehr kontrovers diskutiert worden“, sagt Freitag. „Dass es daneben aus Steuermitteln ein Prämiensystem gibt, dass also Mittel angespart werden können, das ist im Ausschuss niemals gesagt worden. Mir drängt sich der Verdacht auf, es sei verschwiegen worden, weil man keine Diskussion über Prämien aufmachen wollte.“ Die aber ist seit Ende der Sommerspiele entbrannt. Sie zeigt, wie unkoordiniert in Deutschland reagiert wird.

Während sich für die Trainer mit Abstrichen kleine Perspektiven eröffnen, schauen die Athleten wohl bald in die Röhre. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe überlegt, künftig keine Medaillenprämien, 15 000 für Gold, 12 000 für Silber, 8000 für Bronze, mehr auszuschütten. „Schließlich könnte das ein Anreiz in die falsche Richtung sein, wenn man etwa an die Dopingproblematik denkt“, sagt Michael Illgner, der Vor- standsvorsitzende der Sporthilfe. So sprachen Wissenschaftler und Politiker schon 2008, als das heutige Modell der Trainerprämien erstmals diskutiert wurde. Der DOSB hatte damals vorgeschlagen, Gold mit 50000 Euro zu honorieren, Silber mit 30 000 und Bronze mit 20 000. Der Sportausschuss verhinderte das Modell. Weil die Gefahr bestünde, dass noch mehr Druck auf die Athleten ausgeübt werde. Man solle lieber zusehen, dass Trainer mehr Grundgehalt bekommen.

Dazu ist es nicht gekommen. Immerhin wird jetzt um ihre Bezahlung gestritten.

Die Recherchen für diesen Beitrag wurden durch ein Stipendium der Otto-Brenner-Stiftung gefördert und von der Journalisten-Vereinigung Netzwerk Recherche betreut.