Wie die Tour de France als "Tour de Farce" geoutet wird - eine Chronologie

Jahrelang wurde Doping von Kritikern vermutet, doch von Seiten der Rennrad-Profis vehement abgestritten. Heute wissen wir, im Rennsport wird seit Jahren gedopt, und zwar systematisch. Doch obwohl sich seit 1997 vereinzelt Dopingsünder zu den stetigen Vorwürfen geäußert und teilweise sogar gestanden haben, kommt es erst 2007 zu einer Welle von Geständnissen. Folge: Die öffentlich-rechtlichen Sender brechen die Übertragung der Tour de France (TdF) ab. Der ehemalige ARD- Vorsitzende RAFF: "Der sportliche Wert der Tour de France hat sich aufgrund der gehäuften Dopingfälle erheblich reduziert".

ARD und ZDF boykottieren die TdF und übertragen das Ereignis 2007 nicht länger. Zwischen 2008 bis zur Tour 2011 erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen noch ihre Vertragspflicht, zeigen die TdF in den folgenden Jahren jedoch nicht mehr. Erst 2015 wird die TdF erneut von der ARD ausgestrahlt, dieses Mal hat sich der Sender jedoch abgesichert. Der Vertrag enthält eine Ausstiegsklausel im Falle weitererer Dopingfälle.

Doch warum hat es so lange gedauert, bis alles ans Tageslicht kam? Warum traute sich so lange praktisch niemand über die Doping-Machenschaften zu sprechen? Eine erste Antwort kann das Beispiel Sandro DONATI geben.

Sandro DONATI: ein ewiger Anti-Doping-Kämpfer

Sandro DONATI, italienischer Sportwissenschaftler und heute Berater der World Anti-Doping Agency WADA, tritt 1981 das Amt des italienischen Nationaltrainers der Mittelstreckenläufer an. Nach kurzer Zeit erhält er ein Angebot von Francesco CONCONI, einem ehemaligen Amateur-Radrennfahrer und Biochemiker: ein Blutdoping-Programm für DONATIs Schützlinge.

DONATI lehnt ab. Er ist strikt gegen Doping und wird sich später aktiv im Kampf gegen Doping engagieren.

Drei Jahre lang trainiert DONATI die Mittelstreckenläufer – ohne Doping. 1984 wird er als Trainer der Mittelstrecken abgelöst. Seiner Meinung nach, um weiteren Versuchen mit Dopingmitteln nicht länger im Wege zu stehen.

In den nachfolgenden Jahren fasst DONATI den Entschluss, sich aktiv gegen Doping einzusetzen. 1989 verfasst er ein Buch: „Campioni senza valori“, deutsch: „Sieger ohne Werte“. (Buchcover zeigen: Screenshot machen!) Darin beschreibt er die Praktiken CONCONIs.

Nur eine Woche nach der Veröffentlichung seines Buches tritt ein Problem auf: Die Buchläden erhalten keine weiteren Exemplare. Angeblich soll das Problem schnellstmöglich behoben werden, doch weiter passiert nichts. DONATIs Buch wird nicht länger veröffentlicht. Wie DONATI in Erfahrung bringt, wurde der Verlag (PONTE ALLE GRAZIE) bestochen.

Drei Jahre später, 1992, wird DONATI Leiter der Wissenschaftskommission des Nationalen Olympischen Komitees Italiens (CONI). Er verfasst ein Dossier über die Dopingpraxis im italienischen Sport. Hier nennt er unteranderem erneut den Namen CONCONI, der zu dieser Zeit übrigens gemeinsam mit DONATI im Anti-Doping-Komitee der CONI sitzt, sowie den Arzt Michele FERARRI den (2014 noch amtierenden) Präsidenten des italienischen Radsportverbandes. Und die Namen einiger Rennfahrer.

Damit es zur Anzeige gegen die genannten Personen kommt, fordert DONATI den Präsidenten des CONI, Mario PESECANTE, sowie für dessen Generalsekretär Raffaele PEGNOZZI auf, ihre Kenntnisse ebenfalls weiterzuleiten. Doch keiner der beiden unternimmt weitere Schritte.

Erst 1996 wird das von DONATI verfasste Dossier weltweit in den Medien veröffentlicht. Die Folge:

  • DONATIs Abteilungs-Budget wird von 2.000 000 auf 50.000 € gekürzt
  • von 42 Mitarbeitern verbleiben nur 2
  • DONATIs Telefonleitungen werden zwischenzeitlich gekappt
  • und man versucht, die Urinprobe einer von DONATI betreuten Athletin zu manipulieren, um DONATI unglaubwürdig zu machen.

Die ehemaligen Vertreter des Anti-Doping-Labors in Rom und die Leiter der CONI drohen DONATI elfmal mit einer Klage. Letztlich, im September 2000 fordert der Präsident des Weltradsportverbandes UCI, Hein VERBRUGGEN, das CONI auf, DONATI den Arbeitsauftrag zu entziehen. DONATI hatte davon abgeraten, Marco PANTANI für das olympische Team in Sydney vorzusehen, da PANTANI katastrophale Blutwerte aufwies, die eher für einen einmonatigen Aufenthalt im Krankenhaus als ein Training für die Olympischen Spiele sprachen.

Ende 2000 hält Sandro DONATI einen Vortrag bei PlaytheGame, in dem er zum einen über seine persönliche Geschichte und zum anderen über mögliche Lösungs-Ansätze im Kampf gegen Doping spricht. Nachzulesen gibt es den Vortrag hier: “Anti-doping; The Fraud Behind the Stage

Das Beispiel DONATIs zeigt auf erschreckende Weise, wie weit Doping in den Strukturen verankert ist: Wer sich mit dem Doping-Komplott anlegt, läuft Gefahr sowohl die eigene Karriere als auch seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Leider ist das Beispiel DONATIs kein Einzelfall. Systematisches Doping und die zugehörige „Doping-Mafia“ findet man auf der ganzen Welt - ebenso in Deutschland. Zugeben mochte das jedoch lange Zeit niemand.

1997 kommt es jedoch zu einem ersten Geständnis, welches sowohl für die deutschen Medien, als auch für den deutschen Radsport etwas absolutes Neues ist.

Ein erstes Geständnis: Jörg PFAFFRATH packt aus

Jörg PAFFRATH, ein ehemaliger Profiradrennfahrer, wird im Juni 1996 bei einer Kontrolle positiv getestet. Dieses Ereignis weckt ihn auf. Er wartet die Veröffentlichung seiner Drei-Monats-Sperre gar nicht erst ab und spart sich auch die 500 Franken für einen Einspruch. Der frisch gebackene Vater erkennt, dass es Zeit ist "mit dem Wahnsinn Schluss zu machen". Gegenüber dem SPIEGEL“ (Ausgabe 25 v. 16.6.1997) schildert er die Systematik: „Wie ein Hund an der Kette“. Er sei sich bei der Jagd nach Prämien zuletzt vorgekommen "wie eine Hure". Ihn überkam die Angst vor den unkontrollierbaren Folgen seiner chemischen Cocktails, "vor Krebs und allem, was später folgt - ich konnte mit meinem Leben nicht mehr so gedankenlos umgehen".

PAFFRATH gesteht, über vier Jahre mit 24 verschiedenen Mitteln gedopt zu haben. Und er lässt bei seinem Geständnis keinen Zweifel daran, dass er nicht als Einziger im Profi-Radsport dopt. Namen nennt er jedoch keine.

Wie recht PFAFFRATH mit seiner Aussage hat, dass er nicht der einzige Profi-Radsportler sei der Doping betreibe, bestätigt die Aussage von Sandro DONATI ein Jahr später. Dieser gibt an, dass alleine in Italien im Jahr 1997 rund 1,35 Millionen Schachteln EPO im Wert von 105 Millionen DM verkauft wurden. Nur für Rennradprofis.

Trotz des Geständnisses von PAFFRATH bleiben weitere Skandale aus. Reporter von SPIEGEL TV, die zunächst an PFAFFRATH interessiert scheinen, drehen einen Beitrag über Doping. Dafür interviewen sie PFAFFRATH ebenso wie den Doping-Aufklärer Alessandro DONATI. Doch nichts von dem Beitrag wird in diesem Jahr gesendet. Die allgemeine Medienberichterstattung widmet sich weiterhin der Tour de France, den einzelnen Etappensiegern und letztlich Jan ULLRICH, der am 27.07.1997 die 84. TdF gewinnt.

Der Festina-Skandal: weitere Outings

Knapp ein Jahr später, drei Tage vor dem Start der TdF 1998, wird Willy VOET, Masseur der Festina-Mannschaft, auf dem Weg zum Tourstart in Dublin an der französisch-belgischen Grenze, mit 400 Ampullen Dopingmittel (250 x EPO, 150 x Anabolika) erwischt. Dies wird zum Auslöser des Festina-Skandals.

Reaktion:

  • Die verschiedenen Radsport-Teams sprechen sich untereinander ab
  • Doping-Mittel werden entsorgt
  • Statt auszupacken boykottieren viele Fahrer die Weiterfahrt und ‚streiken’ gegen die ,menschenunwürdige Behandlung’ seitens der französischen Behörden, die beim Thema Doping konsequent und hart bleiben.

Anstelle der ursprünglich 189 Fahrer werden nur noch 96 das Ziel in Paris erreichen.

Doch die gefundenen Doping-Präparate lassen sich nicht leugnen und bewegen letztlich Dr. Eric RIJCKAERT, Teamarzt von Festina dazu, am 21.Juli 98 ein Geständnis über ein kontrolliertes Doping abzulegen: Von dem Doping haben alle beteiligten Fahrer gewusst.
Nur fünf Tage später packen vier Fahrer des Festina-Teams ebenfalls aus. Alex ZÜLLE, Laurent DEFAUX, Laurent BROCHARD und Pascal HERVÈ gestehen die jahrelange Einnahme von Dopingmitteln.

Weitere vier Tage später wird Rudolfo MASSI, Träger des Bergtrikots vom Casino-Team, vorläufig festgenommen. Er gesteht die Weitergabe von EPO an andere Fahrer. In seinem Hotelzimmer werden daraufhin Koffer mit Doping-Mitteln wie Cortison sowie Geld in verschiedenen Währungen gefunden.

Doping: Wahrnehmung in Deutschland

Durch den Festina-Skandal wird auch die deutsche Presse erneut auf das Thema Doping aufmerksam.

Am 13.08.1998 bringt das Politmagazin „Monitor“ eine Sendung über Doping. Dieter QUARZ spricht in der Sendung als anonymer Informant über konkrete Mittel, die üblicherweise eingenommen werden. QUARZ ist Diplom-Trainer für Radsport und diplomierter Chemiker aus Düsseldorf. Er engagiert sich seit langem im Kampf gegen Doping. Sein Fachwissen erwarb er als Pfleger in verschiedenen Rad-Teams wodurch er Einblick in die allgemeinen Dopingmachenschaften hatte. Die Motivation von Dieter QUARZ: Er möchte das System Doping bekanntmachen. Dabei geht es ihm nicht um einzelne Doping-Sünder, sondern um einen langfristigen Weg das System zu stoppen.

Die Vorgeschichte: Udo LUDWIG, Redakteur beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und Prof. Werner FRANKE, Professor für Zell- und Molekularbiologie und großer Kritiker des Dopings, sind durch die Monitor-Sendung auf Dieter QUARZ, den anonymen Informanten in der Sendung, aufmerksam geworden. Sie versuchen über QUARZ an Material zu kommen, welches konkrete Profis und das Team Telekom belastet. QUARZ, dem es jedoch grundsätzlich um das System und nicht um einzelne Personen geht, stellt sich den beiden zwar als anonymer Informant zur Verfügung, antwortet jedoch immer nur mit allgemein gültigen Aussagen.

Neben der Beantwortung von Fragen, gibt Dieter QUARZ den Redakteuren unter anderem auch anonymisierte Fallbeispiele mit. Doch obwohl die Redakteure vor der Veröffentlichung einen Muster-Artikel an QUARZ senden und dieser viele Anmerkungen macht, erscheint der Artikel „ Die Werte spielen verrückt“ mit falschen Zuweisungen und falschen Bildunterschriften zu dem von QUARZ zur Verfügung gestellten Material.

Nach diesem äußerst fragwürdigen Umgang der Redakteure mit Ihrem Informanten QUARZ, folgt bereits ein weiterer Skandal. Es kommt zu einer Anzeige. Prof. FRANKE erstattet bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, dem Wohnsitz von Dieter QUARZ, eine Anzeige wegen Körperverletzung und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, gegen Unbekannt. Der Hintergrund: FRANKE ist mit dem gelieferten Material von QUARZ unzufrieden. Er braucht konkrete Namen und möchte sich mit der Anzeige Zugang zu den Unterlagen von Dieter QUARZ verschaffen. (mehr Details unter unserer Geschichte: „Die Informanten Verbrennung“)

Durch Ihr Verhalten gegenüber QUARZ, können die Redakteure nicht länger auf seine Hilfe zählen. Zur Absicherung der Informationen und Fakten des Artikels, besuchen die SPIEGEL Reporter Jef D´HONT einen ehemaliger Radprofi und seit 1963 Masseur für verschiedene Radrennställe. Da‘HONT bestätigt den Journalisten die meisten Fakten, möchte sich derzeit jedoch nicht als 'Zeuge' – sondern nur als anonymer Informant zu Verfügung stellen. Erst später, 2007, wird Jef D‘HONT ein öffentliches Geständnis ablegen, welches die Welle der Geständnisse ins Rollen bringt.

Ein ganzes Buch

Ebenfalls im Jahre 1999, packt auch der ehemalige Festina-Masseur Willy VOET aus. 1998 stand er als Drogenbeschaffer im Mittelpunkt des Dopingskandals der Tour de France und wurde dann, 3 Tage vor der TdF 98 in Nordfrankreich im Firmenwagen mit Unmengen von Dopingmitteln erwischt und verhaftet.

VOET verfasst zwei Enthüllungsbücher in denen er u.a. schreibt, dass er keinen Tour de France Sieger kennt, der ohne Doping ausgekommt. In seinem Buch: „Gedopt- Der Ex-Festina-Masseur packt aus“, schreibt er über seine Motivation die Öffentlichkeit an den Doping-Machenschaften teilhaben zu lassen:

„Es ist nicht mehr mein Radsport, jener aus besseren Tagen. Schlimmer noch: ihm sind seine ideellen Werte abhanden gekommen. Es ist höchste Zeit Irrtümer einzugestehen, um latente Krankheiten besser Diagnostizieren und- so hoffe ich – heilen zu können. Zudem spüre ich die Notwendigkeit, mich vor meinen Angehörigen zu erklären, ihnen zu zeigen, dass ich nicht der Buhmann bin, als den mich gewisse Medien gerne hinstellen. Außerdem: meine Kinder sollen das Gerede abschmettern und Beschimpfungen abprallen lassen können. Jemand aus der Radsportszene musste dieses Solo wagen. Ein Solo ohne Skrupel, ohne Scham, ohne Konzessionen.“ 

Über RIIS, Gewinner der TdF 96 äußert sich VOET gegenüber dem SPIEGEL folgendermaßen: "Da hat er unsere Fahrer am Berg einfach stehengelassen. Und die waren schon mit einem Hämatokritwert von 54 unterwegs" (vgl. 16.04.1999)

Die Tour geht weiter – sie wird zur Tour der Farce

In den nachfolgenden Jahren bleiben weitere Geständnisse aus. Immer wieder werden Fahrer positiv auf Doping-Mittel getestet, so auch Jan ULLRICH. Alle streiten ihre Ergebnisse jedoch weiterhin ab oder reden sie klein. ULLRICH verteidigt sich nach einer positiven Kontrolle auf Amphetamine im Jahr 2002 etwa mit der Begründung, der positive Test käme von „unbekannten Pillen“, die er während eines Diskothekenaufenthalts konsumiert habe. Der Radsportverband UCI sperrt ihn für sechs Monate.

Der spanische Doping-Mediziner

Drei Jahre später, 2005, kommt es zu einem weiteren Skandal durch welchen ULLRICH erneut in Verbindung mit Doping gebracht werden kann. Die spanische Polizei durchsucht das Labor und zwei Apartments von Eufemiano FUENTES auf Gran Canaria.

Sie findet mehr als 220 Blut- und Plasmabeutel sowie Epo, Wachstumshormone und Anabolika. Beim Verlassen eines Hotels nimmt die spanische Polizei FUENTES fest. Einige spanische Zeitungen veröffentlichen kurze Zeit später eine Liste von 37 Fahrern, die bei FUENTES Kunden waren. Darunter auch die Namen ULLRICH, BASSO sowie JAKSCHE. ULLRICH, der seit 2004 wieder bei dem Team Telekom unter Vertrag steht, und Teamkollege Oscar SEVILLA sowie der sportliche Leiter Rudy PEVENAGE werden daraufhin vom Team Telekom suspendiert.

Nur ein Jahr später, verschafft sich die Guardia Civil in Spanien Einlass in mehrere Wohnungen. Dabei machen die spanischen Ermittler am 24.05.2006 erneut einen großen Fund. Sie finden hunderte Blutbeutel, Dopingmittel und Dokumente. Unter anderem (vermutlich) auch belastendes Material von Jan ULLRICH. Bezüge auf „JAN“ finden sich in Dokument 32. Dieses Dokument besteht aus einer Tabelle, in der Fahrer durch ihre Kürzel auftauchen und mit von FUENTES geliefertem Material in Beziehung stehen.

Die Produkte werden als VINO (Wein - verm. Blut), NINO (Kind – Wachstumshormon), IGNACIO (IGF1) und PCH (Pflaster – Testosteronpflaster) ausgezeichnet. Außerdem gibt es Spalten für den Preis, die gelieferte Menge des Medikaments und den Tag der Zahlung. In ULLRICHS Fall 2970 €. Weiter geht aus den Unterlagen hervor, dass Jan ULLRICH unter der Nummer 1 geführt wurde sowie Jörg JAKSCHE mit der Nummer 20.

Die Welle der Geständnisse wird zum Selbstläufer

Trotz der Vorfälle der vergangenen Jahre bleibt Jan ULLRICH stur. Ende Februar 2007 gibt er auf einer spektakulären Pressekonferenz im Hamburger Hotel Intercontinental seinen Rücktritt vom Radsport bekannt aber bleibt bei seiner Aussage „Ich habe nie gedopt“.

Nur zwei Monate später wird Jan Ullrich erneut schwer belastet. Jef D´HONT, der sich bereits 1999 als anonymer Informant gegenüber dem Spiegel zur Verfügung gestellt hatte, legt in einem eigens verfassten Buch und in dem vorab erscheinenden SPIEGEL-Artikel ein umfassendes Doping- Geständnis ab.

Joseph Leon D’HONT ist ehemaliger Radprofi und seit 1963 Masseur für verschiedene Radrennställe. Der gebürtige Belgier hat von 1992 - 1996 für das Team Telekom gearbeitet. 1998 ist er in die Festina-Äffare verwickelt, da er des Dopings bei seinem Arbeitgeber dem Team „La Francaise des Jeux“ überführt wird. Dieses Vergehen handelt ihm eine neunmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung ein. Am 30.04.07 berichtet er in dem SPIEGEL-Artikel unter der Überschrift "Der einzige Zeuge" über sein Leben als Dopingorganisator sowie über sein Buch: „Erinnerungen eines Radfahrer-Pflegers“- in dem er das Team-Telekom schwer belastet. Hierbei redet er offen über die internen Machenschaften, um die Dopingkontrollen zu umgehen, und belastet die TdF-Sieger von 1996 und 1997 Bjarne RIIS und Jan ULLRICH.

Die deutschen Doping-Mediziner

Weiterhin beschuldigt Jeff D’HONT Walter GODEFROOT sowie die Telekom-Ärzte Dr. med. SCHMID und Dr. med. HEINRICH von der Universitätsklinik Freiburg. Diese hätten hinter dem Dopingsystem der Telekom gesteckt. Dies sei vor allem deswegen belastend, da die Universitätsklinik Freiburg in den letzten Jahrzehnten auch Olympia-Mannschaften betreut und Weltmeister gepflegt habe. Außerdem steht in dem Artikel, dass GODEFROOT die Kosten für die Dopingmittel vorgestreckt habe und die Pfleger dann diese Kosten bei den Fahrern eintreiben sollten.

Anfang Mai 2007 - Nach den Anschuldigungen von D’HONT werden die beiden Ärzte SCHMID und HEINRICH vom Team T-Mobile suspendiert. Die Vorwürfe weisen sie jedoch ab. In der Erklärung von HEINRICH heißt es: "Ich habe niemals Sportlern Epo oder Wachstumshormone verabreicht, solche Medikamente Sportlern oder so genannten Pflegern ausgehändigt oder zugeschickt oder Sportlern einen Plan zum Einsatz von Doping-Mitteln erstellt. Die Injektion von Epo als Doping durch mich oder die Weitergabe von Epo an Masseure kam und kommt für mich nicht in Frage".

Nur einen Monat nach der Aussage von HEINRICH, werden die beiden Ärzte erneut angeschuldigt. Telekom-Fahrer Bert DIETZ (1994-1998 im Team Telekom) gesteht in der ARD-Sendung „Beckmann“ systematisch gedopt zu haben. 1995 habe er von den Sportmedizinern SCHMID und HEINRICH im Trainingslager auf Mallorca eine Anleitung zum Doping mit Epo bekommen. Laut DIETZ seien SCHMID und HEINRICH auf Wunsch der Telekom in die Trainingsplanung häufig integriert. Weiter berichtet DIETZ, dass in Einzelgesprächen Druck auf die Fahrer gemacht wurde, um bei der anstehenden Tour vorne mithalten zu können.

Durch die Aussagen von DIETZ werden die Sportmediziner HENRICH und SCHMID freigestellt und nach zwei Tagen wird den Ärzten fristlos gekündigt.

Ein Geständnis in „Beckmann“ (ARD)

Während des Beckmann Sendung spricht Bert DIETZ auch über seine persönliche Motivation, die Öffentlichkeit nun über seine Doping-Vergangenheit aufzuklären. Dabei nennt er zwei Gründe:

  • „Zum einen weil ich- oder alle Radfahrer prinzipiell nicht mit Epo fahren wollen. Es ist teilweise ein Muss um in der Masse bestehen zu können“.
  • „Zum anderen weil dieses Thema […] an die Öffentlichkeit gekommen ist und ich da einfach diese Chance gesehen hab, oder diese Chance sehe, dass man jetzt wirklich einen Schlussstrich ziehen kann. Dass man jetzt wirklich sagen kann: „alles auf den Tisch - was gewesen ist im Radsport“. Einen Strich macht – Neuanfang und dann den neuen Weg geht, vielleicht als erste Sportart weltweit“.

Einzelne Athleten als Sündenbock hinzustellen, wäre angesichts einer stillschweigenden Akzeptanz durch eine Mehrheit von Aktiven, Funktionären und Offiziellen sowie der medialen Öffentlichkeit einseitig und ungerecht, so DIETZ.

Die Welle der Geständnisse wird zum Selbstläufer

Jetzt ist kein Halten mehr: die Welle wird zum Selbstläufer (siehe Grafik): Nur einen Tag später, am 22.05.2007 gesteht auch der ehemalige Radprofi und langjährige Fahrer des Team Telekom Christian HENN. HENN war 1999 durch Testosteron-Missbrauch auffällig geworden: Er hat zwischen 1995 und 1999 mit Epo gedopt.

Einen weiteren Tag später, am 23.05.07 legt auch BÖLTS,  seit 2004 sportlicher Leiter beim Team Gerolsteiner, ein Geständnis ab. Radprofi BÖLTS war vormals für folgende Teams angetreten: 1989 - 1990 Team Stuttgart, 1991-2002 Team Telekom, 2003 Team Gerolsteiner. Jetzt gesteht er Doping während seiner Zeit bei Telekom und tritt einen Tag später von seinem Amt als sportlicher Leiter des Teams Gerolsteiner zurück: um „mit der Vergangenheit nicht von den Erfolgen des jungen Teams abzulenken“.

Am selben Tag gesteht auch Telekom Teamarzt Andreas SCHMID gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Er war 2 Tage zuvor von Bert DIETZ erneut schwer belastet worden. SCHMID gibt zu, dass er Radsportler unterstützt und ihnen auf Anforderung Epo zugänglich gemacht hat.

Nur einen weiteren Tag später gestehen auch Erik ZABEL ein Profi-Radrennfahrer sowie Rolf ALDAG, früher ein Fahrer und später Sportdirektor des Teams Telekom. ZABEL gibt an, dass er im Jahr 1996 eine Woche lang mit EPO experimentiert, es aber nicht über einen längeren Zeitraum angewendet habe, weil er die Nebenwirkungen nicht vertrage. Versorgt wurde er nach eigenem Bekunden vom damaligen Mannschaftsmasseur Jeff D´HONT. Zu Jan Ullrich wollen weder ZABEL noch ALDAG Stellung beziehen.

Ein arrogantes Geständnis ohne Reue

Auch Bjarne RIIS, ehemaliger Profiradrennfahrer der 1996 mit dem Team Telekom die Tour de France gewinnt, legt im Zuge der Welle der Geständnisse ein Bekenntnis ab. Seines unterscheidet sich zu den vorherigen Geständnissen jedoch deutlich. Zwar gibt er zu, dass er in der Zeit von 1993 bis 1998 mit Epo, Cortison und Wachstumshormonen gedopt habe. Doch durch seinen Unterton gibt er klar zu erkennen, dass er sich keines Unrechts bewusst sei. Er beginnt die Pressekonferenz mit den Worten: "Es gibt eine Tendenz, die Dummheiten der Vergangenheit zur wichtigsten Angelegenheit der Gegenwart zu erklären. Ich verstehe das nicht."

Obwohl auch der Tour-Titel 96 unter sein Doping- Geständnis fällt, kann dieser ihm nicht mehr aberkannt werden kann: Die achtjährige Verjährungsfrist ist abgelaufen.

Die Öffentlich-Rechtlichen stoppen die Live-Übertragung der TdF

Bei einer unangemeldeten Dopingkontrolle am 08.06.07 in den Pyrinäen, wird Patrik SINKEWITZ, der derzeit beim Team Telekom unter Vertrag steht, bei der A-Probe positiv auf Epitestosteron getestet. Dieser weitere Doping-Fall ist einer zu viel. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten stoppen die Übertragung der TdF auf der Stelle und ersetzen die Sendung durch eine einstündige hintergrundbezogene Berichterstattung.

Die Kunden des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes

Jörg JASCHKE, ein Radrennprofi, der seine Karriere beim Team Polti im Jahre 1997 begann und anschließend für verschiedene Teams wie das Team-Telekom, Team CSC oder ONCE fuhr, bricht am 02.07.07 sein Schweigen. JASCHKE war 2006 schwerwiegend in den "Fuentes-Skandal" verwickelt. Neben Jan ULLRICH war er der zweite deutsche Fahrer der auf der Kundenliste des spanischen Arztes FUENTES stand. Obwohl er das lange dementierte gesteht JASCHKE nun gegenüber dem SPIEGEL als Kronzeuge.

In dem SPIEGEL-Interview „Bellas Blut" gibt er an, über zehn Jahre gedopt zu haben. Er beschreibt detailliert, wie das System des Dopings funktioniert und nennt dabei auch konkrete Namen. Darunter auch die Mediziner HEINRICH und SCHMID, die ihn während seiner Zeit beim Team Telekom (1999-2000) behandelten. Auch Walter GOODEFROT, sportlicher Leiter des Team Telekom, hatte nach JASCHKE Kenntnisse über die Behandlung. Über ihn findet JASCHKE die Worte: „Man muss davon ausgehen, dass er es wusste, so blind kann man nicht durch die Welt gehen.“

Am 22.09.07 findet die Staatsanwaltschaft verdächtige Barabhebungen durch Jan ULLRICH von einem Schweizer Konto. Diese Transaktionen passen zeitlich zu den Medikamentenausgaben von FUENTES. Jan Ullrich, der auf der der Kundenliste FUENTES und unter der Codeziffer 1 geführt wurde, bleibt jedoch bei seiner Aussage. Er habe niemals gedopt.

Nach den Eingeständnissen vieler Profi-Rennradfahrer und auf der anderen Seite offensichtlichen Beweisen für Doping-Fälle, beschließt die Telekom am 27.11.2007, ihr Sponsoring für den Radsport aufzugeben. Für die nächsten Jahre.

(AM)


Die Geschichte hinter dieser Geschichte und welche Rolle dabei das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL dabei spielt, ist ausführlich rekonstruiert unter Tour de Farce + Team Telekom: Jan ULLRICH

Wie der Weltstar Lance ARMSTRONG aufgeflogen ist, haben wir vom Ablauf her dokumentiert unter (Ex)Tour de France-Sieger Lance ARMSTRONG. Welche Rolle der irische Sportjournalist David WALSH dabei spielt, finden Sie hier: Ein Journalist bringt alles ins Rollen.