Flight Reports von Piloten nach einem Fume Event

Vorbemerkung

Wir wissen aktuell von vier solchen nachträglichen Schilderungen, die in der Fliegersprache "Flight Report Cockpit" (FRC) heißen. Die meisten Vorfälle bleiben der Öffentlichkeit unbekannt. Warum das so ist, haben wir dokumentiert unter "Incidents": Vorfälle, die meistens nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen. Dort sind auch Beispiele gelistet: Wie viele Fume Events man nachträglich recherchieren kann, wieviele davon bei der BFU registriert werden, wieviele davon dann in den Statistiken des Luftfahrtbundesamtes auftauchen und was dann von der EASA noch wahrgenommen wird. Es funktioniert wie in einem Trichter: Von dem, was reinkommt, taucht nur noch ganz wenig am unteren Ende auf.

Es gibt auch keine standardisierten Meldewege. Und die Airlines sind "not amused" über solche Meldungen. Denn eigentlich müssten dann die Zuleitungen von den Triebwerken in die Kabine ("ducts") und/oder die Klimaanlage ("packs") mit ihren diversen Leitungssystemen ausgetauscht werden.

Das dauert. Bis zu 30 Stunden. Ein Zeitraum, in dem das Flugzeug kein Geld verdienen kann und den gesamten Flugplan durcheinander bringt. Und so ist es kein Wunder, dass auch ab und an die Technischen Logbücher verändert (sprich: manipuliert) werden; so z.B. bei einem Lufthansa-Flug am 16. September 2016 nach Dubrovnik (mehr dazu unter o.a. Link). Aber solche Fälle werden noch seltener bekannt.

Die vier "FRC" sind hier jetzt chronologisch geordnet. Wir beginnen mit dem Jahr 2010. Wir listen bei jedem FRC das Datum auf, die Airline und den Flugzeugtyp, Start- und Zielflughafen sowie den Umstand, ob die BFU (Bundestelle für Flugunfalluntersuchungen) den Vorgang aufgenommen und untersucht hat. Meistens tut sie das nicht. Solche Vorkommnisse zählen in der Regel nicht als "schwere Störung". Will sagen: die BFU betrachtet Fume Events als normalen Alltag.

Die Namen der betroffenen Piloten lassen wir weg bzw. wir haben sie anonymisiert.

Die hier dokumentierten Berichte können Sie auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Flight-Report-Cockpit .



Flight Report Cockpit Nr. 1: 19. Dezember 2010: Wien > Flughafen Köln-Bonn

Germanwings, Airbus A 319-132

Es ist vermutlich einer der dramatischsten Vorfälle, die (bisher) bekannt geworden sind. Das können wir aber auch nur vermuten, genau wissen wir es nicht. Wir wissen aber aus den beiden Flight Reports des Captain und des Copiloten ("FO"), was bei diesem Flug in den wenigen Minuten im Cockpit geschehen ist.

Hier zunächst der

Bericht des Captain

den er elf Tage später, am Silvestertag 2010, niedergeschrieben hat. Vermutlich weil er nochmals den Vorgang Revue passieren lassen wollte:

"Ich verwende gerne scherzhaft die "Fliegerweisheit": "Fliegerei besteht aus stundenlanger Warterei, gefolgt vom Momenten aufgeregten Erschreckens." Wie wahr dieser Spruch sein kann, habe ich an diesem Tag am eigenen Leib erfahren.

Der Wetterbericht für den Tag verhieß schon nichts Gutes. Ab Mittag wurden in Köln schwere Schneefälle erwartet. Unser Umlauf sollte uns zunächst nach Wien und im Anschluss nach Mailand führen. Check-In war um 13:25 local und die Vorbereitungen für den Flug nach Wien verliefen normal. Den FO kannte ich von einem gemeinsamen Umlauf zwei Tage zuvor, welcher durch recht harte Winterops geprägt war. Ich wusste, dass er seit einigen Monaten ausgecheckt war und hatte seine Arbeitsweise als sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst in Erinnerung. Die Stimmung war gut und angesichts der Wetterprognosen waren wir gespannt, was der Tag wohl bringen würde. Beim Walkaround fielen die ersten Schneeflocken und nach erfolgter Enteisung an der Parkposition verstärkte sich der Schneefall zusehends. Unser Rollweg zur 14L war kurz und wir konnten bereits wenige Minuten nach Offblock abheben. Der Flug nach Wien verlief ereignislos und in Wien selbst erwartete uns sogar noch etwasSonnenschein und bestes Flugwetter.

Nach Onblock in Wien erreichten uns die ersten schlechten Slots für den Rückflug, da es in Köln heftig schneite und eine Besserung nicht in Sicht war. Aufgrund der schlechten Prognosen entschieden wir uns gegen das Boarding und warteten auf eine Verbesserung. Der Flughafen Köln wurde geschlossen und die Slots immer schlechter. Schließlich wurde der gesamte Flugplan von ATC gecancelled. Regelmäßige Rücksprachen mit der Verkehrszentrale machten keine Hoffnung auf Besserung.

Nach etwa 3 Stunden des Wartens zeichnete sich ab, dass der Schneefall in Köln nachließ und eine Öffnung des Flughafens dort wieder möglich schien. Ein Slot für etwa 50 Minuten später lief auf und wir begannen unverzüglich mit dem Boarding. Trotzdem wurde am Ende die Zeit knapp und wir mussten befürchten, unseren Slot zu verlieren. Die Verkehrszentrale konnte eine zehnminütige Verlängerung erreichen, da wir aufgrund von Frostansatz auf den Tragflächen vor dem Start noch enteisen mussten.

Der Zeitdruck wuchs, trotzdem hat man uns etwa 20 Minuten vor Slotende noch "Iosgelassen". Wir rollten zur Enteisungsposition und waren auch sofort an der Reihe, da wir offenbar die Einzigen zum enteisen waren. Der Enteiser wusste nichts von unserem Zeitproblem und wir haben ihn auch bewusst nicht darüber in Kenntnis gesetzt, um nicht unnötig Druck aufzubauen. Die Enteisung ging trotzdem ungewöhnlich zügig. Auch unter Zeitdruck funktionierte das Team im Cockpit problemlos. Mein Vorstoß, die Takeoff Checklist vorzuziehen, um Zeit zu sparen, wurde mit dem Hinweis auf die noch ausstehende After Start Checklist aufgefangen, so dass wir beide schnell wieder in der gewohnten Sequenz waren. Der Rollweg zur 16 war kurz, so dass wir in der letzten Minute unseres Slots Wien verlassen konnten.

Der Flug verlief zunächst ereignislos. Ich selbst war auf diesem Leg Pilot Flying. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass wir aufgrund unserer Verspätung von 4 Stunden nicht mehr nach Mailand fliegen mussten, so dass wir uns auf den Feierabend freuen konnten. Ich habe mein Hotmeal gegessen und aufgrund unserer Erfahrung des slotbedingten Zeitdrucks am Boden, sprachen wir während des Reisefluges angeregt über die Einhaltung von Verfahren unter Zeitdruck. Der Sinkflug auf Köln verlief nahezu als continuos descent. Die Arbeitsatmosphäre war zu diesem Zeitpunkt professionell und aufmerksam. Wir erhielten Radar Vectors für ein ILS auf die 14L.

Beim Turn auf das Base Leg bemerkte ich zum ersten Mal diesen seltsamen Geruch. Mein erster Gedanke war, dass es sich eindeutig um eine Mischung aus verbrannt elektrisch handelt. Der Geruch war so intensiv, dass ich den FO sofort darauf ansprach und er meinen Eindruck bestätigte. Eine Rückfrage beim Purser ergab, dass in der Kabine nichts zu riechen war, auch nicht hinten, was er nach kurzer Rücksprache mit den Kollegen dort melden konnte. In diesem Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf, ob wir nicht besser die Sauerstoffmasken aufziehen sollten. Da der Geruch jedoch in der Zwischenzeit scheinbar nachgelassen hatte und kaum noch wahrnehmbar war, dachte ich diesen Gedanken nicht zu Ende, da auch mittlerweile der Intercept Turn und die Freigabe für das ILS 14L kam. Im Nachhinein bin ich mir garnicht mehr sicher, ob der Geruch wirklich nachgelassen hatte oder ob wir ihn einfach nur nicht mehr bewusst wahrnehmen konnten, da sich unsere Nasen vielleicht schon daran gewöhnt hatten.

Während des Localizer Intercept sagte der FO plötzlich, ihm sei „kotzübel“ und er müsse die Maske aufsetzen. Der Unterton in seiner Stimme ließ mich mehr erschrecken als die Aussage an sich, da er sich höchst alarmiert und geradezu schockiert anhörte. Noch bevor ich einen Gedanken fassen oder gar etwas erwidern konnte, spürte ich selbst urplötzlich ein starkes Kribbeln in Händen und Füßen. Gleichzeitig merkte ich, wir mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne schwanden. Mein Sichtfeld schränkte sich nahezu schlagartig ein und ich spürte ein starkes Schwindelgefühl. In diesem Augenblick packte mich die Angst, die Kontrolle über meinen Körper und mein Handeln zu verlieren, bevor ich etwas dagegen unternehmen konnte. Ich griff reflexartig nach meiner Sauerstoffmaske, wie ich es im Simulator oft geübt hatte.

Von nun an überschlugen sich die Ereignisse. Wir waren noch beim Director und ich sagte dem FO kurz und knapp, er solle Bescheid sagen, dass wir auf die Towerfrequenz wechseln würden. Er tat dies und ungefähr an die Wortwahl, jedoch fügte er nach "Mayday" hinzu, dass wir "strong smell in the Cockpit" hätten, Währenddessen bemerkte ich, dass der Glideslope bereits einlief und so fuhr ich die Flaps selbst auf Position eins, Schnell wurde mir bewusst, wie eingeschränkt die Kommunikation unter der Maske war, besonders wenn die Gesamtsituation hochdynamisch ist.

Der Tower reagierte sofort und wies einer Easyjet vor uns den Go Around an. Da die Geschwindigkeit nur sehr langsam abbaute und wir noch über 200 kt schnell waren, konnten wir die Flaps noch nicht in Position 2 fahren. Irgendwann hier muss ich den AP ausgeschaltet haben, woran ich mich im Detail jedoch nicht erinnern kann. Ich kommandierte Gear down und zog die Speedbrake. Trotzdem schien die Geschwindigkeit nur quälend langsam abzubauen. Kurz darauf konnten die Flaps endlich auf 2 gefahren werden. Die Kommunikation gestaltete sich für mich schwieriger als im Simulator, da ich den "Lärm" meiner eigenen Atemgeräusche im Interphon als wahnsinnig ablenkend, ja geradezu als Stress Empfand. Für das ständige ein- und ausschalten des INT switches fehlte mir allerdings die Kapazität, da ich manuell flog. Dadurch kam es immer wieder zu Kommunikationsstörungen, da der FO mich zwischendurch nicht hören konnte. Irgendwann habe ich den Transmissionkanal am ACP auf INT geschaltet, so dass ich mit dem PTT am Sidestick arbeiten konnte, wann immer ich etwas über Interphone sagen wollte.

Während des gesamten Anfluges fühlte ich mich körperlich sehr schlecht. Mein Eindruck war, dass ich allein mit dem manuellen Fliegen mit Flight Director an der Obergrenze dessen arbeitete, was mir momentan überhaupt möglich war. Warum meine Kapazität in diesem Augenblick so eingeschränkt war, konnte ich hier noch nicht verstehen, aber es machte mir Angst. Ich dachte an eine Autoland, verwarf den Gedanken aber recht schnell, da ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Zuviele Dinge waren dafür zu beachten, ging mir durch den Kopf, und diese abzurufen war ich nicht mehr in der Lage. Das einzige, was noch „vollautomatisch“ funktionierte, war mein „Fallback“: das manuelle Fliegen.

Die Final Configuration war dann zwar recht schnell hergestellt, jedoch die Geschwindigkeit brauchte für mein Empfinden ewig lange um abzubauen. Ich teilte dem FO mit, dass ich das 1000 ft Gate außer Kraft setze, falls die Speed bis dahin nicht in Limits sein sollte, denn ich fühlte mich physisch und psychisch nicht mehr in der Lage, einen Go Around durchzuführen. Diese Erkenntnis hat mich ziemlich erschreckt, da normalerweise ein Go Around zu den Standardmanövern gehört, welche man reflexartig beherrscht. Aber in dieser Situation fühlte ich mich dazu nicht mehr in der Lage.

Trotz eingeschränkter Kommunikation und vor allem stark eingeschränkter Leistungsfähigkeit funktionierte das Team noch immer. Mein FO erinnerte mich zum Beispiel noch an die Landing Checklist, welche mir durchgegangen wäre.

Am Minimum war unsere Kommunikation noch einmal kurzfristig gestört, da ich bei meinem Continue-Call beim ersten Mal versäumte, den PD zu drücken. Im short final bemerkte ich einen rückläufigen Speedtrend, welchem ich durch deutliche Schubzugabe entgegenwirkte. Ich meine, kurzfristig bis zu 65% N 1 nachgeschoben zu haben. Die Speed blieb trotzdem genau am Bug und ich erinnere mich, mich gefragt zu haben, was genau hier eigentlich gerade passiert. Ich hatte für einen Augenblick das Gefühl, kaum noch etwas von dem zu verstehen, was gerade vor sich ging. Ich erkannte die vielen Blaulichter, sah die Bahn vor mir und mein Ziel war nur noch die Landung, egal wie.

Der Touchdown erfolgte nach meinem Gefühl normal. Die Autobrake war auf Medium voreingestellt und wirkte recht zügig. Erst auf den letzten Metern bremste ich "zu Fuß". Mein Ziel war der A3 Turnoff, was ich dem FO auch so mitteilte. Auf dem letzten Stück jedoch rutschten wir so stark, dass ich befürchtete, den Turnoff nicht mehr zu bekommen. Trotzdem erreichten wir noch rechtzeitig Abrollgeschwindigkeit. Ich rollte über A3 ab und für einen kleinen Augenblick machte sich bei mir große Erleichterung über unsere sichere Rückkehr zum Boden breit. Diese wurde aber sofort verdrängt von einem kurzen Gefühl der Leere mit einem großen Fragezeichen. Hier endete nämlich mein Konzept.

Ich habe beim "chairflying" schon viele Situationen durchgespielt und habe für viele Situationen, wie z. B. Bombthreat o.ä. ein Grundkonzept und Ansagen parat, aber für diese Situation endete meines eben bei der Landung.

Ich fing sofort an, mir ein neues Konzept zu erstellen. Ein sofortiges Anhalten, sowie einen Einstieg in die Evacuation Checklist erschien mir unpassend, da die Lage im Cockpit vorerst unter Kontrolle war und in der Kabine scheinbar keine Gefahr drohte. Mein Ziel war eine Außenposition und Treppen, damit die Passagiere so normal wie möglich aussteigen können. Dieses Brainstorming erfolgte recht schnell und ohne die einzelnen Gedanken im Kopf in epischer Breite auszuwälzen. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich meine, ich hätte dem FO mitgeteilt, dass mir eine Außenposition am sinnvollsten erscheint.

Der Tower sagte uns, dass die Feuerwehr auf der Feuerwehrfrequenz bereit wäre, mit uns zu sprechen, sagte diese aber nicht dazu. In diesem Augenblick dachte ich noch daran, dass ich gerade zwei Tage zuvor sehr intensiv das Handout des Smoke / Fire Refreshers durchgearbeitet hatte und konnte so die Frequenz 123,1 abrufen. Ich sprach mit dem FO ab, dass ich mit der Feuerwehr kommuniziere und er mit dem Tower. Woran ich mich allerdings nicht erinnere ist, ob ich die Kontrolle übergeben habe.

Ich erklärte der Feuerwehr zunächst die Grundsituation und teilte ihnen mit, dass im Moment kein sichtbarer Rauch und kein Feuer im Cockpit wäre und die Situation in der Kabine vor wenigen Minuten noch unauffällig gewesen war. Mit halbem Ohr hörte ich auf der Towerfrequenz, dass wir parken dürften, wo wir wollen. Da wir im Sinkflug über die Companyfrequenz unsere Parkposition C07 mitgeteilt bekommen hatten, entschieden wir uns kurzfristig für eben jene, da meine wichtigste Anforderung, die Außenposition, damit erfüllt war. Dies teilte der Kollege dem Tower und ich der Feuerwehr mit, welche mich dann allerdings bat, auf AO7 zu rollen, da diese Position weit weg von Gebäuden wäre. Das leuchtete mir ein und so gab mein FO diese Info an den Tower weiter.

Wir rollten weiter auf TWY A in Richtung Terminal. Nachdem die erste Kommunikation mit der Feuerwehr erfolgt und eine Entscheidung über die Parkposition getroffen war, konnte ich endlich mit der Kabine Rücksprache halten, da meine große Sorge im Hinterkopf seit der Landung der Kabine und den Passagieren galt. Ich wollte wissen, ob die Situation dort noch immer normal war, wovon ich allerdings erst einmal ausging, da ich sonst wohl schon eine Meldung erhalten hätte. Trotzdem befürchtete ich, dass man sich hinten schon große Sorgen wegen der überall präsenten und nicht zu übersehenden Feuerwehrwagen machen würde.

Ich wollte sowohl die Kabinenbesatzung als auch die Passagiere schnellstmöglich informieren und beruhigen. Eine Passagieransage unter Maske schied aber von vornherein aus, da aufgrund der unauffälligen Situation hinten eine solche Ansage aufgrund der Maske genau das Gegenteil von Beruhigung erreicht hätte. Ich legte mir kurz ein Konzept zurecht und klingelte dann den Purser an. Ich teilte ihm in aller Kürze mit, was passiert war, sagte aber sofort, dass wir die Lage vollkommen unter Kontrolle hätten und dass wir auf eine Außenposition rollen würden. Außerdem, dass ich sofort nach Ankunft dort und nach dem Öffnen der Cockpitfenster die Maske abnehmen würde, um eine Passagieransage zu machen.

In der Zwischenzeit bogen wir links auf TWY B ein. Die Feuerwehr schien überall zu sein und begleitete uns. Mein FO machte mich auf die After Landing Items aufmerksam und wir hatten wieder ein kleines Stückchen "Normalität" zurück. Wir waren wieder im Loop.

Nachdem die Parkbremse gesetzt war, stellten wir fest, dass die APU noch nicht gestartet worden war. Während das nachgeholt wurde, öffneten wir beide Fenster. Die APU benötigte zum starten eine gefühlte Ewigkeit. So lange konnte ich mit einer Passagieransage nicht warten, da spätestens mit Ankunft an der von Blaulichtern überfluteten Parkposition auch dem letzten Gast klar geworden sein musste, dass etwas nicht stimmte. Durch die offenen Fenster und die noch laufenden Triebwerke herrschte im Cockpit ein infernalischer Lärm, also versuchte ich mit der linken Hand das Mikrofon des Handsets abzuschirmen, während ich meine Ansage machte. Ich erklärte den Gästen, dass die Feuerwehr, welche sie mit Sicherheit schon bemerkt hätten, als Vorsichtsmaßnahme hier wäre, da wir im Anflug im Cockpit einen ungewöhnlichen Geruch wahrgenommen hätten, dass jetzt zunächst die Feuerwehr an Bord käme um sich selbst davon zu überzeugen, dass keineGefahr bestehe und dass danach alle Gäste ganz normal aussteigen könnten.

Da mein eigener Adrenalinspiegel zu diesem Zeitpunkt noch recht hoch war, erinnerte mich an den alten Trick, in solchen Situationen so langsam zu sprechen, dass es einem schon fast unnormal vorkommt, um in der Aufregungein zu schnelles Sprechen zu verhindern. Laut späterem Feedback des Pursers war die Ansage gut zu verstehen und ist gut aufgenommen worden.

Als ich mit der Ansage fertig war, konnte ich die Triebwerke abstellen. Der FO erinnerte mich an die Parking Checklist, welche wir dann abarbeiteten. Ich schloss kurz darauf mehr unbewusst als beabsichtigt mein Fenster,  da es kalt war und hereintropfte, hörte jedoch von rechts die dringliche Aufforderung, das Fenster bitte sofort wieder zu öffnen. Ich sah hinüber zu meinem FO und nahm ihn ohne Maske zum ersten Male wieder bewusst wahr. Er betonte nochmals, dass ihm sehr, sehr übel wäre und ich war ziemlich erschrocken darüber, wie schlecht er aussah. Ich öffnete das Fenster sofort wieder und sah, wie der Kollege sich in der Zwischenzeit mit dem gesamten Oberkörper zum Fenster hinausgelehnt hatte. Mein erster Gedanke war, dass er sich vielleicht übergeben muss, jedoch versuchte er nur verzweifelt Luft zu bekommen, wie er mir viel später erklärte.

Der Purser meldete die Türen in Park, die Seatbelt Signs wurden ausgeschaltet und kurz darauf kam der Einsatzleiter der Feuerwehr ins Cockpit. Wir sprachen kurz und ich erklärte, dass im Cockpit und in der Kabine unserer Ansicht nach keine akute Gefahr drohe. Außerdem wies ich auf den schlechten Zustand meines Fos hin. Er rief daraufhin seine Kollegen vom Rettungsdienst, welche den FO sofort in den Rettungswagen begleiteten. Ich erinnere mich noch, dass er zwar selbst aus seinem Sitz aufstehen konnte, danach aber gestützt werden musste.

Ich wurde über meinen Zustand befragt, fühlte mich aber in der Lage, die Stellung zu halten, bis alle Gäste von Bord sind. Während ich wieder mit dem Einsatzleiter über das weitere Vorgehen sprach, bemerkte ich, wie ich am ganzen Körper zu zittern begann, was mich etwas beunruhigte, da ich solche Symptome an mir nicht kenne. Ich weiß bis heute nicht, ob der Grund hierfür ein pathologischer war oder die nachlassende Aufregung. Zum Glück ließ dieses Phänomen nach wenigen Sekunden wieder nach.

Ich sprach mit dem Einsatzleiter ab, dass sich die Feuerwehrfahrzeuge etwas zurückziehen, damit die Busse vorfahren und mit dem Aussteigen begonnen werden könne. Genau dies teilte ich in einer weiteren Ansage den Passagieren mit.

Zum Aussteigen stellte ich mich in die Cockpittür, um mir einen Eindruck über die Stimmung unter den Gästen zu verschaffen. Ich war beruhigt zu merken, dass die Stimmung sehr ruhig und freundlich war. Sobald der letzte Gast das Flugzeug verlassen hatte, kamen innerhalb kurzer Zeit viele verschiedene Leute auf mich zu, die alle etwas von mir wollten.Zunächst wollte ich aber wissen, wie es meinem FO geht. Ich hatte schon gesehen, dass der Rettungswagen noch unten steht, was ich erst einmal als gutes Zeichen wertete. Man beruhigte mich und sagte mir, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehe und dass der Wagen auf mich warten würde, da ich auf jeden Fall zur Untersuchung mit ins Krankenhaus fahren solle. Außerdem erinnere ich mich, dass der Purser sagte, dass der Geruch aus dem Cockpit noch immer bereits vor der Cockpittür deutlich wahrnehmbar sei. Zum Zeitpunkt dieser Aussage waren beide Cockpitfenster bereits seit etwa 15 Minuten geöffnet.

Als nächstes sprach ich mit der Kabinenbesatzung. Ich merkte schnell, dass die Kollegen psychisch in guter Verfassung waren. Ich schilderte ihnen den Hergang der Ereignisse und fragte ihre Wahrnehmung ab. Wie bereits vermutet war es für sie, besonders für die beiden Kollegen aus der hinteren Galley, eine normale Landung und sie fühlten sich zu keiner Zeit in Gefahr. Auch der Purser machte einen stabilen Eindruck und so entschied ich mich, nach einem Hinweis auf die jederzeit mögliche Betreuung durch das CISM Team, die Kabinenbesatzung in den wohlverdienten Feierabend zu schicken.

Ich sprach im Anschluss noch mit der Maintenance und verfasste einen WO Book Eintrag. Der anwesende Mitarbeiter des MCC, dem ich den Geruch und den Ablauf der Ereignisse noch schilderte, schien sich zu meinem Erstaunen bereits zu diesem Zeitpunkt sicher zu sein, dass Enteisungsflüssigkeit wohl der Auslöser dieses Vorfalls sei.

Des Weiteren fühlte ich mich vom Einsatzleiter der Feuerwehr regelrecht bedrängt, sofort ein Formular auszufüllen, welches er mir in die Hand drückte. Ich fragte noch, ob ich das nicht später machen könne, was er allerdings verneinte. So füllte ich auch noch die §5 LuftVO Störungsmeldung aus, was ich im Nachhinein hätte energischer ablehnen sollen, da ich mich noch immer körperlich beeinträchtigt fühlte. Ich hätte besser sagen sollen, dass ich mich dazu im Moment nicht in der Lage fühle und nur meine Personalien eintragen sollen.

Nachdem ich alle Papierarbeit abgeschlossen hatte und den Flieger der Technik übergeben hatte, sammelte ich meine Sachen und die des Kollegen zusammen und begab mich in den Krankenwagen. Dort sah ich meinen FO, wie er, immer noch ziemlich schlecht aussehend, in einem Liegesitz saß, eine Decke über sich gezogen hatte und eine Sauerstoffsonde in der Nase hatte. Auch dies war ein Bild, welches mich ersteinmal erschreckte.

Der Rettungssanitäter legte auch mir sofort eine Sauerstoffsonde an und maß meine Sauerstoffkonzentration im Blut. Ich weiß nicht mehr den genauen Wert, nur dass er laut seiner Aussage sehr schlecht und deutlich unter 80% war. Der Normalwert liegt meines Wissens bei etwa 95-98%. Ich musste einige Fragen beantworten, bevor die Fahrt ins Krankenhaus nach Porz beginnen konnte. Unterwegs telefonierte ich nochmals mit IOCC und erfuhr, dass Herr K…… wissen wolle, was die Gäste mitbekommen hätten. Außerdem rief ich Herrn D…. an, um ihn kurz über die Geschichte zu informieren.

Die Fahrt nach Porz dauerte deutlich länger als normal, was an den extremwinterlichen und schwierigen Wetterverhältnissen an diesem Abend lag.Was mir allerdings am stärksten in Erinnerung geblieben ist, ist die Tatsache, dass ich auf einmal spürte, wie es mir kontinuierlich besser ging, was laut Aussage des Rettungssanitäters auf die Sauerstoffgabe und meine in der Zwischenzeit deutlich bessere Sauerstoffkonzentration im Blut zurückzuführen war. Ich hatte zwar schon davon gelesen, aber jetzt konnte ich selbst erfahren, dass ich vorher gar nicht gemerkt hatte, wie schlecht es mir ging. Erst durch die deutliche Besserung wurde mir bewusst, wie stark ich vorher eingeschränkt war. Ich hatte den Eindruck, zum ersten Mal seit einer Stunde wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Mir wurde nun klar, warum ich während des Anfluges solche Schwierigkeiten hatte, vermeintlich simple Gedankengänge wie die Vorbereitung einer Autoland oder einen Go-Around umzusetzen.

Im Krankenhaus wurden wir nach einigen Untersuchungen nach etwa 2 Stundenentlassen und sind mit einem Taxi zurück zum Flughafen gefahren.Um die Ereignisse der letzten Stunden noch einmal zu rekapitulieren und weil wirbeide das Bedürfnis hatten, darüber zu reden, haben wir noch ein ausführliches Debriefing gehalten.

Alles in Allem hat mir dieser Vorfall gezeigt, wie schmal die Grenze zwischen Normal Operation und Abnormal ist und wie schnell sie überschritten werden kann. Ich hätte nie gedacht, dass man so schnell in eine Situation kommt, die innerhalb kürzester Zeit außer Kontrolle geraten könnte. Theoretisch war mir das zwar immer klar, aber was es in der Praxis bedeuten kann, ist mir erst durch diesen Vorfall bewusst geworden.

Besonders die Tatsache, dass man auch in niedrigen Höhen innerhalb von wenigen Sekunden handlungsunfähig sein kann, zeigt, wie wichtig es ist, den Aufmerksamkeitslevel niemals zu sehr sinken zu lassen.

Ganz besonders gilt es zu betonen, wie wichtig das rechtzeitige Aufsetzen der Sauerstoffmasken bereits beim kleinsten Verdacht ist. Giftige Dämpfe, wo immer sie auch herkommen mögen, müssen garnicht extrem riechen, um innerhalb von Sekunden beide Piloten außer Gefecht zu setzen. Das Szenario, welches hätte eintreten können, wenn wir auch nur noch kurz gezögert hätten, die Masken aufzusetzen, mag ich mir kaum vorstellen. Ein führerloses Flugzeug mit 149 Menschen an Bord, welches unkonfiguriert das ILS heruntersegelt. Den möglichen Ausgang kann sich jeder selbst ausmalen.

Wie ich erfuhr, ist das Flugzeug am nächsten Tag wieder in Dienst genommen worden und als Ursache soll von der Technik Enteisungsflüssigkeit in der Klimaanlage identifizier worden sein.

Mir ist vollkommen bewusst, dass ich als Pilot im Vergleich zur Technik lediglich über ein eingeschränktes Wissen über das Flugzeug verfüge. Jedoch verfüge ich über 12 Jahre fliegerische Erfahrung, davon 7 Jahre auf einem Airbusgerät. Ich selbst habe bereits Erfahrung mit Dämpfen verbrannter Enteisungsflüssigkeiten in der Klimaanlage auch in höherer Konzentration mit starker Rauchentwicklung in der Kabine gemacht. Daher fällt es mir in diesem Fall schwer, diese Diagnose nachzuvollziehen. Mir ist auch bewusst, dass Erfahrungen aus anderen Vorfällen mit Contaminated Cabin Air gezeigt haben, dass die Ursachen in einigen Fällen, aufgrund der hohen Flüssigkeit der Bestandteile, im Nachhinein nicht mehr festzustellen ist. Doch der intensive Geruch, den ich wahrgenommen und dessen körperliche Auswirkungen ich gespürt habe, hatte definitiv keinerlei Ähnlichkeit mit dem von verbrannter Enteisungsflüssigkeit.

Vielleicht war es Glück, dass ich nur zwei Tage zuvor intensiv den Smoke / Fire Refresher vorbereitet habe und mein FO ihn, wie er mir später berichtete, kurz zuvor im Simulator geflogen ist. Gezeigt hat es mir aber auf jeden Fall, wie wichtig es ist, sich ständig selbst zu "refreshen". Zwei jährliche Simulatorereignisse befriedigen zwar gesetzliche Bestimmungen, können aber niemals ausreichen, um auf die komplexen Fehlermöglichkeiten vorzubereiten, mit denen man an einem ganz normalen Arbeitstag, kurz vor Feierabend, konfrontiert werden kann.

Ich denke, es ist nicht völlig selbstverständlich, dass wir jeden Tag nach getaner Arbeit wieder in unser Auto steigen und nach Hause fahren. Allein die Vorstellung, dass wir uns täglich in einer dünnen Aluminiumhülle, die bis zum Rand mit Treibstoff und Menschenleben gefüllt ist, mit annähernd Schallgeschwindigkeit durch eine vollkommen lebensfeindliche Umgebung bewegen, zeigt deutlich, dass dies, so gefahrlos auch unsere tägliche Wahrnehmung dieser Tätigkeit auch sein mag, ein gewisses Grundrisiko birgt. Und dieses so klein wie möglich zu halten, sehe ich als meine Hauptaufgabe als Kapitän.

Die Tatsache, dass einem oft jahrelang nichts gravierendes widerfährt, verleitet dazu, zu glauben, dies sei selbstverständlich und man müsse sich nur mit dem beschäftigen, was für die tägliche Operation relevant ist. Dass aber gerade die Vorbereitung auf sehr unwahrscheinliche und extrem seltene Ereignisse schnell den Unterschied zwischen "good outcome" und "bad outcome" ausmachen können, muss man sich immer wieder bewusst machen.

Um dieser Bequemlichkeit entgegenzuwirken, benötigt wahrscheinlich jeder von uns manchmal einen Denkanstoß. Für mich war dieser Vorfall ein solcher. Mein persönliches Verständnis meiner Aufgabe als Kapitän war schon immer die, dass ich nur einen kleinen Teil meines Gehaltes dafür bekomme, an sonnigen Tagen ein Flugzeug nach Palma und wieder zurück zu fliegen. Den größten Teil bekomme ich dafür, auf solche seltenen Fälle vorbereitet zu sein, um dann das Richtige tun zu können.

Die größte Investition, die man leisten muss, um vorbereitet zu sein, ist die in Zeit. Und gerade Zeit ist bei unseren engen Dienstplänen so ziemlich das Kostbarste, was wir haben. Dabei haben wir manchmal mehr davon, als wir denken. Wir nutzen sie nur nicht immer. Wie oft bleibt eine lange Reiseflugphase ungenutzt und sogar Langeweile stellt sich ein. Wenn man nur einen Teil dieser Phasen nutzt, um z.B. mal ein Smoke und Fire Szenario bis zum Ende durchzusprechen und durchzuspielen, könnte man diese Zeit sinnvoll nutzen und man hätte wieder einen guten Schritt nach vorne getan, um für den unwahrscheinlichen Eintritt eines solchen Ereignisses gewappnet zu sein.

Ich versuche dies so oft wie möglich umzusetzen und in Zukunft sicherlich noch mehr, auch wenn ich natürlich, wie wahrscheinlich jeder von uns, Phasen habe,wo ich den Kampf gegen die Müßigkeit verliere. Trotzdem bin ich froh, dass ich vorbereitet war. Denn so unwahrscheinlich es auch sein mag, dass man eines Tages selbst betroffen ist, so schnell kann es trotzdem eines Tages so welt sein, wie ich selbst an diesem Tag feststellen musste.

31.12.2010"

*****

Der Flight Report Cockpit des Co-Piloten ("FO") liest sich weitaus dramatischer und wurde nicht in einer so besinnlichen und rückschauenden Perspektive wie die des Captain geschrieben.

Zur Erklärung: "CM1" steht für "Crew Member 1" und damit ist der Captain gemeint. Obwohl es ziemlich unüblich ist, dass zwei Piloten in so zeitlicher Nähe nochmals miteinander fliegen und eine Crew darstellen, war dies hier wohl von entscheidendem Vorteil: Beide hatten zueinander Vertrauen.

Üblicherweise werden die Besatzungen im Cockpit und der Kabine bei jedem Flug neu zusammengestellt. Man will damit verhindern, dass sich aufgrund gegeseitigen Kennens Routine und/oder Fahrlässigkeiten einschleichen können - eine sinnvolle Strategie.

Das, was der "Flight Officer" zu Papier gebracht hat, ist jetzt hier zu lesen - als Ergänzung zu der Rekonstruktion des Captian:

Schilderung der Erlebnisse und Eindrücke des Co-Piloten (Flight Officer):

"Nach einem 3h langen Tumaround in VIE bedingt durch die Schließung der Flughafens CGN, konnte es endlich losgehen. Wir hatten einen knappen Slot, die Gäste stiegen langsam ein, der zweite Bus ließauf sich warten. Irgendwann kam der zweite Bus, der Schnee fiel, es musste enteist werden an der Remote Position mit laufenden Triebwerken. Die "after start items" wurden entsprechend nicht ausgeführt. Beim de-icing sagte ich zu CM1: "Ich hätte jederzeit ein Ohr für Dich, wenn Du mir etwas erzählen willst." Das TO Briefing wurde trotz ausreichender Zeit im Transit vergessen. Nach dem Enteisen sollten wir dann los und CM1 kommandierte die TO Checklist. Ein kurzer Einwurf meinerseits, ob wir nicht erst die After Start Items gefolgt von der Liste machen wollten, wurde dankend angenommen. Wir waren wieder im Loop und beide fur den TO richtig "in sequence." Es folgte der TO und CM1war PF.

TO und CRZ waren beide unspektakulär. Wir näherten uns CGN und begannen den Descend. Meine Gedanken zu dem Zeitpunkt: "Ok, Auffanghöhe 5000 ft, alles safe, gebriefed haben wir auch, Wx Radar läuft, nachher aufpassen mit 3000 ft und der MSA, vergiss nachher den below MSA callout nicht."

Wir waren mittlerweile über WYP hinweg geflogen und hatten die Clearance auf 3000' zu sinken. In 3000' angekommen und beim Turn auf das Baseleg ging mir nochmals durch den Kopf: "OK, Lichter sind an, RAD Nav gesetzt, Approach Phase active, aufpassen mit der MSA ausserhalb von 15 NM." Beim Turn auf das Base sagte CM1: "Riechst du auch etwas?" - "Oh ja, das riecht echt heftig. Das riecht richtig elektrisch und süßlich" - "Ja finde ich auch, das ist definitiv elektrisch. Wir beobachten das!"

Mittlerweile waren wir auf dem Baseheading und für mich war der Geruch verschwunden - ich nahm ihn nicht mehr wahr. CM1 bestätigte mir quasi dies indem er sagte: "Ja, jetzt ist der Geruch deutlich schwächer geworden." Ich stimmte mit einem "Jou" zu und nahm ihn dann auch nicht mehr wahr. Dies war der letzte Zeitpunkt wo alles normal ablief. Wie oft hat man im Airbus kurzzeitig etwas elektrisches gerochen, das kurze Zeit darauf verschwand? Aber jetzt sollten sich die Ereignisse überschlagen und die Eigendynamik dieser Situation war so heftig wie ich sie weder in der Ausbildung in Bremen kennengelernt habe, wenn ein Instructor einen etwas in die Ecke drängen wollte, noch später auf der Linie in irgendwelchen LOFT Szenarien. Die Dynamik die sich in unserem Smoke and Fire Refresher entwickelt, scheint mir dagegen echt Peanuts zu sein.

"GWI 753, turn left Heading 170, cleared ILS 14L" - "GWI 753, left turn heading 170, cleared ILS 14L"

Zügig war das HDG eingedreht und der APP Mode gearmed.

Während der Flieger anfing zu drehen kehrte der Geruch wieder. Ich sagte: "Der Geruch ist wieder da" - "Ja, ich nehme ihn auch wahr." Gleichzeitig wurde mir speiübel, als ob mir jemand einfach in den Bauch geboxt hätte. Zeitgleich fühlten sich meine Arme und Beine taub an und ich fühlte mich im Kopf so, als ob ich tierisch einen gesoffen hätte. Ich rief: "Mir ist schlecht, ich zieh die Maske auf!" - Ohja, ich merk's auch, ich zieh sie auch auf!".

Ich holte die Maske raus und dachte noch an den Refresher, den ich eine Woche zuvor hatte: "Headset in den Nacken, Maske drüber, Headset." Dennoch schaffte ich es erst beim zweiten Versuch. Der Flieger war just in diesem Moment beim weiterdrehen und es folgte der LOC. Parallel spielten sich folgende Dinge bei mir im Kopf ab:

"Establish communication"

"Schutzfolie von der Maske abziehen"

"Wie geht es CM1?"

"FUCK! Was passiert hier eigentlich?"

Die Communication war schnell established, wir bestätigten uns kurz den gegenseitigen Zustand. "Mir geht's wieder etwas besser", sagte CM1. Ich antwortete mit "Mir geht's nach wie vor schlecht." Dieser Zustand sollte auch so bleiben und sich später sogar noch verschlimmern. Mittlerweile waren wir LOC established auf einem 12 NM Final, Speed 220 selected.

CM1: "Sag ihm, dass wir zum TWR Lotsen wechseln und ruf MAYDAY!"

CM2: "Langen, GWI 753, we switch over to TWR"

ATC: "OK, GWI contact 12497"

CM2: "CGN TWR GWI 753, Mayday, Mayday, Mayday, we got strong smell in the cockpit. Standby!"

ATC: "GWI 753, copied, confirm you have fire in the cockpit?"

CM2: "Negative, we have strong smell in the cockpit, standby."

Der Langenlotse erkannte bereits an der Stimme die Dringlichkeit des Wechsels zum TWR und zeigte sich sofort kooperativ. Die Stimme des TWR Lotsen nahm ich im ersten Augenblick als etwas erstaunt war und bei späteren Funksprüchen deutlich erhitzter.

Nachdem ich den Funkspruch abgesetzt hatte, sagte ich zu CM1, dass alles getan wurde. "OK, ich hab Bescheid gegeben." - "OK, danke, während du gefunkt hast, habe ich die Flaps auf I gefahren.

"Mitbekommen hatte ich davon nichts, ich hatte nur zu Beginn der Funkspruchserie wahrgenommen, dass CM1 den Flieger den AP disconnected hatte und von Hand flog, das mir deutlich angenehmer war als mit AP zu fliegen.

Der G/S wanderte während ich am Funken war rein und CM1 hatte die Flaps auf I gesetzt. Wir waren deutlich zu schnell, daher kommandierte CM1: "Gear down!" - "Gear down!" - "Flaps 2 - Flaps 2". Die Speedbreak war deutlich gezogen. Meine Gedanken in dem Augenblick:

"Hä? Warum stehen die Klappen auf 1? Warum ist das Gear jetzt schon down? Flaps 2 jetzt? Ey, wo sind wir jetzt eigentlich? Egal, wir sind auf LOC und GS, wir folgen den Nadeln, da unten ist die Bahn. Hm, Flaps 2, jetzt kommt das Gear! Aber das ist ja schon down? HÄ??" Ich konnte die Informationen gar nicht wirklich verarbeiten.

Gleichzeitig nahm ich den Funkruf von TWR Lotens wahr: "Easyjet ..., GO AROUND, Go AROUND!"

Ich weiß nicht mehr, ob überhaupt ein Readback von der Easyjet kam. Ich könnte auch nicht beschwören, dass es wirklich eine Easyjet gewesen war ...

"GWI 753, Rundway 14L cleared to land" - GWI 753, 14 L, cleared to land!"

"Flaps 3 - Flaps 3"

"Flaps full - Flaps full"

CM2: "Das 1000ft Gate, schaffen wir das?

CM1: "Emergency autority, 1000ft Gate egal. Go around is no option"

Wir waren irgendwo in 1800 ft, glaube ich, und dann fing diese ewige Leere an. Der Moment wo man vielleicht noch die LDG Checklist liest und sich 2 Minuten bis zum Touchdown konzentriert. Normalerweise schaut man in dem Augenblick routiniert auf die Instrumente und der Scan läuft automatisch.

Diese 2 Minuten kamen mir vor wie eine Ewigkeit.

"Scheisse, ey, hoffentlich schaffen wir das, ich kann nicht mehr, ich weiß nicht, wo wir sind, oh Gott lass uns bitte heil landen, bitte lass uns das überleben. Verdammt, was kann ich noch machen?"

Mir fiel dank der habit patterns auf, dass VIs und Vapp stimmten. Mir fiel noch auf, dass wir die LDG Checklist nicht gelesen hatten.

"LDG Checklist? - LDG Checklist! - LDG: All green, flaps full - All green, flaps full."

Wir waren jetzt in 1200 ft, immer noch eine halbe Ewigkeit bis zum Touchdown.

"O gott, ich fühl mich so mies, was ist mit meinen Armen und meinen Beinen los? Ich spüre nichts mehr. Was muss ich als nächstes tun? Check REV green, Spoiler's deccel high! Oh man, das muss ein Traum sein, bitte CM1 lande den Vogel, ich kann nicht fliegen."

Ich spürte wie ich nicht mehr in der Lage gewesen wäre zu fliegen. Ich spürte wie anstrengend der Scan der Instrumente war, wie schwer es war nachzudenken, wie schwer es war sich überhaupt zu konzentrieren. Aber vor allem spürte ich die Angst, dass wir es nicht schaffen könnten und der gleichzeitige Wille den "scheiss"Flieger auf die Bahn zu kriegen. Target Fixation?

Den 100 above call habe ich gar nicht mitbekommen. Aber den "Minimum" call hatte ich gehört. Ich fragte: "continue?" Es kam keine Antwort. "CONTLNUE?" Immer noch keine Antwort. "Scheisse, was ist mit CM1?"  Ein Blick zu CM 1 und ich sah, dass er noch da war und flog. Auch die Korrekturen auf dem PFD waren entsprechend des FDs. Kurze Zeit später hörte ich ein "CONTINUE!!! !". Erleichterung machte sich breit, CM 1 war da!

Wir waren in 100ft, die Bahn deutlich vor uns. "Oh ja, da ist sie, hoffentlich kriegen wir das hin, gleich ist es geschafft! Krass, diese ganzen Feuerwehrfahrzeuge überall!"

Es folgte der Touchdown, das Gear setzte deutlich auf, die Speed lag ca. 5 kts über Vapp, die REV wurden grün, die Spoiler kamen raus und das deccel light ging bei autobreak med an. Erleichterungmachte sich breit. "Verdammt, konzentrier dich, es ist noch nicht überstanden!"

Der Flieger begann auf der Piste zu rutschen, das merkten wir beide deutlich.

CM 1: ,,Wir kriegen A3 nicht!"

Aus irgend einem Grund war ich der Meinung, dass wir es schaffen. Ich sah die Feuerwehr wie sie via TWY A die Piste 24 kreuzte. Ich sagte zum TWR: "We take A3!"

CM1 bremste meines Erachtens bei 40 kts mit den Füßen, wir rutschten, aber wir schafften A3 noch. Wir rollten von der Bahn ab, vergaßen die after landing items und waren mittlerweile auf TWY A. CM1 sagte: "Ich übergebe dir den Flieger, du rollst, ich rede mit der Feuerwehr, Frequenz war, 123,1. You have control!" - "I have control!"

Gott, fühlte ich mich schlecht in dem Augenblick, mir ging es nach wie vor wie anfangs beschrieben: die Extremitäten taub, die Sinne getrübt und jetzt auch noch rollen. Ich fühlte mich überfordert, aber war der Meinung es hinzubekommen. Ich hatte insgesamt 2x bisher gerollt: Einmal im Linetraining und später ließ mich einmal CM 1 ebenfalls ein gerades Stück rollen.

Kurz darauf rief ATC: "GWI 753, continue A, C7" CM2: "GWI 753 A, C7".

Ich konzentrierte mich voll auf das Rollen und bekam nicht mit wie CM1 mit der Feuerwehr redete. Mittlerweile dachte ich gar nichts mehr, ich war mit dem Rollen voll konzentriert.

"GWI 753, ich hätte euch gerne auf einer Außenposition, ich darfeuch so nicht ans Gate lassen, also taxi A, B, A9" - CM2: GWI 753, ABA9"

Mittlerweile bogen wir auf den TWY B links ab. CM1 meldete sich wieder und sagte "OK, A09, habe ich mit der Feuerwehr ebenfalls besprochen. Ich bestätigte, dass dies auch die Anweisung des Lotsen war. Auf TWY B sagte CM1: "I have control - you have control!"

Wir rollten hinter dem Follow me und sagten, dass wir die Maske erst absetzen, wenn wir an der Position die Fenster aufbekommen hätten.

Wir rollten, kamen auf A09. Kurz vor dem Anhalten, sagte ich, dass wir die after landings nicht gemacht hätten. ,,Jou, after landing items" Gesagt, getan ... Und nun Triebwerke aus, Beacon aus. Ich weiss nicht mehr wie wir die Parking Liste gelesen hatten, ich weiß nur, dass ich dies auswendig getan hatte mit Blick auf Fuel Flow, ND und Triple indicator und dies auch laut ausrief.

Nun wollte ich das Fenster aufmachen. Ich brauchte 3 Anläufe. Beim zweiten Versuch dachte ich mir: "Scheisse, was geht das kack Fenster nicht auf!" Ich lehnte mich in den Sitz und dachte mir: "Langsam, nochmal konzentriert. Hebel drücken, an sich heranziehen." Nahm einen tiefen Zug aus der Maske und beim dritten Anlauf klappte es. Ich hajm die Maske ab und merkte sofort wieder den beißenden Geruch und setzte die Maske wieder auf. Daraufhin lehnt ich mich aus dem Fenster und zog die Maske ab. Ich sah 2 Leute mit einer Weste draußen, die mir zuwinkten und mir etwas zuriefen, allerdings verstand ich nichts. Ich konnte auch nicht erkennen, wer es war. das einzige, das ich mitbekam war, dass CM1 eine Ansage an die Gäste machte.

Nach genügend Frischluft wollte ich wieder zurück ins Cockpit, saß in meinem Sitz, merkte, dass PU noch reinkam, wann die Seatbelts ausgeschaltet wurden, weiß ich nicht mehr.

Auf einmal war ein feuerwehrmann da, ich stand auf, er griff mir unter den Arm. Ich weiß nocg wie ich sagte: "Ja geht schon!" Ich merkte allerdings, wie wackelig meine beine waren und wie schwach ich mich fühlte. Er führte mich über die Treppen zum Krankenwagen. Er führte mich vorbei an den Passagieren und ich sah, mit welchem Entsetzen die Passagiere, insbesondere eine Frau in der zweiten Reihe, mich anstarrten und mir ging durch den Kopf: "Oh, man die armen Gäste, was müssen die jetzt von uns denken..."

Im Krankenwagen wurde ich mit Sauerstoff behandelt, mein O2 Sättigungsgehalt lag bei knapp unter 80%. Der normale Wert eines Menschen ohne chronische Erkrankung, wie ich dann späüter mitbekam, liegt bei 94-98%.

Mir ging es weiterhin schlecht. Der Sättigungsgehalt stabilisierte sich nach knapp 15 Minuten. Eine gefühlte Ewigkeit später - tatsächlich waren das ca. 20 Minuten - kam CM1 rein und ich merkte, wie er noch im "Funktioniermodus" war und schlagartig abschaltete. Sein Sauerstoffgehalt war deutlich geriner und lag bei 70%. Ich kann mich noch erinnern, dass der Sanitäter sagte: "Da fehlte nicht viel bis zur Ohnmacht!"

Wir wurden ins Krankenhaus gefahren und versorgt und nach 2 Stunden entlassen. Am nächsten Tag, als es hieß es solle die Enteisungsflüssigkeit ggf. gewesen sein, ging ich in Rücksprache mit dem Giftinstitut nochmal ins Krankenhaus und ließ mich vollständig mit besonderem Augenmerk auf Glycol untersuchen. Organe waren OK, Blutwerte nicht. Man wusste nicht, ob das vom Sport her kam oder von einer Intoxikation oder eine Mischung aus beiden. Bis heute ist mir dies nicht bekannt, ich stehe weiter unter medizinischer Beobachtung werde weiterhin von CISM betreut.

Nicht auszumalen, wenn wir bewusstlos geworden wären! Der Flieger wäre dem LOC und GS gefolgt und mit 8 Tonnen Restsprit - wegen Schnee - und 144 Gästen + 5 Besatzungsmitgliedern auf der Schwelle in Köln aufgeschlagen. Die Katastrophe möchte ich mir bis heute nicht ausmalen.

Ich bin mir sicher, dass der Griff zu Maske mir deswegen so leicht fiel, weil das Hierarchiegefälle nur einen leichten Gradienten von links nach rechts aufwies und die Atmosphäre im Cockpit sehr gut und professionell war. Ich selber definiere fur mich eine gute Cockpitatmosphäre so, wenn ich spüre, dass Fehler vollkommen OK sind. Ferner ist es für mich sehr schön gewesen, dass CM1 an dem Tage xplizit beim Cockpitbriefing gewartet hatte bis ich alles eingepackt hatte und mit mir gemeinsam zum Kabinenbriefing ging. So fiel es mir auch leichter Vertrauen in meinen Kapitän zu haben. Ich bin mir sicher, dass diese gute Atmosphäre und das Vertrauen in den Kapitän dazu beigetragen haben, dass wir so gut da durchgekommen sind. An diesem Tag waren wir definitiv ein Team! Als Gruppe, denke ich, hätten wir diesen Tag nicht gemeistert ...

Ich kann mir vorstellen, dass vielleicht die Meinung bei einigen vorherrschen könnte, dass man als FO in der Pflicht sei zu handeln, wenn uns etwas Gravierendes auffallt. Jedoch ist das leichter gesagt als getan! Ich möchte die Gelegenheit nutzen und darauf hinweisen, dass das Hierarchiegefälle und Atmosphäre für uns FOs eine deutliche Hemmschwelle sein können die Initiative zu ergreifen. Dies habe ich in einigen anderen Situationen bisher erfahren können.

Ich möchte mich bei meinem CPT ferner bedanken, dass er nach dem Vorfall weiterhin den Kontakt zu mir gehalten hat und noch tut. Ich habe stets das Gefühl gehabt, auch einige Tage nach diesem Vorfall, dass wir eine Crew sind. Dies ist für mich dienstjungen FO sehr wichtig!

Bis zu diesem Vorfall war ich immer der Meinung, dass wenn ich nur genug aufpasse, die Situational Awareness aufrecht halte, alles gut gehen wird. Aber dieser Vorfall zeigt, dass wir wie es im OM-A geschrieben steht, stets wissen müssen was wir tun und jederzeit uneingeschränkt in der Lage sein müssen den Flieger in die Hand zu nehmen und, wenn nötig, in der Lage sein müssen ad hocEntscheidungen treffen zu können. Dafür müssen wir ausgeruht sein und einen freien Kopf haben. Auf meine junge FO Karriere rückblickend weiß ich nicht, ob ich wirklich immer ausgeruht war ..."

*****

Bei der zuständigen Behörde BFU, der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig, wird dieser Vorgang nicht wirklich ernst genommen. Sie leitet keinerlei Untersuchung ein, ob dies - mögicherweise - eine "schwere Störung" gewesen sein könnte. Der Vorfall taucht daher - zunächst - auch nicht in der Statistik auf.

Erst ein Jahr später kommt dieses Fume Event zur Sprache: im Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages, als einer der geladenen Experten diesen Vorgang vor einigen Abgeordneten anspricht. Und erst jetzt, wo dieser "incident" zumindest in einigen Kreisen der Politik bekannt geworden ist, leitet die BFU eine Untersuchung ein. Nachträglich.

Diesen Vorfall haben wir in anderem Zusammenhang ausführlicher dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Germanwings. Dort ist auch zu lesen, wie sich die BFU danach verhalten hat. Und welche Auskünfte sie uns dazu gegeben hat.

Der Captain konnte bereits nach vier Tagen wieder fliegen. Der Copilot war über ein halbes Jahr lang "not fit to fly". Beide hatten Glück, dass sie ihren Job nicht aufgeben mussten.


Die Lufthansa hat übrigens diesen Vorfall später in ihrem Lufthansa-Spotlight #2: Kabinenluft auf S. 3 so rapportiert:

"Eine Zeitung behauptete Ende September 2012, der Airbus A319 sei „offenbar knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt“. Nur „unter Aufbietung letzter Reserven“, kolportierte das Blatt, sei die Landung überhaupt geglückt. Beim Copiloten habe die Sauerstoffsättigung des Bluts nur 80 Prozent, beim Komman-danten gar nur 70 Prozent betragen. Stimmte der Wert, hätte der Pilot kaum noch die Fluggäste verabschieden, die Kabinencrew debriefen und eine handschriftliche Meldung an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) absetzen können. Laut Einsatzprotokoll lag indes mit 99 Prozent der Normalwert vor.

Ein „stark verbrannter, etwas süßlicher Geruch“ führte zu „Kribbeln in Händen und Füßen“, wie der 36-jährige Kommandant später Journalisten berichtete. Wie im Simulator geübt, nach dem reflexartigen Aufsetzen der Sauerstoffmaske „war ich wieder Herr meiner Sinne!“ Bei der anschließenden Untersuchung im Krankenhaus war nichts feststellbar. Nach wenigen Tagen ging der Flugkapitän wieder auf Strecke; auch die A319 zeigte sich wieder am Himmel über Europa."

Anmerkung dazu:

Der Captain schreibt in seinem Flight Report Cockpit, dass seine Sauerstoffkonzentration "sehr schlecht und deutlich unter 80% war." Jene des Co-Piloten hatte den Wert "knapp unter 80"%. So steht es schwarz auf weiß in den Reports.


Den anderen Piloten, deren Reports wir im Anschluss dokumentieren, erging es nicht so gut: Sie sind alle lebenslang fluguntüchtig und arbeitsunfähig, leben jetzt in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Und kämpfen um ihr Recht - bisher vergebens (Reports Nr. 2 bis 4):



Flight Report Cockpit Nr. 2: 20. Oktober 2011 / London Gatwick > Nürnberg

TUIfly, Boeing 737

Der betroffene Pilot (Captain, der vormals vier Jahre lang als Mechaniker bei der Lufthansa gearbeitet hatte und sich mit der Technik eines Flugzeuges auskennt), war in zwei gemeldete bzw. insgesamt drei Fume Events geraten, alle in derselben Maschine. Der erste Vorfall ereignete sich 2 Tage vor dem ersten, den er als Unfallanzeige gemeldet hatte, nämlich am 18. Oktober. Da hatte der Pilot das noch nicht ernst genommen. Dass es so war, ergibt sich aus dem Cockpit Voice Recorder.

Erst als es zwei Tage später wieder passierte, erstattete der Captain eine Meldung. Am 31. Oktober dann der dritte Vorfall. Und erst jetzt nahmen die Techniker die Maschine genauer unter die Lupe. Und fanden Ölablagerungen in der APU. Die waren vermutlich auch schon zwölf Tage vorher vorhanden.

Wir dokumentieren hier den ersten gemeldeten Vorfall vom 20. Oktober 2011:

"Auf dem ersten Flug NUE-LGW wurden keine Gerüche festgestellt.

Während der Bodenzeit in LGW gab es einen toxischen/ätzenden Geruch in der gesamten Kabine [APU bleed on, Packs auto, Recirc fan OFF];

Es gab zwei kleine Spitzen innerhalb von wenigen Minuten, in denen der Geruch sehr intensiv war.

Der Kapitän und die Kabinencrew saßen in den Sitzreihen 3-6. Ich [capt] ging ins cockpit, um zu checken, ob die APU ggf. Abgase einer externen  Bodenstromunit eingesaugt hatte, aber da war keine (ein Bodenkabel war angeschlossen). Ich checkte auch, dass da kein anderes Flugzeug in unserer unmittelbaren Nähe war, das gerade die Triebwerke startete, was auch nicht der Fall war. Nach Rücksprache mit der Kabinencrew entschlossen wir uns trotz der Gerüche in der Kabine dazu, die APU (und ihre Zapfluft für die Klimaanlage) eingeschaltet zu lassen. Wir bevorzugten, lieber nicht zu frieren (Außentemperatur 2°C) und akzeptierten den Geruch, anstatt 67 Minuten zu frieren und bessere Luft zu haben.

Während dem Rollen zur Startbahn gab es einen Geruch in Reihe 11-16; es verbesserte sich mit den packs in HIGH und einer erhöhten Triebwerksdrehzahl N1 von 29% for ca 3min in Bahnnähe stehend.

Durch die offensichtliche Verbesserung und nach Rücksprache mit der gesamten Crew, entschlossen wir uns für einen Start unter der Bedingung, dass die Kabinencrew die Qualität der Kabinenluft checkt, wenn wir 5000 ft Höhe erreicht haben (die von London Gatwick aus sehr lange beibehalten werden muss auf der Abflugroute). Wir vermuteten, dass dies unseren Verdacht bestätigen könnte, dass die APU der Grund für den Geruch sein würde.

Zunächst verbesserte sich die Luftqualität, danach wurde es wieder schlechter. Der Geruch war am schlimmsten in den Reihen 11-16. Es war besonders intensiv in der Reihe 14D.

Die Kabinencrew meldete, dass einige wenige Passagiere Luft sehr bewusst eingeatmet hatten, offensichtlich mit dem Ziel, Gerüche zu identifizieren, aber niemand wandte sich damit an die Kabinencrew.

Während des Reisefluges ging der Kapitän durch die Kabine zur hinteren galley, um die Intensität des Geruches zu checken. Es war nicht "extrem", aber es war definitiv vorhanden. Es gab keine Hinweise, dass die Luft Rauch enthalten würde; Es schien von der Luft der Klimaanlage zu stammen.

Auch in der hinteren galley wurden Gerüche festgestellt. Speziell in Toilette 3L war es extrem warzunehmen, als zufällig ein Passagier herauskam. Zunächst dachten wir, es könnte ggf. ein Parfüm sein - aber wir checkten die Toilette und waren sicher, dass es sich dabei um den Geruch handelte, den wir gerade überprüften.

Auf dem Weg zurück zum Cockpit, bekam ich [capt] weiche Knie, offensichtlich als Ergebnis meiner Exposition zu dem giftigen Geruch.

Zurück im Cockpit führten der Copilot und ich ein FORDEC durch, ob wir nach Frankfurt ausweichen oder in Nürnberg landen sollten. Wir entschieden uns, in Nürnberg zu landen, aufgrund von sehr hohem Verkehrsaufkommen in Frankfurt, auch da wir bereits 18 min enfernt waren vom Beginn des Sinkfluges nach Nürnberg. Wir flogen mit hoher Geschwindigkeit, mit möglichst vielen Abkürzungen und einem kurzen Instrumentenanflug 28 in Nürnberg.

Der Kapitän musste wiederholt die Sauerstoffmaske (quick donning mask) mit 100% Sauerstoff benutzen, um zu versuchen, seinen Kopf klarzubekommen, nachdem er den Dämpfen ausgesetzt worden war. Der Geruch war zu keinem Zeitpunkt im cockpit festzustellen ausser sehr kurz während des Rollvorgangs (in London).

Der Copilot war während des gesamten Fluges im Cockpot geblieben, auch währed der Bodenzeit in London, und spürte nicht das Unwohlsein, über das der Rest der Crew klagte.

Während des FORDEC kamen wir auch zu dem Schluss, dass der Copilot im Cockpit bleiben sollte bis Nürnberg, um die Flugsicherheit zu gewähren. Nach der Rückkehr des Kapitäns ins Cockpit beschloß die Cockpit Crew auch, dass der Copilot der PF (Pilot flying) sein sollte bis zur Landung, um eine sichere Durchführung zu gewährleisten. (der Kapitän war laut Planung eigentlich der zurückfliegende Pilot nach Nürnberg).

Während des Fluges schalteten wir den Rezirkulations Fan aus (der seit nach dem Triebwerksstart eingeschaltet war).

Nachdem die Kabinencrew einen Geruch eines Gemisches von Öl und elektrischem Geruch beschrieb, schalteten wir den galley power/IFE Schalter aus. (auf der DAHIA hängen beide am galley power Schalter).

Als wir in Nürnberg zur Park Position rollten, entschieden wir uns dazu, keine Ansage zu machen, um nicht unnötigerweise Passagiere zu verärgern, da keiner der Passagiere den Geruch oder Beschwerden erwähnt hatte.

Nach dem Aussteigen der Passagiere kam ein Techniker an Bord und stellte sofort (!) einen Öl und elektrischen Geruch in der gesamten Kabine fest (seiner Meinung nach eine Tendenz zu elektrischem Geruch)."

*****

Zu der technischen Seite des FRC hat der Captain eine Ergänzung geschrieben, die seine körperlichen Symptome beschreibt. Man muss wissen, dass Menschen unterschiedlich auf toxische Expositionen reagieren (können) - je nachdem, wie schnell sie fremde Giftstoffe "metabolisieren", sprich abbauen können, insbesondere in mittel- und langfristiger Hinsicht. Akut gesehen sind die Reaktionen oft nahezu gleich.

Und so war es dem Captain ergangen:

"Wie bereits im FRC erwähnt, hatte ich nach der Rückkehr von der AFT Galley das Gefühl weicher Knie, was ich als sehr komisch empfand.

(“On the way back to the flight deck, I (capt) became weak in the knees obviously as a result of my exposure to the toxic smell.”)

Im Sinkflug entschloß ich mich, die quick donning mask zu benutzen, da ich mich plötzlich müde und unkonzentriert fühlte, fast ein bisschen benebelt, so als ob ich Alkohol getrunken hätte oder unter extremem Schlafmangel leiden würde. Dies im starken Unterschied zum Hinflug, wo ich sehr ausgeschlafen und fit war, auf meine Frage hin hat Herr K... dies bestätigt.

(„At several points during the flight the captain used his quick-donning mask to try to clear his head with 100% oxygen after his exposure to the fumes. The odor was never detected in the cockpit except very briefly during taxi.”)

Etwa auf der Hälfte des Sinkfluges (auf voice recorder) bemerkte ich, dass meine linke Hand und der gesamte Unterarm bis zum Ellbogen komplett gelb und eiskalt wurden. Dies habe ich sofort FO K... gezeigt, er hat die Hand angefühlt.

Am Boden, nach der Landung hatte ich große Mühe, mich auf den Eintrag des TEClogs zu konzentrieren, deshalb habe ich FO K.... gebeten, ihn mit zu überprüfen.

Im weiteren Verlauf (Taxi Fahrt zur Blutabnahme, Aufenthalt beim Arzt) war ich sehr froh über die Hilfe von Stationskapitän Herrn W..., da ich mich schlecht konzentrieren konnte und sehr müde und niedergeschlagen war.

An den folgenden 7 Tagen hatte ich extreme Kopfschmerzen, die dann innerhalb von 2 Tagen verschwanden.

Weiterhin gelbe Hände und Füße (CDC Frau B..... hatte mich am 31.10.11 nach dem Flug darauf angesprochen, dass ihr die gelblichen Hände bereits beim checkin aufgefallen wären, mir war dies in der Zeit vom 20.11. bis dahin nur unterbewußt aufgefallen.) Dies habe ich heute, am 06.11.11 immer noch.

Etwa 6 Tage lang war ich extrem müde, fühlte mich auch nach 9 Stunden Schlaf in keiner Weise ausgeschlafen, was dann allmählich besser wurde. In dieser Zeit fühlte ich mich ähnlich kaputt wie bei einer Grippe, obgleich ich keinen grippalen Infekt o.ä. hatte.

Beim Treppensteigen (2.Stock) war ich ca. 9 Tage lang schnell außer Atem, obwohl ich sonst problemlos 45min joggen gehe."

*****

Und es gab später noch eine weitere Ergänzung:

"Ich saß nach der Landung völlig desolat im cockpit. Ich musste dann noch den Tech Log Eintrag machen, mit der Lufthansa Technik die Situation bespechen. Hierzu war ich alleine nicht mehr in der Lage. Die Crew wartete schon einige Minuten im Crew Bus, da ich vorgeschlagen hatte, dass sich alle einem Bluttest unterziehen. Ich musste den FO wieder aus dem Bus holen, um mir zu helfen, das Tech Log auszufüllen. Ich fühlte mich wie völlig betrunken. Dies blieb einige Tage so, ich hatte eine Woche lang hämmernde Kopfschmerzen und wusste nicht, warum.

Der über die Türe 1L in die Kabine gekommene Techniker stellte sofort den intensiven Geruch fest, eine Mischung aus elektrischem Schmorgeruch und Öl.

Nach 10 Tagen krank, bei meinem nächsten Flug am 31.10.11 NUE-LGW-NUE mit dem selben Flieger DAHIA, benutzte ich während der Bodenzeit in London die APU bleed nicht, um trouble shooting zu machen, die Ursache zu finden. (Allerdings wurde die APU bleed in all den Tagen vom 20.10. bis 01.11., auch zum Aufheizen des Fliegers am 31.10. vor unserem Flug verwendet).

Nach dem Flug zurück in Nürnberg, schlug ich vor, die APU bleed stillzulegen, dies fand nach meinem Flug am 31.10. nach einem Telefonat mit der Technik Hannover statt.

Auch wurde der Flieger nach meinem erneutem Tech Log Eintrag wegen fume event anschließend in Hannover intensiv untersucht, man fand sowohl in der vorderen Toilette 1L einen verschmorten water heater, als auch Öl-Ablagerungen im load compressor der APU.

Dies erklärt die Geruchsmischung im vorderen Teil der Kabine, die Sitzposition der CDC ist in der vorderen Galley, die beiden CA sitzen in der hinteren Galley. Nur die CDC berichtete am Anfang von dem Gemisch des Geruches mit Öl und elektrischer Schmorgeruch. Auch der am 20.10.11 über die vordere Türe 1L in das Flugzeug gekommene Techniker bestätigte diese Geruchsmischung im Eingangsbereich."

*****

 

Und so ging es weiter:

Der Copilot konnte sich Wochen darauf nicht mehr konzentrieren, machte beim Fliegen ständig Anfängerfehler, wurde daraufhin angesprochen bzw. von seinen Kollegen 'angezählt' und meldete sich schließlich krank. Dann flog er wieder. Aber nur kurze Zeit. Nach 1 1/2 Jahren musste er das Fliegen aufgeben - wegen Reizdarm und Magenproblemen; das Gift hatte sich bis dorthin durchgefressen.

Auch die drei Stewardessen waren daraufhin krank. Eine mehrere Tage, die zweite (Chefstewardess) eine ganze Woche und die dritte mehrere Wochen lang; sie hatte Monate zuvor bereits ein Fume Event erlebt und war immer wieder tagelang krank geschrieben. Nach dem Oktober-Fume Event konnte sie sich praktisch ohne Hilfe nicht mehr aufrecht auf den Beinen halten. Sie musste ihren Job als Flugbegleiterin aufgeben.

Über die Passagiere ist nichts bekannt. Sie würden, wenn sie Symptome bekommen hätten, die vermutlich überhaupt nicht mit diesem Flug in Verbindung bringen - sie wissen nichts über Fume Events und möglichen Langzeitschäden.

Der Captain selbst war ersteinmal 10 Tage krank. Als er am 11. Tag danach, am 31. Oktober 2011, erneut das Steuer im Cockpit übernimmt, kam es auf derselben Maschine, die regelmäßig zwischen Nürnberg und London pendelt, erneut zu einem Fume Event.

Diesesmal wurde die Boeing 737 eingehend untersucht. Die Techniker fanden Ölablagerungen im Load Compressor der APU. Diesesmal stufte die BFU den Vorfall als "schwere Störung" ein.

Der Captain, 48 Jahre alt und seit 20 Jahren in der Luft, ist körperlich am Ende. Ohne 8 sogenannte Apheresen (Blutwäschen) und 3+4 Wochen Intensiv-Infusions-Therapie in einer Spezialklinik für Vergiftungen hätte er nicht überlebt. Aufgrund seiner anhaltenden neurologischen Schäden (Polyneuropathie) und permanenten Konzentrationsschwierigkeiten ist er für den Rest seines Lebens fluguntauglich. Mit anderen Worten: arbeitsunfähig.

Die Berufsgenossenschaft Verkehr (BG V) hat bisher nur das erste Fume Event als "Arbeitsunfall" anerkannt. Für die BFU war das keinerlei Erwähnung oder gar Untersuchung wert. Beim zweiten Vorfall war es genau umgekehrt: die BFU stufte dieses Fume Event als "schwere Störung" ein, für die Berufsgenossenschaft Verkehr war es kein "Arbeitsunfall".

Und die BG V hat bisher auch nur die Kopfschmerzen als gesundheitliche Folge anerkannt (die des ersten "Arbeitsunfalls"), nicht die eigentlichen Symptome. Dagegen und um die Anerkennung seiner Gesundheitsschäden als beruflich verursachte Krankheit muss der ehemalige Captain bis heute vor Gericht klagen. Im Jahr 2020 ist es das neunte Jahr der Auseinandersetzung.

Und das sind die Folgen der beiden Fume Events:

  • 20. Oktober: 3 von insgesamt 5 Besatzungsmitgliedern (Captain, Co-Pilot, Stewardess) sind endgültig fluguntüchtig
  • 31. Oktober: 2 von insgesamt 5 des Bordpersonals ebenfalls; der Captain, der auch am 20. Oktober dabei war, ist schwerkrank, der Co-Pilot dieser Maschine verstarb nach 7 Jahren an einem Gehirntumor.

Die Meinung der Berufsgenossenschaft dazu: In beiden Fällen haben die gesundheitlichen Folgen der Betroffenen nichts mit den Fume Events zu tun.



Flight Report Cockpit Nr. 3: 3. September 2015 / London Heathrow > Leipzig

Frachtflug mit einem Airbus A 300-600

Dem Piloten (Captain), den wir mit seinem Einverständnis mit MK abkürzen, war das potenzielle Problem der kontaminierten Kabinenluft bzw. aufretetenden Fume Events grundsätzlich. Aber wie es so ist: Er selbst konnte es sich nicht vorstellen, dass es eines Tages ihn erwischen könnte.

Gleiches galt für seinen Copiloten, R..... Er war auf so etwas überhaupt nicht eingestellt, hatte davon, obwohl schon länger fliegend, nie wirklich gehört. Nicht alle Piloten wissen davon. In ihrer Ausbildung ist davon nicht die Rede. MK wusste davon, weil er vor seiner Zeit als Pilot als Flugzeugmechaniker gearbeitet hatte und deswegen das Problem der "Zapfluft" kannte, die direkt aus den heiß laufenden Triebwerken "abgezapft" und dann über einen Vorkühler von da aus über die verschiedenen Verteiler der Klimaanlage in der Kabine verteilt wird.

Zum Glück hatten beide - in letzter Sekunde sozusagen - die rettenden Sauerstoffmasken aufgezogen, die es nur für Piloten gibt. Das was ein Passagier vor dem Start von den Flugbegleitern beim Erklären der Sicherheitsbestimmungen erklärt bekommt, nämlich dass sich bei Druckabfall automatisch "Sauerstoffmasken" öffnen würden, ist blanke Täuschung. Durch diese Masken kommt dieselbe Luft wie die in der Kabine. Wirklichen "Sauerstoff" haben nur die Piloten. Selbst die Flubegleiter haben so etwas nicht. Für jeden Sauerstoffflaschen mitzunehmen, würde eine riesige Gewichtszunahme bedeuten.

Aber trotz "Sauerstoffmaske": Dass die Maschine nach dem touch-down noch rechtzeitig zum Stehen kommt, ist dem Autopiloten zu verdanken. Der Flughafen Leipzig ist auf diese Technik eingestellt.

Hier nun der Erfahrungsbericht des Captain MK:

"Wir waren in der Nacht vom 2.9. auf den 3.9.2015 auf dem Flugzeug des Kennzeichens 0-AZMO auf einem Flug von London Heathrow nach Leipzig. Zuvor flog ich mit dieser Maschine auch die beiden vorangegangenen Flüge.

Flugnummer BCS1893 von Brüssel nach London Luton und BCS758P von London Luton nach London Heathrow.

Auf dem Flug BCS 1893 am frühen Morgen stellte sich bereits nach ca. 1-2 Minuten nach dem Start ein Öldampfgeruch ein. Ich schaltete die Luftaufbereitungsanlage des linken Triebwerkes aus und war damit erfolgreich. Der Öldampfgeruch verschwand.

Wir setzen den Flug ohne weitere Geruchsentwicklung nach London Luton fort. Nach der Landung beanstandete ich die ölkontaminierte Luftaufbereitungsanlage im Bordbuch.

Der Techniker übertrug die Beanstandung in eine sogenannte “HOLD ITEM LIST“ , d.h. diese enthält zurückgestellte Beanstandungen, die entsprechend den Herstellervorgaben innerhalb von gewissen Fristen bearbeitet werden müssen.

Der nächste Flug am Abend nach London Heathrow verlief ohne geruchsmäßige Auffälligkeit.

Nun zu dem entsprechenden Flug, der Gegenstand dieser Unfallanzeige ist.

Einige Minuten nach dem Start hatten wir wieder eine Geruchsentwicklung dieses Öldampfes. Dieses passierte nun mit der einzelnen verbliebenen Luftaufbereitungsanlage des rechten Triebwerkes. Wir warteten einige Momente, jedoch nahm der Geruch an Intensität zu. Als der Geruch stärker als auf dem Flug BCS1893 am frühen Morgen war, schaltete ich die linke Seite wieder an und nun die rechte Seite aus. Wir warteten, ob sich eine Verbesserung einstellen würde und das tat es schließlich auch.

Ich möehte hier erwähnen, dass es sich bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich um Öldampfgeruch und nicht um sichtbaren Rauch oder noch Schlimmere gehandelt hat.

Wir hatten bis dahin keine physiologischen Probleme, so dass ich auch keine Umkehr bzw. Zwischenlandung erwägt habe.

Die Luftqualität verbesserte sich zunehmend und nach einigen Minuten verschwand der Geruch völlig.

Nach weiteren 5 bis 10 Minuten, ich denke es war mit Erreichen der Reiseflughöhe und dem einhergehenden Reduzieren der Schubkraft, verschlechterte sich die Qualität der Kabinenluft durch wieder einsetzenden Öldampfgeruch.

Ich schaltete nun wiederum die rechte Luftbereitungsanlage an und die linke aus.

Der Öldampfgeruch verschwand wieder und wir waren in der Annahme, dass es wohl jetzt bleibe.

Nach ca. 45 Minuten war mir ein wenig übel und ich bekam zunehmende Kopfschmerzen.

Ich stand auf auf, um die Toilette aufzusuchen. Als ich einige Schritte gegangen bin, wurde mir leicht schwindelig, aber selbst da war mir noch nicht bewusst, dass sich mein physischer Zustand zunehmend verschlechterte, sonst hätte ich vielleicht die Sauerstoffmaske schon vorher genommen.

Ich fragte R….., den Ersten Offizier, ob er einige physische Veränderung an sich bemerke.

Er meinte, es fühle sich müde aufgrund der Uhrzeit und ferner geschuldet dem Umstand, dass er schon diese Woche sechs Tage geflogen sei.

Als ich zurück im Cockpit war, hatten wir bereits die Reiseflughöhe verlassen und haben sozusagen den Anflug auf Leipzig begonnen. Ich übernahm wieder die Kontrolle als wieder dieser Öldampfgeruch aufkam. Wahrscheinlich wiederum aufgrund der Veränderung derTriebwerksleistung. Ich habe daraufhin wieder zwischen den Luftaufbereitungsanlagen hin und her geschaltet, jedoch ohne eine Verbesserung zu erzielen

ln ungefähr 23.000 Fuss startete ich das Hilfstriebwerk, um von der Luftquelle der Triebwerke auf die nun allerletzte Luftquelle der Hilfsturbine zu wechseln.

Daraufhin wechselte ich noch einmal zwischen den Luftaufbereitungsanlage hin und her.

Erfolglos in dem Versuch die Situation zu verbessern, schaltete ich komplett die Luftzufuhr ab.

Wir wurden ziemlich kurz zur Landebahn 08R über den Wegpunkt DP448 geführt und sollten auf Anweisung des Fluglotsen noch auf 220 Knoten reduzieren.

ln 14000 Fuss ließ ich die Vorflügel ausfahren. Als wir 11000 Fuss erreichten, meinte R….., dass wir aufgrund des gleichzeitigen Reduzieren der Geschwindigkeit nicht ausreichend an Höhe verlieren und wohl deshalb nicht den Anflug machen können.

Somit ließ ich das Fahrwerk ausfahren, um noch mehr Widerstand zu haben.

Als ich dies jedoch anwies, wurde mir mir bewußt, dass dies zu zeitig und deswegen unnötig war. Ich war zuvor eigentlich schon ausreichend gesunken.

Ich bemerkte, dass ich nicht mehr die ausreichende Aufmerksamkeit hatte, dem Flugzeug voraus zu sein.

ln dem Moment entschied, ich die Masken aufzusetzen. Wir beide waren überrascht, wie groß der Unterschied der Kabinenluft zum jetzigen 100 % Sauerstoff tatsächlich ist.

R……. hatte Schmerzen im Brustkorb und eine Übelkeit überkam ihn. Diesen immer stärker werdenden Öldampfgeruch hatte er noch nie zuvor erlebt.

Unser physischer Zustand verbesserte sich zwar, jedoch nicht ausreichend genug, das Flugzeug manuell zu landen. Also entschied ich eine automatische Landung zu machen.

Als das Flugzeug über der Schwelle der Landebahn war und den Abfangbogen einleitete, war ich mir sicher, dass ich das Flugzeug nicht selbst hätte landen können.

Unbewußt steuerte ich beim Ausrollen gegen den Autopilot, bis ich mich erinnerte diesen auszuschalten, um die Landebahn verlassen zu können.

Glücklicherweise bekamen wir der Standplatz 408 zugewiesen, das bedeutete nur eine kurze Rollzeit.

Als R…… die Park- und Abstellcheckliste gelesen hat, bemerkte er, dass die Schalter alle rutschig und mit einem Ölfilm überzogen waren.

Wir erzählten den ankommenden Technikern unser gerade erlebtes Problem und dass wir die Sauerstoffmasken benutzt haben, als diese meinten, dass das Flugzeug jetzt wohl zwei neue Triebwerke und eine neue Hilfsturbine benötige.

Auf meine Frage hin, ob dieses Flugzeug das schon öfters gehabt habe, bejahten sie es  und meinten, schon ein paar mal.

Danach haben wir das Flugzeug verlassen und wurden in unsere Operatsionszentrale gebracht. Wir haben dort von unserem Zwischenfall berichtet und geäußert, dass wir jetzt in ds nächste Krankenhaus gehen werden.

Daraufhin gab man uns ein Blatt Papier mit den Kontaktdaten der Berufsgenossenschaft.

Wir wurden danach direkt mit einem Taxi ins Krankenhaus gebracht.

Als wir dort ankamen, fragte ich die Krankenschwester der Notfallambulanz, ob dieses Krankenhaus entsprechend dem zuvor erlebten Aerotoxischen Zwischenfall einen Diagnos-Leitfaden hat.

Dies wurde bejaht und wir wurden vom Kopf bis zum Fuss untersucht. Ferner wurden Blutproben genommen und ein Blutbild erstellt sowie Blutgaswerte ermittelt. Mein Kollege bekam aufgrund des Druckes in der Brust noch zusätzlich ein EKG.

Am Ende fand ich heraus, dass das Blut keineswegs auf giftige Inhaltsstoffe untersucht wird.

Während die Ärztin die Befundberichte schrieb, schaute ich online nach, ob wir nicht sogar Urinproben abgeben müssten. Eigentlich ist das so.

Als ich die Ärztin darauf hinwies, meinte diese, das sei nicht in ihrem Leitfaden vorhanden.

Ich bestand trotzdem darauf Urinproben zur weiteren Auswertung mitzunehmen, was dann auch geschah.

Meine Fliegerärztin hat mir nach diesem schweren Zwischenfall aufgrund meiner vorhandenen Symptome von Schwindel, langsamer Motorik und fremden Geschmack im Mund mit vorübergehender Fluguntauglichkeit für zwei Wochen krank geschrieben.

Ferner meinte sie, ich solle bei einem Neurologen für weitere Untersuchungen vorstellig werden und die Ergebnisse der Urinproben und einer weiteren Blutprobe, die in verschiedene Institute zur Befundung geschickt worden sind, abwarten.

Zu allem oben gesagten möchte ich bemerken, dass wir froh sein können, in diesem Fall bei dem Flugzeug sowie an dem Fughafen eine aut"omatische Landung durchführen konnten, sonst hätte das ja auch ein wenig anders ausgehen können.

*****

Der BFU blieb nichts anderes übrig, diesen Vorfall als "schwere Störung" in ihre Statistik aufzunehmen (Az: BFU15-1289-5X). "Schwere Störung" allerdings "ohne Verletzte". 

MK ist jetzt aufgrund seiner Symptome, Störungen im Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsschwierigkeiten, gastroenterale Beschwerden sowie einer Leberschädigung, Gleichgewichtsproblemen, einer Lungenfibrose sowie einer Small Fiber Neuropathie auf Dauer fluguntauglich. Vorher kerngesund und 23 Jahre lang Pilot, jetzt dauerhaft krank und arbeitsunfähig. Mit allen sozialen und finanziellen Konsequenzen.

Denn bis heute hat die dafür eigentlich zuständige Berufsgenossenschaft Verkehr seinen Fall nicht anerkannt.

Wir haben seine Geschichte ausführlicher an anderer Stelle beschrieben unter www.ansTageslicht.de/niewiederpilot.



Flight Report Cockpit Nr. 4: Oktober 2014 / Düsseldorf > Punta Cana

Langstreckenflug in die Dominikanische Republik mit einem Airbus 330-220

Der Pilot ist hier als "SFO" unterwegs: Safety Flight Officer. Bei langen Flügen sind immer drei Piloten vorgeschrieben, so dass man sich beim kurzen Schlafen abwechseln kann. Wegen der vielen Checks vor und nach einem Flug sowie Absprachen mit den Flugbegleitern ist ein Pilot immer mehrere Stunde länger im Dienst als die reine Flugzeit beträgt. Mit einem "SFO" ist sichergestellt, dass immer zwei Piloten wach am Steuer sind.

Wir dokumentieren hier nur die kurze Zusammenfassung, wie sie als "Unfallanzeige" an die BG Verkehr gegangen ist. Der SFO-Pilot schildert hier sehr knapp sein zweites Fume-Event-Erlebnis. Das erste war ein Jahr zuvor und er musste danach 3 Monate lang wegen seiner nachhaltigen Beschwerden aussetzen.

Im Oktober 2014 passiert es erneut. Und ein Jahr später wird der SFO noch weitere zwei Male in ein Fume Event geraten. Dann ist es endgültig aus mit seinem Beruf.

Hier in wenigen Sätzen komprimiert, wie es ihm 2014 ergangen ist:

"Starke Geruchsbelastung (ölig, süßlich, synthetisch) im Cockpit und Kabine während und nach eines Triebwerktestlaufs auf der Parkposition in DUS, durchgeführt von einem Technikmitarbeiter während unserer Flugzeugvorereitung.

Ca. 30 Min. später beim Anlassen der Triebwerke … erneut entsprechende Geruchsentwicklung, gefolgt von Kopfschmerzen im Hinterkopf sowie ziehenden Schmerz im Nacken- und Schulterbereich während des späten Steilflugs. Reduzierung des Geruchs bis zur Wahrnehmungsgrenze innerhalb von ca. eineinhalb bis zwei Std. während des Reiseflugs, gefolgt von Ziehen im Herzbereich, Unwohlsein und vermehrter Benommenheit. Beim Aufstehen aus dem Sitz später erhebliche Steifigkeit im Hüftbereich sowie in den Knien, Schweregefühl in den Unterschenkeln, leichtes Taubheitsgefühl auf den Handrücken, in den Fingerspitzen sowie im Gesicht.

In der zweiten Nachthälfte in PUJ (gemeint: Punta Cana, Anm. d. Red.) im Hotel zunehmendes Muskelzucken an unterschiedlichen Körperstellen. Während des Rückfluges nach DUS ohne wahrnehmbare Geruchsbelastung zunehmendes Muskelzucken u.a. im linken hinteren Schulterbereich, wo es aufgrund seiner lokalen Häufung von mir zuhause videodokumentiert werden konnte. Vermehrt erhöhter diastolischer Blutdruck, Beeinträchtigung der Kreislaufregulierung,Atemlosigkeut v.a. bei Spontanbelastungen, Blasenschwäche, Schlafstörungen, Wortfindungs-, Konzentrations- und Gedäschtnisstörungen, Schwindel usw. In den Folgetagen Nachweis der schädigenden Substanzen mittels Humanbiomonitoring."

*****

Auch der Langstrecken-SFO ist nach vier Fume Events fluguntüchtig geworden: aufgrund seiner Krankheitsbilder. Sie sind sich in vielen Dingen sehr ähnlich, aber nicht immer einhundertprozentig deckungsgleich. Das ist bei fast allen Krankheiten so; jeder Mensch reagiert immer ein klein wenig anders, abhängig vor allem von seiner genetischen Veranlagung.

Und wie alle anderen drei geschilderten Fälle, in denen die betroffenen Piloten lebenslang krank geworden sind, kämpft auch dieer Pilot um eine Anerkennung als beruflich verursachte Krankheit. Wie bei allen anderen: bisher ohne Erfolg.



Anmerkung zu den Flight Reports Cockpit

Dass so wenig Informationen bekannt werden, hat System.

Zum einen sind die Meldewege nicht vorgeschrieben und schon garnicht standardisiert. Weil die Mitglieder der Crew wissen, dass ihre Arbeitgeber über derartige Meldungen alles andere als erfreut sind, wirkt dies wohl schon in den meisten Fällen als erste Bremse.

Zum anderen ist auch die dafür zuständige Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) nicht besonders 'gut drauf'. Sie zählt überhaupt nicht alles, was an Meldungen hereinkommt, wie wir aus dem ersten Flight Report wissen - da hatte sie erst reagiert und erst eine Untersuchung eingeleitet, als der Vorfall einigen Mitgliedern des Deutschen Bundestages bekannt geworden war (Details: www.ansTageslicht.de/Germanwings).

In den Fällen Flight Report Cockpit Nr. 2 und 3 wurden die Fume Events zwar als "schwere Störung" eingestuft, aber jeweils "ohne Verletzte".

Ob die vier Fume Events des Langstrecken-SFO überhaupt von der BFU zur Kenntnis genommen wurden, wissen wir nicht. Und so kommt es, dass die offiziellen Statistiken sehr wenig hergeben. Anders gesagt: Sie verfälschen das Bild völlig.

Und das ist auch im Interesse der Gesetzlichen Unfallversicherung. Denn dieses System ist fest in der Hand ihrer alleinigen Finanziers und das sind die Unternehmen. In diesem Fall die Luftverkehrswirtschaft.

Das System der GUV ist für die Unternehmen ausgesprochen kostengünstig. Bekanntermaßen müssen sich die Firmen für einen Arbeitnehmer anteilig an den Sozialkosten beteiligen, z.B. an den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Da liegen die anteiligen Arbeitgeberbeiträge schnell bei über 200 € pro Monat.

Die Beiträge zur GUV, die die Arbeitgeber alleine stemmen müssen, sind erheblich billiger. Sie sind gestaffelt nach Gefahrenklassen und liegen bei durchschnittlich bei 25 Euro monatlich über alle Branchen hinweg.

Airlines sind besonders kostengünstig dran: Sie zahlen als Versicherunsbeitrag in die Berufsgenossenschaft Verkehr: pro Monat und Mitarbeiter 1,21 €.

Mehr Informationen zu diesem System unter www.ansTageslicht.de/DGUV. Wie und woran die industriegesteuerte wissenschaftliche Forschung arbeitet und was dabei bisher herausgekommen ist (ähnlich wie dies bei Tabak und Asbest der Fall war), lässt sich nachlesen unter www.ansTageslicht.de/Kasuistik. Warum der menschliche Körper in 10 Kilometer Flughöhe anders reagiert als unten auf dem Boden, haben wir erklärt unter www.ansTageslicht.de/ueberdenwolken.

(JL)