Hans RATTENHUBER, Josef MÜLLER und Anton KARL: Wegbereiter der EIDENSCHINK-Konsorten

Das "EIDENSCHINK-Konsortium", bestehend aus den beiden Jungbankiers Georg EIDENSCHINK und Dr. Adolf FISCHER sowie dem Konsul Dr. Wilhelm SCHMIDHUBER, deren strategisches Vorgehen wir zuvor beschrieben haben, wie sie sich die bayerischen Brauereien des Ignatz NACHER unter die Nägel gerissen hatten, handelten nicht allein. Wenn man sich mit einer Großbank wie die Dresdner Bank anlegen wollte und die Machtverhältnisse unter dem neuen Zeitgeist noch nicht geklärt waren, brauchte man Einfluss, juristischen Rat und politische Rückendeckung.

Die Dresdner Bank, die die ENGELHARDT-Brauerei übernehmen wollte, war mit der NSDAP bestens vernetzt. Und ebenso mit dem neuen Staatskommissar Julius LIPPERT, ein Weggefährte von Josef GOEBBELS, der Ignatz NACHER erpresst hatte: mit einer alten Grundstücksgeschichte und Bestechung. An beidem war nichts dran, wie zuletzt das - bis dahin noch - unabhängige Reichsgericht 1934 geurteilt hatte. Aber da war es bereits zu spät, die neuen Akteure der neuen Bewegung hatten längst Fakten geschaffen.

Die EIDENSCHINK-Konsorten, vom Alter alle um die dreißig, die in Erwartung des neuen Zeitgeists bereits vor der sogenannten Machtergreifung ein Start-up in Form eines "Bankgeschäfts" gegründet hatten, besaßen in dem SS-Standardenführer Hans RATTENHUBER ihren einflussreichsten Mann, der unmittelbar danach, im März Jahr 1933, vom "Reichsführer SS", Heinrich HIMMLER,  persönlich nach Berlin berufen wurde: Er sollte dort ein "Kommando z.b.V." aufbauen, ein Kommando "zu besonderen Verwendung" des Reichskanzlers Adolf HITLER. RATTENHUBER: ein Vetter von EIDENSCHINK.

Mit im Gefolge der EIDENSCHINK-Konsorten: ein junger Rechtsanwalt namens Dr. Josef MÜLLER mit Kanzlei in bester Lage, Karlsplatz 24 in der Münchner Innenstadt. Außerdem: Anton KARL, etwas jünger, der sich als Industrie- und Grundstücksmakler versuchte und sich schnell bei der Gestapo verdingte. Anton KARL war mit der DAF, der Deutschen Arbeitsfront liiert, einer Institution, in der alle Gewerkschaften und alle Arbeitgeberverbände im März 1933 (zwangs)vereinigt wurden.

Ein weiterer Teilhaber des Konsortiums: Hanns BUNGE, aktiver Teilnehmer beim Hitlerputsch 1923, SA-Mann, der später Mitglied des Volksgerichtshofs werden wird und als solches am Todesurteil gegen die Geschwister Hans und Sophie SCHOLL sein wird. In der hier dargestellten Geschichte RATTENHUBER, MÜLLER und KARL spielt er keine Rolle.

Die Interessen und vor allem die Einflusslinien im Jahr 1934, als die Engelhardt-Brauerei und Ignatz NACHER's bayerische Brauereien den Besitzer wechseln, sind in der Grafik dargestellt. Ignatz NACHER hatte keine Chance.


Hans RATTENHUBER (SS, NSDAP)

"Am 10. 3. 33 berief mich der Reichsführer SS als Adjudant. Nachdem ich bereits im Mai 1933 das Kdo. z. b. V. für den Führer und Reichskanz. aufzustellen hatte, wurde ich anläßlich der Übernahme der Geheimen Staatspolizei durch den Reichsführer SS nach Berlin berufen und am 1. 6. 34 mit der Bildung des Reichssicherheitsdienstes beauftragt", heißt es in dem handgeschriebenen Lebenslauf von Johann "Hans" RATTENHUBER, im Jahr 1934 gerade 37 Jahre alt geworden, als er - in schwarzer SS-Uniform - am 14. September in der Zelle des Berliner Polizeipräsidiums erscheint, in der Ignatz NACHER seit über 2 Wochen einsitzt. Zwei Wochen zuvor hatte NACHER seinem eigenen Anwalt Albrecht ASCHOFF, der inzwischen für die Gegenseite, die Dresdner Bank, arbeitete, eine Vollmacht unterschreiben müssen, mit der der jetzt von der Großbank eingekaufte Rechtsanwalt eben dieser Bank NACHER's Anteile an der Engelhardt-Brauerei zum Kauf angeboten hatte (mehr unter www.ansTageslicht.de/Engelhardtbrauerei). NACHER hatte nach dem Verlust seines Lebenswerkes eigentlich die Hoffnung, wieder freizukommen.

Frei kommt er nicht. Denn (erst) jetzt steht RATTENHUBER vor ihm und legt ihm drei Papiere zum Unterschreiben vor - erst dann könne er das Gefängnis wieder verlassen. NACHER, der zuckerkrank ist und dem man seit der Inhaftierung das notwendige Insulin vorenthält, ist völlig geschwächt, nutzt diese letzte Chance und unterschreibt:

  1. eine verbindliche Erklärung zum Verkauf aller seiner letzten Brauereibeteiligungen, die meisten davon in Bayern
  2. eine 'freiwillige' Zahlung von 150.000 RM "als Aufwandsentschädigung für die monatelange Tätigkeit" der Herren FISCHER und SCHMIDHUBER des EIDENSCHINK-Konsortiums
  3. und eine letzte Unterschrift, 100.000 RM ohne Quittung zu bezahlen.

Ignatz NACHER ist damit seine letzten Beteiligungen los, sein Leben als Manager und Chef des zweitgrößten Brauereikonzerns Deutschlands zu Ende.

Von den 100.000 RM in cash wird RATTENHUBER 25.000 RM kassieren. Als RATTENHUBER's Gemahlin Paula nach 1945 von einem Münchner Wiedergutmachungsgericht gefragt wird, ob sie etwas von diesen 25.000 RM wisse, wird sie das - völlig entrüstet - zurückweisen. Ihr Mann wäre "deutscher Offizier" gewesen und hätte sich für eine solche "Guttat", nämlich Ignatz NACHER aus dem Gefängnis zu befreien, "nichts bezahlen lassen." Und im übrigen wäre ihr Mann "nie Angehöriger der SS gewesen":

In der SS macht RATTENHUBER Karriere, durchläuft alle Dienstgrade und bringt es bis zum SS-Gruppenführer, was bei der Polizei dem Rang eines Generalleutnant, im ausländischen Militär einem Vize-Admiral entspricht. RATTENHUBER, der mit seinem "Kommando z.b.V." zunächst den Reichssicherheitsdienst aufbaut, wird nun für HITLER's Personenschutz zuständig, sozusagen HITLER's Leibwächter.

In dieser hohen Funktion und seinem großen Einfluss wird Hans RATTENHUBER, als 1943 bei der Militärischen Abwehr unter Admiral CANARIS eine Verschwörung auffliegt, in deren Gefolge nicht nur die Widerstandskämpfer Dietrich BONHOEFFER und Hans von DOHNANYI, sondern auch der EIDENSCHINK-Konsorte Konsul Wilhelm SCHMIDHUBER und der Konsortialanwalt Josef MÜLLER verhaftet werden, dafür sorgen, dass seine beiden Freunde vom Galgen verschont bleiben.

Am 30. April, unmittelbar vor dem totalen Zusammenbruch des "Tausendjährigen Reichs", setzt Adolf HITLER am Nachmittag seinem Leben ein Ende - die Sowjets stehen bereits in unmittelbarer Nähe von der Reichskanzlei bzw. dem Führerbunker darunter. Alles ist nur noch eine Frage von Stunden.

RATTENHUBER organisiert eine kleine Trauerfeier, übergießt den Leichnam mit Benzin und zündet ihn an. Es ist zugleich der Tag, an dem RATTENHUBER 48 Jahre alt wird. HITLER hatte ihm am frühen Morgen noch persönlich gratuliert.

Die sowjetischen Truppen finden am nächsten Morgen nur noch HITLER's verkohlte Leiche. RATTENHUBER wird als Kriegsgefangener abgeführt, in die Sowjetunion verbracht, dort als Kriegsverbrecher zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt.

1955 wird er zusammen mit 22 Generälen der ehemaligen Wehrmacht entlassen und nach Deutschland überstellt. Er stirbt zwei Jahre darauf in München, da wo seine Karriere als Polizeimajor und aktiver Unterstützer der neuen Bewegung begonnen hatte.


Anton KARL (SA, SS, NSDAP)

Anton KARL ist das, was man einen - im wahrsten Sinne des Wortes - Mitläufer nennt, der immer dabei ist, wenn es irgendetwas zu verdienen gibt, eine 'kleine Nummer', die aber immer gerne ein großes Rad drehen möchte, und deshalb überall präsent ist, meist ohne jeglichen Skrupel. Früh schon, 1923, war er der SA beigetreten, wechselte dann in die SS, die ihm zukunftsträchtiger erschien. Die SA wurde ihm schon äußerlich zu militaristisch, was ihm für seine Arbeit als Makler unzweckmäßig erschien. So gab er sich auch flexibel, mal in zivil, mal in schwarzer SS-Uniform, je nachdem, was die jeweilige Situation befördern könnte. Dass er - über Hans RATTENHUBER vermittelt - für die Gestapo arbeitete, erwies sich ebenfalls als nützlich. Informationen können manchmal die Geschäfte beflügeln.

Als die EIDENSCHINK-Konsorten Ignatz NACHER im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" 1934 unter Druck setzten, u.a. mit einem vorbereiteten Schreiben, das auf einen Verkaufsvertrag hinauslaufen sollte und von Rechtsanwalt Dr. Josef MÜLLER aufgesetzt worden war, hatte NACHER die Mittagspause genutzt, um frische Luft zu schnappen. Begleitet wurde er von Anton KARL. Diesesmal in schwarzer SS-Bekleidung. 

Als die ganze Arisierungs-Aktion fast zu Ende ist und Ignatz NACHER in seiner Gefängniszelle Hans RATTENHUBER die von ihm vorgelegten 'Papiere' unterzeichnet hat, mit denen er seine letzten Brauereiunternehmungen los wird, kommt NACHER nachmittags wieder frei. Abgeholt und in Empfang genommen wird er von seinem seinem seitens der Dresdner Bank umgedrehten Anwalt Albrecht ASCHOFF, dem EIDENSCHINK-Teilhaber Adolf FISCHER und Anton KARL. Sie fahren in NACHER's Wohnung und halten ihn dort so lange fest, bis der herbeigerufene Geschäftsführer der beiden NACHER'schen Holdings das von RATTENHUBER ebenfalls geforderte 'Lösegeld' herbeigeschafft hat, und zwar von NACHER's Konto bei der Dresdner Bank, über das der Anwalt ASCHOFF aufgrund seiner erpressten Vollmacht verfügen kann: 100.000 RM in bar und in kleinen Scheinen.

Anton KARL bekommt davon "50", RATTENHUBER kassiert "25", den Rest nimmt Adolf FISCHER an sich, der es als Spende an die Partei überweisen will.

Anton KARL wird deshalb der größte Batzen zugestanden, weil er zuvor versucht hatte, die Engelhardt-Brauerei der "Arbeiterbank" (Bank der Deutschen Arbeit") anzudienen, die inzwischen der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF) untersteht. Daraus wurde bekanntlich nichts, aber inzwischen haben sich ja neue Interessenten finden lassen, die zudem aus seiner politischen Heimatstadt kommen.

Als Konsul Wilhelm SCHMIDHUBER die von NACHER erworbene Hofbräu AG Bamberg und Erlangen persönlich übernimmt, will er den NACHER-vertrauten Vorstandsvorsitzenden loswerden - SCHMIDHUBER möchte selbst das Sagen haben. Zu Hilfe eilt Anton KARL. Beide hängen dem lästigen Vorstand ein Gerichtsverfahren an: unerlaubte Geldentnahmen von Ignatz NACHER - unter Duldung des bisherigen Vorstandschefs.

Als 'kleine Nummer' im großen nationalsozialistischen Bonzengeschäft landet KARL nach mehreren Jahren im KZ. Er hat dann Josef "Sepp" DIETRICH bestohlen, mit dem er zwar eng befreundet ist, der sich das aber als einer der obersten SS-Männer nicht bieten lässt.

Anton KARL wird das KZ Dachau überleben. Er wird danach in unserer Geschichte in einer anderen Rolle auftauchen und dem dritten Wegbereiter der EIDENSCHINK-Männer, RA Josef MÜLLER, Unanehmlichkeiten bereiten, als der nach 1945 Bayerischer Justizminister geworden ist.

Wir kommen darauf gleich zurück.


Dr. Josef MÜLLER, genannt "Ochsensepp" (parteilos, nach 1945 CSU)

Juristen geben sich gerne neutral und politisch ungebunden, was im Zweifel die politische Bandbreite der potenziellen Mandantschaft erhöht. Josef MÜLLER, katholisch aufgewachsen, gab sich jedenfalls seit jeher eher konservativ mit nationalem Blick, war Mitglied der Bayerischen Volkspartei, bis die 1933 verboten wurde. Mitglied in der NSDAP wurde er nicht. Möglicherweise war ihm der politische Erfolg des angekündigten "Tausenjährigen Reichs" zu ungewiß. MÜLLER hatte spezielle Qualitäten aufzuweisen.

Aufgrund seines Studiums der Rechtswissenschaft, aber auch der Volkswirtschaftslehre galt er mit seiner Kanzlei in der Münchner Innstadt schnell als Spezialist für rechtliche Probleme mit wirtschaftlichem Hintergrund und so wurde er auch rasch für die EIDENSCHINK-Konsorten aktiv. Denn die hatten ein bis dahin völlig unerschlossenes Geschäftsfeld aufgetan: den Kauf von Firmen und Vermögenswerten jüdischer Besitzer. Heute spricht man von "Arisierungen".

Für die ersten Gespräche der EIDENSCHINK-Männer liefert MÜLLER einen ersten Vertragsentwurf, ein erstes Schreiben an Ignatz NACHER, das ihm verdeutlichen soll, dass es besser wäre, alles zu unterschreiben. Möglichst schnell. 

Weil NACHER nicht unterschreibt und deshalb auf seinem Landgut Sauersberg verhaftet und in die Reichshauptstadt Berlin verfrachtet und dort in eine Zelle des Polizeipräsidiums gesteckt wird bis er unter Einsatz von Hans RATTENHUBER zum zweiten Male enteignet wird, wird MÜLLER tags drauf und frühmorgens ins Büro der EIDENSCHINK-Konsorten gerufen, wo schon ein Flugticket nach Berlin für ihn und Dr. Adolf FISCHER wartet. Abflug noch am selben Morgen.

Dort werden seine Dienste erneut benötigt, denn jetzt gilt es - endgültig und unwiderruflich - wenigstens den Verkauf von Ignatz NACHER's restlichen Brauereien juristisch abzusichern, nachdem sich die Dresdner Bank das Filetstück, die Engelhardt-Brauerei unter den Nagel gerissen hatte.

Für Dr. Josef MÜLLER "ein absolut klares Geschäft, auf zivilrechtlicher Grundlage" wird der Anwalt 1949 dazu sagen, als er bereits Bayerischer Justizminister und Vorsitzender der Partei namens "Christlich Soziale Union (CSU)" ist. "Es war auch nicht der geringste Beigeschmack der Arisierung da", so hält es das Zeugenprotokoll der Spruchkammer München fest (S. 16 ff).

Diese Art von Geschäften wird Josef MÜLLER auch die nächsten Jahre betreuen. Das neue Business-Modell boomt, denn viele jüdische Unternehmer bekommen kalte Füße, wollen Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Und die EIDENSCHINK-Männer erweisen sich für Josef MÜLLER als treue Kunden.

Josef MÜLLER versus Philipp AUERBACH

In diesem Textabschnitt geht es um Josef MÜLLER, Ignatz NACHER, Anton KARL und den ehemaligen Präsidenten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes in München, Philipp AUERBACH im Jahr 1951. NACHER ist zu diesem Zeitpunkt schon 12 Jahre tot und seine Erben versuchen vor verschiedenen Gerichten in Deutschland die Rücknahmen der Enteignungen voranzutreiben.

In einschlägigen Büchern und Nachschlagewerken wird Dr. Josef MÜLLER hingegen als "Widerständler" geführt. MÜLLER- im Bayerischen "Ochsensepp" genannt - wurde am 5. April 1943 in München verhaftet und nach Berlin überführt, wo als Leumundszeuge für ihn unter Mithilfe von Hans RATTENHUBER u. a. der SS-Brigadeführer und SD-Chef von Metz, Anton DUNKERN, auftritt. MÜLLER, der für die Abwehr um Admiral CANARIS beim Papst in Rom wegen möglicher Waffenstillstandsverhandlungen und Friedensgespräche sondiert hatte, bleibt weiter in den Kellerräumen der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Str. 8 inhaftiert. Zu diesem Aspekt verweisen wir auf die vielen Veröffentlichungen dazu.

Dr. Josef MÜLLER jedenfalls wird über seine "Rettung" nach dem Krieg dies sagen bzw. schreiben: "Am 5. April 1945 ... begegnete Rattenhuber vor dem Eingang des Führerbunkers in Berlin dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, der ihn hastig ansprach: 'Soeben hat mir der Führer die Entscheidung über die politischen Häftlinge übertragen!' Sofort erklärte Rattenhuber:'Dann streichst du mir aber meinen Josef Müller von deiner Liste!'"

MÜLLER überlebt ebenso wie Konsul Wilhelm SCHMIDHUBER.

1949 muss MÜLLER zu seiner Rolle bei Ignatz NACHER's Arisierung erstmals vor Gericht Stellung nehmen: 1949 vor einer Spruchkammer in München, wo es um die Rolle des EIDENSCHINK-Konsortiums geht, und 1951 vor dem Landgericht Bielefeld, wo die Erben von Ignatz NACHER die Aktien u.a. einiger bayerischen Brauereien zurückfordern, die inzwischen zur Unternehmensgruppe Dr. Rudolf OETKER gehören.

Zoff zwischen MÜLLER und AUERBACH

In diese Zeit fallen sachliche Meinungsverschiedenheiten und persönliche Anfeindungen zwischen dem bayerischen Justizminister Dr. Josef MÜLLER und dem Präsidenten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes in München, Philipp AUERBACH. AUERBACH, Jude und selbst im KZ interniert, bedient sich in seiner amtlichen Funktion ungewöhnlicher Methoden; nicht nur um an Informationen heranzukommen, die andere lieber in die völlige Vergessenheit geraten lassen wollen, sondern auch in der finanziellen Abwicklung von Entschädigungsansprüchen: Wiedergutmachung an Opfer sollen gefälligst die früheren Täter bzw. aus derem zusammengerafften Vermögen finanzieren.

Beim Finanzminister sind derlei Pläne und Praktiken wohl gelitten. Mit seinem menschlichen und politischen Engagement für Verfolgte und Geschädigte tritt AUERBACH allerdings immer mehr Leuten auf die Füße: die Stimmung kehrt sich um; AUERBACH wird zur Zielscheibe gehagelter Kritik und persönlicher Anfeindungen. Zu dem erklärten Gegner AUERBACH's gehört auch der bayerische Justizminister.

Zu dieser Zeit hat AUERBACH bereits den früheren Grundstücksmakler und Gestapo-Spitzel Anton KARL im Zusammenhang mit einem "Anerkennungsverfahren" kennengelernt, der in den Kriegsjahren ins KZ mußte, weil er Gelder, die dem Chef der Hitlerschen Leibstandarte, Sepp DIETRICH gehörten, mit dem Anton KARL auch befreundet war, unterschlagen hatte. Anton KARL war 1934 einer der Wegbereiter für die EIDENSCHINK-Konsorten und hatte sich hier und da nützlich gemacht.

KARL berichtet dem Präsidenten des Landesentschädigungsamtes die Geschichte von Ignatz NACHER und den EIDENSCHINK-Männern. Er schildert auch den Tagesablauf vom 27. August 1934, einen Tag bevor Ignatz NACHER zum zweiten Male verhaftet wurde, und was sich seinerzeit im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" zugetragen hatte. KARL war bei diesen Verhandlungen anwesend und war in der Mittagspause mit Ignatz NACHER im Hofgarten spazierengegangen. KARL will NACHER von einer Unterschrift unter die bisher gelaufenen Verhandlungsergebnisse abgeraten haben.

Philipp AUERBACH als Zeuge in Sachen Ignatz NACHER

AUERBACH, der diese Details inzwischen kennt, sagt vor der Wiedergutmachungskammer Bielefeld aus:

  • "Ich habe Ende 1949 oder Anfang 1950 auf dem Landesentschädigungsamt eine Fotokopie eines Schreibens gesehen, das der Rechtsanwalt Dr. Josef MÜLLER an Herrn NACHER, z. Zt. Hotel Vier Jahreszeiten, in dieser Angelegenheit gerichtet hatte. Das Datum dieses Schreibens habe ich nicht mehr in Erinnerung. ... Der Inhalt des von dem Rechtsanwalt Dr. MÜLLER unterzeichneten Schreibens war etwa folgender:
  • Es waren zunächst 6 oder 8 Pakete Aktien mit Kursen aufgeführt, die angeblich vereinbart waren, und Herr NACHER wurde weiter aufgefordert, sich bis zu einem bestimmten Datum das nach meiner Erinnerung ein Montag war, sich zur Annahme des Angebots zu erklären. Das Schreiben war ... unterzeichnet mit Heil Hitler, Dr. Josef MÜLLER. Es waren im wesentlichen Aktien von bayerischen Brauereien, und es waren - nur nach meiner Erinnerung - zwei Gesellschaften darunter, die in der heutigen britischen Zone liegen. Infolgedessen war ich mit diesen letzteren Gesellschaften auch dienstlich nicht befaßt.
  • Ich kann nicht sagen, wo sich das Original dieses Schreibens befindet. Ich habe nur eine Fotokopie dieses Schreibens gesehen. Ich weiß auch nicht, ob das Schreiben, das fotokopiert war, echt war. Die Fotokopie, die ich gesehen habe, trug keinen Beglaubigungsvermerk. Ich kann nicht sagen, wo sich diese Fotokopie heute befindet. Ich selbst habe von dieser Fotokopie wieder eine Fotokopie anfertigen lassen, ohne daß die Person, die mir die Fotokopie gezeigt hat, es bemerkt hat. Die ursprüngliche Fotokopie hat diese Person wieder an sich genommen. Den Namen dieser Person, die mir diese Person gezeigt hat, weigere ich mich zu nennen, weil ich dieser mein Wort gegeben habe, daß keiner von dieser Fotokopie etwas sehe und ich nicht darüber spreche.
  • Wenn diese Person, die mir die Fotokopie gezeigt hat, davon heute erführe, daß ich davon Gebrauch gemacht habe, würde diese sehr ungehalten sein. Ich hatte damals den Eindruck, daß die Person, die mir die Fotokopie gezeigt hat, selbst einen unzulässigen Gebrauch davon gemacht hat, jedenfalls selbst nicht verfügungsberechtigt über die Fotokopie war. Wenn ich diese Person heute angeben würde, würde sie große Unannehmlichkeiten haben und auch wohl ihre Existenz verlieren."

Die fragliche Fotokopie wird nie gefunden werden.

Durchsuchungsbeschluss und "Akten von NACHER"

1949 stellt Dr. Josef MÜLLER, der sich auf AUERBACH längst eingeschossen hat, einen eigenen Staatsanwalt dafür ab, um die umlaufenden Vorwürfe gegen AUERBACH zu sammeln.

Am 26. Januar 1951 wird AUERBACH's Behörde und sein Dienstzimmer von der Polizei in Beschlag genommen und durchsucht, nachdem die deutschen Behörden handfeste Hinweise erhalten hatten, daß AUERBACH's unkonventionelle Amtsmethoden soweit gingen, daß er in dem einen oder anderen Falle geschädigten Nazi-Opfern sogar durch gefälschte Dokumente zu helfen versuche. Am 10. März wird AUERBACH verhaftet.

Am gleichen Tag führt die Kripo in AUERBACH's Privatwohnung eine Hausdurchsuchung vor. Laut AUERBACH's Aussage vor dem Bielefelder Wiedergutmachungsgericht sei dieser Hausdurchsuchungsbefehl nicht durch einen Untersuchungsrichter, sondern "im Büro des Justizministers Dr. MÜLLER, Holbeinstr. 11 ausgefertigt" gewesen. Die Beamten, die AUERBACH's Privatwohnun"Akten von Nacher". Die Kripobeamten finden keine "Akten von Nacher".

Der Prozess gegen Philipp AUERBACH

Der Prozeß gegen Philipp AUERBACH schlägt hohe Wogen. Mehrere der Anschuldigungen stellen sich als gegenstandslos heraus (Vorwurf des Betruges, Vergehen der schweren Amtsunterschlagung. Urkundenfälschung). Allerdings wird AUERBACH am 18. 8. 52 wegen

  • einem Versuch zu einem Verbrechen der Erpressung,
  • drei fortgesetzten Vergehen der einfachen Bestechung,
  • zwei fortgesetzten Vergehen der Untreue,
  • Vergehen der Amtsunterschlagung,
  • Versuch zu zwei Vergehen der falschen Versicherung an Eides statt,
  • Vergehen der unbefugten Führung eines akademischen Grades

verurteilt: zu zwei Jahren und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe von 2700 DM.

Im Richterkollegium:

  • ein ehemaliger Oberkriegsgerichtsrat und frührer Kollege vom Josef MÜLLER aus dessen Anwaltskanzlei
  • ein Landgerichtsdirektor, dem teilweise noch der nationalsozialistische Sprachwortschatz entgleitet
  • als Beisitzer ein ehemaliger SA-Mann

Der Staatsanwalt und der psychiatrische Sachverständige, der AUERBACH als "Psychopathen und Phantasten" bezeichnet: beides ehemalige NSDAP-Mitglieder.

AUERBACH, der sich nachweislich in keinem der Fälle persönlich bereichert hatte, wohl aber seine Dienstbehörde sehr unbürokratisch und daher teilweise auch chaotisch geführt und mit ausgesprochen unkonventionellen Methoden seine Ziele verfolgt hatte, "rassisch, religiös und politisch Verfolgten" Wiedergutmachung angedeihen zu lassen, setzt seinem Leben nach diesem Urteil selbst ein Ende.

Abgang Josef MÜLLER

Dr. Josef MÜLLER muss als Justizminister bereits während des Prozesses zurücktreten. Befreundete Kreise von AUERBACH hatten einem inzwischen eingesetzten Untersuchungsausschuß Dokumente zugespielt, nach denen MÜLLER von einem AUERBACH-Kontrahenten 50.000 DM für politische Zwecke erhalten hatte. MÜLLER verweigert darüber die Auskunft und muss seinen Hut nehmen.

Ob die von AUERBACH erwähnte Fotokopie eines schriftlichen Ultimatums von Josef MÜLLER an Ignatz NACHER je existiert hatte und/oder ob dies eine Drohung und/oder auch nur ein Bluff als Reaktion auf seine bereits erfolgte Inhaftierung zu diesem Zeitpunkt gewesen ist; und/oder ob die Reihenfolge umgekehrt läuft, dass MÜLLER von diesem belastenden Papier erfahren und dann alles drangesetzt hatte, dem Treiben dieses unberechenbaren Querkopfs AUERBACH mit Hilfe einer gerichtlich-prozessualen Generalabrechnung ein Ende zu setzen, wird sich vermutlich nie mehr klären lassen. Die von AUERBACH aus dem Gedächtnis heraus zitierten Details jedenfalls stimmen; auch die Erinnerung, dass dieser Brief von einem Montag datiere. Der 27. August 1934, als die EIDENSCHINK-Männer "Verhandlungen" mit NACHER im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten geführt hatten, war ein Montag.

Fest steht auch, daß Josef MÜLLER nie und nirgendwo je ein Wörtchen über seine Tätigkeit als juristischer Berater der EIDENSCHINK-Konsorten verloren hatte. In seinem Buch "Bis zur letzten Konsequenz. Ein Leben für Frieden und Freiheit", das der Süddeutsche Verlag 1975 zu verlegen die Ehre hatte, und dessen Autor nicht Josef MÜLLER, sondern "Dr. Josef MÜLLER" heißt, wie an keiner Stelle des Buches zu übersehen ist, in diesem Buch baut sich MÜLLEER den Nimbus eines aktiven Widerständlers auf, dessen Aufgabe vor allem darin bestanden habe, nach Rom zum Papst zu fahren, um über diese Institution Möglichkeiten von Friedensmöglichkeiten zu sondieren.

Dass Ignatz NACHER mit Hilfe seiner juristischen Beratung "bis zur letzten Konsequenz" ausgeraubt wurde, steht dort nicht. Ignatz NACHER hätte sein Leben ganz sicherlich sehr viel lieber "in Frieden und Freiheit" beendet.

Hinweis: Dieses Portrait lässt such auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Ochsensepp. Die Geschichte über Phlipp AUERBACH in diesem Kontext unter www.ansTageslicht.de/Auerbach.


Hinweis:

Diesen Text bzw. dieses Kapitel aus der Serie "Was aus ihnen wurde: ABC der Ariseure und Profiteure, Mitmacher und Mörder" können Sie auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Rattenhuber.

Wie die EIDENSCHINK-Männer 1934 agiert hatten und was aus ihnen nach 1945 wurde, ist rekonstruiert unter Bankier Georg EIDENSCHINK, Dr. Adolf FISCHER und Konsul De. Wilhelm SCHMIDHUBER. In einer weiteren Folge wird es um die Akteure gehen, die an der Arsierung der Engelhardt-Brauerei unmittelbar beteiligt waren. Zuletzt dann um die Schreibtischtäter und Mörder. Wir bitten um Geduld.

Die ganze Geschichte der Enteignung von Ignatz NACHER und seinen Brauereien findet sich in 9 Kapiteln unter Die Nazis, die Bank und das Bier.

(JL)