Nr. 16: letztes Schreiben an die MdB vor der Bundestagswahl 2021

50.000 Betroffene jedes Jahr betrifft mindestens 100.000 Menschen: innerhalb einer Legislaturperiode (mindestens) 400.0000 Personen

Guten Tag, die Damen und Herren Abgeordnete,

Dies ist unser 16. und gleichzeitig letztes Schreiben vor der Wahl. Wir haben seit Juni versucht, Ihnen die realen Probleme von Menschen nahe zu bringen, die im Rahmen ihrer Arbeit einen Unfall erleiden und/oder Gesundheitsschäden davontragen, also berufskrank, oft für den Rest ihres Lebens arbeitsunfähig geworden sind. Zum Beispiel weil die Arbeitgeber keine ausreichenden Präventionsmaßnahmen getroffen haben. Menschen, die nicht – wie eigentlich vorgesehen – entschädigt werden, sondern finanziell und sozial abstürzen.

Jedes Jahr werden an die 80.000 Anträge auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) gestellt, 60.000 davon werden abgelehnt. Das sind 75%. In der Schweiz ist es genau umgekehrt, dort werden 75% anerkannt. Aber dort ist das System der Unfallversicherung auch nicht in den Händen der Unternehmen.

Wir haben die Zahl abgerundet auf 50.000. Da die Verweigerung einer Anerkennung und deren Folgen auch die engsten Familienmitglieder betrifft, reden wir letztlich von 100.000 Personen. Innerhalb einer Legislaturperiode sind das 400.000 Menschen und wenn wir einfach mal die Betroffenen der letzten 10 Jahre rechnen, sprechen wir von rund einer Million – Menschen, die – wie sie uns immer wieder berichten – den „Glauben an den Rechtsstaat verloren haben“, und von denen wir ausgehen, dass sie für unser demokratisches Gemeinwesen, das auf freien Wahlen basiert, verloren gehen. Sie finden bei der „Politik da oben“ kein Gehör. Und wenn sie vor Gericht gehen, verlieren sie in 90%“ (S. 4 unten) der Fälle. Diese Zahl hat ja das Arbeitsministerium ganz offiziell genannt.

Werden Sie bei einer Zahl von „90%“ nicht stutzig? Erinnern Sie sich an die Wahlergebnisse der SED, als es die DDR noch gab? Ist Ihnen bekannt, dass in totalitären Staaten wie z.B. Russland die Strafprozesse ebenfalls in (diesesmal sogar über) 90% der Fälle so enden wie es die Staatsanwaltschaften bzw. letztlich die Behörden wünschen (bzw. vorgeben)? Oder denken Sie tatsächlich, dass Ergebnisse wie 75% und 90% für ein System sprechen, dass dem Sinn und Zweck der „Gesetzlichen“ Unfallversicherung gerecht wird, so wie das in § 1 des SGB VII kodifiziert ist?

Das Arbeitsministerium hat die Zahl „90“ mit der „Qualität der Gutachter“ (Quelle wie oben) begründet. Wir haben uns mit dieser „Qualität“ auseinandergesetzt. In Schreiben Nr. 4 haben wir den Verriss einer solchen „Qualität“ durch einen Toxikologen dokumentiert. Der arbeitsmedizinische Gutachter war bis März dieses Jahres Präsident des Berufsverbandes DGAUM der Arbeitsmediziner. In Nr. 5 haben wir rekonstruiert, wie der Vizepräsident der DGAUM in ein und demselben Fall 2 Gutachten erstellt hat: erst negativ, dann positiv. Finden Sie das normal, dass ein Gutachter erst nach (sanftem) ‚Druck von oben‘ plötzlich seine Meinung ändert? Ist es das, was Sie als Vertreter des Volkes so beabsichtigen und den Menschen als normal erklären wollen?

In Nr. 6 und 7 haben wir uns mit einem anderen „Fälscher“ beschäftigt, bei dem der ehemalige Minister Norbert BLÜM (CDU), als er nicht mehr im Amt war, von „organisierter Falschdarstellung“ gesprochen hatte. „Organisiert“ im „Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten“ beim Arbeitsministerium. Das BMAS deckt diesen „Fälscher“ bis heute, will uns nicht sagen, wie lange der professorale Arbeitsmediziner dort gewirkt hat. Finden Sie das auch in Ordnung?

Haben Sie mitbekommen (Nr. 12), dass das BMAS bzw. dessen (derzeit) amtierender Minister Hubertus HEIL (SPD) Ihnen bzw. Ihren Kolleg*innen im Petitionsausschuss falsche Angaben gemacht zur Frage, ob Betroffene „maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl des jeweiligen Gutachters“ haben bzw. dass die Unfallversicherungsträger „verpflichtet“ sind, den zu Untersuchenden „mehrere Gutachter zur Auswahl zu benennen“? Konkret, dass das einfach nicht stimmt? Oder dass es, wenn es man es krass ausdrückt, schlicht & ergreifend gelogen ist? Haben Sie mal daran gedacht, den Minister daraufhin anzusprechen? Ihn gar zur Rede zu stellen? Oder betrachten Sie das ebenfalls als völlig normal in ihrer ‚Politik da oben‘?

Wie Verfahren vor Sozialgerichten ablaufen (können), haben wir am Beispiel des SG Dortmund (Nr. 14) gezeigt: „Austricksen, finanziell ausbluten lassen, Recht und Gesetz dabei aushöhlen“ haben wir das übertitelt. Das klingt hart, entspricht aber der Realität und so wie es uns scheint, ist dies kein Ausnahmebeispiel, sondern ein typisches Fallbeispiel. Würden Sie Ihren Wählern das als „Rechtsstaat“ verkaufen wollen? Etwa als "Sozialen Rechtsstaat“?

Der Fall dokumentiert in gleichem Maße die Praktiken der Berufsgenossenschaften (BGen), die maßgeblichen Säulen der Unfallversicherung, über die Sie ab und an als „Gesetzgeber“ zu befinden haben. Wir wissen aus (sehr) vielen Beispielen, dass bei den BGen  a) abwiegeln, b) falsche Behauptungen als wissenschaftliche „Lehrmeinung“ (Nr. 9) zu kommunizieren (u.a. in Zeitschriften und Rundschreiben, die vermutlich auch Sie bekommen), c) das Unterdrücken von relevanten Informationen bei der Beurteilung von Expositionen und d) Manipulation bei der Rekonstruktion von Arbeitsunfällen (Nr. 3 und Nr. 2) ganz offenbar der Alltag ist. Ebenso Alltag, wie etwa das Luftfahrt-Bundesamt nur einen Bruchteil der als „Fume Event“ gemeldeten Vorfälle in seiner Statistik ausweist (Nr. 8), um so das potenzielle Problem der Sicherheit im Luftverkehr herunterzuspielen. Ist es das, was Sie als „Gesetzgeber“ bei der „Gesetzlichen“ Unfallversicherung so intendiert haben?

Sie haben zumindest bei der letzten „Reform“ des SGB VII mitgewirkt. Ist Ihnen erinnerlich, was da verändert wurde? Und dass die Änderungen vor allem auf Wunsch der Gesetzlichen Unfallversicherung zustande kamen? Entsprach das Ihrem Willen? Und sind Sie nie auf die Idee gekommen, mal zusätzlich zu den Funktionären der BGen bzw. deren zentralem Dach (DGUV e.V.) sowie den einschlägigen Verbändevertretern auch mal Vertreter von Betroffenen, etwa von Patienteninitiativen anzuhören, um zu erfahren, wie das alles nicht nur aus der Sicht eines Schreibtisches aussieht, sondern was tatsächlich ‚abgeht‘ ? Oder mal dran gedacht, sich mit der Kritik von renommierten Wissenschaftlern, die sich nicht dem Mainstream verschrieben haben, auseinander zu setzen? Warum eigentlich nicht?

In wenigen Tagen wird gewählt. Wer danach mit wem koalieren will und/oder kann, ist derzeit offen, nur eines steht bereits jetzt schon fest: Die Ära der großen Volksparteien ist zu Ende. Wir führen das auf den Vertrauensverlust zurück, der sich nicht nur ganz generell in Stichworten wie Afghanistan, Klimawandel & Flutkatastrophe, Dieselgate & Volkswagen, Geldwäsche & Immobilienpreisniveau oder Wirecard & BaFin festmacht, sondern eben auch an den Dingen, die viele Menschen in unserem „Sozialen Rechtsstaat“ unmittelbar betreffen, für die wir hier sprechen.

Falls Sie nochmals nachschauen wollen, was wir Ihnen seit Anfang Juni geschickt haben, finden Sie alles – jeweils auf 1 DIN A 4-Seite in Kurzform – unter  www.ansTageslicht.de/MdB . Dort sind dann auch die Links zu den jeweils ausführlichen Darstellungen der Probleme und Schicksale von Betroffenen genannt.

Dieses letzte Schreiben an Sie ist mit 2 Seiten etwas umfangreicher geworden, weil wir Ihnen Fragen gestellt haben, die Sie sich selbst beantworten können. Mit uns wollten Sie ja – auch diesesmal - nicht kommunizieren, wie wir erneut feststellen mussten. Das erste Mal hatten wir es 2018 versucht. Aber offenbar ist auch ein Wahljahr kein Anlass, die Probleme von Hunderttausenden von Menschen ernst zu nehmen. Vielleicht dann danach, wenn möglicherweise das ein oder andere anders sein wird …

(JL)


Hier gibt es diesen 2-seitigen Text als PDF. Online lässt er sich aufrufen unter www.ansTageslicht.de/letztesSchreiben.

Online am: 19.09.2021
Aktualisiert am: 19.09.2021


Inhalt:

Nr. 16: letztes Schreiben an die MdB vor der Bundestagswahl 2021


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