"Dem Ministerium stehen gegenüber den Berufsgenossenschaften fachlich wie dienstrechtlich keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu"

Oder: Bier und Asbest?

Monopole sind institutionalisierte Gebilde, die nicht nur Macht haben, sondern in der Regel schlecht arbeiten. Schlecht für jene, die darauf angewiesen sind. Egal ob Behörde, Internetplayer wie google oder facebook. Oder eben auch das System der Gesetzlichen Unfallversicherung, bestehend aus den Berufsgenossenschaften und ihrem zentralen Dach: die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) e.V. 

"Das Schönste am Monopol" - aus der Sicht eines Monopols - "ist die Bequemlichkeit", wie es vor einiger Zeit ein Mitglied der Monopolkommission formuliert hat. Und Bequemlichkeit, sprich keinerlei Druck von außen, führt nicht nur zu Ineffizienz, sondern auch Ignoranz. Und die kann ganz schnell in Arroganz münden: Arroganz der Macht.

Das folgende Beispiel dokumentiert einen Fall, bei dem es um die Anerkennung einer Asbestose und eines asbestausgelösten Lungenkrebses ging. Das hatte (nur) 7 Jahre gedauert - im Unterschied zu einem anderen Fall, den wir dokumentiert haben unter 36 Jahre: 11 Asbest-Gutachter, 30 Gutachten und kein Ende

Bei der Berufsgenossenschaft sind Fehler passiert. Ob aus Schlamperei oder Absicht, steht dahin. Die betroffene Witwe war tough und hat zum Schluss die 'hohe Politik' eingeschaltet. Deren Antwort: Sie könne nichts machen.

Unter "Politik" verstehen wir etwas anderes: gestalten - für die Zukunft; sinnvolle und faire Regeln setzen; Missstände korrigieren. Beim System der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gäbe es für alle drei Handlungsoptionen viel zu tun.

Diese Geschichte können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/BierundAsbest

1955 - 1959

Helmut WAGENBLASST beginnt im Alter von 14 Jahren eine Lehre und Gesellenausbildung bei der bekannten Orgelbaufirma Klais in Bonn. Kirchenorgeln sind technische Meisterwerke der Musik und beim Bau vieler Pfeifen aus Holz, die die weichen und leicht dumpfen Klänge zaubern, wird das Holzschutzmittel Xylamon eingesetzt. Konkret: mit einem Pinsel auf jede einzelne Pfeife aufgetragen.

Xylamon basiert auf der hochgiftigen Chemikalie Pentachlorphenol (PCP), eines der wichtigsten Produkte der Chlorchemie. Die Herstellerfirmen, u.a. die Fa. DESOWAG, ein Tochterunternehmen der BAYER AG in Leverkusen, wissen um die toxische Schädlichkeit. Auch einige Wissenschaftler, z.B. Prof. Dr. Wilhelm SANDERMANN, Leiter des Instituts für Holzchemie an der Universität Hamburg und zugleich Direktor der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft. Aber SANDERMANN darf darüber nichts sagen und auch nichts schreiben. Sein ‚oberster Chef‘,  der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Heinrich LÜBKE (CDU), der später zum Bundespräsidenten gekürt werden wird, verbietet es ausdrücklich (mehr in einem anderen Zusammenhang unter www.ansTageslicht.de/Holzschutzmittel


die nächsten 30 Jahre: 1959 - 1989

Helmut WAGENBLASST wechselt die Branche: statt Orgeln jetzt Bier. Er lässt sich zum Bierbrauer ausbilden und wird die nächsten 30 Jahre bei verschiedenen Brauereien arbeiten. In den 60er und 70er Jahren gibt es deutschlandweit (noch) viele kleine und mittlere Brauunternehmen, die – Jahrzehnte später – von den Großen aufgekauft werden oder fusionieren.

WAGENBLASST arbeitet bei der Kurfürstenbrauerei in Bonn, bei Wicküler Pilsener in Dortmund, Stuttgarter Höfbräu, bei der Küppers-Brauerei in Köln und auch bei Richmodis, bei Veltins, Dortmunder Union, aber auch bei der Brauerei Bergischer Löwe und anderen, von denen heute einige zur Radeberger Gruppe gehören. Arbeit für Brauer gibt es überall, denn Bier wird zu allen Zeiten getrunken, egal ob die Konjunktur gut oder schlechter läuft.

Der Brauprozess des deutschen Bieres ist wegen des deutschen Reinheitsgebotes im Prinzip seit Jahrhunderten unverändert. Natürlich sind viele einzelne Produktionsschritte inzwischen weitgehend automatisiert. Aber nicht alle.

Nach der Lagerung, in der das Bier seine individuelle „Reife“ erhält, setzen sich Hefezellen und andere Eiweißgerbstoffe ab. Um am Ende nicht nur „reines“, sondern auch optisch klares Bier zu erhalten, muss es gefiltert werden, bevor es in Fässer, Flaschen oder Dosen abgefüllt wird.

Dazu gibt es unterschiedliche Filter-Verfahren. Der deutsche Experte in Sachen Bier ist Prof. Dr. agr. Ludwig NARZIß, der seine Laufbahn mit einer Lehre bei Tucher Bräu begonnen hatte, danach dann erster Braumeister der Münchner Löwenbräu wurde, bevor er als Hochschullehrer und gleichzeitigem Leiter der der Bayerischen Lehr- und Versuchsbrauerei zu Deutschlands führendem Bierwissenschaftler aufstieg. In seinem Buch „Abriß der Bierbrauerei“, das in mehreren Auflagen erschienen ist, beschreibt er auch die verschiedenen Filterungs- und Klärtechniken:

Neben dem Zentrifugieren und der Membranfiltration haben sich v.a. die Massefiltration und die Kieselgurfiltration als besonders effizient erwiesen und deswegen durchgesetzt. Die beiden letzteren arbeiten beide mit Asbest


Filter mit Asbest

"Massefiltration" mit Asbest

Die sog. Massefiltration hält mit Filterkuchen aus Baumwollfasern die Mikroorganismen zurück, die mit etwas Weiß-Asbest (Chrysotil) angereichert sind. Die feinen und biegsamen Asbestfasern sind fürs Filtern durch ihre physikalisch bedingte molekulare Anziehungskraft, dem sog. (elektrisch funktionierende) Zeta-Potenzial besonders geeignet, auch Bakterien zu binden.

Allerdings müssen die Filterkuchen, wenn sie „erschöpft“ sind, ausgewaschen werden. Konkret muss Helmut WAGENBLASST die Filterkuchen aus den Filterrahmen (Filterbatterie) herausnehmen und sie in eine spezielle Waschanlage packen. Was dabei an Baumwoll- und Asbestfasern verloren geht, muss er ersetzen. Nach dem Waschvorgang werden die Filterkuchen stundenlang sterilisiert und nach der Abkühlung wieder zusammengepresst und in die Filterbatterie eingebaut. 

Hier ist WAGENBLASST mit Asbestfasern konfrontiert, über die sich in den 60er Jahren aber niemand sonderlich aufregt. Auch nicht in den Unternehmen, die hauptsächlich Asbest verarbeiten, z.B. bei der Fa. Rex Asbestwerke, bei der die ersten Arbeiter*innen zu dieser Zeit aufgrund ihrer gesundheitlichen Asbestschäden sterben, und wo man in der Firmenleitung um die Gefährlichkeit weiß (mehr unter Rex Asbestwerke: Tod in Deutschland - Export nach Südkorea - NOCH NICHT ONLINE).

Auch bei der zuständigen Berufsgenossenschaft Textil und Bekleidung weiß man Bescheid. Sie unternimmt aber so gut wie nichts dagegen.  

Und der spätere "Asbest-Papst", Prof. Dr. med. Hans-Joachim WOITOWITZ, der als Wissenschaftler und Arbeitsmediziner einer der aktivsten Hochschullehrer werden wird, die sich für ein Asbestverbot einsetzen, erfährt als (noch) Assistenzarzt bei Prof. Dr. Helmut VALENTIN in Erlangen erst im Jahr 1967 zum ersten Male von einer 34jährigen Frau, die bei der Firma Rex Asbestwerke als Näherin gearbeitet hat, dass sie an Asbestose verstorben ist.  VALENTIN wird seinen kritischen Schüler WOITOWITZ später als „Totengräber der Arbeitsmedizin“ bezeichnen, weil WOITOWITZ weniger die Umsätze und Gewinne der Unternehmen im medizinischen Blickfeld hat als vielmehr die Gesundheit der dort tätigen Arbeitnehmer – im Gegensatz zu seinem Lehrer VALENTIN. 

Know-how über die Asbestgefahren anzusprechen, wie es in der Vorkriegszeit existiert hatte, ist in den 50er und 60er Jahren im Nachkriegsdeutschland ‚politically incorrect‘, wie man heute sagen würde.


Filter mit Kieselgur plus Asbest

Kieselgur-Filtration - ebenfalls mit Asbest

Das zweite Verfahren, um Bier zu filtern, nennt sich Kieselgurfiltration. Es löst in den 70er Jahren das Massefiltrationsverfahren nach und nach ab, weil dieses zu aufwändig und zeitlich zu langwierig ist. Mit Kieselgur (auch als Kieselmehl bezeichnet), einer natürlichen Masse aus den Schalen fossiler Kieselalgen, lässt sich der gleiche Effekt bewerkstelligen.

Dabei muss die natürliche Kieselgurmasse mittels Schlämmen von Sand und durch lange Erhitzung auf 800 bis 900 Grad Celsius von organischen Verunreinigungen befreit werden (z.B. von Karbonaten und Eisenoxid), bevor es zur Bierfiltration eingesetzt werden kann. Dabei läuft der Filtrationsprozess ein wenig anders als mit den Filtersäckchen aus Baumwoll- und Asbestfasern. Hier bestehen die einzelnen Filterschichten bis zu 50% aus Asbest. Und dieser Asbesteinsatz wird bis in die Mitte der 80er Jahre so praktiziert.

Jedenfalls wird der gesäuberte Kieselgur dem Bier beigemischt und danach durch die asbesthaltigen Schichtenfilter wieder aufgefangen. Auf jeden Hektoliter Bier sind bis zu 175 Gramm Kieselgur notwendig.

WAGENBLASST kommt mit der feinmehligen und staubigen Kieselgurmasse beim Öffnen der Säcke, Umfüllen und Einfüllen des Pulvers in die Dosieranlagen in Kontakt. Im Laufe seines Brauerei-Lebens wird er etwa 175 Tonnen Kieselgurpulver bewegt haben.

Weil beim Erhitzen bzw. Ausglühen der Verunreinigungen kristalline Kieselsäure und Crisobalit entsteht, und diese Stoffe Silikose verursachen, also die Lunge durch den feinen kristallinen Staub schädigen können, lauern auch hier potenzielle arbeitsplatzbedingte Gefahren.

Über die Probleme bei der Verarbeitung von Quarz in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen, dem zentralen Rohstoff für die Keramik-, Porzellan-, Glas- und Zementindustrie weiß man in den 60er Jahren sehr viel. Ebenso von den gesundheitlichen Folgen einer Silikose, die im Volksmund auch als „Quarzstaublunge“ oder einfach nur „Staublunge“ bezeichnet wird: Der Feinstaub schädigt durch kontinuierliche Verhärtung das lebenswichtige Organ der Lunge. Irgendwann kann die keinen Sauerstoff mehr aufnehmen. Manche bekommen, bevor sie jämmerlich ersticken, Lungenkrebs oder Tuberkulose. Die Silikose ist seit 1929 als Berufskrankheit anerkannt.

Derjenige, der im Auftrag der bayerischen (bzw. fränkischen) Keramikindustrie (Rosenthal, Villeroy & Boch, Hutschenreuther) bzw. der zuständigen Berufsgenossenschaft besonders viel dazu forscht und publiziert, ist der in Erlangen lehrende Arbeitsmediziner Prof. Dr. Herbert OTTO, ein Kollege von Prof. Dr. Helmut VALENTIN und mit ihm eng befreundet. VALENTIN wird die gesamte bundesdeutsche Arbeitsmedizin nachhaltig prägen, OTTO das Thema Asbest. Beide arbeiten eng mit den Berufsgenossenschaften zusammen bzw. im Auftrag dieser. Und beide werden – ohne dass sie das kommunizieren, also heimlich – nebenbei für industrienahe Wissenschaftsinstitutionen arbeiten. 

So gehen die Jahre für WAGENBLASST dahin. Was sich seit den 60er Jahren in Sachen Asbest tut, konkret wie sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen der OTTO-Schule (Erlangen) und dem ehemaligen Schüler von VALENTIN (Erlangen) zuspitzt und wie sie (immer noch nicht) endet, haben wir hier dokumentiert: Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde - die zweiten 70 Jahre


seit 1990

Nach 30 Jahren Bierbrauerei möchte Helmut WAGENBLASST für seine restlichen beruflichen Lebensjahre eine Abwechslung. Er kündigt bei seinem letzten Arbeitgeber und wird Laborarbeiter bei einer Firma, die Druckfarben herstellt. Dort gibt es ebenfalls jede Menge diverser Chemikalien, aber keine, die in irgendeiner Weise potenziell gesundheitsschädlich sind.

Sein Leben wird ruhiger, obwohl ihn 1996 ein Herzinfarkt ereilt. Eine Stent-Implantation bringt alles wieder auf die Reihe


Juli 1997

Die WHO-Institution International Agency on Research of Cancer (IARC) in Genf stuft kristalline Kieselsäure jetzt in die Gruppe 1 der Schadstoffe ein.

„1“ bedeutet: beim Menschen krebserregend. Die Einstufung vorher war „vermutlich krebserregend“. Vier Jahre später wird in Deutschland der bisher geltende Grenzwert zurückgezogen, d.h. auf Null gesetzt. Und es wird eine neue Berufskrankheit definiert: die BK 4112 – Lungenkrebs durch Silikose. Die "Silikose" ist - ähnlich wie die Asbestose - als eigenständiger arbeitsbedingter Gesundheitsschaden schon lange anerkannt.

Neu: Jetzt wird akzeptiert, dass sich auch ein Lungenkrebs bilden kann. Und die Berufsgenossenschaft zahlen muss, z.B. eine Berufskrankheitsrente (BK-Rente), wenn ein Geschädigter nachweisen kann, dass er durch Kieselgur bzw. kristallinem Siliziumdioxyd am Arbeitsplatz geschädigt wurde und dadurch eine "Minderung der Erwerbsfähigkeit" (MdE) verursacht worden ist


danach

Helmut WAGENBLASST geht 2001 nach 46 Ausbildungs- und Berufsjahren in den wohl verdienten Ruhestand. Zwei Jahre drauf erkrankt er an einem Prostata-Karzinom, das aber gut therapiert werden kann


2009 / 2010

Im neunten Jahr als Pensionär diagnostiziert sein Arzt im November 2009 ein sog. Uvulakarzinom, d.h. einen Tumor am Gaumenzäpfchen. WAGENBLASST und der Hausarzt führen den Tumor auf seine Tätigkeit als Chemiearbeiter zurück - eine typische Situation: Viele Kranke merken oder wissen nicht oder können es sich nicht vorstellen, dass sie anderen gefährlichen Stoffen während ihres Arbeitslebens ausgesetzt gewesen sind. Und wer kommt schon auf die Idee, dass das "reine" deutsche Bier bis in die 80er Jahre hinein mit Asbest gefiltert wurde?   

Der „Sozialverband VdK Deutschland“ (früher Verband der Kriegsbeschädigten), mit fast 2 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband Deutschlands, beantragt für WAGENBLASST die Anerkennung als Berufskrankheit bei der dafür zuständigen Berufsgenossenschaft BGRCI (Bergbau, Rohstoffe, Chemische Industrie)


2010

Das Feststellungsverfahren beginnt

Die BGRCI führt ein sog. Feststellungsverfahren durch, konkret erstellt sie eine vollständige Arbeits- und Gesundheitsanamnese. Dazu schickt sie ihren Berufskrankheits-Sonderbeauftragten, der die Berufsgeschichte rekonstruiert: Er interessiert sich für die Namen aller Arbeitgeber, will alle Arbeits- bzw. Gefahrstoffe wissen, mit denen WAGENBLASST in Berührung gekommen ist. Und will auch wissen,

  • wieviele Zigaretten er raucht: seit seinem 17. Lebensjahr bis 1996 täglich 7-8 Zigaretten
  • und wieviel er trinkt am Tag: während seiner Zeit als Bierbrauer bis zu 3 Flaschen Bier und zuhause eine weitere, aber nie ‚harte Sachen‘.

Weil jetzt feststeht, dass er zuletzt  als Brauer mit

  • Formaldehyd,
  • Asbest
  • und Kieselgur

gearbeitet hat, leitet die BGRCI den Antrag an die dafür zuständige "Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel" (BGN) weiter.

Die BGN schickt im November ihren eigenen Mann: einen Mitarbeiter des Präventionsdienstes, der erneut Fragen stellt. Dabei kommt die Sprache auf weitere Schadstoffe, die eine Rolle spielen könnten: Natriumsäure, Salpetersäure, Dieselruß. Wenige Tage später erhält WAGENBLASST die Erhebung zugeschickt: „Stellungnahme Arbeitsplatzexposition“.

Darin werden die früheren Brauereistätten aufgeführt inklusive einer stichwortartigen Beschreibung der Expositionen. So hat sich beispielsweise herausgestellt, dass WAGENBLASST auch Natriumhypochlorid ausgesetzt war, weil es in einer Mälzerei einige Betriebsbereiche gab, die „stark verschimmelt“ waren und chemisch „intensiv“ gereinigt werden mussten. In einer anderen kleinen Brauerei drangen die Dieselabgase der LKW’s in die Betriebsräume und WAGENBLASST  konnte sich erinnern, dass es 5 Todesfälle mit Lungenkrebs gegeben hat – bei insgesamt 20 Mitarbeitern, die in diesem Bereich exponiert waren.

Aber jetzt ist vor allem von einem weiteren Schadstoff die Rede, von Formaldehyd.

Formaldehyd gilt durch die IARC seit 2004 als krebserzeugend, eingestuft in die „Gruppe 1“: eindeutig krebserregend. Die deutschen Gremien haben daraufhin einen Grenzwert von 0,3 ppm  für berufliche Belastungen aufgestellt.

WAGENBLASST hatte in den 60er Jahren, nachdem der Brauprozess zu Ende und das Bier gefiltert war, die großen Braukessel händisch mit Formaldehyd ausspritzen müssen: zwecks Reinigung von allen restlichen Mikroorganismen und Bakterien. Manchmal musste er dazu sogar in den Kessel steigen 


2011

Das erste Gutachten

Die BGN beauftragt mit einer "gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage" die frühere Professorin für Arbeits- und Sozialmedizin an der Heinrich-Heine-Universität, Prof. Dr. med. E. BORSCH-GALETKE, die inzwischen ausgeschieden (emeritiert) ist und Gutachtenaufträge übernimmt, sie arbeitet auch als beratende Ärztin für die BGN. Vormals war sie staatliche Gewerbeärztin in Düsseldorf. Und hatte schon fast immer nebenher als sog. Beratungsärztin für andere Berufsgenossenschaften gearbeitet – Geldverdienen – auch als pensionierter Hochschulprofessor, egal ob männlich oder weiblich - ist nicht strafbar.

Die BGN will wissen, ob es neuere Erkenntnisse darüber gibt, ob ein Uvula-Karzinom durch Asbest, Dieselruß oder Formaldehyd verursacht sein könnte. Dabei geht die BGN aufgrund ihrer eigenen Erhebung von 23 Asbestfaserjahren aus, begrenzt aber die Asbestexposition bis Ende 1977.

Ein weiteres Gutachten

BORSCH-GALETKE empfiehlt der BGN ein weiteres Gutachten durch Prof. DEITMER, Chef der HNO-Abteilung der Städtischen Kliniken Dortmund einzuholen. Noch bevor dieser Arbeitsschritt zu Ende ist, beauftragt die BG BORSCH-GALETKE erneut mit der gleichen Fragestellung und will von ihr erfahren, ob die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 4103, also eine Asbestose, grundsätzlich in Frage kommt. BORSCH-GALETKE will diese Fragestellung an einen anderen Gutachter weiterreichen und so kommt auf Vorschlag von Helmut WAGENBLASST Prof. Dr.med. Joachim A. RÖSLER ins Spiel, der gleichzeitig als Betriebsarzt an der Uni-Klinik Köln fungiert


Mai 2012

Die Begutachtungswelle beginnt

RÖSLER arbeitet gründlich, verfügt über alle bisherigen Akten und führt auch ein persönliches Gespräch mit WAGENBLASST über die Arbeits- und Gesundheitsanamnese.

RÖSLER hat zudem ein aktuelles „CT“ vor sich liegen, aus dem ein fortgeschrittenes Lungenemphysem hervorgeht, einer Überblähung der kleinsten Lungenbläschen, den sog. Alveolen, über die der Gasaustausch Sauerstoff gegen Kohlendioxid im menschlichen Körper läuft. Die Lunge besteht aus ca 300 Millionen solcher kleinen Lungenbläschen.

Sind sie irreversibel geschädigt, so hat dies meist seinen Grund in Schadstoffen, die nicht mehr in den vorgelagerten Bronchien aufgefangen werden können, weil sie viel zu klein sind: Tabakrauch, Silikate, Fein- und Quarzstaub, aber auch Asbestfasern.

RÖSLER erkennt auch das Gefahrenpotenzial des Formaldehyd. Nachdem die IARC die Chemikalie, mit denen die Braukessel desinfiziert wurden, als „krebserregend für den Menschen“ eingestuft hatte, hat auch die deutsche MAK-Kommission (Kommission zur Festlegung maximaler Konzentrationen am Arbeitsplatz) einen (gerade noch) unschädlichen Grenzwert das Maß von 0,3 ppm festgesetzt.

WAGENBLASST war aber beim Desinfizieren der Biertanks maximalen Expositionen von bis zu über 4 ppm ausgesetzt. Und diese Menge gilt als mehr als ausreichend, um ein erhöhtes Risiko darzustellen.

Prof. Dr. Joachim RÖSLER spricht sich grundsätzlich dafür aus, das Uvulakarzinom durch Formaldehydeinwirkung als beruflich bedingt anzuerkennen. Für die Anerkennung der Lungenschädigug aufgrund 23 Asbestfaserjahren empfiehlt er weitere Untersuchungen 


danach

Auch der BGN-eigene Präventionsdienst meint, „es ist anzunehmen, dass der Versicherte von 1959 bbis 1977 regelmäßig formaldehydhaltigen Dämpfen mit Konzentrationen oberhalb 1 ppm bzw. auch deutlich über 4 ppm ausgesetzt war.

WAGENBLASST geht es derweil schlechter. Das Atmen macht ihm immer mehr Mühe – die Lungenfibrose, konkret die zunehmende Verhärtung der Lunge durch die jahrzehntelange Asbest- und Kieselgurbelastung macht sich immer stärker bemerkbar. Der Kraftaufwand des schweren Atmens tut ein übriges: er beeinträchtigt wiederum das Herz, das nur noch erschöpft funktionieren kann


November 2012

Der beauftragte Gutachter, Prof. DEITMER, erstellt ein „Gutachten nach Aktenlage“. Mit dem Geschädigten unterhält er sich nicht, bekommt ihn auch nicht zu Gesicht. "Nach Aktenlage" bedeutet: Prof. DEITMER wertet alle bisherige Erkenntnisse aus, führt sie zusammen und bildet sich damit eine eigene Meinung.

Zusätzlich setzt er sich ausführlich mit dem Problem Formaldehyd auseinander und kommt nach Auswertung der internationalen Literatur bzw. aller dort veröffentlichten Erkenntnisse zu dem Schluss, dass es „insgesamt ausreichend Evidenz für einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Formaldehydexposition und der Entstehung von Nasenrachentumoren beim Menschen“ gibt. Aber: das Gaumenzäpfchen, das sich am Ende des Nasenrachenraumes befindet, zählt – formal – nicht zum Nasenrachenraum. Denn es baumelt sozusagen am Ende des Rachenraums.

Zudem bestehe „nach Aktenlage ein regelmäßiger mehrjähriger erheblicher Alkohol- und Tabakgenuss, welcher einer Vervielfachung des Risikos einer Entwicklung eben solcher Tumoren an ebensolchen Lokalisationen wie bei dem Versicherten bedeutet.“

Zusammengefasst: kein Zusammenhang zwischen Formaldehyd und Gaumenzäpfchentumor! Trotz "4 ppm"


14. Januar 2013

Ablehnung

Es kommt, wie es in der Überzahl aller Fälle geschieht: Die BGN lehnt die Anerkennung des Gaumenzäpfchentumors als beruflich bedingte Erkrankung ab.

Dass ihr dabei viele inhaltliche und rechtstechnische Fehler unterlaufen, fällt niemandem auf. Ein internes Controllingwesen für Ablehnungsbescheide gibt es nicht. Eine Berufsgenossenschaft als Monopol, die für bestimmte Branche und dort versicherte Unternehmen zuständig ist, hat das nicht nötig. Und so kommt es häufiger zu Fehlern und Pannen.

In diesem Fall sehen die so aus:

  • Die BGN begründet ihre Ablehnung damit, dass es zur Anerkennung des Tumors am Gaumenzäpfchen als "Quasi-Berufskrankheit" keinerlei neuere Erkenntnisse gäbe.
    Stimmt so nicht. Da muss man nur in den Publikationen des IARC nachlesen. Allerdings macht dies Arbeit
  • Der von der BGN bzw. deren Beratungsärztin beauftragte Prof. DEITMER hätte sich in ausreichendem Maße mit der dokumentierten Formalaldehyd-Belastung auseinandersetzen müssen. Stattdessen macht er lieber, weil einfacher, „regelmäßigen, mehrjährigen erheblichen Alkohol- und Tabakgenuss“ als "rechtlich allein wesentliche Ursache" geltend. Ein Klassiker bei ablehnenden Gutachten. Stattdessen hätte er die "rechtlich relevante Teilursächlichkeit" durch die Schadstoffeinwirkung einschätzen müssen. Aber das hat die BGN offenbar auch garnicht wissen wollen
  • Die BGN führt auch nicht die obligate Schlüssigkeitsprüfung durch, denn sonst hätte sie Prof. DEITMER um ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten bitten müssen, ob die versicherte Formaldehyd Einwirkung zumindest "rechtlich wesentliche Teilursache" des Uvula-Karzinoms war. Dies ist ein grober Rechtsfehler.
  • Wenn jemand über eine Quasi- bzw. „Wie“-Berufskrankheit entscheiden darf, sind das die Arbeitsmediziner, weil sie medizinisches mit dem Arbeitsleben verknüpfen können. DEITMER ist HNO-Arzt
  • Arbeitsmediziner ist allerdings Prof. RÖSLER. Sein Gutachten genügt den gesetzlichen Anforderungen. Und darauf hätten alle anderen eingehen bzw. sich mit dessen Argumenten auseinandersetzen müssen. Dies ist nicht geschehen.
  • Und ebenso hat die BGN es unterlassen, etwa bei der DGUV, dem zentralen Dach aller Berufsgenossenschaften nachzufragen, ob es in anderen BGen vergleichbare Fälle gegeben habe. Die Berufsgenossenschaften sind – eigentlich – verpflichtet, selbst zu ermitteln. Das allerdings macht Arbeit. 

Den Widerspruch von Helmut WAGENBLASST gegen diese Entscheidung und deren Begründungen weist die BGN (natürlich) zurück


Februar 2013

Helmut WAGENBLASST stirbt kurz vor seinem 72. Geburtstag. Wegen seiner gesundheitlichen Schäden, die er sich im Laufe seiner 30jährigen Arbeitszeit bei diversen Arbeitsstätten eingefangen hatte - angefangen bei Asbest über Formaldehyd und Kieselgur bis hin zu "Xylamon" sowie Zinn und Zink beim Orgelbau - war er die letzten Jahre ein absoluter Pflegefall: wegen seiner permanenten Luftnot gepaart mit chronischer Erstickungsangst. Dazu die körperlichen Schwäche, weil das Herz durch die Mühe des Atmens nur noch eingeschränkt funktionsfähig war. Nicht gerade einfach für seine Ehefrau


danach

Gutachten von Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL / Deutsches Mesotheliomregister

Jetzt, nachdem Helmut WAGENBLASST tot ist, soll eine Obduktion der Lunge Auskunft darüber geben, ob er an den Folgen einer Berufskrankheit, beispielsweise durch Asbesteinwirkung verstorben ist. Der damit beauftragte Prof. ROTHSCHILD vom Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Köln moniert, dass die BGN ihm nicht alle Unterlagen zur Verfügung gestellt hat und der Aufbau einer Kausalkette deswegen schwierig sei. Trotzdem kommt er abschließend zu dem Ergebnis, dass er (ebenfalls) keinen Zusammenhang zwischen der Asbesteinwirkung und der Lungenschädigung (Lungenfibrose) erkennen könne. Dabei stützt er sich ausdrücklich auf ein anderes Gutachten, dass die Chefin des Mesotheliomregisters in Bochum erstellt hat: Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL.

Prof. TANNAPFEL ist seit 2006 Vertreterin der OTTO-Schule an jenem Institut für Pathologie an der Uni Bochum, das das Deutsche Mesotheliomregister beherbergt und eine Einrichtung der Gesetzlichen Unfallversicherung ist.

In Bochum pulsiert das Herz des Gesetzlichen Unfallversicherungssystems in Deutschland. Dort ist das wichtigste Forschungsinstitut, das IPA-Institut untergebracht. Dort lehrt der Chef des IPA-Instituts als Professor an der Universität, wirkt als "unabhängiger Professor" und steht gleichzeitig in Diensten des DGUV-abhängigen Instituts. Ebenso in Bochum zuhause: Das Mesotheliomregister

Finanziert und betrieben wird es von der gemeinnützigen Georgius-Agricola-Stiftung, der DGUV und den Berufsgenossenschaften im Rahmen einer komplizierten Konstruktion, rekonstruiert in einem eigenen Kapitel bzw. Text Deutsches Mesotheliomregister, aus dem auch das Schaubild stammt:

Herrin des Geschehens ist Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL: Direktorin des Mesotheliomregisters, Direktorin des Instituts für Pathologie, das praktisch identisch ist mit der Stiftung. Beides eingebunden in das System der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung.

Natürlich begreift sich Prof. TANNAPFEL als „völlig unabhängig“, wie sie gegenüber einer panorama-Reporterin vom NDR erklärt. Und sie sieht sich auch nicht als „Mitarbeiterin einer Berufsgenossenschaft oder der DGUV“, wie sie der Asbestose-Selbsthilfegruppe schreiben wird.

Das Besondere am Mesotheliomregister: Es ist – wie das System der DGUV – ein Monopol und wacht konsequent über die Deutungshoheit in allen Asbestfragen. Um das auch materiell zu sichern, sind die pathologischen Abteilungen aller Krankenhäuser gehalten, bei Obduktionen, bei denen es um die Klärung der Frage, ob der Tod der Versicherten ursächlich auf die Folgen einer Berufskrankheit wegen Asbests zurückzuführen ist, Lungengewebe ohne besondere Aufforderung nach Bochum zu schicken. Deswegen lagern dort inzwischen Zigtausende Lungenproben von Asbesttoten.

Da kann kein einziges anderes Institut für Arbeitsmedizin an deutschen oder europäischen Universitäten mithalten (mehr zum System der Gesetzlichen Unfallversicherung unter www.ansTageslicht.de/DGUV). Und alle dort Tätigen sind der Institutsphilosophie bzw. der OTTO-Schule verpflichtet. 

Und die steht in krassem Gegensatz zu dem, was beispielsweise Deutschlands 'Asbestpapst*, Prof. Dr. med. Hans-Joachim WOITOWITZ vom Institut für Arbeitsmedizin in Giessen lehrt und was seit Jahrzehnten international wissenschaftlicher Konsens ist: Dass sich die eingeatmeten feinen Fasern des Chrysotil-Asbests, der zu über 90% das Asbestgeschehen ausmacht, nach kurzer Zeit in der Lunge usw. auflösen - nachdem sie ihre gesundheitsschädigenden und meist tödlichen Folgewirkungen in Gang gesetzt haben. 

Nur die OTTO-Schule in Deutschland, der damit in den USA verbündete Prof. ROGGLI sowie der Toxikologe David BERNSTEIN und einige andere halten dagegen. Sie haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind - direkt oder indirekt - für die Industrie tätig. Dazu findet sich eine kleine Übersicht unter <link file:7735 download internal link in current>ROGGLI + TANNAPFEL et al gegen den Rest der Welt.

Ihre Praxis und ihre Argumente, leicht verkürzt:

  • Wenn sich keine oder nicht genügend Spuren, sprich Asbestkörperchen in der Lunge finden lassen, dann kann ein Gesundheitsschaden auch nicht durch Asbest verursacht sein. So die Theorie bis 2017
  • Lassen sich doch noch einige Asbestspuren finden, etwa in Gestalt von Asbestkörperchen, dann kann die karzinogene Wirkung nicht sehr groß sein, weil sich die meisten Fasern bzw. Asbestkörpchern ja aufgelöst haben. So wird das ab 2017 wissenschaftlich propagiert werden.

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Sachen Asbest und die gegenteilige Interpretation durch die OTTO-Schule bzw. durch das System der Gesetzlichen Unfallversicherung ist rekonstruiert unter Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde - die zweiten 50 Jahre. Dort ist auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen dem "Asbestpabst" der Wissenschaft, Prof. WOITOWITZ und seinen Kollegen, versus dem 'Asbestpapst' der Industrie und deren Berufsgenossenschaften, Prof. OTTO und seinen Nachkommen in Person Prof. TANNAPFEL dokumentiert. 

So fällt das gutachterliche Statement von Frau Professorin Dr. med. Andrea TANNAPFEL im Fall von Helmut WAGENBLASST überraschend aus. Man könne zwar eine „schwere komplexe Lungenerkrankung attestieren“. Aber Asbestkörperchen konnte man so gut wie nicht finden. Ergo: „keine Hinweise für eine vergleichsweise vermehrte Asbestbelastung.


im Laufe des Jahres 2013

Und wieder ein Gutachten

Diesesmal von Prof. ROTHSCHILD, der - gestützt auf die vorigen Gutachten - ebenfalls zu dem nicht überraschenden Ergebnis kommt, dass eine asbestbedingte Berufskrankheit nicht vorliegen könne.

Und: neue Berechnungen der "Faserjahre"

Um die Ergebnisse der Professoren TANNAPFEL und ROTHSCHILD weiter zu unterfüttern, führt die BGN nochmals eine Berechnung der "Asbestfaserjahre" durch.

Mit "Faserjahren" ist die Belastung ("Exposition") durch Asbest gemeint, indem man die Stärke dieser Staub-Belastung ("Dosis") multipliziert mit der zeitlichen Dauer errechnet. Konkret: 1 Million Asbestfasern pro eingeatmetem Kubikmeter Luft mal 240 Arbeitstage à 8 Stunden ergibt 1 Faserjahr. Wer einer höheren Staubbelastung hatte, braucht für 1 Faserjahr dann weniger Arbeitstage bzw. kommt schneller auf den Schwellenwert von 25 Faserjahren. Mit "25 Faserjahren" ist in jedem Fall die Schädigung, beispielsweise ein Lungenkrebs, durch Asbest nachgewiesen. Denn Lungenkrebs kann man ja auch durchs Rauchen bekommen. 

Die gesetzliche Unfallversicherung und ihre Gutachter versuchen daher regelmäßig, die Faserjahre möglichst klein zu rechnen.

Daher unterscheidet die BGN jetzt die Expositionsbelastung, denen WAGENBLASST ausgesetzt war, nach kleinen und größeren Brauereien. Bei Größeren geht sie von einer geringeren Asbestbelastung aus, weil die moderner gearbeitet haben. Und so werden jetzt auch die Zeiträume unterschieden, weil bei Betrachtung nur der Großbrauereien weniger Jahre zusammenkommen – WAGENBLASST hat vor allem bei kleineren gebraut und Asbestsäckchen aufgefüllt.

Die BGN wartet nun mit einer neuen Faserjahreszahl auf: nicht 23 Asbestfaserjahre, wie ursprünglich vom eigenen Präventionsdienst der BGN selbst im Verfahren über das Uvula-Karzinom errechnet und von Prof. RÖSLER konstatiert, sondern jetzt plötzlich nur noch 2,2. Bestenfalls würden „ca.6 Faserjahre konzediert.“ In keinem Fall jedoch  25 Faserjahre, wie es offiziell  für die Anerkennung eines Asbest-Lungenkrebses notwendig wäre


Februar 2014

Ein Jahr, nachdem Helmut WAGENBLASST vorzeitig an Lungenkrebs gestorben ist - das Gaumenzäpfchen hatte man längst entfernt - und im fünften Jahr seit Beginn des sogenannten Anerkennungsverfahrens gibt die BGN die neuen Faserjahre-Kalkulation an ihre eigene Beratungsärztin Prof. BORSCH-GALETKE weiter. Diese kommt nach einer zusätzlichen radiologischen gutachterlichen Stellungnahme abschließend zu diesem Ergebnis:

  • keine Asbestose
  • keine vermehrte Asbestbelastung
  • keine Anerkennung als Berufskrankheit.

Und: „Der nur geringen Asbestfaserstaubbelastung mit 2,2 Faserjahren kumulativ kommt keine Ursache, noch nicht einmal eine Teilursache bei der Herbeiführung des Todes zu.“ 

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Formaldehyd und dem Tumor am Gaumenzäpfchen war ja bereits kurz vor seinem Tod abgelehnt worden


April 2014

Die Berufsgenossenschaft schickt der Witwe von Helmut WAGENBLASST zwei Bescheide in Sachen Berufskrankheiten (BK) zu: 

  • keine Asbestose bzw. "BK 4103"
  • Lungenkrebs ja, aber nicht asbestbedingt, also keine "BK 4104"

Und erneut macht die BGN zwei Fehler - absichtlich oder aus Gründen der Schlamperei oder einfach nur aus Unkenntnis, wie ein Rechtsberater der Witwe konstatiert:

  • Die gutachterlichen Bewertungen hätten nur in Kenntnis der von ihr zugrunde gelegten Asbestexposition erstellt werden dürfen. Die hat die BGN aber erst zum Schluss neu berechnet: mit 2,2 Faserjahren
  • Weil die BGN von keiner ausreichenden Schadenseinwirkung ausgeht, hat sie ein sogenanntes Zusammenhangsgutachten vermieden.

Aber das ist eben das für die Berufskranken nachteilige Prinzip, das Berufsgenossenschaften flächendeckend anwenden: Sie versuchen über externe medizinische Ermittlungen von vorneherein sogenannte Ausschlussdiagnosen zu erhalten und das Ablehnungsargument „keine ausreichende schädigende Einwirkung“ zu erreichen. Und weniger den Dingen durch eigene Recherchen auf den Grund zu gehen. Abwehrhaltung statt Klärung.

So hat die Witwe ausreichend Grund, vor dem Sozialgericht Köln gleich zwei Klagen gegen die BGN einzureichen


im Laufe des Jahres 2014

Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags

So leicht lässt sich die Witwe des Bierbrauers nicht ins Boxhorn jagen. Neben den Klagen vor dem Sozialgericht setzt sie ein Schreiben an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages auf. Denn der versteht sich als "ein Seismograf, der die Stimmung der Bevölkerung aufzeichnet. Ob die Gesetze das beabsichtigte Ziel erreichen oder zu neuen Problemen führen und daher noch einmal kritisch überprüft werden sollten" - so steht es auf der Website. 

Die Witwe versucht den Lackmustest. Sie schreibt:

"Nach meinen bisherigen Erfahrungen in meinem Fall mit der BGN ist die Bearbeitung von Berufskrankheiten für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger völlig unakzeptabel, weil kaum mehr verständlich, zeitlich nicht mehr tolerabel und viel zu kompliziert. Selbst anwaltschaftlicher Rechtsschutz läuft vielfach ins Leere, weil es nur wenige kompetente Anwälte gibt, die das BK-Recht beherrschen. Man muss zwangsläufig den Eindruck haben, dass die Unfallversicherungsträger machen was sie wollen und sich nur noch selbst verstehen." 

Da jede Petition auch bearbeitet wird, gibt es ersteinmal eine Nummer, ein Aktenzeichen: Pet 3-18-41-8280-011725. Da im Laufe dieses Jahres 15.325 Anfragen von Bürgern eingehen werden, muss sich die Witwe auf Zeit einstellen


2015 / 2016

Sozialgericht Köln

Der zuständige Richter beendet das angestrengte Verfahren - bevor es begonnen hatte - ersteinmal mit dem Hinweis, dass die Klage(n) verspätet eingereicht worden seien. Die Witwe muss also einen neuen Verfahrensantrag stellen.

Weil ein normal sterblicher Mensch (und erst recht ein Berufskranker, der nicht mehr arbeiten und sich kaum noch am Leben halten kann) sich nicht im Dickicht der vielen Verfahrensvorschriften und Usancen des Berufskrankheitsrechts und/oder der Sozialgerichtsbarkeit auskennen kann, lässt sich die Witwe von Experten der Asbestose-Selbsthilfegruppe beraten. Sie sind es, die viele Fehler im Feststellungsverfahren und insbesondere bei der mehrfach falschen Berechnung der "Faserjahre" entdecken. Und dass die seitens der BGN aufgefahrenen Gutachter allesamt die tatsächliche Asbest- und Kieselgureinwirkungen nicht berücksichtigt haben.  

Die Witwe zieht ihre einzige Trumpfkarte und beantragt ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn nur ein (einziges) Mal darf ein Kläger vor dem Sozialgericht einen selbst ausgewählten Gutachter auffahren. Und der darf auch nur ein arbeitsmedizinisches Gutachten erstellen. Um ein sogenanntes technisches Gutachten durchzusetzen, das Fragen klären soll, die eine Berufsgenossenschaft nicht oder nur schlecht ermittelt hat, ist schwierig. Da muss man vor Gericht viel Überzeugungsarbeit leisten.

Das Gericht akzeptiert schließlich die Beauftragung eines "arbeitstechnischen Gutachtens" aus eigenen Stücken, das die Witwe aber ersteinmal selbst vorfinanzieren muss


danach

Die finanzielle Vorlage der Witwe zahlt sich aus.

Dipl.Ing. Johannes SCHNEIDER aus Lennestadt hat Ahnung. Er ist nicht nur ein Asbestspezialist, sondern ein erfahrener Asbestspezialist. Offiziell nennt er sich "Technischer Sachverständiger für Berufskrankheiten durch mineralische Stäube", war jahrelang "Technischer Aufsichtsbeamter" und in diesen Funktionen im "Arbeitskreis Faserjahre" der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV e.V.) tätig.

SCHNEIDER geht das "Arbeitstechnische Gutachten" mit aller Gründlichkeit an. Und macht das Gegenteil dessen, was die vom System der Gesetzlichen Unfallversicherung in eigenen Ausbildungsstätten geschulten Sachbearbeiter in den Berufsgenossenschaften (nicht) leisten:

Er rekonstruiert das gesamte Arbeitsleben von Helmut WAGENBLASST en Detail, nimmt sich die unterschiedlichen Aufgaben und Arbeitsbedingungen bei allen kleinen und großen Brauereien vor, liest sich - was die Thematik "Filtrationsprozesse" und Asbest anbelangt - ersteinmal in die wissenschaftliche Literatur ein, vergleicht dies alles mit den unterschiedlichen Produktionsprozessen bei den Brauereien, zieht weitere Erkenntnisse zu Rate und rechnet im Anschluss erneut. Sein Erebnis: Helmut WAGENBLASST war 21,6 kumulativen Faserjahren ausgesetzt. Und nicht 2,2 wie es die Fachleute der Berufsgenossenschaft ermittelt haben.

Mit gleicher Gründlichkeit versucht er die Expositionsbelastung durch Kieselgur zu ermitteln. Und einen Zusammenhang zu der auch von Prof. TANNAPFEL diagnostizierten Lungenfibrose zu checken.

TANNAPFEL, als Vertreterin und Chefin des Mesotheliomregisters hatte in ihrer "Fachpathologischen, wissenschaftlich begründeten Stellungnahme" auf S. 6 von einem "idiopathischen Befund" geschrieben. Und damit zum Ausdruck gebracht, dass die diagnostizierte "schwere interstitielle Lungenfibrose mit initialer Wabenlungenbildung sowie akutem und floridem diffusem Alveolarwandschaden / DAD" nicht mit einem spezifischem Berufsbild in Einklang zu bringen sei. 

Dies sieht Dipl.Ing. SCHNEIDER, der das reale Arbeitsleben kennt und nicht nur den medizinischen Hochschulbetrieb, ganz anders, wenn er schreibt, dass die jetzt von ihm ermittelten Unterlagen "versierten Medizinischen Gutachtern" für eine erneute Begutachtung vorzulegen seien. Denn:

Es "ist festzustellen, dass diese Sachverständigen [gemeint u.a. Prof. TANNAPFEL] offensichtlich gar nicht oder völlig unzureichend über die intensive Einwirkung silikotischer und asbestotischer Stäube informiert waren."

Das liest sich alles etwas anders, als wie es bisher von der BGN und den vor ihr direkt beauftragten Gutachtern und Sachverständigen zu lesen war


Herbst 2016

Im siebten Jahr seit Beginn des Anerkennungsverfahrens

Weil das SCHNEIDER-Gutachten das Gegenteil dessen konstatiert, was die industriefinanzierte Berufsgenossenschaft zustande gebracht hat, gelingt es der Witwe vor dem Sozialgericht, jetzt - wie vom Gutachter des "Arbeitstechnischen Gutachtens" empfohlen, ein neues unabhängiges arbeitsmedizinisches Gutachten durchzusetzen, das auf den neuen Erkenntnissen von Dipl. Ing. SCHNEIDER aufbaut und diese Daten medizinisch interpretiert.

Prof. Dr. med. Xaver BAUR von der Charite in Berlin (vormals "UKE" in Hamburg) konzentriert sich unter anderem auch auf das Asbestproblem. Er kommt in seinem 43seitigen Zusammenhangsgutachten zu einer völlig anderen Einschätzung als Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL.

Seine Diagnose: Helmut WAGENBLASST litt nicht nur an einer asbestbedingten Asbestose seit mindestens 2009, sondern auch an einem asbestbedingten Lungenkrebs seit 2011/2012. Wegen der hohen Kieselgurexposition regt Prof. BAUR weitere Untersuchungen an, ob nicht auch eine Silikose vorliegen könnte.

Das ist das Ergebnis im Oktober 2016, dass jetzt - im Gegensatz zuvor - 2 fundierte Gutachten vorliegen. Gutachten, die nicht von einer Berufsgenossenschaft beauftragt wurden, sondern auf Initiative der Witwe hin durch das Gericht.

Nun muss die BGN Stellung dazu nehmen. Sie erbittet sich Bedenkzeit, will sich zuvor fachärztlich beraten lassen. Nachdem dies geschehen ist, geschieht etwas Ungewöhnliches:

Die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe akzeptiert die Ergebnisse der beiden Gutachten. Und sie erkennt - nachträglich - für Helmut WAGENBLASST zwei Berufskrankheiten an:

  • eine Asbestose ("BK 4103")
  • und den asbestbedingten Lungenkrebs ("BK 4104")

Und sie erfragt beim Gericht, ob es weitere Ermittlungen zum Problem einer Silikose durchführen wolle.

Damit ist der erste Akt des Berufsanerkennungs-Dramas zu Ende. Man sollte annehmen, dass jetzt die gesetzlich vorgesehenen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SBG VII) a) korrekt und b) ohne weitere Verzögerungen gezahlt werden


Das Jahr 2017

"Organisierte Leistungsverweigerung" ?

Mit der (nachträglichen) Anerkenntnis der Berufskrankheiten von Helmut WAGENBLASST steht der Witwe eine Versichertenrente zu. Dazu müssen u.a. 2 Dinge geklärt und entschieden werden:

  1. das in Frage kommende Arbeitsentgelt, das die Höhe der Rente beeinflusst
  2. der Tag, ab wann die Rente gezahlt werden muss.

Für Frage 1 kommen entweder der Tag der Erkrankung oder der Tag der letzten schädigenden Asbesttätigkeit. Hier entscheidet sich die BGN für den 21. Juli 1977. Da betrug der gemittelte "JAV", der Jahresarbeitsverdienst ,13.588,76 Euro. Hätte sie den 27.11.1984 gewählt, dann hätte der "JAV" 23.105,51 € betragen. Also fast das Doppelte. Und ebenso die Witwenrente.

In Punkto Frage 2 unterstellt die BGN als Tag des Eintritts des Versicherungsfalls den 2. August 2012, an dem das Lungenkarzinom röntgenologisch festgestellt wurde. Arbeitmediziner Prof. Dr. med. Xaver BAUR hatte allerdings in seinem Gutachten geschrieben, dass anhand des Röntgenbildes der Lungenkrebs mindestens schon ein ganzes Jahr zuvor ausgebrochen sein musste.

Mit diesen Entscheidungen zahlt die BGN

  1. eine Witwenrente auf Basis des fast um 50% geringeren "JAV" und
  2. dies nur für den Zeitraum 3.8.2012 bis 25.2.2013, also knapp 7 Monate.

WAGENBLASST's Witwe macht etwas, was wohl die wenigsten machen. Sie lässt sich erneut von den Experten der Asbest-Selbsthilfegruppe beraten. Und die stellen schnell wiederum Fehler fest. Witwe WAGENBLASST muss also erneut Widersprüche aufsetzen - unter Hinweis auf die sachlichen Fehler.

Das Beharren auf Recht und Gesetz und unter Hinweis auf die entsprechenden Regeln und Vorschriften hat Erfolg. Die BGN gibt nach, ändert ihre Bescheide, zahlt das, was sie zahlen muss: die korrekte Höhe und für den entsprechenden Zeitraum auch rückwirkend.

Aber nur, weil WAGENBLASST's Witwe a) nicht aufgibt, b) inzwischen die Schwachstellen kennt und c) auf eben diese hinweist


2018

Die Witwe von Helmut WAGENBLASST, Karin HERRMANN, könnte nun die Hände in den Schoß legen, weil jetzt

  • im 8. Jahr seit Beginn des Feststellungsverfahrens und
  • insgesamt 5 Feststellungsverfahren mit Widersprüchen

für sie alles in Ordnung ist.

Witwe HERRMANN gibt sich allerdings nicht zufrieden. Auch wenn sie sich letztlich durchsetzen konnte: Wie sieht das bei anderen aus, die nicht so viel Kraft und Durchhaltevermögen haben?

Dass sie sich durchsetzen konnte, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sie sich nicht gescheut hatte, die Politik einzuschalten. Da sich die Parlamentarier im Deutschen Bundestag gerne auch als "Volksvertreter" bezeichnen lassen, sollte man dies wörtlich nehmen.

Karin HERRMANN's Petition stammt aus dem Jahr 2014. Da der Petitionsausschuss mit Eingaben überflutet wird, muss man Zeit einkalkulieren. Nach vier Jahren ist es nun soweit:


Das Bundesversicherungsamt (BVA), das vom Petitionsausschuss dazu aufgefordert worden war, antwortet am 8. Januar 2018:

"Die Berufsgenossenschaft hat uns gegenüber eingeräumt, dass nach kritischer Durchsicht der maßgeblichen Vorgänge in den von Frau Herrmann benannten Feststellungsverfahren nicht alle Entscheidungen absolut korrekt getroffen worden seien. Auch hätte an der einen oder anderen Stelle die Bearbeitung zügiger durchgeführt werden können." 

Aber:

"Eine, wie von der Petentin vorgeworfen. organisierte Leistungsverweigerung habe demgegenüber nicht festgestellt werden können und werde entschieden zurückgewiesen."

Hier ist das Schreiben des BVA an den Petitionsausschuss in Gänze zu lesen.

Der Petitionsausschuss wiederum rapportiert dieses Ergebnis an Karin HERRMANN 


danach

Weil sich in den letzten vier Jahren weitere Fehler seitens der BGN aufgetürmt hatten, schreibt Karin HERRMANN am 20. Januar 2018 erneut an den Petitionsausschuss, führt die 'Pannen' von allen 5 Feststellungsverfahren auf und hängt dies alles en Detail in einer Liste aller Versäumnisse an. Auf dem Erscheinungsbild einer "organisierten Leistungsverweigerung" besteht sie. Da gibt es bis heute noch keine Antwort - wir befinden uns erst im zweiten Jahr


Mai 2018

Weil Karin HERRMANN aber enttäuscht von der 'hohen Politik' ist, insbesondere von der SPD, die sich ja immer gerne mit dem sozialen Mäntelchen bekleidet, schreibt sie direkt an Hubertus HEIL, den "Bundesminister für Arbeit und Soziales". Und betont, dass sie den Eindruck haben müsse, dass die „parlamentarische Kontrolle nicht funktioniert, weil z.B. das Bundesversicherungsamt (BVA) in Petitionen nachweisbare Fehler nicht erkennt und auch nicht konkret bezeichnet; damit führt es seine gesetzlichen Kontrollfunktionen gar nicht oder nur unzureichend durch.“ Genau dies habe die Antwort des BVA an den Petitionsausschuss belegt.

Konkret hätte das BVA die Fehler der BGN genau benennen müssen. Beispielsweise um dem Gesetzgeber aufzuzeigen, wo der Handlungsbedarf für Reformen besteht. Wenn man Fehler nicht beim Namen nennt, sieht man auch den Lösungsbedarf nicht.

Und als allgemeines Beispiel weist sie auf folgenden Widerspruch hin:

  • Der eingetragene Verein namens „Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV e.V.)“, das zentrale Dach aller Berufsgenossenschaften, betone gegenüber der Öffentlichkeit und den politischen Gremien regelmäßig die schnelle Bearbeitungszeit von 6 bis 8 Monaten bis zu einer Anerkennung. 
  • In ihrem Fall beläuft sich die tatsächliche Bearbeitungszeit aber auf über 100 Monate.

Und sie fragt, ob die BGN "in ihrem Schattenreich machen kann, was sie will?" 

Und: "Wo bleibt da der Rechtsstaat?"

Es antwortet nur ganze drei Wochen später der im Bundesministrium (BMAS) für die "Unfallversicherung" zuständige Referatsleiter "IV a 4", Harald GOEKE. Die innere Struktur und die Zuständigkeiten dieser Fragen in diesem Ministerium haben wir an anderer Stelle beschrieben: Wie es weitergeht, dort unter dem Stichwort BMAS.

Er könne "sehr gut verstehen", dass sie "verärgert" sei, entschuldigt sich der Beamte. Und deshalb könne er verstehen, dass sie jetzt das Ministerium als vorgesetzte Dienstbehörde des BVA dafür sorgen solle, dass "offizielle dienstaufsichtsrechtliche Beanstandungen" vorgenommen würden.

Doch

"Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass mir ein solches Eingreifen weder gegenüber der BGN noch gegenüber dem BVA möglich ist."

Denn

"dem Ministerium stehen gegenüber den Berufsgenossenschaften als selbstverwaltete Körperschaften des öffentllchen Rechts fachlich sowie dienstrechtlich keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu."

Und Gleiches gilt im Verhältnis des Ministeriums zum BVA.

Hier ist das Antwortschreiben des Referatsleiters Harald GOEKE zu lesen


Resümee

Der Ministerialbeamte Harald GOEKE will offenbar damit das bestätigen, was wir in einem anderen Zusammenhang ausführlich beschrieben haben: Das System der Gesetzlichen Unfallversicherung ist ein Staat im Staate, ein undurchsichtiges Schattenreich, das sich jeglicher öffentlichen, sogar der politischen Kontrolle entzieht: Das Schattenreich: Arbeitsmedizin und Gesetzliche Unfallversicherung


lessons learned

Und das ist es, was man aus diesem Beispiel und einem anderen Beispiel (36 Jahre: 11 Asbest-Gutachter, 30 Gutachten und kein Ende) lernen kann:

  • Auf Ansagen, Feststellungsbescheide, Gutachter usw. des GUV-Systems kann man sich nicht verlassen. Ein System, das sich selbst perpetuiert, indem es seine unzähligen Angestellten aller Ebenen in eigenen Ausbildungsstätten und Hochschulen auf das trimmt, was vorrangig Ziel der Veranstaltung ist, nämlich möglichst kostengünstig für die Unternehmen die gesetzliche Pflicht einer Unfallversicherung zu übernehmen, kann eine solche Aufgabe nicht wirklich erfüllen, wenn es sich jeglicher politischer Kontrolle entzieht.
  • Weil dies so ist, muss man das zwar ersteinmal als Faktum zur Kenntnis nehmen, sollte es aber nicht akzeptieren.
  • Die Politik, das sind vor allem die Bundestagsabgeordneten, vornehmlich jene der sogenannten "Volks"-Parteien, aber auch die letztlich dafür verantwortlichen Arbeitsminister - all die kümmern sich nicht um diese Probleme.
  • Deswegen lautet die Empfehlung, sich zur Wehr zu setzen, da wo es geht: Experten zu suchen, die nicht abhängig sind, alles nachzuprüfen, was das System an Entscheidungen trifft, regelmäßig vor Gericht ziehen. Und vor allem: Öffentlichkeit herstellen. Zum Beispiel über den Petitionsausschuss.

Was man sonst noch tun kann (WKMT), haben wir zusammengestellt in einem etwas anderen Zusammenhang unter www.ansTageslicht.de/wkmt.


(JL)