Aerotoxisches Logbuch: Was sich tut und was sich nicht tut - bei "Fume Events" und bei der Gesetzlichen Unfallversicherung im Zusammenhang mit Berufskrankheiten

Als "Aerotoxisches Logbuch" hat es 2017 angefangen. Jetzt haben wir es erweitert. Nicht nur um "Fume Events" geht es jetzt hier, sondern um Berufskrankheiten ganz grundsätzlich, für die - eigentlich die "Gesetzliche Unfallversicherung" (GUV) zuständig ist. Aber wie das so ist bei Versicherungen: Die Beträge nehmen sie gerne, zahlen wollen sie aber nur ungern.

Wir erweitern das Logbuch, das wir als Blog führen, deshalb, weil wir den misslichen Umstand, dass Menschen, deren Arbeitsplatz das Flugzeug ist und die in ein Fume Event geraten und deshalb arbeitsunfähig, aber nicht entschädigt werden, ganz grundsätzlich angehen müssen. Also an den Wurzeln packen müssen. Aus diesem Grund werden wir ab September 2023 auch Vorgänge und Ereignisse hier listen, die nicht nur fliegendes Personal betreffen.

Zum Themenfeld Fume-Event finden Sie viele Texte (die wir "Kapitel" nennen), zentral aufrufbar unter

Das Problemfeld Berufskrankheit lässt sich zentral erschließen unter

Informationen über Gutachter bzw. "Schlecht"-Achter unter

Einige unserer Texte ("Kapitel") zu Fume Events  gibt es auch in englischer Sprache:

Dieser Blog, den wir nach wie vor als Aerotoxisches Logbuch führen werden, aber eben in etwas erweiterter Form, lässt sich mit diesem kurzen (Perma)Link direkt aufrufen und verlinken:

30. Januar 2020

EASA thematisiert "Kabinenluft"

2 Tage lang gab es Vorträge und Diskussionen, hier nachzulesen im offiziellen Programmheft. Auf dem Podium: die "üblichen Verdächtigen" in Gestalt der Airlines, Hersteller und einige Vertreter aus der wissenschaftlichen Szene, die sich schon öfters damit hervorgetan haben, dass von der gesamten Problematik keinerlei Gefahren ausgehen.

Allerdings wird jetzt nicht mehr darüber gestritten, ob solche Fume Events überhaupt vorkommen. Die Lufthansa konzediert - wie seit einigen Jahren - solche Vorkommnisse in einer Häufigkeit von 0,05%, anders gesagt: rechnerisch 1,85 Fume Events täglich über alle LH-Flüge gerechnet. Insoweit nichts Neues.

Neu allerdings der Umstand, dass auch die Patienten-Initiative p-coc.com eingeladen war. Zwar wurde eine eingereichte Präsentation zum Thema aus Betroffenensicht nicht akzeptiert, aber Fragen waren zugelassen.

Von dieser Möglichkeit hat p-coc.com Gebrauch gemacht und durch gezielte Nachfragen die Branche offenbar aufgeschreckt. Anscheinend hat man jetzt Sorge, dass sich die wenigen diversen Initiativen untereinander verbünden und damit mehr öffentliche Wirkung entfalten könnten.

Der Umstand, dass sich die Crew bei jedem Flug immer neu zusammensetzt, dass es also keinerlei eingespielte Teams gibt, erwies sich bisher als sichere Barriere dafür, dass sich keinereli solidarisches Verhalten aufbauen konnte - weder bei den Piloten noch bei den Flugbegleitern. Die Lufthansa beschäftigt beispielsweise rund 20.000 Flugbegleiter.

Das könnte sich nun durch p-coc.com und deren geplanten Aktivitäten ändern.

Der britische Cpt. John HOYTE, dem Gründer von aerotoxic.org und selbst einst Pilot, hat zu der Veranstaltung eine Presseerklärung veröffentlicht.

Juni 2019

Fume Events

Wie schon mehrfach betont, dokumentieren wir (eigenlich) keine Fume Events (mehr). Dies hatten wir testweise für einige Jahre bis Ende 2016 unter www.ansTageslicht.de/incidents gemacht und mussten feststellen, dass es keine validen Zahlen dafür gibt. Die Meldewege sind a) weder einheitlich organisiert noch b) vorgeschrieben und die Airlines c) sind über derlei Meldungen 'not amused'. Folge: Das Bordpersonal gibt solche Hinweise nur ungern weiter. Bzw. nur dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Die zuständigen Aufsichtbehörden in Deutschland wie die BFU und das LBA erfahren davon nur punktuell und die EASA ohnehin äußerst selten, und es ist - wie es sich regelmäßig herausstellt - auch nicht ihr Interesse, solche Vorfälle aufzugreifen oder gar der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Darüber hatten wir an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet.

Nun sind aktuell mehrere dramatischere Vorfälle bekannt geworden, die dem Aviation Herald zugetragen und von ihm nachrecherchiert worden sind. Dieser Blog ist die wichtigste Informationsquelle für diese Art von Vorkommnissen:

Fall 1

betrifft einen Lufthansa-Flug aus dem Jahr 2016, dessen Details erst jetzt an die Öffentlichkeit kommen: einen LH-Airbus A340-600, der am 10. Januar 2016 auf dem Weg von Hongkong nach München unterwegs war. Mehrere Flugbegleiter klagten über die allbekannten Symptome wie Schwindel, heftige Kopfschmerzen, Blick- und Konzentrationsstörungen. Drei von ihnen wurden so krank, dass sie seither arbeitsunfähig, sprich fluguntüchtig sind.

Die Maschine musste nach Landung 16 Stunden auf dem Boden bleiben, um das gesamte Textilequipment in der Kabine auszutauschen. Wie sich erst jetzt dem Aviation Herald bekannt wurde, war dies bereits der zweite von insgesamt 3 Fume Event-Vorfällen in Folge. Bereits auf dem Hinflug hatte es ein Fume Event gegeben. Tags drauf, am 12. Januar 2016 ereignete sich ein solches erneut, diesesmal auf dem Weg nach Dubai.

Die BFU, der diese Vorfälle offenbar wegen der Häufigkeit bekannt wurden, war nicht bereit, eine Untersuchung einzuleiten. Für sie sind derlei Vorkommnisse nicht beunruhigend und werden nur al "incident" eingestuft. Dass Flugpersonal dabei nachhaltig krank und arbeitsunfähig wird, stört die Aufsichtsbehörde nicht.

Die Lufthansa und die zuständige Berufsgenossenschaft hat den Vorfall der drei erkrankten Crewmitglieder als "Arbeitsunfall" eingestuft. Mit dem zusätzlichen Hinweis: "Gleichzeitig werden Entschädigungsleistungen ... über den 12.1. 2016 hinaus abgelehnt, da die von IHnen geklagten Beschwerden ursächlich nicht meher auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen sind."

Dazu hat der Aviation Herald ein Schreiben der Lufthansa an eines der Mitglieder des Kabinenpersonals online gestellt, in dem die Krankheitsbeschwerden aufgeführt sind.

Fall 2

ist nicht weniger dramatisch. Über diesen Vorfall hat sogar die Tageszeitung Die Welt am 10. Juni 2019 berichtet: "Beißender Geruch" in der Kabine eines Lufthansa-Jumbos.

Es geschah am 7. Juni 2019 und betraf einen Jumbo-Jet des Typs Boeing 747-8 der Lufthansa auf dem Weg von Mexiko. Der war bereits auf der Startbahn unterwegs, musste wegen des plötzich auftretenden "beißenden Geruchs" aber wieder umdrehen und zum Gate zurückkehren. Vier oder 5 der Besatzungsmitglieder wurden ins Krankenhaus gebracht.

Die Lufthansa ging offenbar auf Nachfragen der Zeitung nicht näher ein und sprach lediglich von einem "undefinierbaren Geruch" - um den üblichen Standardsatz ergänzt: "Die Sicherheit der Fluggäste und Besatzungsmitglieder hat für uns zu jeder Zeit oberste Priorität."#

Fall 3

ist wohl der dramatischste, weil er auch die beiden Piloten betraf, die aber - als Einzige in einem Flugzeug - auf Sauerstoffmasken zurückgreifen können (sofern sie dazu noch imstande sind).

Diesesmal betrifft es einen Airbus A 321 der British Airways von London nach Kopenhagen. Und es betraf die beiden Piloten, die sich beim Landeanflug mit Sauerstoffmasken 'retten' konnten. Sie mussten danach allerdings ins Krankenhaus. Der Rückflug musste um 29 Stunden verschoben werden.

Anmerkung

Wie üblich schweigen die Ämter. Und die Krankenhäuser. Die Airlines sowieso. Aus diesen Gründen ist regelmäßig nur wenig zur erfahren. Das aber wäre wichtig, um den (schlafenden) Politikern in dieser Sache die Dramatik vermitteln zu können.

Wir rufen daher das Flugpersonal aber auch die Passagiere (die in der Regel überhaupt nicht wissen, was da abgeht) auf, Meldungen zumindest an den Aviation Herald abzusetzen. Es ist dies der (bisher) einzige valide Informationskanal, der aber selbst auch weiß, dass er nur die Spitze des Eisbergs vermitteln kann.

Nach offiziellen Angaben selbst der Lufthansa, die sich dabei auf Zahlen des British Committee on Toxicity aus dem Jahr 2007 stützt, kommt es im Durchschnitt auf 2.000 Flügen zu einem Fume Event. Umgerechnet auf die Anzahl der Flüge allein der LH entspräche dies 10 Vorfällen pro Woche.

15. Mai 2019

Literaturstudie zur Kabinenluft durch den BDLI aus dem Jahr 2017

Wir hatten den BDLI genau vor einem Monat angeschrieben und nach den Ergebnissen einer Studie gefragt, die dieser seinerzeit groß angekündigt hatte: eine vollumfängliche Literaturauswertung zum Problem der Kabinenluft. Die veröffentlichung wa für Dezember 2017 vorgesehen, was inzwischen 16 Monate her ist. Angeblich wurden insgesamt rund 800 Publikationen ausgewertet, die dazu weltweit zu finden waren.

Eine Antwort haben wir bisher nicht erhalten. Nun haben wir - genau 4 Wochen später - nachgehakt. Und werden über das Feedback berichten.

Anfang Mai 2019

Wir hatten im März den verkehrspolitischen Sprecher der CSU im Europaparlament, Markus FERBER, angesprochen, der im Zusammenhang mit dem Absturz zweier Boeing 737 Max 8-Maschinen die EASA mit deutlichen Worten kritisert hatte, weil die Behörde von den Problemen dieses Flugzeugstyps gewusst hatte. Aber nichts gesagt, veröffentlicht und niemanden gewarnt hatte. Ein typisches Verhalten von Aufsichtsbehörden, deren Mitarbeiter sich ausschließlich in ihren Dienstvorschriften ergehen und keinerlei Empfindungen für potenzielle Geschädigte haben. Markus FERBER hatte dazu gesagt: "Eine Flugsicherheitsbehörde, die einen Softwarefehler erst als Risiko einstuft, wenn schon zwei Flugzeuge abgestürzt sind, stellt für den Bürger selbst ein Risiko dar."

Wir hatten Markus FERBER auf das Problem der potenziell kontaminierten Kabinenluft hingewiesen und er hat uns geantwortet:

  • Auch er ist der Meinung, dass "dieses Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient"
  • dass das EP die Kommission schön öfters darauf hingewiesen habe, "dieses Problem zu untersuchen",
  • und die deshalb eine Untersuchung bei der EASA in Auftrag gegeben habe,
  • deren Ergebnisse im Dezember dieses Jahres vorliegen sollen.
  • Denn die Kommission fordere, "dass Ereignisse, welche ungewöhnliche Gerüche und Rauch enthalten, gemäß der Verordnung EU Nr. 376/2014 obligatorisch gemeldet werden müssen."

Und FERBER schreibt:

"Ich bin der Ansicht, dass man der EASA - wie jeder Behörde - genau auf die Finger schauen muss und nicht zögern darf, Mängel und Fehler aufzuzeigen. Die Thematik der potentiell kontaminierten Kabinenluft ist für mich von großem Interesse, ich werde die Veröffentlichung der Studienergebnisse Ende des Jahres kritisch verfolgen."

Wir werden Markus FERBER dabei unterstützen. Und haben ihm das auch signalisiert.

18. März 2019

EASA und Prävention in Sachen Flugsicherheit

Was von der Zuverlässigkeit und Nützlichkeit der EASA in dieser Hinsicht zu halten ist, hat der EASA Chef Patrick KY im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments (TRAN) am 18. März zum besten gegeben: Nach dem tödlichen Absturz einer Boeing 737 Max 8 der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air im Oktober 2018 wusste die EASA kurz danach bereits um die Probleme der nicht wirklich funktionierenden MCAS-Software und die unzureichende Schulung der Piloten im Umgang damit. Dies musste nun KY auf Nachfragen der EU-Abgeordneten einräumen.

Eine Warnung seitens der EASA danach gab es nicht. Auch wurde dieses potenzielle Problem offenbar überhaupt nicht kommuniziert. 

Stattdessen gab es nun einen zweiten Absturz einer solchen Maschine der Ethopian Airlines am 10. März mit 157 Toten. Und erst jetzt rückt die EASA mit solchen Informationen raus - auf parlamentarische Nachfragen bzw. Druck hin.

Der verkehrspolitische Sprecher der Europa-CSU im EU-Parlament, Markus FERBER, hat dazu eine klare Meinung: 

"Eine Flugsicherheitsbehörde, die einen Softwarefehler erst als Risiko einstuft, wenn schon zwei Flugzeuge abgestürzt sind, stellt für den Bürger selbst ein Risiko dar."

Wir wollen nun von Markus FERBER erfahren, ob er die EASA auch zum Problem der kontaminierten Kabinenluft befragen will.