Insgesamt drei wissenschaftliche Publikationen gab die „kriminelle Verantwortungslosigkeit“ (SPIEGEL) für die Erlanger VALENTIN-Schule her. VALENTIN kannte die Situation vor Ort, war selber zu einem allerersten Gespräch nach Marktredwitz gereist, das der Betriebsrat angeleiert hatte.
Der Vorsitzende des Betriebsrats erinnert sich später an diese Situation so, als er 1990 vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag über die Betriebsschließung angehört wurde. Zuvor war der Umweltskandal aufgeflogen, der Geschäftsführer wegen „umweltgefährdender Abfallbeseitigung und fahrlässiger Gewässerverunreinigung“ zu einer (Geld)Strafe verurteilt worden.
„Der Betriebsrat hatte sich damals von Herrn Prof. Valentin sehr viel erhofft, wurde aber bitter enttäuscht. Denn es mußte schon irgendwie grotesk anmuten, wenn Herr Valentin bei der Betriebsbegehung mit Quecksilber, mit metallischem Quecksilber spielte, und meinte, es wäre doch gelacht, wenn man die Firma nicht sanieren könnte ... Das stärkste Stück aber hat sich Herr Valentin erlaubt, als er auf die Frage, wie man das große Problem der Abfallbeseitigung angehen wolle, da antwortete Herr Valentin – und das war der größte Witz -, dann suchen Sie sich im freien Gelände, also im Hof, einen großen Platz und tragen dort sämtliche Quecksilberabfälle zusammen, Schlämme, organische und anorganische Quecksilber-verbindungen, und lassen diese dann in freier Natur verdampfen. Wir hatten natürlich, also das heißt der Betriebsrat hatte den Eindruck, ich komme nicht umhin, das so zu formulieren, daß Prof. Valentin genau das gemacht hat, was die Berufsgenossenschaft wollte.“
Bis 1981 hatte die MAK-Kommission, zuständig für „Maximale Arbeitsplatz Konzentration“-Grenzwerte die tolerierbare Quecksilber-Dosis nur in der Luft gemessen: 100 Mikrogramm pro Kubikmeter. Für Quecksilberrückstände im Urin galt bis 1970 ein Wert von 250 Mikrogramm pro ausgeschiedenem Liter. Weil Quecksilber bekanntermaßen für die Menschen gesundheitlich hoch problematisch ist, wurde dieser Wert 1971 auf 100 Mikrogramm reduziert. Dies war ein quasi inoffizieller Wert, den die Berufsgenossenschaften selbst als "Grundsatz G 9" so definiert hatten.
Darüber gab es im Oktober 1981 nun eine Diskussion, in die sich auch VALENTIN einbrachte. Er berief sich auf die Empfehlungen seiner Mitarbeiter SCHIELE, GROBE, SCHALLER, die zwei Jahre zuvor publiziert hatten, dass "die Einhaltung der von uns vorgeschlagenen Grenzwerte ... 200 Mikrogramm/g. K. im Urin bzw. 50 Mikrogramm Hg/L Blut ... unseres Erachtens einen genügend großen Schutz und einen ausreichenden Sicherheitsbereich für die exponierten Arbeitnehmer gewährleiste."
Weil die MAK-Kommission in diesem Jahr erstmals BAT-Werte definierte ("Biologische Arbeitsplatz-Toleranzwerte", gemessen alternativ im Blut oder Urin), bestand das Ergebnis dieser Diskussion darin, dass der tolerierbare Wert - jetzt offiziell als "BAT"-Wert gekennzeichnet - ab sofort 200 Mikrogramm Quecksilber pro Liter Urin betrug. So gesehen wieder erhöht bzw. verdoppelt wurde.
Der damalige Gewerkschaftssekretär der IG Chemie-Papier-Keramik Gerd ALBRACHT (später Abteilungsleiter für Arbeitsschutz im hessischen Sozialministerium) nahm dazu im Bayerischen Landtag folgendermaßen Stellung:
„Es war eigentlich nicht erkennbar, warum dieser Wert erhöht wurde. Wenn man genau hinguckt - und dies ist auch bei einer Sitzung einmal dargelegt worden - , dann hat dies wohl den wichtigsten Grund darin gehabt, daß man eben für die Chemische Fabrik Marktredwitz Situationen schaffen wollte, daß man nicht ständig über einem Grenzwert liegt. Diese Empfehlung ist von Herrn Prof. Valentin trotz der bekannten Erkrankungsfälle von Quecksilberintoxikationen an die Berufsgenossenschaft weitergegeben worden, die für die Erstellung dieser Grundsätze federführend zuständig war."
VALENTIN, der ebenfalls als „Zeuge“ vor den U-Ausschuss geladen war, stritt diesen Zusammenhang ab – er wäre gar nicht Mitglied der MAK-Kommission gewesen. Korrekt. VALENTIN selbst war nicht Mitglied der MAK-Kommission. VALENTIN war Vorsitzender des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten beim Bundesarbeitsministerium. Und er war Präsident der Bayerischen Akademie für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin in München. In der MAK-Kommission saß ein anderer: Dipl. Chemiker Karl-Heinz SCHALLER, Mitautor von allen drei Quecksilberpublikationen und enger Mitarbeiter von Helmut VALENTIN.
Zu diesem Umweltskandal gibt es übrigens einen preisgekrönten Film, den der Westdeutsche Rundfunk 1988, ein Jahr vor Einsetzung des Parlamentarischen U-Ausschusses in München, in der Reihe „Gesucht wird …“ ausgestrahlt hatte: „Quecksilber in Marktredwitz“ des Journalisten Gert MONHEIM (siehe Bildausschnitt). Der Abschlussbericht des Parlamentarischen U-Ausschuss im Bayerischen Landtag aus dem Jahr 1990 lässt sich hier lesen oder downloaden: Chemische Fabrik Marktredwitz (Drucksache 11/17677).