H.W., ehemals Bierbrauer: asbestbedingter Lungenkrebs, Witwenrente nach 8 Jahren Kampf

Bier wird immer und zu allen Zeiten getrunken, erst recht in Deutschland. So wechselt auch H.W. nach einer Orgelbauer-Lehre die Branche, arbeitet die nächsten 30 Jahre bei mehreren Brauereien. Weil das Bier hierzulande nicht nur „rein“ sein muss, sondern auch klar und nicht trüb ausschauen soll, wird das Getränk gefiltert. Das eine Verfahren nennt sich „Massefiltration“ und geschieht mit Asbestsäckchen. Wenn die Filter „erschöpft“ sind, müssen sie ausgetauscht werden. Das andere arbeitet mit Kieselgur und mit noch mehr Asbest, denn Weißasbest (Chrysotil) ist biegsam, ideal fürs Filtern. Bis in die Mitte der 80er Jahre wird das so praktiziert.

Beim Ausglühen (800 Grad C) des Kieselschlamms entstehen kristalline Kieselsäure und Crisobalt, feinste Staubpartikel, die wie bei der Asbestose oder Silikose die Lunge verhärten, bis sie keinen Sauerstoff mehr aufnehmen kann – ein qualvoller langsamer Erstickungs-Tod ist die Folge.

2001 geht H.W. nach 46 Lehr- und Berufsjahren in Rente, erkrankt an einem Uvulakarzinom (Gaumen-Zäpfchen). Das Feststellungsverfahren der BG ergibt: H.W. war nicht nur mit Asbest und Kieselgur in Kontakt, sondern auch mit Formaldehyd in hoher Dosis. Mit der Chemikalie hatte er die Kessel ausspritzen müssen. Weil das IARC die Substanz als „krebserregend“ einstuft, hat die deutsche MAK-Kommission den Grenzwert auf 0,3 ppm festgesetzt. H.W. war bis zu über 4,0 ppm ausgesetzt. Eigentlich ein klarer Fall.  Doch jetzt beginnt die Welle der Begutachtungen: hin und her, her und hin, vor allem „Gutachten nach Aktenlage“.

Eines besagt, dass es zwar „insgesamt ausreichend Evidenz für einen kausalen Zusammenhang“ gäbe, aber das Gaumenzäpfchen, das sich am Ende des Nasenrachenraumes befindet, zählt – formal – nicht zum Nasenrachenraum. Im übrigen habe H.W. geraucht und vor allem auch regelmäßig Bier getrunken!

Die BG lehnt den Gesundheitsschaden als Berufskrankheit (BK) ab. Ebenso den Widerspruch. Insgesamt 7 Gutachter sind involviert, währenddessen H.W., zuletzt ein absoluter Pflegefall, qualvoll stirbt.

Weil die Witwe das so nicht akzeptieren will, macht sie etwas, was die meisten in einer solchen Situation nicht (mehr) schaffen: Sie beauftragt und finanziert eigene Gutachter, die handfeste Fehler in dem Ablehnungsbescheid der BG ausfindig machen. Die BG muss klein beigeben.

Dafür zieht sie ein anderes Register: sie trickst bei der Berechnung der Witwenrente - sie hat genügend Sachbearbeiter, die dazu alle notwendigen Feinheiten kennen. Eine trauernde Witwe und ihr Anwalt können da nicht mithalten.

Doch sie gibt – für die BG wider Erwarten – nicht auf, schaltet den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ein, der das Begehren an das Bundesversicherungsamt (BVA) weitergibt. Nach weiteren 4 (in Worten: vier) Jahren im Januar 2018 ein erster Bescheid: Ja die BG N hätte eingeräumt, dass „nicht alle Entscheidungen absolut korrekt getroffen worden seien.“ Aber eine wie von ihr monierte „organisierte Leistungsverweigerung“  habe nicht festgestellt werden können.

Die Witwe schreibt erneut, listet en Detail alle Versäumnisse auf. Da sich dieser Vorgang erst im zweiten Jahr befindet, gibt es – Stand 2019 - noch keine Antwort.

Aber das BMAS hat sich zu einer Stellungnahme durchgerungen: „dem Ministerium stehen gegenüber den Berufsgenossenschaften als selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts fachlich sowie dienstrechtlich keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu."

Mit anderen Worten: Die Politik hat sich als Kontrollorgan aus der „Gesetzlichen“ Unfallversicherung verabschiedet.

 Ausführlich unter www.ansTageslicht.de/BierundAsbest

(JL)