Worauf es wirklich ankommt: Know-how
Arbeitsmediziner sind keine Toxikologen. Und Toxikologen in der Regel keine Arbeitsmediziner. Was im Prinzip kein Problem ist, solange jeder "Schuster bei seinen Leisten bleibt". Konkret: Solange sich jeder nur zu dem äußert, worüber er auch wirklich gut Bescheid weiß.
In einer Welt, die immer mehr von zunehmender Komplexität geprägt ist bzw. deren Funktionieren man immer mehr nur im Zusammenhang begreifen kann, ist das schon lange nicht mehr zeitgemäß. Bedeutet: Entweder bindet man Fachleute mit unterschiedlicher Expertise von vorneherein zusammen oder einzelne Experten machen sich auch in anderen Fachgebieten schlau, unabhängig davon, ob sie "Dr. med" und/oder "Dr. rer. nat." sind. Es kommt weniger auf äußere Form und Titelei an, sondern um das reale Know-how.
Prof. DREXLER's Literaturliste
Der erst jetzt ins Spiel gebrachte Toxikologe, Prof. Dr. rer. nat. Hans Uwe WOLF, vormals Professor für Toxikologie an der Universität Ulm, Abteilung Pharmakologie und Toxikologie der Medizinischen Fakultät, und auch nach Beendigung seiner universitären Tätigkeit immer noch als Gutachter unterwegs, nimmt sich in seinem "toxikologischen Zusatzgutachten" als erstes die ausgewerteten Quellen und die daraus abgeleiteten Bewertungen von Prof. Dr. med. Hans DREXLER vor. Prof. WOLF liest genau. Er überlässt diesen Job nicht einer seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen.
Die Analyse von 11 herangezogenen Literaturen bzw. Studien bewertet Prof. WOLF zusammenfassend so:
"Der weitaus größte Teil der vom Vorgutachter [gemeint: Prof. DREXLER] zur Feststellung des Erkrankungsrisikos des Klägers herangezogenen Studien ist für eine derartige Beurteilung ungeeignet." Grund: "Die Vergleichbarkeit der in den Studien zu Grunde liegenden Expositionsbedingungen" ist mit denen von Kai WACKER "nicht oder nicht ausreichend gegeben."
In einem Fall, so hält es Prof. WOLF fest, konnten die von Prof. DREXLER genannten Ergebnisse "in dieser Form der genannten Publikation nicht entnommen werden." Soll wohl bedeuten: Da hat jemand ein wenig 'gedichtet'.
Die realen Belastungen von "äußerst gering"
Prof. Dr. rer. nat. Hans Uwe WOLF geht präzise vor. Er listet detailliert auf, welchen Stoffen Kai WACKER während seiner beruflichen Arbeit ausgesetzt war und wie die realen Arbeitsbedingungen ausgesehen haben. Nicht, wie solche Arbeitsbedingungen in den Publikationen der Berufsgenossenschaften und/oder der DGUV üblicherweise (schön)geschrieben sind.
Auf zwei Probleme konzentriert sich der Toxikologe: Dieselmotor-Emissionen und Aromatische Amine. Für letztere gibt es die "BK 1301". Für eine beruflich bedingte Exposition gegenüber Dieselmotor-Emissionen gibt es noch keine "BK". Bis das Bundesministerium für "Arbeit und Soziales" auf gesundheitliche bzw. soziale Probleme von Arbeitenden eingeht, dauert es Jahre, in der Regel mindestens ein Jahrzehnt, eher länger.
Prof. WOLF's Resümee:
- Die Ottokraftstoffe (Normal und Super) enthielten lange Jahre Azo-Farbstoffe, darunter z.B. das "Sudan Rot 7B", Kraftstoffe von ARAL "Solvent Blue 35", das wiederum Toluol enthielt. Bestimmte Azo-Farbstoffe aus der Gruppe der Aromatischen Amine können o-Toluidin abspalten. Und das ist kanzerogen, sprich krebserzeugend.
- Diesemmotor-Emissionen stellen ein "komplexes Gemisch von Verbrennungsprodukten" dar, darunter Rußpartikel und "Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe", kurz PAK's. Beides ist kanzerogen, sprich krebserzeugend.
Um zu ermitteln, welcher Belastung Kai WACKER z.B. Aromatischen Aminen ausgesetzt war, macht Prof. WOLF eine Risikorechnung auf: Wenn ein Auto zwischen zwei Ölwechseln 30.000 Kilometer fährt und dabei 8 Liter/100 Km verbraucht, sind dabei 2.400 mg Sudan Rot verbraucht. Wenn dann nur 1% davon unverbrannt bleibt und ins Motoröl übergeht, befinden sich in 6 Liter auszutauschendem Öl etwa 24 mg Sudan Rot. Wenn man das auf die Anzahl von Ölwechseln in einer Kfz-Werkstatt an 200 Arbeitstagen im Jahr umrechnet, ergibt dies eine kumulative Dosis von ca 6 mg pro Jahr, denen ein Kfz-Mechaniker ausgesetzt ist. Multipliziert zum Schluss mit der Anzahl der Berufsjahre.
Soweit zur Prof. DREXLER's Begutachtung, dass die Menge der Azo-Farbstoffe nur "äußerst gering" gewesen sind. Rein mengenmäßig gesehen ist das zutreffend. Aber nicht, was die Folgen im menschlichen Organismus anbelangt. Und auf die kommt es an.
Der BGHM-Mann: Dr. Hans-Martin PRAGER
Weil die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) ihre Felle davonschwimmen sieht, schaltet sie ihren Mann 'fürs Grobe' ein, konkret: fürs grobe Argumentieren: Dr. PRAGER.
Dr. med. Hans-Martin PRAGER ist vielen Berufskranken kein Unbekannter. Der Grund: Dr. PRAGER verdient seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit Gutachtenschreiben und einer der (aller)wichtigsten Auftraggeber sind die Berufsgenossenschaften. Insbesondere die BGHM. Mit ihr hat Dr. PRAGER sogar einen "fachärztlichen Beratervertrag". Und trotzdem taucht Dr. PRAGER regelmäßig auch vor deutschen Sozialgerichten als 'unabhängiger Sachverständiger' auf. Eigentlich geht das nicht. Aber in deutschen Sozialgerichten ist viel möglich, was nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften entspricht.
Auf die Auswahl des Counterparts bei der BGHM gegenüber Prof. Dr. WOLF haben die Richter des Hessischen Landessozialgerichts keinen Einfluss. So scheint die Aufgabe von Dr. PRAGER klar zu sein: Alles abzustreiten, was der Toxikologe an Fakten ins Feld führt, und das zu bestärken, was Prof. DREXLER in seinem Gutachten behauptet hat.
Dr. PRAGER setzt eine wissenschaftliche Stellungnahme auf, seine erste, zitiert eine Quelle, die sich in keiner medizinischen Datenbank finden lässt, stellt Behauptungen auf, für die er keinen Beleg angibt. Prof. WOLF muss auf all das schriftlich reagieren, was er auch dezidiert macht.
Dr. PRAGER schreibt erneut, seine Stellungnahme Nr. 2, denn auf dezidierte Argumente kann er - offenbar mangels Know-how - nicht reagieren, und so versucht Dr. PRAGER abzulenken, indem die Risikoabschätzung des Toxikologen anzweifelt, aber nicht merkt, dass er die Expositionssituation von Kai WACKER "nicht korrekt bzw. gravierend unvollständig" erfasst, wie Prof. WOLF in seiner erneuten Gegen-Stellungnahme konstatiert.
Dr. PRAGER holt erneut aus, Stellungnahme Nr. 3, und Sinn und Zweck scheint weniger zu sein, die fachlichen Argumente des Toxikologen auszuhebeln, als diesen vielmehr zum Aufgeben zu veranlassen und bei den Richtern Zweifel an dem Zusatzgutachten von Prof. WOLF auszulösen. Denn die müssen alles lesen und für eine andere Entscheidung als das vorangegangene Sozialgericht auf all diese Punkte eingehen. Das macht Arbeit, ist mühevoll und nimmt Zeit in Anspruch.
Prof. WOLF kontert erneut, macht höflich auf eine Verwechslung von Benzol mit Aromatischen Aminen aufmerksam.
Dr. PRAGER, der für jeden Schrieb bezahlt wird, gibt nicht auf, setzt eine vierte Stellungnahme auf, in der er erneut mit dem Hinweis ablenkt, dass die fragliche Konzentration nur gering gewesen und im übrigen die geforderte Risikoverdoppelung nicht gegeben sei. Prof. Hans-Uwe WOLF stellt klar, dass die "Risikoverdoppelung" gar nicht Voraussetzung für einen Kausalitätsbeweis sei, in der Wissenschaft seit langem überwiegend abgelehnt und deswegen von ersten Landessozialgerichten nicht mehr gefordert werde.
Dr. PRAGER gibt auf. Er ist mit seinem Latein am Ende, merkt wohl, dass ständiges Wiederholen von untauglichen Argumenten weder den Toxikologen aus der Fassung bringt noch das Gutachten des Arbeitsmediziners Prof. DREXLER stabilisieren kann.