Dieser Straftatbestand ist im § 278 des StGB geregelt und setzt vor allem 2 Dinge voraus:
- "Unrichtigkeit"
- den bedingten Vorsatz des Täters, weil das Gesundheitszeugnis, sprich das Gutachten "wider besseres Wissen" erstellt sein muss.
Die juristischen Kommentare zu diesem Paragraphen bzw. zur Interpretation und zu bereits ergangenen Gerichsturteilen sind nicht gerade umfangreich. Und nicht übermäßig ergiebig. Die klassischen Fälle beziehen sich auf "unrichtige" Arbeitsunfähigkeitszeugnisse für Personen, die krank feiern wollen - obwohl sie gesund sind. "unrichtig" ist hier also die Zustandsbeschreibung der Arbeitsfähigkeit.
Bei medizinischen Gutachten - wie hier diskutiert - liegt die Sache anders. Es geht nicht darum, krank oder gesund zu attestieren, sondern die "haftungsausfüllende" Kausalität zwischen einem Schadensereignis oder einer Exposition und den gesundheitlichen Folgen zu belegen, die auch erst längerfristig eintreten können und wo dann oft wegen nicht vorhandener Messungen oder Beweisen die "hinreichende Wahrscheinlichkeit" nicht belegt werden kann (oder soll). Dafür beauftragen Richter ja ihre Gutachter.
Dazu sind Richter selbst natürlich nicht im Stande. Aber sie könnten, wenn sie wollten, und eigentlich müssten sie auch, weil sie ihnen eine amtliche Ermittlungspflicht obliegt, Gutachten zumindest nach formalen Kriterien überprüfen - unabhängig der medizinischen Interpretation einzelner Aspekte:
Hat der Gutachter die relevante Literatur herangezogen? Vollständig? Und die dann korrekt zitiert? Hat er etwas weggelassen bzw. verschwiegen? Sind alle notwendigen Untersuchungen erfolgt? Wurden alle vorhandenen Befunde anderer Ärzte usw. berücksichtigt? Ist er auf umstrittene Meinungen eingegangen und wie positioniert er sich da selbst? Und mit welchen Argumenten? Undsoweiter.
Eine tabellarische Gegenüberstellung der Aussagen in DREXLER's Gutachten mit dem Meinungs- bzw. Erkenntnisstand anderer Wissenschaftler und/oder Mediziner ergibt, dass das, was die BG Verkehr in ihrer Stellungnahme geschrieben hat und was Prof. DREXLER teilweise 1:1 in seinem Gutachten wortwörtlich übernommen hat, nicht dem allgemeinen Erkenntnisstand in Sachen "Fume Event" entspricht. Die BG Verkehr benutzt, um auf ihrer "gängige Lehrmeinung" herumzureiten, natürlich nur passende Veröffentlichungen und lässt alles andere weg. So findet sich das jetzt auch im DREXLER-Gutachten. Z.B. zum Thema "TCP", siehe dazu im Text weiter oben. "Unrichtig"?
Gleiches gilt für die Interpretation des erhöhten Vitamin B6-Wertes (s.o.). DREXLER hat weder die vollständige Literatur benutzt noch ist er auf den Zusammenhang eingegangen, dass TCP durchaus das Krankheitsbild einet Polyneuropathie, an der Markus FENZEL jetzt leidet, begründen kann. Darstellung im Gutachten daher "unrichtig"?
Insgesamt 18 solcher Punkte kommen im Fall von Markus FENZEL zusammen, die mehr oder weniger eine "Unrichtigkeit" belegen. Eigentlich würde man annehmen, dass ein renommierter Arbeitsmediziner, der sich ja als Experte auf seinem Fachgebiet sieht, so viel vermutete "Unrichtigkeit" nicht versehentlich, also "wider besseres Wissen" zusammenschreiben kann. Aber all das ist als "Verdacht" aufgeführt. Und zu entscheiden hat das jetzt die Staatsanwaltschaft.
Und so geht im April 2020 die Anzeige an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Zweigstelle Erlangen. Das Ermittlungsverfahren dort wird unter dem Az 903 Js 143186/20 geführt.
(2) Einstellung des Verfahrens
Das deutsche Strafrecht ist alt, es stammt aus dem vorvorigen Jahrhundert, wurde natürlich hier, da und dort ergänzt und aktualisiert, aber atmet noch immer vielfach den Geist des (wilhelminischen) Obrigkeitsstaates, in dem die Justiz ein Instrument der Herrschaftausübung ist und nicht nur dazu dient, für Fairness in diesem sensiblen Bereich zu sorgen.
Und so kommt es, wie es abzusehen war: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein.Begründung:
"Der Tatnachweis kann nicht geführt werden. Es liegen keinerlei zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen verfolgbarer Straftaten vor. Es ist schon nicht zu erkennen, dass das Fachgutachten unwahr ist. Hierzu müssten darin angegebene Befunde oder die angegebenen ärztlichen Beobachtungen der Wirklichkeit nicht entsprechen."
Bedeutet: Die Staatsanwältin hat sich keine Mühe gemacht, genau hinzuschauen und zu lesen. Stattdessen benutzt sie den üblichen Ausweg über den § 170 Abs 2 der StPO, indem sie sich auf den Standpunkt stellt, dass die Ermittlungen nicht "genügend Anlass" für eine öffentliche Klage geben. Anders gesagt: Sie will nicht. Und das kann sie auch kraft ihres Amtes: nicht wollen.
(3) Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens
Das ist ein normales Recht, gegen eine solche Entscheidung "Beschwerde" einzulegen, die dann an die Generalstaatsanwaltschaft geht, die diese aber - wie offenbar in Nürnberg üblich - einfach wieder der vorigen Staatsanwältin übergibt. Ohne selbst zu prüfen, aber das war im Fall Gustl MOLLATH ja auch nicht der Fall gewesen.
(4) Vorübergehendes Aussetzen der Ermittlungen
Nun ist es wieder an derselben Staatsanwältin, die jetzt einen anderen Ausweg nutzt. Um aus dem Problem herauszukommen, sich mit der Strafanzeige gegen einen medizinischen Gutachter und dazu einen bekannten, auseinandersetzen zu müssen, verweist sie auf den § 154 d der StPO.
Wenn Paragraphen Buchstaben führen, weiß man, dass es erstens nachträgliche Ergänzungen einer Vorschrift aus neuerer Zeit sind, die zweitens in der Regel dazu eingeführt werden, um es den Prozessführenden leicher zu machen, in diesem Falle den Staatsanwälten.
§ 154d StPO besagt, dass ein Ermittlungsverfahren durch die Staatsnanwaltschaft vorübergehend ausgesetzt werden kann, wenn die mögliche "Erhebung einer öffentlichen Klage wegen eines Vergehens" von einer Frage abhängt, die z.B. in einem parallel laufenden Sozialgerichtsverfahren "zu beurteilen ist." Soll bedeuten: Ob das Gutachten "unrichtig" ist oder nicht, soll gefälligst Richter BEYER entscheiden.
Nur: Richter Nenad BEYER wird nicht über die Richtigkeit oder "Unrichtigkeit" des DREXLER-Gutachtens entscheiden. Er wird dieses Gutachten als Beweismittel benutzen. Und nicht in Frage stellen. Deswegen hat er es bestellt.
Die Argumentation der Nürnberger Staatsanwaltschaft ist nach gängiger Juristenmeinung voll daneben. Offenbar kennen sich Nürnberger Staatsanwälte nicht mit den Meinungen aus, die in einschlägigen Strafrechtskommentaren zu lesen sind, beispielsweise im "Münchner Kommentar" zum Paragraphen 170 Abs. 2, Randnummer 12. Die Staatsanwältin hätte genau beschreiben müssen, welche Frage (bzw. juristisch: "Vorfrage") denn das Sozialgericht bei dieser Strafanzeige klären solle.
(5) Sachliche Dienstaufsichtsbeschwerde
Also schreibt Markus FENZEL mit Unterstützung der Patienteninitiative Contaminated Cabin Air (P-CoC) erneut und setzt eine "sachliche Dienstaufsichtsbeschwerde" auf, die sich nicht gegen eine Person, sondern gegen die Entscheidung in der Sache richtet. Und weist darauf hin, dass es im Sozialgerichtsverfahren nicht um einen Straftatbestand geht. Und dass die Anzeige und die notwendige Ermittlung der Staatsanwaltschaft ja genau verhindern soll, dass ein anderes Gericht eine Entscheidung auf einer - eventuellen - Straftat aufbaut.
(6) Ablehnung der Dienstaufsichtsbeschwerde durch die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth
Nichts zu machen, die Nürnberger Justiz bleibt unbeeindruckt von Argumenten und sachlichen Hinweisen. "Daher muss es mit der letzten Verfügung ... sein Bewenden haben." Punkt.
(7) Gegenvorstellung
Diese Option ist in der Strafprozessordnung (StPO) nicht vorgesehen, aber zulässig, wenn man nochmals - und dies mit Nachdruck - auf einen Denkfehler oder eine - der eigenen Meinung nach - nicht sachgerechte Entscheidung hinweisen will.
Auch das nützt nichts, die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beharrt auf ihrer Entscheidung.