Seit 1925 werden Gesundheitsschäden als Folge von Benzol-Einwirkungen als Berufskrankheit anerkannt, jedenfalls grundsätzlich, denn bereits drei Jahrzehnte zuvor, also im 19. Jahrhundert, hatte man diesen Stoff als reale Gesundheitsgefahr erkannt: Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom, Blutarmut ("Aplastische Anämien"), Knochenmarksdepression.
Anerkannt als "beruflich verursacht" natürlich nur, wenn ein Betroffener
- die "haftungsbegründende" Kausalität plus
- die "haftungsausfüllende" Kausalität
nachweisen kann. Das betrifft etwa den Nachweis, ob jemand genug Benzol abbekommen hat. 'Wie viel' das sein muss, daran arbeiten die Wissenschaftler und Arbeitsmediziner, die dies im Auftrag und eingebunden in das System der Gesetzlichen Unfallversicherungen tun. Es geht um die Menge der "ppm-Benzoljahre", eine Maßeinheit, die - nach Meinung der Mainstram-Arbeitsmediziner - nur bei Erreichen einer Mindestdosis als Ursache für eine benzoltypische Krebserkrankung anerkannt werden kann. Bzw. soll.
Führende Vertreter dieser "herrschenden Meinung" waren lange Zeit die Arbeitsmediziner Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL, die heute dem GUV-eigenen Deutschen Mesotheliomregister vorsteht (mehr unter www.ansTageslicht.de/Mesotheliomregister) sowie Prof. Dr. med. Gerhard TRIEBIG (mehr unter www.ansTageslicht.de/TRIEBIG und www.ansTageslicht.de/BK1318). Sie forderten "200 ppm-Benzoljahre", die sich nach dieser Formel errechnen: Wenn jemand permanent 1 ppm Benzol ausgesetzt ist, dies 8 Stunden am Tag bzw. 40 die Woche und das dann ein ganzes Jahr lang, also an 200 Tagen, dann spricht man von "1 ppm-Benzoljahr". "1 ppm" meint 1 Anteil auf 1 Million Anteile in 1 Kubikmeter Luft (Anders gesagt: 1 ppm entspricht 1 Promille von 1 Promille). Alles, was darunter liegt, sollte nach Meinung der Mainstream-Arbeitsmediziner nicht zählen.
Ähnlich wie bei den (benzolbasierten oder strukturell mit Benzol verwandten) krebserzeugenden Aromatischen Aminen wollte die Gesetzliche Unfallversicherung auch hier ein sogenanntes Abschneidekriterium etablieren, um die Hürden für eine Anerkennung möglichst hoch anzusetzen. Denn je höher die Anerkennungshürden, umso weniger Ausgaben kommen auf die Gesetzliche Unfallversicherung zu. Wir haben eine solche Strategie beschrieben im Kapitel "Harnblasenkrebs vor Gericht". Dass andere schwergewichtige Wissenschaftler, die sich nicht dem Mainstream verschrieben haben (H.-J. WOITOWITZ, H.W.THIELMANN, K. NORPOTH, D. HENSCHLER, E. HALLIER), auch bei Benzol betonten, dass es "weltweit unumstrittene Lehrmeinung ist, dass für typische, genotoxisch kanzerogene Stoffe Wirkungsschwellen als Dosismaß nicht definiert und nicht begründet werden können", störte die industriefinanzierte Gesetzliche Unfallversicherung nicht.
Und so wurde daraus ein mehr als zehnjähriger Kampf im "Ärztlichen Sachverständigenbeirat 'Berufskrankheiten'" gegen die Industrie und deren Vertreter in diesem Gremium, bis diese Ansicht durchlöchert werden konnte, wie sich der damalige Vorsitzende dieses Gremiums und Mitverfasser der Kritik, Prof. Dr. med. Hans-Joachim WOITOWITZ, erinnert. Dem Sachverständigenbeirat gelang dies auch nur, weil er in einer ungewöhnlich ausführlichen "Wissenschaftlichen Begründung" auf 79 Seiten unter detaillierter Bezugnahme aller vorhandenen Studien anderer Wissenschaftler weltweit argumentierte.
Heute weiß man, dass bereits kleine Mengen ausreichen, um Krebs zu erzeugen. Denn Benzol ist anerkanntermaßen "kanzerogen", auch im "Niedrigdosisbereich". Die WHO geht dabei bereits von 10 ppm-Benzoljahren aus. Und nicht von 200.
Trotzdem muss jeder, den es gesundheitlich getroffen hat, darum kämpfen. Die Chancen, zu obsiegen, sind nicht hoch. Die Anerkennungsquote bei einer Schädigung des Knochenmarkssystems (BK 1303) liegt bei 4%. Die Wahrscheinlichkeit, Blutkrebse, Leukämie oder Non-Hodgkin-Lymphome als beruflich verursacht (BK 1318) anerkannt zu bekommen, liegt bei 17%. So besagt es die Statistik des Bundesministeriums für "Arbeit und Soziales" für 2019.