Wir fragen die zuständige Gewerbeaufsicht in Niedersachsen, wie es um ihre Verantwortlichkeit und ihre Aufgabe steht. Sie unterhält landesweit 10 Gewerbeaufsichtsämter (GAA) und eines davon in Braunschweig, also direkt vor der Haustüre des dortigen VW-Werkes.
Wir erfahren dies:
Wenn es zu Arbeitsunfällen kommt, müssen die Betriebe das GAA nur dann informieren, wenn jemand, der verletzt wurde, mehr als drei Tage arbeitsunfähig ist. Solche Unfallanzeigen "werden daraufhin überprüft, ob eine Ermittlung unsererseits anlassbezogen notwendig ist. Bei tödlichen oder besonders schweren Unfällen werden wir auch oft direkt und sehr zeitnah von der Polizei oder dem Betrieb vor Freigabe der Unfallstelle eingebunden. In letzteren Fällen nehmen wir immer unverzüglich eigene Ermittlungen auf, ob Arbeitsschutzmängel den Unfall (mit) verursacht haben."
Der Arbeitsunfall von C.B. war ein "schwerer" Unfall, aber kein "besonders schwerer". Ergo musste das GAA keine "eigenen Ermittlungen" aufnehmen. Da der Geschädigte sechs Tage auf der Intensivstation eines Krankenhauses gelegen hatte, musste allerdings beim Braunschweiger GAA eine Unfallanzeige eingegangen sein: die des Arbeitgebers, also VW. Nicht jene der BGHM.
Weil die beiden Unfallanzeigen schon beim ersten Lesen voneinander abweichen, konnte das GAA darüber nicht stutzig werden. Allenfalls beim gedanklichen Nachvollziehen, wie plausibel und/oder wahrscheinlich es ist, dass ein Mitarbeiter, der ein Umformwerkzeug "umsetzen" will und dazu die Trageketten am Werkzeug befestigt hat, danach
- das Werkzeug mit einem Kran anhebt und sich dann
- entweder gleichzeitig oder unmittelbar sich
- "zwischen die beiden Werkzeuge" begibt.
"Das macht nur ein Selbstmörder", sagt uns dazu C.B.
Wir fragen das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig, ob die Behörde einfach die seitens der Unternehmen gemachten Angaben übernimmt? Ohne die Plausibilität zu hinterfragen?
Die Behördenleiterin des GAA Braunschweig, Dr. Petra ARTELT, antwortet uns dies:
"Wir gehen in der Regel davon aus, dass das Unternehmen der Wahrheit entsprechende Angaben in der Unfallmeldung macht. Dazu ist das Unternehmen gesetzlich verpflichtet. Das GAA leitet eigene Ermittlungen ein, wenn es uns unter Würdigung des Einzelfalls notwendig und geboten erscheint."
Eine "Würdigung des Einzelfalls" gab es hier offensichtlich nicht. Im übrigen weist die Behördenleiterin, Frau Dr. ARTELT, darauf hin, dass "die Belange im Arbeitsschutz der Vertraulichkeit" unterliegen.
"Vertraulichkeit", "Geschäftsgeheimnis", "Datenschutz" und vor allem auch "Sozialdatenschutz": Mit derlei Schlagworten verhindern nicht nur die Unternehmen oder deren Berufsgenossenschaften, sondern in diesem Fall auch die Behörde, dass über den Weg von Transparenz a) Probleme und Unzulänglichkeiten in einem Bereich diskutiert und b) Lösungen gefunden werden können, die einen der wichtigsten Bereiche eines Menschenlebens schützen sollen: die menschliche Arbeit.
Derlei verschwiegene Probleme stellen wir ausführlich dar in einem eigenen Kapitel: Arbeitsschutz in Deutschland: Schein und Sein.