Nr 1: Der Clan, das Verbrechen, die Ehre

Drogenhandel, Erpressung, Gewaltattacken: Auch in NRW hat sich eine kriminelle Parallelgesellschaft meist arabischer Großfamilien etablert.

Von Axel SPILCKER im Kölnrt Stadtanzeiger v. 27.3.2019

Bilal H. rastete aus: „Schlampe“, herrschte er die Mitarbeiterin des Ordnungsamtes in der Essener City laut Polizeiprotokoll an. Während der bullige Mann auf die Frau zustürmte und zum Faustschlag ausholte, schob er noch zahlreiche schlimmere Beschimpfungen hinterher. In letzter Sekunde stellten sich Kollegen der städtischen Mitarbeiterin dazwischen, um den tobenden Angreifer zu bremsen: Bilal H., vielfach vorbestraft, Mitglied des berühmt-berüchtigten Al-Zein-Clans.

Der verängstigten und zitternden Frau brüllte er den Ermittlungen zufolge noch einige Flüche hinterher: „Verpiss dich,wenn ich dich hier noch mal treffe, schlag ich dich kaputt.“ EinemP olizisten in Zivil, der zufällig vor Ort war, ging der Berufsverbrecher noch an den Kragen, weil der die Szene per Handy gefilmt hatte. Bilal H., Spitzname„ Pumpgun Bilal“, weil er seinen Vater einmal mit einer derartigen Waffe bedroht hat, ließ keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach in dem Viertel das Sagen hat: der Clan. Der Grund für den Ausraster: Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes hatten eine Spielhalle in der Essener Innenstadt kontrolliert und dabei H. mit seinem kleinen Sohn angetroffen. Kinder dürfen nicht in die Räume, sagte die Frau vom Amt – und die Situation eskalierte.

Vor Gericht verantworten musste H. sich deshalb aber nicht. Denn bei der Essener Justiz ist der wuchtige Schläger gefürchtet. In einem Vermerk plädierte ein Amtsrichter dafür, die Anklagen in der Spielhallen-Sache und weiteren Fällen von Beleidigung, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung nicht zu verhandeln.Zu hoch erschien ihm das Sicherheits-Risiko durch Tumulte seitens des Angeklagten und seiner Familie im Gerichtssaal. Im Falle eines Prozesses seien wohl ein Dutzend Justizwachtmeister nebst Polizeiaufgebot nötig,„um eventuelle bedrohliche Situationen zum Nachteil der geladenen Zeugen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft oder auch des Gerichts zu unterbinden.“

Bilal H. kam deshalb mit einem Strafbefehl über siebeneinhalb Monate auf Bewährung davon. In einer anderen Sache hatte er zuvor eine Geldbuße von 1.800 Euro erhalten, die er aber jahrelang schuldig blieb. Offiziell lebt er von Hartz-IV-Einkünften.Tatsächlich aber soll er sich ach der Einschätzung von Ermittlern durch Straftaten finanzieren,etwa durch Diebstahl und Hehlerei. Sein Vorstrafenregister enthält zudem noch zahlreichew eitere Einträge von Jugend an: unerlaubter Waffenbesitz, Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung.

14.225 Straftaten in NRW

Miri, Omeirat, Remmo, AbouC haker, El Kadi, Serhan, Nemr und Tamr, El Kurdi: Die Namen haben bundesweit in der Unterwelt großes Gewicht bekommen. Bei weitem nicht jeder Angehörige geht illegalen Geschäften nach. Der Arm der kriminellen Familienzweige reicht jedoch von der Spree, über die Weser bis an die Ruhr und den Main. Das weit verzweigte Sippen-Netz verläuftv om südlichen Schweden über Deutschland, Belgien, Niederlande bis in die Türkei und den Libanon. Auch die Ruhrschiene ist mittlerweile Clan-Land. Das Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) zählt 100 Sippen in NRW. Aufgelistet wurden 6449 Tatverdächtige aus dem Milieu, die bis 2018 binnen zwei Jahren 14 225 Straftaten begangen haben sollen. Das Register umfasst Schutzgelderpressung, Einbruch, Raubüberfall, Drogen und Waffenhandel, Betrug mit Gebrauchtwagen oder bei Kfz-Versicherungen, gewerbsmäßige Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Zigarettenschmuggel, Produktpiraterie bis hin zum Handel mit gefälschten Viagra-Pillen.Jung, gewalttätig, skrupellos, ohne Respekt vor der Staatsmacht: Das ist der Prototyp eines Clanmitglieds. Bilal H. ist einer von ihnen. Von einem Wettbüro-Betreiber soll er im Jahr 2014 150.000 Euro gefordert haben. Zudem sollte der Bedrohte zwei Zockerbuden der Familie übergeben und 10.000 Euro monatliches Schutzgeld bezahlen, andernfalls sei erein toter Mann.

Wettbüro-Besitzer erpresst

So zumindest legen es Vermerken ahe, die dieser Zeitung vorliegen. „Ich sag dir offen, dass du unser Gast bist hier in Essen und ohne uns hier diese Geschäfte nicht machen kannst“, soll ein anderer Schläger aus dem El-Zein-Clan gedroht haben. Als er sich geweigerth abe zu zahlen, so der Wettbürobetreiber, hätten die Einschüchterungsversuche zugenommen: Am Telefon habe Bilal H. deutlich gemacht, dass er aufpassen müsse. Er, Bilal, habe schon im Gefängnis gesessenund er habe auch kein Problem damit, nochmals wegen ihm in den Knast zu wandern,  drohte er laut Aussage des Geschäftsmannes. Am Abend soll es einen weiteren Drohanruf einer El-Zein-Größe gegeben haben. Ali H. saß zu jener Zeit im offenen Vollzug in Castrop-Rauxel. Das soll ihna ber nicht davon abgehalten haben, sich das Handy eines Knastkumpels auszuleihen, um den Wettbürobesitzer weiter unter Druck zu setzen. Jahrelang versuchte die Essener Staatsanwaltschaft Bilal H.und seine Verwandten, die dieV orwürfe stets bestritten, wegen Erpressung zu belangen. Letztlich aber wurden die Angeklagten wegen Ermittlungsfehlern und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Bundesgerichtshof verwarf 2018 die Revision der Ankläger.

Der 37jährige Araber gehört zud en großen Problemfällen an der Ruhr. H. gilt als eine der führenden Figuren im libanesischen Al-Zein-Clan der Reviermetropole. Sein Vater ist eines der Oberhäupter der Großfamilie mit geschätzt 5.000 Mitgliedern, die in Berlin und an der Ruhr Hunderte Strafakten füllt. „Die Heimat ist der Clan“, erläutert Essens Polizeipräsident Frank Richter. „Der deutsche Staat mit seiner Werteordnung wird verachtet. Er gilt als schwach.

Versagen der Politik

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) moniert, dass die Politik tatenlos zugesehen habe, wie sich „in den vergangenen 30Jahren kriminelle Strukturen“ verfestigt hätten.„Es hat sich eine Parallelgesellschaft entwickelt“, konstatiert der Minister. Machogehabe, Protzen mit dicken Schlitten, mangelnder Respekt vor der Ordnungsmacht,gepaart mit archaischen Wertebegriffen, an deren Spitze die Familie steht:

Ein einfaches Gut-und-Böse-Denken beherrscht den abgeschotteten Clan-Orbit, der das schnelle Geld durch Straftaten verspricht. Wer sich „gerademacht“ auf der Straße, genießt Ehre und Ruhm. Gefängnisaufenthalte gelten als Auszeichnung. Bei Clans wie den Al-Zeins handelt es sich um sogenannte Mhallamiye-Kurden, die in den1920er Jahren vor den Repressalien des Atatürk-Regimes aus der Türkei in den Libanon flüchteten.

Vor dem Bürgerkrieg in Beirut flohen die Sippen in den 1980er Jahren nach Deutschland. Viele von ihnen wurden Staatenlose. Zwar geduldet, mangels Arbeitserlaubnis durften sie hierzulande allerdings nicht jobben. „Also nutzten sie ihre Clanstrukturen, um illegal Geld zu erwirtschaften“, erläutert Daniel Kretzschmar, Berliner Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter(BDK).

Zu spät habe man erkannt, dass nur ein hoher Personaleinsatz die Entwicklung stoppen könne. Auch deshalb, weil der Nachwuchs mancher Familien von klein auf „angelernt“ werde, die „Gangsterphilosophie“ zu verinnerlichen. So wie Clan-Spross Bilal H., der im syrischen Deir-Zor auf dieWelt gekommen sein will. EinUmstand, der dazu führt, dass ertrotz seiner Straftaten immer wieder aufs Neue eine Duldung erhält. Die Ermittler verorten seinen Geburtsort indes in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Beweisen können sie es nicht.

Null-Toleranz-Strategie

Seit seinem Amtsantritt 2017 forciert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine „Null-Toleranz-Strategie“ mit zahlreichen Razzien in Clan-eigenen Shisha-Bars, Spielhallen, Imbissbuden, Lokalen bis hin zu Gewerbebetrieben oder Mietshäusern, die sich im Besitz der Groß-Sippen befinden. Reul will über „die Politik der Hundert Nadelstiche“ die Lufthoheit im Ruhrgebiet zurückgewinnen.„ Es ist eine Mammutaufgabe, den Clans das Handwerk zu legen“, bekennt der Minister. Dabei geht es vor allem um Gruppen wie die Al-Zeins. Die Großfamilie spielt an der Ruhr und an der Spree eine gewichtige Rolle. Mahmoud Al-Zein, einst der Pate von Berlin, im Jahr 2005 verurteilt wegen Drogenhandels zu vier Jahren und drei Monaten Haft, soll heute in Duisburg leben.

Im Herbst feierte „El Presidente“ die pompöse Hochzeit seiner Tochter in Mülheim/Ruhr. So groß die Gästeschar, so intensiv fielen die polizeilichen Kontrollen aus. Zahlreiche andere Bosse sollen anwesend gewesen sein. Die Clans teilen den Einfluss untereinander auf. „Beinahe turnusmäßig treffen sich die Oberhäupter der wichtigsten Familien in Düsseldorf, um ihre Geschäfte zu besprechen und ihre Territorien abzustecken“, berichtet ein hochrangiger Ermittler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Geraten rivalisierende Familien aneinander, vermittel eine Art Friedensrichter. Das TV-Magazin Kontraste sprach kürzlich mit Jamal El-Zein. Der Mann gilt als die moralische Instanz für Tausende Clan-Mitglieder. Seinen Worten zufolge hilft er dort, wo die hiesige Ordnungsmacht scheitert.„Weil wir die Angelegenheiten regeln können, die der Staat nicht lösen kann. Wenn ein, zwei Leichen auf den Boden fallen, klären wir das innerhalb von zwei Wochen!“ Ohne sein Wirken, brüstete sich der selbst ernannte Friedensstifter, würde es weitaus brutaler zugehen:

Gepanschten Tabak verkauft

„Dabei wird alles zu Geld gemacht, was geht“, erläutert ein leitender Strafverfolger. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine 15-köpfige Familie, die im großen Stil gestohlene Autos aus etlichen EU-Staaten in illegalen Werkstätten ausgeschlachtet haben sollen. Im vergangenen Jahr hoben die Essener Zollfahnder eine illegale Wasserpfeifentabak-Fabrik im Kreis Mettmann aus. Gut 2,3 Tonnen Ware soll die Gang laut Ermittlungen verschoben haben. Die Tabakpanscher soll das örtliche Oberhaupt der Al-Zein-Familie in Langenfeld gelenkt haben. Pro Kilo sparte der Clan 40 Euro Tabaksteuer. „Da kommen Gewinnspannen von 200 Prozent zusammen, mehr als bei einem Kilo Koks“, erläutert ein hochrangiger Fahnder.

Bilal H. indes kann auf das Wohlwollen seines Bewährungshelfers zählen. Trotz aller Rückfälle stellte der ihm im Herbst 2016 ein positives Zeugnis aus. Sicher, da gebe es noch drei offene Strafverfahren, so der Tenor, aber ansonsten „zeigt sich der Klient offen und zur Zusammenarbeit bereit“. Ende 2017 stürmten Schläger der Al-Zein-Familie nach Ermittlungen der Strafverfolger die Essener Teestube „CaféOlympia“. „Pumpgun Bilal“ sollmitgemischt haben, heißt es aus Justizkreisen. Bei dem Angriff ging es um 5000 Euro und den Auftritt eines irakischen Künstlers. Der Betreiber der Teestube wurde mit einem Totschläger niedergestreckt.