Das Rechercheprotokoll in neun Abschnitten

"Die meisten Wächterpreisträger haben etwas aufgedeckt, Missstände ans Tageslicht gebracht, Behördenskandale oder Korruptionsaffären. Danach konnten sie Ross und Reiter (weitgehend) nennen und ihre Recherchen beschreiben. Ich kann das nicht. Rockerkriminalität gibt es leider noch immer, und so muss ich meine Informanten weiter schützen und auf ihre und meine Sicherheit achtgeben. Aber ausschnitthaft lässt sich berichten, wie die Berichte des WESER-KURIER über diesen „Motorradclub“ entstanden", so Christine KRÖGER.


Hier ihr mehrteiliges Making-of ihrer Recherchen:

 

Seriöse Beamte und windige Zuhälter: Informanten und andere Quellen

von Christine KRÖGER

Aufgedeckt im engen Sinne hat der WESER-KURIER Details und Hintergründe von Verbrechen, die Rocker der „Hell’s Angels“ begangen haben. Im engen Sinne meint: Für diese Details brauchte ich klassische Whistleblower. Polizisten und Juristen, die mir Dokumente zusteckten, auf denen „vertraulich“ und „nur für den Dienstgebrauch“ stand – obwohl sie damit ihren Job riskierten.

Das Motiv dieser Informanten? Vor allem Frust, würde ich sagen. Frust darüber, dass im Rockermilieu die Omertà, das Gesetz des Schweigens, allzu oft über die Gesetze, auch über die Gerechtigkeit und über ihren eigenen Ermittlungseifer siegt. Denn in diesem Milieu schweigen nicht nur die Täter, sondern auch die meisten Opfer und Zeugen. Entweder weil sie selbst zum „Club“ gehören – oder weil sie Angst haben.

So bekommt „die Öffentlichkeit“ nicht so recht mit, wer die „Hell’s Angels“ sind und was sie treiben. Sie regt sich kaum auf, dass die Behörden den Rockern nur selten Einhalt gebieten. Die Bürger ärgern sich allenfalls gelegentlich über den Lärm der Harleys und Rockerfeten. Doch viele „Höllenengel“ fahren ohnehin längst komfortable Limousinen und drehen die Musik leiser, noch bevor die Nachbarn sich beschweren.

Diese Informanten sind auch frustriert, weil sie ausgebremst werden. Denn längst haben sich einige Polizisten, Juristen und Politiker von den Rockern einwickeln lasse. „So schlimm sind die doch gar nicht“, „mit denen kann man doch reden“, „auf deren Zusagen ist Verlass“, so oder ähnlich argumentieren diese Leute. Im Kopf haben sie dabei vielleicht den Vergleich mit ausländischen Banden und sehen die Rocker als das vermeintlich „kleinere Übel“. Aber hat dieser Staat bei der Bekämpfung organisierter Krimineller tatsächlich keine höheren Ansprüche mehr, als nur noch den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?

Neben Ermittlern gab es Insider und Kenner der Szene, die mir Namen nannten und Tipps gaben. Menschen aus dem Rocker- und Rotlichtmilieu. Diese Informanten riskierten vermutlich mehr als ihren Job, sie setzten ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel. Ihre Motive waren nicht immer edel. Der zwielichtige Zuhälter, dem die Rocker ins Geschäft pfuschten. Die verlassene Rockerbraut, die sich an ihrem Ex rächen wollte. Aber auch die Prostituierte, die nicht verstehen konnte, warum diese Schläger vor Gericht oft mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davonkommen. Oder der Rocker, der sich als echter Easyrider fühlt und es leid war, dass die „Hell’s Angels“ diesen Mythos nur als Fassade nutzen.


Aufgedeckt im weiteren Sinne hat der WESER-KURIER Strukturen. Strukturen und Netzwerke der „Charter“ genannten Regionalorganisationen der „Hell’s Angels“ in Bremen und in Hannover. Sie stehen pars pro toto, als Teile einer weltweit straff hierarchisch aufgebauten Organisation mit zahlreichen Schwerkriminellen, die hinter den Kulissen des „Motorradclubs“ agieren. Dazu waren Whistleblower und Dokumente zwar unentbehrlich, noch wichtiger aber war es, genau hinzusehen. Schließlich tragen die Rocker ihre Mitgliedschaft bei den „Hell’s Angels“ ebenso offen wie stolz zur Schau. An ihren Lederwesten ist sogar abzulesen, auf welche Hierarchiestufe sie es in ihrem „Club“ geschafft haben. Auch öffentlich machen sie keinen Hehl daraus, dass sie nach ihren eigenen Gesetzen leben, Selbstjustiz üben, Gewalt bejahen und ein extrem sexistisches Frauenbild pflegen. Und das meiner Überzeugung nach mit Kalkül: Dieses Image sorgt für eine latente Drohkulisse, die Fausthiebe spart, weil kaum jemand den „Höllenengeln“ widersprechen mag.

Die Rocker einfach nur beobachten, ihnen zuhören und ihre Szenemagazine, Pressemitteilungen und Internetforen lesen. Das klingt einfach und ist manchmal doch schwierig. Schwierig ist es, stets kritisch zu bleiben und Distanz zu wahren. Denn die „Hell’s Angels“ vermarkten sich hochprofessionell. Als ganze Kerle, gradlinig, grundehrlich, zuverlässig. Von Ehre und Respekt reden sie gerne. Sprüche wie „ein Mann, ein Wort“ oder „harte Schale, weicher Kern“ schießen dem oberflächlichen Beobachter unwillkürlich durch den Kopf. Genau das ist die Masche: „Wer uns nicht mag, ist mindestens spießig, wenn nicht gar staatsmachthörig.“ Diese Botschaft versuchen die „Hell’s Angels“ mehr oder minder subtil rüberzubringen. Gerade engagierte Journalisten fühlen sich aber ungern spießig und behördenaffin.

 

Kurze Wege: Von den Neonazis über die Hooligans zu den Rockern


von Christine KRÖGER

Wie bin ich doch gleich an dieses Thema geraten? Das ist schon so lange her, dass ich tief in meinem Gedächtnis und dem Archiv des WESER-KURIER graben muss.

2004 begann ich, mich mit der rechtsextremen Szene in Bremen zu beschäftigen. Diese Szene ist vergleichsweise klein, hat aber einen knallharten Kern aus Kadern, die seit Jahrzehnten bundesweit eifrig Strippen ziehen. Vor allem in der Produktion und Vermarktung von Rechtsrock sind sie aktiv. „Die Bremer Hetzmusikanten“ hieß Ende 2004 die Darstellung dieser Szene im WESER-KURIER, in der die Hooligan-Band „Kategorie C“ eine wichtige Rolle spielte. Die Band genießt in den einschlägigen Kreisen Kultstatus und bringt Neonazi- und Hooligankreise zusammen. Bei diesen Recherchen traf ich immer wieder auch auf „Hell’s Angels“.

„Prominenz kommt“, schwärmte beispielsweise die junge Frau hinter der Theke in der Stammkneipe der rechten Bremer Hooligantruppe „Standarte“, wenn sich die Rocker dort blicken ließen. Als die „Standarte“ ihr 15-jähriges Bestehen feierte, begrüßten die Hooligans zahlreiche „Höllenengel“ unter ihren Gästen. Solche und ähnliche Begebenheiten habe ich in einigen Artikeln beschrieben. Es dauerte nicht lange, da hat mich „der Micha“ angerufen. Ich solle gefälligst aufhören, diesen „Mist“ zu verbreiten, schimpfte Michael W., Anführer des „Charter West Side“, wie sich die Rocker in Bremen nennen. Mit Neonazis hätten sie gar nichts am Hut. Ich erwiderte, dass ich die „Höllenengel“ mitnichten für – in welche Richtung auch immer – politisch ambitioniert halte. Allerdings hätten Michael W.s „Clubbrüder“ offensichtlich auch keinerlei Berührungsängste mit militanten Neonazis oder berüchtigten Fußballschlägern.

Mit derlei tatsachenorientierten Einwänden mochte sich „der Micha“ aber nicht auseinandersetzen. „Neonazis fliegen bei uns raus“, behauptete er, und „so eine Scheiße“ wolle er „gefälligst nicht noch einmal lesen“. Mit diesen Worten legte er auf. Vielleicht hat er sich ja tatsächlich nie wieder einen WESER-KURIER gekauft.

Ich bin bis heute davon überzeugt, dass es keine politischen Ambitionen, sondern extreme Gewaltbereitschaft ist, die Neonazis, Hooligans und „Höllenengel“ einen. Und ein gemeinsames „Feindbild“, zu dem die Staatsmacht im Allgemeinen, die Ermittlungsbehörden im Besonderen, aber auch die „bürgerliche Presse“ gehören. Aber Michael W. wollte ganz offenkundig keine Argumente austauschen, sondern eine „klare Ansage“ machen.

 

Kleiner Tipp mit großer Wirkung: Das mühsame Recherchepuzzle


von Christine KRÖGER

In einer Recherche zu einem ganz anderen Thema wurde ich im Frühjahr 2008 von einem Informanten übel versetzt. Als ich den Mann endlich an der Strippe hatte, waren ihm meine nicht eben ruhig vorgetragenen Vorwürfe offenkundig ziemlich peinlich.

Ich glaube, einzig und allein um meine Schimpftirade abzukürzen, erwähnte er, dass die „West Sider bald mächtig Probleme kriegen werden“. Das Ablenkungsmanöver hat wunderbar funktioniert: Was meinte er denn nun damit, bitteschön? Ein Kumpel von ihm habe ausgepackt, verriet er mir noch, wegen der „Sache mit Heino, damals in Stuhr“. Mehr wollte er nicht sagen. Verdammt, hätte ich bloß noch ein bisschen weitergeschimpft...

Ich begann zu recherchieren. Heino? Stuhr? Das Puzzle war mühsam zusammenzusetzen. Am 22. März 2006 waren fünf Mitglieder der Rockerbande „Bandidos“ brutal zusammengeschlagen worden. Mit den „Bandidos“ liefern sich die „Hell’s Angels“ seit Jahrzehnten eine blutige Bandenfehde, ihr „Rockerkrieg“ wird international ausgetragen. Die Bremer „Bandidos“ hatten ihr Clubhaus im niedersächsischen Stuhr vor den Toren Bremens, wo die Täter ihnen hinterhältig aufgelauert hatten. Am schlimmsten traf es Anführer Heino B., er schwebte nach dem Überfall in Lebensgefahr. Natürlich hatte die Polizei sofort die verfeindeten „Hell’s Angels“ im Visier, doch denen war lange nichts nachzuweisen. Auch die „Bandidos“ sind schließlich Rocker und hätten sich vermutlich eher die Zunge abgebissen, als die Täter bei der Polizei anzuschwärzen.

Am 23. Mai 2007 fielen dann im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren tödliche Schüsse. Das Opfer Robert K. war Mitglied der Bremer „Hell’s Angels“, die mutmaßlichen Täter rasch gefasst: Rund einen Monat später nahm die Polizei Heino B. und seinen Komplizen unter Mordverdacht fest. Am 17. Dezember 2007 begann in Münster der Prozess gegen die beiden. Doch die beiden Angeklagten gaben den Mord an Robert K. weder zu noch bestritten sie ihn. Sie schwiegen.

Aber wer verpfiff nun im Frühjahr 2008 die Bremer „Hell‘s Angels“ wegen des Überfalls in Stuhr? Wen auch immer ich fragte, ich biss auf Granit. Nur wenige Ermittler, Rechtsanwälte und Szeneinsider wussten damals überhaupt von Thomas P., jenem ehemaligen Bremer „Höllenengel“, der selbst an dem Überfall beteiligt war. Thomas P. hatte den „Hell’s Angels“ zwischenzeitlich den Rücken gekehrt und bei der Polizei ausgepackt. Er kam ins Zeugenschutzprogramm, erhielt eine neue Identität und lebte fortan weit weg von Bremen.

Es dauerte Monate, bis diese Hintergründe zusammengetragen waren. Am Ende wusste ich, welche Bremer „Höllenengel“ Thomas P. im Einzelnen beschuldigt hatte. Und ich kannte den Tag X, an dem diese immer noch ahnungslosen „West-Sider mächtig Probleme“ bekommen würden. An eine Veröffentlichung war natürlich nicht zu denken. Ich hätte nicht nur Ermittlungen, sondern vor allem Informanten gefährdet. Nach Expertenmeinung sogar an Leib und Leben.

 

Aus „Django“ wird Rudolf Triller: Skurrile Begegnung am „Platz der Engel“


von Christine KRÖGER

Immerhin blieb Zeit, für diesen Tag X einen ausführlichen Hintergrund vorzubereiten. Am 4. Juni 2008 war ich deshalb im Bremer Clubhaus „Angels‘ Place“ mit „Django“ verabredet. Der Rocker tritt nicht nur bundesweit als „Sprecher“ der „Hell’s Angels“ auf, er ist zugleich „Vizepräsident“ ihres Bremer „Charter“. Der Groll, den die Rocker wegen meiner Berichte über ihre Verbindungen zu Neonazis und Hooligans gehegt hatten, schien in Vergessenheit geraten.

„Django“ hatte seine kleine Tochter dabei. Ein bildhübsches aufgewecktes Mädchen, auf das er sichtlich stolz war. Aber auch seine „Clubbrüder“ André P. und Marcel S. erwarteten mich. Da saß ich nun mit drei „Hell’s Angels“ an einem Tisch – und von zweien wusste ich, dass sie wenige Tage später verhaftet werden sollten. Wegen des ebenso feigen wie brutalen Überfalls in Stuhr.

André P. war schon damals nur auf Bewährung in Freiheit, das Landgericht Bremen hatte ihn der räuberischen Erpressung für schuldig befunden. Marcel S. galt als Rädelsführer des Überfalls. Wenige Tage später nahm die Polizei die beiden tatsächlich zusammen mit anderen Rockern fest, zeitgleich durchsuchten Beamte den „Angels‘ Place“. In den Räumen, in denen „Djangos“ Tochter spielte, fanden die Beamten Waffen und Drogen.

Aber erst einmal versuchten hier drei „Höllenengel“, mich von ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen. Von dem, was sie unter Ehre und Respekt verstehen. Dass bei ihnen rausfliegt, wer mit Drogen handele. Dass sie fair zu den Prostituierten sind, die in ihren Bordellen arbeiten. Dass nur Heuchler Gewaltlosigkeit predigen, weil Gewalt genau wie Sex zur menschlichen Natur gehöre. Dass unsere Gesellschaft Amokläufer und Serienvergewaltiger hervorbringt, weil sie weder mit Gewalt noch mit Sex umzugehen wisse. Dass Selbstjustiz aller Ehren wert sein könne und „Verrat“ die schlimmste aller Sünden sei. Dass sie Zivilcourage leben, statt sie nur zu predigen. Dass ihnen ihre Familien heilig seien und diese Familien dank des „Clubs“ sehr viele „Beschützer“ haben. Dass in ihren Reihen auch Ärzte und Rechtsanwälte verkehren. Und dass die „Hell’s Angels“ überhaupt ein Verein wie jeder andere sei, nur, dass seine Mitglieder viel besser zusammenhielten...

„Django“ kann all das sehr gut rüberbringen. Mit seiner umgedrehten Schirmmütze und seiner Hornbrille hat der Mittfünfziger etwas von einem in die Jahre gekommenen Sozialrevoluzzer, der sich auf seine ganz eigene Art zeitlebens dem Erwachsenwerden verweigert hat. Und wie liebevoll er mit seiner kleinen Tochter spielte. Nach dem Gespräch kamen mir Zweifel.

Ist nicht doch etwas dran an dem, was die „Höllenengel“ sagen? Haben sich einige Polizisten und Staatsanwälte auf die Rocker festgebissen? Sehen organisierte Kriminelle nicht vollkommen anders aus als diese unkonventionellen Kerle? Treten die nicht in Schlips und Kragen auf und ziehen die Strippen in Konzernen, Verbänden und Behörden? Kein Mafioso trägt schließlich seine Clanzugehörigkeit via Lederweste oder sonstwie zur Schau...

Aber hat nicht der Mafioso sehr ähnliche eigenwillige Vorstellungen von Ehre und Respekt wie die Rocker? Tut er nicht auch alles für seine Familie und geht zugleich eiskalt über Leichen? Lebt er nicht auch nach strengen Regeln, nur dass sich diese Regeln nicht mit den Gesetzen decken? Und genießt er im Alltag nicht auch diese merkwürdige Mischung aus diffuser Angst und naiver Bewunderung, weil (auch ohne Lederweste) jeder weiß, zu welchem „Clan“ (oder „Club“) er gehört?

Am Ende beschloss ich, „Django“ fortan Rudolf Triller zu nennen. Auch vor dem Presserecht sind alle gleich, weder die „Hell’s Angels“ noch die Mafia sollen ihre eigenen Regeln durchsetzen. Der WESER-KURIER war meines Wissens das erste Medium, das den „Sprecher“ der Rocker beim Namen nannte.

 

Die Presse hebt die Hände: Vor-Ort-Termin an der Autobahn


von Christine KRÖGER

Am 8. Juni 2008 fingen Sondereinsatzkräfte des niedersächsischen Landeskriminalamtes auf einem Parkplatz an der A 27 zwischen Hannover und Bremen die „Hell’s Angels“ des „Charter West Side“ ab und nahmen sieben Mitglieder fest. Ich verpasste den „Zugriff“ knapp, weil das SEK blitzschnell war – und man auf der Autobahn leider nicht wenden darf. Als ich den Rastplatz endlich erreicht hatte, war er bereits hermetisch abgeriegelt. Ich versuchte es trotzdem.

Die vermummten und schwer bewaffneten Polizisten in ihren kugelsicheren Westen schienen keine Notiz von mir zu nehmen, aber dann stürmte ein Beamter auf mich zu. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“, brüllte er. Erschrocken stammelte ich „Presse“ und hob zu allem Überfluss unwillkürlich die Hände. Tage später machten sich Polizisten darüber lustig. „Kröger mit erhobenen Händen – hätten wir zu gerne gesehen.“ Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen.

Viel mehr Echo aber gab es auf Berichte über Rockerkriminalität Mitte 2008 nicht, der „Rockerkrieg“ war damals noch nicht in aller Munde. Auch neue Informationsquellen erschlossen sich durch die Artikel nur spärlich. Die Rechtsanwälte der „Hell’s Angels“ schimpften auf die Presse, die ihre Mandanten „vorverurteile“. In Polizei und Justiz sind die Rocker ein Fall für die Abteilungen „Organisierte Kriminalität“. Deren Ermittler aber sind wortkarge Wesen, die vor der Presse allenfalls hinlänglich bekannte Allgemeinplätze aufsagen. Die Furcht, dass die Medien ihre Arbeit gefährden, wiegt meistens schwerer als die Freude, dass die Öffentlichkeit über die Machenschaften ihrer „Kundschaft“ aufgeklärt wird.

Unterlaufen den Beamten dann noch Ermittlungspannen, die dieselbe Zeitung ihren Lesern nicht vorenthält, macht sie das nicht gerade gesprächiger. Uwe B. ist nicht zu fassen, schrieb der WESER-KURIER beispielsweise am 10. November 2008, nachdem die Ehefrau eines flüchtigen Bremer „Hell‘s Angels“ einen Peilsender an ihrem Auto entdeckt hatte.
„Viel Feind, viel Ehr“ musste mir also fürs erste als Antrieb genügen. Heute sorgt die blutige Fehde zwischen „Hell’s Angels“ und „Bandidos“ annähernd täglich für Schlagzeilen. Mancher ist schon geneigt, sich zurückzulehnen: Solange auch die Opfer schweigen, weil sie sich demselben fragwürdigen Ehrenkodex verpflichtet fühlen, sollen sich die Bandenmitglieder doch gegenseitig die Köpfe einschlagen. Leider verkommen die Hintergründe des „Rockerkrieges“ in den Medien häufig zur Nebensache, beschränkt auf Sätze wie: „Die Polizei vermutet Revierkämpfe im Rotlichtmilieu, im Drogen- und im Waffenhandel.“

Konfrontiert man die „Hell’s Angels“ mit dem Verdacht der organisierten Kriminalität, reagieren die schweren Jungs mit dem martialischen Auftreten fast wehleidig. Kriminalisiert und schikaniert würden sie, jammern Männer wie Rudolf Triller dann gerne. Die „Hell’s Angels“ sind eben Medienprofis, und mancherorts droht ihre Strategie aufzugehen. Zum Beispiel in Hannover.

 

Noch mehr kurze Wege: Von Bremen nach Hannover


von Christine KRÖGER

Von Beginn meiner Recherchen an fiel immer wieder der Name Frank Hanebuth. Der Name des Anführers des „Charter Hannover“ wurde mehr hinter vorgehaltener Hand gewispert als laut ausgesprochen.

Hanebuth sei der wahre Strippenzieher der „Höllenengel“, bundesweit passiere im „Club“ nichts, mit dem er nicht einverstanden sei. Jedenfalls nichts Gravierendes. Ich begann in Hannover zu recherchieren, und in der niedersächsischen Landeshauptstadt schienen die Uhren tatsächlich anders zu gehen, das zeigte schon der Blick in die örtliche Presse.

Hanebuth trommelte Mitte 2008 mehr als 1500 „Hell’s Angels“ aus ganz Europa zu einer Megaparty auf dem Gelände eines Edelbordells zusammen, über dem Dach des Etablissements baumelte eine nackte Frau wie ein Tier in einem Käfig. Den Journalisten vor Ort animierte das lediglich zu der harmlosen Überschrift „Striptease überm Villendach“. In seiner so betitelten Reportage beschrieb er dann, wie er seinen Schreibblock brav wieder einpackte, weil Rocker, deren „große Ärmellöcher in den Lederwesten ganz ausgefüllt mit Oberarmen“ waren, ihn kritisch beäugten, wenn er sich etwas notierte. Die örtliche Presse titelte in diesen Tagen stolz „Hannover , Hauptstadt der Höllenengel“ und feierte Hanebuths „erstaunliche Resozialisierung“ auf ihrer Titelseite.

Nicht nur als Rockerboss, auch als „Steintor-Chef“ lässt Hanebuth sich an der Leine gerne feiern. „Steintor“ heißt Hannovers Rotlicht- und Amüsiermeile. Seit Jahren trinken dort Tausende Jugendliche ganz selbstverständlich „Original 81 Support“-Bier, das unverblümt für die „Hell’s Angels“ wirbt. Bei Veranstaltungen wie der „Schlagerparade“ oder der „Harley Party“ gibt Hanebuth den jovialen Partylöwen, der fröhlich winkend die Kolonne Amüsierwilliger anführt.

In Hannover sagen selbst manche Polizisten frank und frei, Hanebuths Rocker hätten das Rotlichtviertel „befriedet“. Solche Beamten loben die „Höllenengel“ für ihre „Zuverlässigkeit“. Wenn Hanebuth den Ordnungshütern verspreche, auf einer Veranstaltung ein Dutzend private Sicherheitskräfte einzusetzen, kämen eher mehr als weniger. Und wer heute am Steintor geschäftlich Fuß fassen wolle, müsse sich nicht nur mit Ordnungsamt und Polizei, sondern auch mit Hanebuth gut stellen. Zu stören scheint diese Beamten all das kaum.

Ich sah mir Veranstaltungen an, die Clubs im Steintor und auch die Bars – sofern diese Frauen als Gäste zulassen. Ich studierte die örtlichen Szenemagazine und Gastronomieführer, sah mir die Publikationen von Stadtmarketing und Wirtschaftsfördervereinen an. Ich recherchierte im Handels- und Vereinsregister, konsultierte Firmenauskunfteien. Und ich sprach mal wieder mit vielen ganz verschiedenen Leuten.

Anführer krimineller Organisationen verschaffen sich Einfluss auf Medien, Kultur, Behörden, Politik und Wirtschaft. Im Hintergrund sorgen sie für eine permanente Drohkulisse. Diese Mischung macht diese Organisationen so gefährlich: Illegale Geschäfte laufen ruhiger, dort verdientes Geld wird in legalen Firmen gewaschen – und macht diese am Ende so rentabel, dass der Anführer neben viel Geld auch noch eine weiße Weste hat. Jedenfalls nach den Buchstaben der Gesetze. Am Ende meiner Recherchen stand für mich fest: Genau diesen Plan verfolgen die „Hell’s Angels“ in Hannover.

 

Nichts als Schelte – und ein Versprechen: Reaktionen auf die Berichte


von Christine KRÖGER

Am 28. November 2008 veröffentlichte der WESER-KURIER unter dem Titel Der lange Schatten des Frank H., wie die Rocker sich in Hannover eingerichtet haben – und Hannover sich mit ihnen. „Lauter saubere Sachen?“ hieß der Artikel, in dem der WESER-KURIER eine Übersicht über das unübersichtliche Firmengeflecht der Rocker und ihrer Strohleute gab. In „Angst als Geschäftsidee“ wurde erläutert, warum die „Hell’s Angels“ der organisierten Kriminalität verdächtig sind.

Am 29. November 2008 legte der WESER-KURIER Rocker rücken sich ins rechte Licht" nach: Die Hannoveraner „Hell’s Angels“, die sich so gerne als seriöse und zuverlässige Geschäftspartner präsentieren, pflegen Verbindungen in die rechtsextreme Szene. Unter der Überschrift Nach oben geboxt stellte der WESER-KURIER dar, dass es mit Markus W. ein ehemaliger Hooligan zum „Secretary“ des „Charter Hannover“ gebracht hat, der wegen des Angriffs auf den französischen Polizisten Daniel Nivel rechtskräftig verurteilt ist. Von „erfolgreicher Resozialisierung“ kann bei „Maxe“, wie Markus W. in der Szene heißt, keine Rede sein. Er war auch Jahre später noch in Schlägereien verwickelt und feierte mit Neonazis Partys.

Der Chefredakteur einer Hannoverschen Zeitung schickte umgehend ein bitterböses Fax an Chefredakteur und Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG. Darin nannte er die Kritik des WESER-KURIER an der Berichterstattung seines eigenen Blattes abwegig und absurd, niederträchtig und verleumderisch. Der WESER-KURIER setze die „gute Zusammenarbeit der beiden Verlage“ aufs Spiel, drohte er dem – im Vergleich – kleineren Bremer Verlagshaus recht unverhohlen mit ökonomischen Konsequenzen. Die blieben aus, ebenso juristische.

Intern agierte der Chefredakteur wenig später ganz anders. Er versetzte einen Redakteur, der besonders freundlich über die Rocker berichtet hatte, in ein anderes Ressort. Dann verließ der Mann die Redaktion gänzlich. Ein einzelner Redakteur als Bauernopfer, um das renommierte Verlagshaus reinzuwaschen?

Nicht minder wütend schrieb Götz von Fromberg an Chefredaktion und Vorstand des WESER-KURIER. Von Fromberg ist nicht nur Frank Hanebuths langjähriger Rechtsanwalt, er betrieb seine Kanzlei einst mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und unterhält bis heute eine Bürogemeinschaft mit ihm. In Hannover wird er als „Staranwalt“ betitelt und füllt häufig die Klatschkolumnen der örtlichen Presse. Wenn er Geburtstag feiert, ist das der Illustrierten „Bunte“ eine Doppelseite wert. „In Hannover ist man allgemein froh, dass es am Steintor ruhig geworden ist, nicht zuletzt ein Verdienst der hannoverschen Polizei, aber auch Folge einer erfolgreichen Tätigkeit des Frank Hanebuth“, behauptete von Fromberg. Hanebuth sei „inzwischen ein in Hannover geachteter Mann, der in einem äußerst schwierigen und gefährlichen Umfeld agieren muss und sich den Respekt seiner Geschäftspartner über Jahre erarbeitet hat“.

Von Fromberg wurde durchaus persönlich. Der „Redakteurin Kröger“ unterstellte er, sie mache sich „ihrer Herkunft entsprechend subjektiv Aussagen von Polizeibeamten zu eigen“. Bereits während der Recherchen hatte ich von dem Gerücht gehört, mein Vater sei beim Landeskriminalamt und habe dort erfolglos gegen Hanebuth ermittelt. Meine Berichte seien ein persönlicher Rachefeldzug, „im Namen des Vaters“ sozusagen. Nichts davon ist wahr. Bezeichnender noch als diese haltlosen persönlichen Angriffe ist noch, dass der „Staranwalt“ seinem empörten Schreiben keinerlei juristisches Nachspiel gegen den WESER-KURIER folgen ließ.

Das war bei drei Unterlassungsbegehren ähnlich. Deren Absender war der Hamburger Anwalt Helmut Jipp. Für seinen Mandanten Rudolf Triller begehrte er, dessen Namen künftig nicht mehr zu nennen. Für seinen Mandanten Frank Hanebuth forderte er unter anderem zu unterlassen, „den Eindruck zu erwecken“, sein Mandant sei Mitglied einer Organisation, die Kriminalisten als hochkriminell und schwer bewaffnet einstuften. Für seinen Mandanten Markus W. wollte er schließlich erreichen, dass der WESER-KURIER künftig nicht mehr behauptet, dieser habe auf Daniel Nivel eingeschlagen und – getreten, auch sei Markus W. 2005 nicht in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Der WESER-KURIER unterschrieb keines dieser Unterlassungsbegehren, und der Rechtsanwalt versuchte erst gar nicht, sie einzuklagen.

Erfolgreich klagte Jipp allerdings namens eines vierten Mandanten: Marcel S., der inzwischen rechtskräftig als Rädelsführer des Überfalls in Stuhr verurteilt ist. Der WESER-KURIER hatte ein Foto von Marcel S. in dessen Eigenschaft als „Sergeant at arms“ des Bremer „Charter West Side“ veröffentlicht, was laut Amtsgericht Hamburg nicht rechtens war. Der „Sergeant at arms“ ist laut Polizei bei den Rockern für Bewaffnung und Bestrafungsaktionen zuständig. Der WESER-KURIER verzichtete auf eine Berufung gegen das Urteil.

Immer noch anhängig ist eine weitere Klage. Vor dem Landgericht Hannover verwehrt sich Dr. Wolfgang P. dagegen, auch nur in die Nähe der „Hell’s Angels“ und ihres Anführers gerückt zu werden. Anders als Anwalt von Fromberg hält der Doktor den Umgang mit dem laut von Fromberg „in Hannover geachteten Mann“ nämlich für „geschäftsschädigend“. Dr. Wolfgang P. ist Geschäftsführer der „Pegasus Management GmbH“, einer nahe Hannover ansässigen Security-Firma. Er hat nach eigenem Bekunden lediglich ein Gebäude auf seinem Firmengelände an Hanebuth „als Privatperson“ vermietet. Anders als der WESER-KURIER am 28. November 2008 berichtete, will der Sicherheitsfachmann nichts weiter mit Hanebuth und dessen „Clubbrüdern“ zu tun haben.

Als ich vor der Veröffentlichung Hanebuth selbst anrief, wollte dieser nicht mit mir sprechen. „Abartig“ nannte er, dass ich bereits „hinter seinem Rücken“ recherchiert hätte. Ich hätte ihn gefälligst „zuerst fragen“ müssen, ob er und sein „Club“ denn überhaupt „Lust haben, eine Geschichte zu machen“. Er werde sich das „nicht gefallen lassen“. Das schwöre er, das laufe nicht. „Ist das jetzt eine Drohung?“ „Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen.“ Da kann man schon erschrecken, obwohl dieser 1,96 Meter Hüne doch nie und nimmer durch einen Telefonhörer passen würde. Und doch hat Hanebuth kein Wort zu viel gesagt – und keines zu wenig: Den Spagat zwischen angeblich seriösem Geschäftsmann und zwielichtigem Bandenanführer beherrscht er.

 

Die Justiz stößt an ihre Grenzen: Mildes Urteil gegen Schläger


von Christine KRÖGER

Zum Überfall seiner Bremer „Brüder“ auf die „Bandidos“ in Stuhr diktierte Hanebuth den örtlichen Journalisten Mitte 2008 in den Block, damit habe er „nichts zu tun“. Die gaben das einfach so wieder, obwohl nicht nur in Polizeiberichten, sondern auch in jeder Selbstdarstellung der „Hell’s Angels“ nachzulesen ist, dass der uneingeschränkte Zusammenhalt der Rocker weltweit gilt.

Den Bremer „Höllenengeln“ wurde vom 15. Dezember 2008 an vor dem Landgericht Verden der Prozess gemacht. Aus Sicherheitsgründen tagte das Gericht in Hannover. Bereits am späten Abend des ersten Prozesstages erfuhr ich, dass sich Richter, Staatsanwälte und Verteidiger auf einen Deal geeinigt hatten: Die Staatsanwaltschaft ließ den Tatvorwurf „schwerer Raub“ fallen, für die „gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung“ gab es zwei Jahre Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Im Gegenzug gestanden die Rocker den Überfall. Nur ihr „Sergeant at arms“ Marcel S. bekam wegen seiner Rädelsführerschaft eine höhere Strafe. Mit ihm wanderten die Angeklagten André P. und Ugur A. hinter Gitter, weil sie wegen räuberischer Erpressung bereits unter Bewährung standen. Alle übrigen „Hell’s Angels“ verließen den Gerichtssaal als freie Männer.

Am Tag der Urteilverkündung beklagte einer der Anwälte in seinem Plädoyer, wie schwer die Rocker bereits bestraft seien. Er verwies auf die monatelange Untersuchungshaft und die „Vorverurteilung“ durch die Presse, die „bürgerliche Existenzen“ vernichtet hätte. Am Vortag hatten die Angeklagten den Richtern Berufe wie „Aushilfsfahrer“ oder „Lageristen“ genannt. Ich wusste von den meisten, dass sie – zum Teil gemeinsam – Bordelle betreiben.

Die Angeklagten feixten zustimmend, einer zeigte auf mich: „Da sitzt sie.“ Hinter der Pressebank hörte ich das Gemurmel der Zuschauer, unter denen ich Rocker, Zuhälter und Prostituierte ausgemacht hatte. Einige Frauen hatten sich als „Verlobte“ der Angeklagten ausgegeben. Ein beliebter Kniff im Rocker- und Rotlichtmilieu: Als „Verlobte“ dürfen die Frauen die Aussage verweigern, ihre Zuhälter werden nicht belastet. Ich bat einen Kollegen, sich das Urteil alleine anzuhören, und ging kurz vor seiner Verkündung.
Hintergrund des milden Urteils dürfte gewesen sein, dass der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft vor Gericht die Aussage verweigerte, und außer Thomas P. hatte die Anklage wenig zu bieten. Außerdem musste sie fürchten, dass die Verteidiger die Glaubwürdigkeit ihres Zeugen erschüttern würden, denn der war kein unbeschriebenes Blatt. Das aber darf kein Jurist zugeben: Mangelt es der Anklage an Beweisen, haben Richter Angeklagte freizusprechen. Immerhin bekam die Staatsanwaltschaft so Geständnisse, und die sind im Rockermilieu selten. Freisprüche kommen häufiger vor, meistens aus Mangel an Beweisen.

Tatsächlich entfachte das Urteil eine Diskussion über Deals in Strafverfahren. Ein aufmüpfiger Amtsrichter aus dem niedersächsischen Rinteln zeigte die Verdener Richter mitsamt Staatsanwälten an. Strafvereitlung im Amt und Rechtsbeugung warf er ihnen vor. Die Verdener Juristen erwogen eine Gegenanzeige wegen übler Nachrede und falscher Verdächtigungen. Sie haben sich anders besonnen, vermutlich war es ihnen wichtiger, rasch aus den negativen Schlagzeilen zu kommen. Am Ende stellte die Staatsanwaltschaft Hannover die Ermittlungen gegen ihre Verdener Juristenkollegen mangels Anfangsverdachts ein. Niedersachsens Justizminister räumte immerhin ein: „Ein gewisses Unbehagen bleibt.“

Während die „Hell’s Angels“ ihre Freiheit noch am Abend der Urteilsverkündung ausschweifend gefeiert haben dürften, gönnten sich auch die Sonderermittler „Rockerkriminalität“ des niedersächsischen Landeskriminalamtes manches Bier. Allerdings aus Frust, nicht aus Freude.

 

Und was kommt danach? Der Umzugswagen


von Christine KRÖGER

Unter der Überschrift „Auch die Gewalt hat eine Dauerkarte“ hat der WESER-KURIER Ende 2005 ein Feature über die rechtsextremen Hooligans der „Standarte“ veröffentlicht. Ein Problem, das bis dahin aus Angst, aber auch aus Unkenntnis der Hintergründe, unzureichender Reflexion oder schlicht mit der Macht der Gewohnheit verniedlicht oder gänzlich ignoriert wurde.

Damals beschwerten sich Teile Werder Bremens und Teile der Bremer Polizei, der WESER-KURIER hatte keinen leichten Stand. Doch auch Betroffene meldeten sich und waren mehr als erleichtert, dass das Schweigen endlich ein Ende hat. Heute haben einige der Hooligans Stadionverbot, es gibt aktive Antirassismusarbeit, immer mehr Werderfans stehen auf und trauen sich zu sagen: „Euch wollen wir hier nicht.“ Zum Glück ist die Presse immer noch die vierte Macht im Staat.

Nachdem dieser Artikel erschienen war, fragte mich eine Kollegin: „Und was kommt danach? Schließlich leben und arbeiten Sie in Bremen.“ Ich war damals um eine Antwort verlegen, heute kann ich sagen: Nach den Hooligans kommen die „Hell’s Angels“. Gut, ich muss auch zugeben, dass ich nicht mehr in Bremen lebe.

Der Weg potenzieller organisierter Krimineller in die Gesellschaft ist viel gefährlicher als der „Rockerkrieg“, auch wenn er weniger spektakulär ist. Dieser Weg vollzieht sich in sehr vielen kleinen, kaum merklichen Schritten, von denen viele aus Unkenntnis der Hintergründe, durch unzureichende Reflexion oder schlicht mit der Macht der Gewohnheit, mithin in gutem Glauben, möglich sind. Es ist die Aufgabe der Presse, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu begleiten. Dazu muss sie ganz genau hinsehen, damit ihr auch solch kleine Schritte nicht entgehen. Sonst nutzt sie ihre Macht nicht verantwortungsbewusst, verspielt ihre Freiheit und verdient am Ende ihre Privilegien nicht mehr. Damit das nicht passiert, ziehe ich – und zum Glück nicht nur ich – auch noch häufiger um.

(Stand: 20. April 2010)