Was beim Fliegen in 10 Km Höhe alles anders ist

Ein Flugzeug ist ein hochkompliziertes Gebilde, besteht aus mehreren Zehntausenden Einzelkomponenten und manche sind doppelt oder dreifach vorhanden. Das hat seinen guten Grund, denn eine Maschine, die sich über kürzere oder längere Strecken in der Luft halten, aber auch sicher starten und wieder landen will, kann nicht jederzeit – wie etwa beim Auto – anhalten, um nachzuschauen, wo das Problem liegt, wenn es ein solches gibt. Überdies muss man ja auch ersteinmal aus 10 km Höhe, wenn man auf den Boden möchte und eine solche Gelegenheit da ist, wieder herunter.

In 10.000 Metern Höhe ist fast alles anders. Ausreichend Luft zum Atmen ist nicht da, es ist außerdem richtig kalt (bis zu minus 60 Grad Celsius) und der Luftdruck ziemlich schwach, so dass ein Mensch sofort ohnmächtig würde. Deswegen ist die Innenkabine eine sog. Druckkabine, der Luftdruck wird also künstlich erzeugt und weil außen fast keiner mehr besteht, der Druck innen aber höher ist, muss die Hülle, innerhalb derer die Passagiere und die Crew sitzen, auch einigermaßen stabil sein, um den Druckunterschied auszuhalten. Vom Gewicht her soll sie gleichzeitig möglichst leicht sein. Ein vollbesetzter Flieger (Eigengewicht, Kerosin, Gepäck und Insassen) wiegt denn auch schon mal zwischen 50 und über 560 Tonnen (Airbus A 380). Flugzeuge sind ein technisches Wunderwerk.

Bei einem U-Boot ist es übrigens genau andersherum. Je tiefer, desto größer der Druck der Wassermassen von außen. Ein Unterseeboot muss daher eine sehr dicke (und zugleich schwere) Hülle haben.  

Wie die Luft von außen in die Kabine des Flugzeugs gelangt

Bei diesen unterschiedlichen Ansprüchen muss man dann auch schon mal hier & da technische Kompromisse schließen. Und einer besteht darin, dass die Atemluft im Flugzeug über die Turbinen bzw. Triebwerke abgezapft wird („Zapfluft“, englisch: bleed-air).

Vorteil Nummer 1:

Man benötigt keinen zusätzlichen Kompressor, der das ‚bißchen Luft‘ zur Normalluft verdichtet.

Vorteil Nr. 2:

Durch die Komprimierung der Luft für die Brennkammer, die dann den notwendigen Schub produziert, wird  es bereits in diesem Kompressorbereich bis zu 450 Grad Celsius warm. Bzw. heiß. Praktischerweise ist die dort abgezapfte (vormals eiskalte dünne) Luft dann bereits ein wenig‘ vorgewärmt‘. 

Aber: Die Zapfluft ist so heiß, dass sie wieder über einen Vorkühler (Pre-Cooler) auf etwa 200 Grad Celsius herunter gekühlt werden muss, damit sie über die verschiedenen  Klimaanlagen-Komponenten, wie Kühlturbine (Pack), Lüftungsrohre (Ducts)  im Flugzeug verteilen werden kann. So lässt sich das auch bei der Lufthansa nachlesen: Atmen in 10.000 Metern Höhe.

Genau da beginnt auch das potenzielle Problem der kontaminierten Kabinenluft. 

Die Kompression der Luft geschieht über mehrere Stufen:  Die Luft wird über mehrere Turbinen(schaufeln), die hintereinander geschaltet sind, verdichtet. Alle sind sie mit Wellen verbunden (sog.Turbinenläufer), die sich ständig drehen (müssen). Dazu sind spezielle Lager in speziellen Lagergehäusen notwendig. Damit diese Lager nicht festlaufen können, werden sie mit speziellen Ölen für Triebwerke geschmiert. Damit das Öl nicht auslaufen kann, werden oft sog. Labyrinth-Dichtungen benutzt, konkret: Es gibt gar keine vollständig dichte ‚Dichtung‘. Vielmehr wird der Austritt des Öls aus diesen Lagergehäusen durch einen anderen (sekundären) Luftkreislauf des Triebwerkes in gegenläufiger Richtung verhindert. Jedenfalls solange, wie alles einwandfrei funktioniert.

Ausführlich dargestellt ist dies – in englischer Sprache – von Prof. Dr.-Ing. Dieter SCHOLZ, Hochschullehrer an der HAW Hamburg und zuständig für die Lehrgebiete Flugzeugsysteme, Flugzeugentwurf und Flugmechanik, auf seiner Website: http://cabinair.profscholz.de, insbesondere dort in einer aktuellen Präsentation von Anfang Juli 2021.

Dort ist z.B. beschrieben, was alles an (toxischen) Stoffen da über die „Zapfluft“ (englisch: bleed-air) in die Kabine gelangen kann, wenn es zu einem Fume Event kommt. Wenn also eine der Dichtungen leckt, das synthetische Öl austreten kann und durch die Hitze verbrennt. Bei einer solchen "Pyroloyse" sind es dann diese Stoffe, viele davon toxisch, sprich giftig. Die Auflistung stammt von der Europäischen Flugaufsichtsbehörde EASA, die das in einem Experiment hat erforschen lassen (EASA 2017: AVOIL-Studie):

  •         Tributhylphposphate (TBP)
  •         Triphenylphosphate (TPP)
  •         Tricresylphoasphate (TCP / TKP)
  •         Trixylylphosphate (TXP
  •         Amine
  •         flüchtige organische Verbindungen – sog. VOC’s (volatile organic compounds)
  •         organische Säuren
  •         Aldehyde
  •         CO und CO2
  •         und vor allem: viele andere und insbesondere bisher unbekannte Stoffe.

Sozusagen ein bunter Cocktail von chemischen Stoffen. Toxischen Stoffen zumeist.

Die (einzige?) Schwachstelle beim sichersten Verkehrsmittel

Insgesamt gibt es mehrere Dichtungen in einer Turbine, manche sind aus Carbon, die als besonders fest gelten, aber hin und wieder eben doch brüchig werden oder reißen. Es ist dies auch eine Frage der Wartung. 

Früher wurden Triebwerke alle 3 bis 4 Jahre überholt – etwa alle 15.000 Flugstunden. Konkret: die Triebwerke wurden vom Flugzeug abgebaut, zum Überholbetrieb gebracht, dort in ihre Einzelteile zerlegt. Jedes einzelne Teil wurde sorgfältig begutachtet, und wenn alles in Ordnung war, wurden beim nachfolgenden Zusammenbau immer neue Lagergehäusedichtungen eingebaut. Für alle Fälle. Dieses Verfahren gewährleistete in der Regel einen sorgenfreien Betrieb hinsichtlich des zu erwarteten Verschleißes dieser Dichtungen. Bis zum nächsten fälligen Überholintervall. 

Heute ist das anders. Die Triebwerkstechnik und die Technik des Überprüfens der Triebwerksteile wurde immer perfekter und ausgefeilter, so dass die Airlines immer seltener ihre Turbinen überprüfen ließen. So hat z.B. der Triebwerkshersteller General Electric im Jahre 2009 der Fluggesellschaft TUI-Fly gratuliert, dass eines ihrer „CFM 56“ Triebwerke mittlerweile schon 40.000 Flugstunden an der Tragfläche verblieb, ohne jemals eine Triebwerkswerkstatt gesehen zu haben. Gleiches nochmals im Jahr 2012. Da hatte das Triebwerk bereits 50.000 Flugstunden auf dem Buckel (bzw. an der Tragfläche). Inzwischen kann man allgemein sagen: die Laufzeiten haben sich verdreifacht (Eine detailliertere Beschreibung des Verfahrens gibt es hier unter Fume Events, Triebwerke und Wartung - zusammengestellt von einem erfahrenen Piloten).

Jedenfalls ist das für die Turbine - technisch gesehen - in Ordnung. Nicht berücksichtigt wird dabei allerdings der sehr viel schnellere Verschleiß der Dichtungen. Und wenn eine (oder gleich mehrere) Dichtungen nicht mehr funktionieren, kommt es zu Fume Events – in unterschiedlichen Graden bzw. Dosen an toxischen Stoffen, die dann in die Klimaanlage gelangen. 

So sieht das Innere in einer Modellzeichnung aus. Die Einteilung in "Cold Section" und "Hot Section" bedeutet nicht, dass innerhalb von wenigen Zentimetern die Temperatur vor der Brennkammer ("Combustion") von Minus 50 auf auf Plus 450 Grad in der Brennkammer steigt. Sonst müsste die Zapfluft, die ja noch vor der Brennkammer abgezapft wird, extra aufgewärmt werden. Tatsächlich ist sie bereits so heiß, dass sie wieder heruntergekühlt werden muss.

Die Grafik ist einer Broschüre der Global Cabin Air Quality Executive entnommen: Contaminated Air Overview:     

 

Und so sieht das Zapfluftrohr in der Realität aus. In einem 2 1/2minütigen Video (durch Anklicken des Bildes) erklärt der britische Ex-Pilot Tristan LORAINE, der wie viele andere ebenfalls fluguntüchtig geschrieben wurde, wie man das Problem drastisch reduzieren könnte. Nämlich durch Einbau eines Filters bereits vor Eintritt der Zapfluft in das Flugzeuginnere.

Bisher gibt es in vielen, nicht allen Flugzeugen, sog. HEPA-Filter. Aber eben nicht beim Zapflufteinlass. Diese HEPA-Filter im Innern des Flugzeugs recyceln bis zu 50% die verbrauchte Luft in der Kabine. Anders gesagt: ein Teil der durch die Passagiere verbrauchten Luft wird wieder nach außen geleitet, der andere Teil über eben einen solchen Filter recycelt.

Bevor LORAINE den zusätzlich einzubauenden Filter erklärt, zeigt er ein Zapfluftrohr:

 

Wie Zapfluftrohre aussehen, wenn sie durch Schadstoffe beschädigt bzw. innen verdreckt sind, hat die Britische Civil Aviation Agency im Jahr 2004 fotografiert. Der Report lässt sich downloaden unter http://publicapps.caa.co.uk/docs/33/CAPAP2004_04.PDF . Die beiden Bilder finden sich auf S. 46 (PDF-Zählung) bzw. im chapter 2, dort page 14.

Bild 1 zeigt eine neue ‚unverbrauchtes‘ Atemrohr. Bild 2 ein älteres. Vielleicht sollten Atemluft-Leitungen nicht aussehen wie ein Kaminrohr von innen?

Wie der menschliche Organismus reagiert

Egal, ob Carbon- oder Labyrinthdichtung(en) und unabhängig davon, wie diese funktionieren oder lecken:

10 Kilometer oben in der (Noch)Luft wird der Luftdruck so reguliert wie auf etwa 2.400 Meter Höhe, also 500 Meter tiefer als die Zugspitze in den Alpen. Dadurch beträgt der Luftdruck nur 75% dessen, was man auf dem Boden gewohnt ist. Damit ist dann auch der Sauerstoffanteil deutlich geringer. Und darauf reagiert der menschliche Organismus unterschiedlich. Und so kann man das im "Kompendium der Flugmedizin" nachlesen, auf der Seite "1-27".

Beispielsweise werden Fremdstoffe anders verstoffwechselt (metabolisiert). Damit ist gemeint: Der Körper versucht einen Stoff, der ihm nicht eigen ist und den er nicht kennt oder nicht sonderlich mag, abzubauen, sprich in andere Stoffe aufzuspalten. Zumindest solche, bei denen das funktioniert.

Bei jedem Menschen geschieht das auf verschiedene Weise. Beim einen schneller, beim anderen langsamer - so etwa beim Alkohol. Bei manchen Stoffen klappt das aber garnicht, z.B. bei tödlichen Giften. Oder anderen toxischen Stoffen, deren Schädlichkeit so stark ist, dass der Stoffwechselmechanismus schlichtweg überfordert ist.

In einer völlig anderen Druckluft-Umgebung wie eben beschrieben können übrigens auch Medikamente unterschiedlich reagieren. Manchmal auch garnicht. Oder nur schwach.

Für Fluggäste ist ein Flug eine zeitlich begrenzte Angelegenheit. Und Flüge, die länger als 13 Stunden dauern (z.B. Frankfurt – Buenos Aires), sind selten. In der Regel sind sie deutlich kürzer.

Anders für die Crew. Die Kabine oder das Cockpit ist hier Arbeitsplatz. Die Belastung damit potenziell höher. Erheblich höher. Und da beginnen dann potenziell die Probleme für die Crew.

Wenn es nun zu einer sog. Leakage kommt und kontaminierte Luft in die Kabine und/oder das Cockpit strömt, nennt man das ein "Fume Event". Das muss nicht immer mit Rauch und/oder üblem Geruch verbunden sein. Es hängt von den Stoffen ab, die da hineingeraten: verbranntes Öl oder deren Additive (wie z.B. TCP), Hydraulikflüsssigkeiten, im Winter Enteisungsmittel (die für eine Benutzungstemperatur von 80 Grad Celsius ausgelegt sind) und anderes mehr. Bisher hat man etwa 200 solcher chemischen Substanzen identifiziert. Vieles weiß man bisher nicht über sie, schon garnichts über die Wechselwirkungen untereinander.

Warum das so ist, analysieren wir unter Wer, wie, was warum. Wer nicht forscht, bleibt dumm. "Kasuistiken" in der Arbeitsmedizin.

Andere Aspekte

Die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen werden auch unter dem Begriff "Aerotoxisches Syndrom" zusammengefasst. Die Wirkungen können ganz plötzlich auftreten, sich aber auch erst mittel- bis langfristig einstellen. All dies und wie die Arbeitgeber und die Arbeitsmedizin damit umgehen, dokumentieren wir unter Das Aerotoxische Syndrom in der Arbeitsmedizin.

Wie die Gesetzliche Unfallversicherung, konkret wie die dafür zuständige Berufsgenossenschaft  mit diesem Problem ganz allgemein umgeht, beschreiben wir unter Die Berufsgenossenschaft Verkehr. Oder: Wer nicht krank ist, kostet nichts. Über die Berufsgenossenschaft sind die Arbeitnehmer versichert, wenn es um Arbeitsunfälle oder beruflich bedingte Krankheiten geht.

Wie das im konkreten Fall aussieht, demonstrieren wir an einem konkreten Fall: einem Piloten, der durch ein Fume Event fluguntüchtig, sprich arbeitsunfähig geworden ist. Und der jetzt um die Anerkennung als Berufskrankheit kämpft. Davon wird auch seine finanzielle Existenz abhängen: Einmal Pilot - nie mehr Pilot.

Wer ganz generell mehr über das Problem der kontaminierten Kabinenluft wissen möchte, wieso es so lange gedauert hat, bis man überhaupt dieses Problem zur Kenntnis genommen hat, der kann dies ausführlich in einem etwas anderen Kontext tun: www.ansTageslicht.de/Kabinenluft. Alle anderen hier auf der rechten Navigationsleiste angezeigten Texte (smartphone: nach ganz unten scrollen!) konzentrieren sich auf die Frage, wieso zwar das Problem nicht mehr wegdiskutiert wird, aber warum sich dann nichts ändert. Und da kommt dann die Arbeitsmedizin und die Gesetzliche Unfallversicherung ins Spiel. Und dies alles lässt sich direkt aufrufen unter www.ansTageslicht.de/krankdurcharbeit.

Diesen Text (Kapitel) können Sie auch direkt aufrufen und/oder verlinken: www.ansTageslicht.de/ueberdenwolken

(JL)

Der Text, den Sie hier lesen, ist Bestandteil des Themenkomplex

Krank durch Arbeit, konkret: durch kontaminierte Kabinenluft in Flugzeugen ("Fume Event").

Dazu gehören diese weiteren Themenschwerpunkte:

Den Themenkomplex "Krank durch Arbeit" ganz generell haben wir dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/krankdurcharbeit, wozu diese Themenschwerpunkte gehören:

Alle Themenschwerpunkte eines Themenkomplex bestehen aus mehreren (ausführlichen) Texten, die wir "Kapitel" nennen. Den gesamten Themenkomplex "Kabinenluft" im Überblick können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Kabinenluft.